Pesthauch

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bosbach46

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Pesthauch I

Der Mai des Jahres 1350 war überaus sonnig und zugleich regnerisch gewesen. In Graefenthals Klostergarten wucherten die ersten Salatköpfe. Das junge Gemüse schoß schneller als erwünscht aus dem Boden heraus und die Zuffern, wie die Arbeitsnonnen genannt wurden, versuchten die Beete sauber zu halten.

Das Prunkstück der Gartenanlage war Zufer Paulas Kräutergarten. Die alte gebrechliche Paula kroch auf allen Vieren zwischen den üppigen Beinwellblättern und sammelte rote und schwarze Nachtschnecken von den Blättern ab.

Sie rätselte, warum der Schöpfer diese gefräßigen Weichtiere geschaffen hatte. Vieles bleibt Gottes Geheimnis, dachte sie, auch wenn wir Menschen beginnen, etwas zu verstehen. Aber wir verstehen nie das gesamte großartige Zusammenspiel seiner Werke. Zufer Paula liebte solche Gedankengänge. Allerdings hielt sie ihre Überlegungen zurück, weil die gebildeten Jufern, die Nonnen des Adelstandes, es nicht aushielten, wenn eine Arbeiterin anspruchsvolle Gedankenwelten offenbarte.

Drei Jahrzehnte schwerste Gartenarbeit hatten ihren Rücken gekrümmt. Die Gelenke ihrer Finger schwollen besonders an feucht-kalten Tagen schmerzhaft an. Ihr sonnengegerbtes Gesicht war furchig geworden, wie der sommertags verbrannte Erdboden. Ganz anders als ihr gealterter Körper wirkten ihre kleinen braunen Augen. Aus ihnen blitzte pure Lebendigkeit, eine ausgelassene Heiterkeit und die mühsam gewonnene Abgeklärtheit.

Völlig überraschend schritt Jufer Callista vom Gartentor her auf Paula zu. Mit ihren langen, stelzigen Beinen überquerte sie ungelenk ein frisch bestelltes Beet und stand wie ein schmaler, zerbrechlicher Turm vor Paula, die noch auf dem Boden kniete. Jufer Callista schien aufgeregt zu sein.

Wie geht es den Kräutern, ehrwürdige Zufer, fragte sie säuselnd.

Oh, lachte Paula, sie sind fröhlich, weil die Schnecken in diesem Eimer sie nicht mehr fressen können. Schauen Sie in den Eimer, dann sehen sie.

Wollen Sie Zufer Paula, dass mir speiübel wird ? Ich finde Schleimtiere ekelerregnd !
Callista rümpfte die Nase.Angewidert streckte sie ihre lange, dürre Gestalt noch etwas mehr in die Höhe.

Wie eine Ringelnatter, dachte Paula, sieht sie aus.

Sagen Sie Zufer Paula, fuhr Callista gereizt fort, ist die gelbblühende Pflanze dort am Beetrand eine Raute ?

Merkwürdig, fand Paula, dass viele ihrer Mitschwestern der Raute neuerdings eine besondere Bedeutung gaben. Immer wieder traf sie Nonnen in ihren Beeten an, die das Kraut betrachteten.

Ja, antwortete Paula, er ist die Raute. Eine Pflanze, der Zauberkraft angedichtet wurde. Blödsinn übrigens.

Aber sie wirkt gegen die Pestilenz, warf Callista nervös ein.

Glauben sie das wirklich, fragte Paula scharf.

Etwas muß doch wirken. Die Pest rast heran und niemand, einerlei ob Jude, Christ, Heide, dumm oder klug, wird von ihr verschont. In Köln, hörte ich, habe der "Schwarze Tod" reichlich gemäht. Und jetzt setzt der Tod sein Werk am Niederrhein fort. Die Seuche sickert durch Fugen und Ritzen.

Callistas innere Panik drang hervor. Ihre Pupillen waren weit aufgerissen und starrten südwärts, der Gefahr entgegen.

In Ihnen ist die Furcht eingezogen, bemerkte Paula leise. Sie fragen sich, wann uns die Seuche ereilen wird.

Callista sah gebannt auf die Raute herab. Irgendwas muß helfen, klagte sie verzweifelt.

Paula richtete sich auf und schlug einige Erdkrummen von der blauen Arbeitsschürze ab. Obwohl Paula das arrogante Gehabe der adeligen Mitschwester verachtete, war ihr die Angst verständlich. Die Pest war eine fürchterliche Wirklichkeit und walzte das Leben nieder.

Sehen Sie, Jufer Callista, begann sie milde, ich bin eine einfache Magd des Herrn und verrichte meinen Dienst in Gottes Garten. Es war mir erlaubt einen unmaßgeblichen Einblick in die Heilkunst nehmen zu dürfen. Nachdem Mutter Isabell meine unwürdige Person unterrichtete, ich das Latainische studierte und dann Hildegard von Bingen lesen konnte, begriff ich. Ich begriff, wie Salbeitee den Brand im Hals bekämpft, sah wie eine Paste aus Beinwell und Öl den Schmutz aus der Wunde sog und wie junge Brennnesselblätter das Wasser vertreiben. Aber nie hörte ich von einem Kraut, welches die Pest besiegen könne.

Du dummer Bauerntrampel, schrie Callista. Du hegst Unmut gegen mich und verweigerst mir deshalb dein Kraut. Sieh, fauchte sie, sieh diesen Pils hier ! Er ist doch giftig, Paula. Sag, ist er nicht bereits in geringster Menge tödlich.

Paula schwieg. Was Callista aus dem Ärmel gezogen hatte, war ein Knollenblätterpilz.

Ich werde Isabell unterrichten, zischte sie, dass du mich mit diesem Pilz in den Tod schicken willst. Gegen die Pest sei er hilfreich. Ja, die unschuldige Paula hat mir das erklärt. Isabell wird dich heut vor die Türe setzen, mieses Wechselbalg, Dreckstück.

Paula hatte bereits mehrere Ausbrüche Callistas erlebt. Dieser übertraf an Gemeinheit die bisherigen. Sie schickte ein gedankliches Stoßgebet zum Himmel: Möge Isabells Urteilskraft zur Wahrheit führen.

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Der abgemagerte Klepper war ein Bild des Jammers. Seit Wochen ging er im Geschirr und zog den schwerfälligen Karren über aufgeweichte Wege. Offene Druckstellen peingten das Tier und tiefe Peitschenstriemen hatten ihm Streifen seines Fells genommen. Oft hatte der Besitzer die Gerte auf das Pferd geknallt und versucht das geschundene Geschöpf zu weiteren Leistungen zu zwingen.

Wir müssen nur noch eine halbe Tagesreise bewältigen, schrie Camillus, und Du Mistvieh weigerst dich deine Knochen zu bewegen. Heftig schlug er zwischen die Ohren des Pferdes. Das Tier zitterte am ganzen Körper und knickte in den Vorderhänden ein. Selbst ein Feuer unter dem Bauch hätte keine weiteren Kräfte mehr entfachen können. Der Gaul war erschöpft. Begleitet von häßlichen Flüchen spannte er das Tier aus und ließ es am Ufer der Niers grasen.

Er selbst kramte unter der Plane seines Wagens und zog umständlich eine Flasche gebrannten heraus. Der hochprozentige Tropfen stammte aus dem Haushalt eines Straßburger Händlers, dem er die Pestbeulen in den Leisten und unter den Achseln geöffnet hatte. Während der Kranke die Besinnung verlor, hatte er kundig ein Silberbesteck, eine Goldkette, etliche Münzen und die Flasche in den Sack gesteckt. Dann verließ er den Sterbenden, um einen weiteren Todgeweihten ausplündern zu können.

Seit Jahren zog Camillus als Schnabeldoktor mit der Pest durch die Lande. Nach dem Vorbild florentinischer Mediziner trug er eine vogelartige Maske aus Leder, in deren langen Schnabel duftende Kräuter eingelegt worden waren. Sie sollten vor dem allgegenwärtigen Pesthauch schützen.

Von seinem früheren Herrn, einem Wiener Medikus, hatte er die Diplome verschiedener Universitäten gestohlen. Seinen Herrn hatte er damals im Garten verscharrt, nachdem das Gift gewirkt hatte. Nun war er nicht mehr der Hausknecht, der von einem mürrischen alten Teufel getroeben wurde. Jetzt war selbst eine gebildete Autorität, ein Medikus, dem Respekt gezollt wurde.

Er lebte gut. Die Gequälten, von der Todesangst überwältigten Pestkranken akzeptierten jeden Preis, den er für seine Behandlung forderte. Selbst ihre jungen Töchter übergaben sie dem häßlichen Doktor. Huren, Kartenspiele, gebratene Kapaune und bester Wein kosteten ein Vermögen. Wenn Camillus in die Schenke einkehrte, verlor er am Spieltisch alles, was er den Kranken abgenommen hatte. Trotz der Verluste, blieb ihm der Katzenjammer ersparrt, wußte er doch, bald wieder in den Häusern der Verzweifelten tätig werden zu können.

Inzwischen glaubte Camillus felsenfest, er habe magische Kräfte entwickelt. Das die Menschen zwei bis drei Tage nach seiner Ankunft erkrankten, konnte kein Zufall mehr sein. Vielleicht, dachte er, war er selber der unheilbringende Bote. Eine große geistige Kraft strahlt von mir ab, meinte er. Meine Gedanken beeinflussen, wann immer ich es will, den Lebenslauf der Menschen. Ich muß nur nahe genug an sie heran kommen, dann werden sie die Pest schon annehmen.

Die Pest war ihm ein Freund. Mit ihr lebte er wie die Made im Speck. Schon bald, lächelte er, würden die Nonnen Graefenthals seine Botschaft ausaugen und wenig später voller Beulen, mit schlimmen Fieber den Strohsack aufsuchen. Sie würden ihre Lungen auskotzen und schließlich in einer Lache schwarzen Blutes verrecken. Dann würde er Gold, Silber, all die Schätze des Konventes davon tragen können.

Camillus trank noch einen Schluck und schlief neben der brüchigen Karre ein. Wenige Meter weiter schlief das erschöpfte Pferd.

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Äbtissin Isabell liebte den Fliederbusch, der an der Strinseite des Kreuzganges erblühte. Allein der angenehme Duft, der noch zarten Blüten, war ihr Beweis genug, dass Gottes Schöpfung vollkommende Schönheit geschaffen hatte. Extra, um den süßen Duftstrom des Flieders genießen zu können, hatte sie dort eine grobe Holzbank aufstellen lassen. Sie schloß die Augen und gönnte sich auf der Bank einen kleinen Abstand von ihren vielfältigen Aufgaben.

Unser Kloster, dachte sie, könnte sehr wohl ein Ort des Friedens sein. Ein Ort der Stille, ein Platz der Besinnung
auf das Wesentliche. Hier, befand sie, ist eine großartige Nähe zu Gott erzielbar. Hier kann das eigene leben auf die göttliche Beziehung ausgerichtet werden und die eigene Seele sich mit göttlicher Liebe füllen.

Thomas von Aquin fiel ihr ein. Hatte er doch eine Rangordnung der Dinge bestimmt. Eine Pflanze, wie der Flieder hier, sei eine untere Lebensstufe. Isabell zweifelte, ob Aquin richtig lag. Vielleicht, überlegte sie, ist die Schöpfung ein großartiges Ganzes, in dem Gott selbst keinen Unterschied trifft, zwischen den Elementen seines Werkes. Ohne Stein kein Mineral, ohne Mineral keine Nährstoffe für die pflanzliche Welt und ohne die Pflanzen gäbe es keine Nahrung für das tierische Leben und ohne diesem, wäre menschliches Dasein unmöglich. Die Dinge gehören also zusammen, schlußfolgerte sie. Alles ist aufeinander abgestimmt und zusammen das Wunder einer vollendeten Schöpfung.

Behäbig und müde schlurfte Paula zu Isabells Bank. Die Äbtissin hatte die charakterstarke Nonne erwartet. Ihr war die alte, mitunter kauzige Mitschwester willkommen. Selbst wenn das anstehende Thema heikelerer Natur war.

Kommen Sie, Paula, teilen Sie mit mir die Bank.

Sie möchten neben einer alten, mordlüsternden Ziege sitzen ?

Vergessen Sie den Vorwurf. Ich kenne Callista. Sie benimmt sich immer wieder wie ein kleines ungezogenes Kind. Wenn ihr etwas, das sie möchte,verweigert wird, kocht in ihr das Bösartige auf. So, jetzt setzen Sie sich endlich, ihr müder Leib braucht Erholung.

Als Paula saß, umkreiste eine prächtige Steinhummel die Fliederblüten. Ein freundliches Tier, bemerkte Paula.
Ja, hübsch, ergänzte Isabell.
Kennen Sie den Bombadier, den Käfer der kleine Knallwölckchen verschießt, wenn er bedroht wird, fragte Paula.

Leider nein.

Er ist voller Furcht. Selbst der Schatten eines vom Wind bewegten Blattes veranlaßt den Käfer seine Verteidungsstrategie einzusetzen. Und seit Wochen liegt über unserem Kloster ein mächtiger Schatten.

Sie meinen die Pest, Paula.

Ja, viele Zuffern und Juffern baten mich in den letzten Tagen um ein Heilkraut. Nachts, liegen einige wach, naßgeschwitzt, angstdurchtränkt. Einige reden über einen schwarzen Engel, wie er mit kalter Hand nach ihnen griff und sie eine abscheuliche, unbekannte Tiefe ziehen wollte. Andere haben begonnen sich zu geißeln, weil sie hoffen Gott würde milde werden.

Nachdenklich sagte die Äbtissin, wahrscheinlich ist die Angst berechtigt. Die Pest grassiert und kein wirksamer Schutz ist bekannt. Wir müssen unsere Hilflosigkeit aushalten.

Paula schüttelte den Kopf. Nein, behauptete sie inbrünstig, wir können uns schützen. Obwohl das Grauen universell ist, können wir versuchen ihm den Eintritt ins Kloster zu verwehren.

Ein schöner gedanke, Paula. Nur wie sollen wir einen unsichtbaren Feind abwehren?

Erinneren Sie sich an die letzte Erkältungswelle ? Zuerst hatte Zuffer Martha eine Rotznase, wurde heiser und dann fieberte sie.

Selbstverständlich, erinnere ich mich. Nur was hat die Erkältung mit unserer momentanen Not zu tun?

Warten Sie, verehrte Äbtissin. Wissen Sie noch, wer als nächstes erkrankte ? Es waren doch die Kinder, die Martha betreute.

Es stimmt, nach Martha erkrankten die Kinder. Aber, Paula, warum erkrankten nicht Bruder Matthias oder Jufer Callista?

Martha hatte täglich Kontakt zu den Kindern, aber keinen Kontakt zu Juffer Callista. Die Reihenfolge, wer nach wem erkrankt, ist auch eine Geschichte der Kontakte untereinander.

Das würde bedeuten Paula, das menschlicher Kontakt die Krankheit weiter gibt. Allerdings, wie erfolgt das?

Vielleicht wenn wir sprechen. Wir schleudern kleinste Speicheltropfen von uns, wenn wir husten oder niesen geben wir noch mehr Tröpfchen ab.Und damit trifft das krank machende Gift die Menschen, die gerade in nächster Nähe verweilen.

Sie behaupten im Sputum hocke das Gift. Muß ich dann nicht das gesprochene Wort untersagen?

Nein, wir dürfen nur ab sofort keinen Menschen von außerhalb mehr bei uns aufnehmen. Das Tor muß verriegelt werden, bis die Gefahr vorüber gezogen sein wird.

Glauben Sie Paula, eine solche Maßnahme rettet unser aller Leben?

Sicherheit gibt es nie! Obwohl, ich hörte von einigen Städten, die eine Abschottung vorgenommen hatten.

Und?

Die Stadttore wurden gesperrt. Die Zahl der Torwächter verstärkt. Sogar Einwohner, die von einer Reise wieder kehrten, fanden keinen Einlaß mehr.

Und?

Immerhin blieb, wie ich hörte, der ein oder andere Ort von der Pest verschont.

Also, wir schließen das Tor, beschloß Isabell.

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Camillus fuhr an der Aspermühle vorbei. Sein geschundener Gaul stemmte gegen das Geschirr und zog die Karre langsam vorwärts. Aus der Mühle traten einige Tagelöhner heraus. Zurückhaltend sahen sie den furchterregenden Medikus an. Er trug bereits die Schnabelmaske, um seinen würdevollen Einzug ins Kloster als Leibarzt der heiligen Frauen zu unterstreichen.

Wie lange brauche ich noch bis zum Kloster, fragte er die überraschten Tagelöhner.

Ein schmächtiger, vorwitziger Junge antwortete:
Mit deiner Mähre eine Ewigkeit.
Die anderen lachten. Der kecke Bursche hatte Cmillus unterschätzt. Wütend schlug Camillus mit der Peitsche ins Gesicht des verdutzten Halbwüchsigen.
Antworte einem Herrn mit Respekt, schrie er in an.
Die anderen Arbeiter schwiegen.

Hat noch jemand eine dumme Bemerkung, die er los werden möchte, fragte er drohend.

Schlagen Sie nicht, mein Herr, bat ein alter, abgemagerter Mann. Der Junge hier habe noch keinen Anstand gelernt. Er kann die Stände nicht unterscheiden. Als Kind fiel er hinter das Mühlrad ins Wasser. Deshalb habe er einen kleinen Verstand. Aber er besitze starke Arme und arbeite willig.

Schon gut, hört auf zu lamentieren, sagt mir lieber wie lange ich bis zum Kloster brauche.

Nur noch einige Schritte, wenn ihr dem Weg vor Euch folgt. Es dauert kürzer als eine Marienandacht.

Und wie lange währt so eine Andacht?

Der Tagelöhner zuckte mit den Achseln. Schließlich sagte er, sie ist kürzer als eine Messe, aber länger als eine Bußandacht.

Ihr seid offensichtlich ein gebildeter Mann, lobte Camillus ihn, ihr müßt auf Euer Leben acht geben.

Warum sagt ihr das?, hochwohlgeborener Herr.

Weil die Pest ausbricht. Sie trifft die alten Böcke, wie die jungen Mädchen ohne Unterschied. Aber, Alter, ich besitze eine Medizin aus Florenz, die Euren Körper unangreifbar werden läßt.

Eine solche Medizin kostet bestimmt mehr als ich zahlen könnte, gab der Alte zu bedenken.

Das fürchte ich auch, meinte Camillus hämisch, aber Du bist umgänglich. Du kannst die Medizin für zwei Sack Hafer erhalten.

Ausgeschlossen, der Hafer gehört dem Kloster.

Armer Mann, Du wirst bald das Fieber spüren.

Gut, ich bringe zwei Säcke, rief der Alte angstgeplagt.

Nachdem die Säcke auf der Karre lagen,übergab Camillus dem alten Arbeiter wertlose Pastillen, die mit Knoblauch gefüllt waren.

Als das Pferd anzog, gröllte er sein Lied.

Es kommt der Sensemann,
er bringt die schwarzen Beulen
er lacht und singt,
wo ich bin müssen alle sterben.

Es berührt dich flüchtig
seine kalte Hand
und der Wind pfeift
jetzt gehts ans Sterben.

Es kommt zur jungen Frau
der schwarze Tod heran
er greift grimmig ihre zarte Haut
und zehrt die Jungfrau genußvoll aus.

Immer wieder gröllte Camillus das Lied. Entsetzt rannten die Tagelöhner in die Mühle. Der Pesttod reitet schneller als ihr, rief er ihnen nach. Spürt seine Umklammerung, den Rockzipfel hat er schon. Es gibt kein Entrinnen, ihr blödsinnigen Bastarde, lauft, lauft, er hat euch schon.

Die Panik der Arbeiter steigert seine morbide Heiterkeit. Schließlich entlud er seine dunkle Freude durch ein dröhnendes Gelächter. Vergnügt schlug er das Pferd und dachte an sein künftiges Leben.

Es gab bestimmt hinter der Klostermauer eine Novizin, deren adeliger Vater, sie ungefrat dem Kloster übergeben hatte. Eine Novizin, die statt Braut Christi zu sein, lieber in den starken Armen eines echten Kerls liegen würde. Hungrigen Fräuleins bot er gern seinen Dienst an.

Er hatte von den Krebsteichen der Nonnen gehört. Ihm lief das wasser im Mund zusammen. Einen Teller dieser köstlichen Krebse für ihn allein, zu seiner Ehre zubereitet, damit er gestärkt seine Kunst den Frauen bieten konnte.

Alsa Camillus in die Allee einbog, die auf das trutzige Torhaus zuführte, mißfiel ihm die herauf gezogene Zugbrücke.
Kein gutes Zeichen, dachte er.

Die Äbtissin und Zufer paula waren ins Torhaus gestiegen. Aus der Fensteröffnung beobachteten sie den Fremden, wie er auf die Grabenkante zufuhr.

Laßt die Brücke herab, rief er herrisch. Ich Doktor, Camillus komme zu Euch, ihr heiligen Frauen, um gemeinsam mit der Kraft des Gebetes und meiner Heilkunst die Pest zu besiegen. Die Dämonen, sind nahe. Mit großen Schalen wollen sie die Pest in das Kloster schütten.

Wer sagt uns, dass nicht ihr ein solcher Dämon seid?, fragte Isabell.

Ihr habt recht, damit vorsichtig zu sein, schmeichelte er. Viele Betrüger geben sich als Arzt aus. Schlagen sich die Bäuche voll, entwenden Hab und Gut und stehen der Pest machtlos gegenüber. Ich aber, besitze die Kraft.

Paula unterbrach ihn.

Selbst wenn Du behaupten würdest der heilige Rochus zu sein, wäre das Risiko dich aufzunehmen zu groß.

Vertraut auf meinen Schutz. Sonst verfaulen eure Leiber. Es ist schrecklich, wenn die Beulen wachsen und zum Körperinneren hin platzen. Der Schmerz ist unvorstellbar groß. Mit jeder Sekunde wird er heftiger.

Isabell flüsterte.
Was der Mann sagt klingt verlockend. Einen Arzt könnten wir brauchen, selbst wenn die Pest ausbliebe.

Paula schüttelte den Kopf. Wie diebische Elstern ziehen Scharlatane umher, wünschen königlich zu tafeln, verlangen vom besten Wein und schüren die Angst, flüsterte Paula.

Aber unsere Mitschwestern fallen vom Fleisch vor Angst. Ein Arzt könnte sie beruhigen, entgenete Isabell. Bitte, Paula, prüfe seinen Kenntnisstand.

Sag, Medicus, wie erklärte Aristoteles das Fieber.

Laßt mich zu Euch hinein. Ich antworte vor einem wärmenden Feuer, denn es wird kalt werden.

Antworte Fremder, befahl Paula brüsk.

Wie ihr wollt, ihr diktiert die Regeln. Die Annahmen des berühmten Griechen, haben an Bedeutung verloren. Seit Aquin ist die Existenz bösartiger Höllengeister unbestritten. Sie tragen den Tod herbei, Schwestern!

Wenn ihr das glaubt, brauchen wir keinen Arzt. Ihr seid ausgewichen, Fremder.

Ich bin gewohnt mit medizinischen Kapazitäten zu diskutieren. Sind Sie etwa Ärztin und mir ebenbürtig?

Gewöhn Dich an uns, Fremder. Die Fragen stelle ich oder Du kannst abziehen. Sag, Medicus, welches Kraut aus Gottes Garten mildert den Trübsinn und belebt die Tatkraft?

Camillus lachte gekünstelt. Ihr versucht mich lächerlich zu machen, verehrte Mutter. Ihr stellt mir eine Anfängerfrage. Nun gut, es hilft der Kümmel im Weingeist.

Ha, seid ihr Medikus oder Doktor der Spelunken- wissenschaften? Ich frage nicht nach Stimulanzien für Trunkenbolde, ich frage nach einem Mittel gegen den dauerhaften Trübsinn.

Camillus schwieg.

Ist dein Maul verklebt, Fremder?

Nein!

Dann rede.

Ich unterscheide zwischen den Trugbildern, die in den Köpfen von Frauen wuchern und meiner wissenschaftlich fundierten Heilkunst. Weiber, rief er erregt, erzeugen aus jedem Kraut irgendeinen Tee, ohne dessen Wirkprinzip zu kennen.

Ah, unser geistreicher Fremder denkt wissenschaftlich, schimpfte Paula, aber er antwortet ausweichend.

Isabell hatte genug gehört.

Du bist kein Arzt. Zieh ab!, forderte sie.

Camilus breitete die Arme aus. Sein ausdruckloses Gesicht sah zu den beiden Nonnen hoch.

Dann schrie er: Ihr werdet Blut kotzen, innerlich das Höllenfeuer spüren, der Schmerz wird die schlimmste Totour einer Folter übersteigen, eitrige Bubonen werden eure Körper entstellen.

Ihr seid des Todes, ihr seid des Todes, brüllte er immer wieder.

Isabell schüttelte sich. Mit diesem Mann würde Unheil in das Kloster einziehen, flüsterte sie. Wie werden wir ihn los, Paula?

Pfeil und Bogen, verehrte Äbtissin, er ist einer, der nur einer tödlichen Gewalt weichen würde, antwortete Paula bedächtig.

Plötzlich klirrten die Ketten der Zugbrücke. Die Äbtissin stürmte die Treppe des Torhauses hinunter. Unten, im Durchgang versuchte Callista mit einigen weiteren Nonnen die Zugbrücke zu senken.

Im Namen Gottes, gebot Isabell, sofort aufhören!

Isabell stürzte auf die Winde zu. Kraftvoll schob Callista sich vor und versperrte ihrer Oberin den Weg.

Callista aus dem Weg, befahl Isabell, laß mich an die Winde.

Nein, Isabell,wir wollen den Arzt, der uns retten kann.

Er ist kein Medikus.

Ich hörte der Mnn vor dem Tor besitzt Dokumente, die ihn als einen studierten Arzt ausweisen.

keine Diskussion, bestimmt Isabell und griff nach dem Drehkreuz der Winde. Callista sprang wie eine wild gewordene Katze gegen Isabell und drückte sie gegen die Wand. Die Äbtissin verlor das Gleichgewicht und prallte mit dem Hinterkopf auf das harte Mauerwerk. Benommen ging sie in die Knie.

Inzwischen hatte Paula das Getümmel erreicht. Mit einer weit ausholenden kreisenden Bewegung schlug sie ihren Gehstock genau zwischen Callistas Schulterblätter, Der Schlag war bestens plaziert worden und Callista sank mit einem Seufzer zu Boden.

Wenn ihr weiter leben wollt, zieht das Tor wieder hoch, warnte sie. Willig drehten die Nonnen die Ketten zurück.

Und nun hebt die Äbtissin auf, bestimmte Paula. Wortlos mit schuldbewußten Gesichtsausdruck hoben die Meuterinnen Isabell auf. Der Aufprall auf den Hinterkopf hatte lediglich eine Beule erzeugt. Isabell stöhnte leise. Viel Schlimmer als die Beule war der Schreck von dem sich Isabell durchzogen fühlte. Was hier gerade passiert war, erschütterte ihr Menschenbild zutiefst. Paula bemerkte Isabells Schwäche. Sie verlangte von den umherstehenden Nonnen die Klausur aufzusuchen und dort auf weitere Weisungen zu warten. Schweigend gehorchten die Frauen.

Nehmt Callista mit, ordnete sie an, und gebt ihr einen Schlick Wasser.

Jetzt waren Paula und Isabell allein in dem Durchgang. Isabell wankte. Paula griff unter ihren Arm und half ihr die Balance wieder zu finden. In der Ecke stand ein dreifüssiger Schemel.

Sehen sie Äbtissin, dort auf dem Hocker können sie ausruhen.

Zum Ausruhen ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, keuchte Isabell. Offensichtlich ist hier alles aus den Fugen geraten, stöhnte siwe. Wir müssen einige besonnene Köpfe um uns versammeln, um die klösterliche Ordnung wieder zu sichern. Und bitte, bat Isabell, hole auch Bruder Matthias hinzu.

Die Nonnen arbeiteten mit einer kleinen Brudergemeinschaft zusammen, die innerhalb des klösterlichen Geländes ein kleines Wohnhaus nutzen durften. Meist erledigten sie Außendienste. Sie trieben die Abgaben der umgebenden Bauern ein, prüften die Nutzung der verpachteten Flächen oder kauften weiteres Land im Auftrag Isabells auf.

Einige Zeit später saßen Bruder Matthias, die freundliche Zufer Maria, Paula und Isabell auf wackeligen Hockern im zugigen Durchgang des Torhauses.

Gott Vater, betete Isabell vor, schenke uns zur Bewältigung unserer Aufgabe einen klaren Verstand, Kraft und die Fähigkeit den Mitschwestern zu verzeihen. Amen.

Bruder Matthias räusperte sich. Bedächtig begann er:
Die Schwestern sind nicht grundsätzlich bösartig. Sie suchen einen Ausweg aus ihrer Todesangst und lassen sich deshalb zu kopflosen Handlungen hinreißen.

Die wir unterbinden müssen, warf Isabell scharf ein.

Paula hatte die Stirn in Falten gelegt. Leise sagte sie:
Der heimtückische Camillus dort vor dem Tor versucht weiter die Panik unter uns zu entfachen. Erst, wenn es uns gelingt ihn unschädlich zu machen, können wir Ruhe erzeugen.

Ihn töten, fragte Maria besorgt.

Um Gottes Willen, Kind, wir wollen uns nicht versündigen.

Aber was können wir dann tun?

Maria, wir benötigen eine List, belehrte Isabell. Wenn alle zu überzeugen wären, dass Camillus uns Unheil bringt, kehrt der innere Friede zurück.

Maria meldete sich wie eine Schülerin mit erhobenen Zeigefinger zu Wort.

Wir hören, Maria, ermunterte Isabell sie.

Marias Kopf war hochrot geworden. Sie hatte das Gefühl ihre Idee wäre dumm und bedauerte es bereits, den arm gehoben zu haben.

Komm Mädchen, einfach raus damit, meinte Paula, die Marias Unsicherheit spürte.

Es mag kindisch sein. begann Maria schüchtern, aber wenn der Mensch da draußen aussehen würde, wie einer den die Pest bereits fest in ihren Klauen hält, bekämen die Juffern und Zufern das Grauen.

Paula lachte, sollen wir mit dem Hammer Beulen auf seinen Körper schlagen?

Verehrte Mutter Oberin, fuhr Maria fort, unsere kleinen Mädchen, die ich erziehe, haben mir gezeigt, wie wir Camillus zeichnen könnten.

Wie können sechs bis zehnjährige Mädchen uns zeigen, was jetzt Not tut?, zweifelte Paula.

Sie haben es ja nicht direkt gezeigt, Paula. Die Mädchen spielten wilde Tiere. Zwei der Mädchen hatten die Gestalt einer Singdrossel annehmen wollen und sprenkelten Punkte mit Holzteer auf Gesicht und Hals. Noch immer haften die braunen Punkte auf der Haut. Sie sehen aus, als hätte eine schwere Krankheit sie befallen.

Matthias brummte, dann müsse der Kerl eine Ladung Holzteer bekommen.

Isabells skeptisch zusammen gekniffendes Augenspiel verriet den anderen, dass ihr Marias Vorschlag alles ander als plausibel erschien.

Nein, uns wird es nicht gelingen können, ihn mit Punkten zu zeichnen, vermutete Isabell, wir dürfen auf keinen Fall nahe an ihn heran treten. Wenn er die Pest in sich tragen sollte, wäre das unser Tod.

Maria faste allen Mut zusammen. Vererhrte Äbtissin, es gibt Pfeil und Bogen. Ein mit einem Tuch, welches in Holzteer getränkt wurde, umwickelter Pfeil würde ihn heftig besprenkeln.

Aber Kindchen, wer soll denn den Pfeil abschießen?

Ich, antwortete Paula, solange ich mich erinnern kann, verfehlte ich keines der Kaninchen, das meinem Kräutern zu nahe kam und dieser Kerl ist ein angenehmes Ziel. Groß und gut zu treffen.

Maria war blaß geworden. Eine Nonne die auf Menschen schoß. War das nicht ein Widerspruch zu jeder Christenpflicht? Und was, dachte sie, wäre wenn der Pfeil eine Auge verletzten würde?

Paula, fragte sie, kann der Pfeil den Fremden schwer verletzen?

Sicher, mein Mädchen. Doch was geschieht mit uns, wenn er weiter draußen den Konvent in Angst und Schrecken versetzt?

Maria senkte verschämt den Kopf. Bitte, flehte sie, lösche nicht sein Augenlicht.

Paula schien ungeduldig zu sein.

Maria, sagte sie gereizt, bevor ich gleich schieße, muß mich in eine tiefe Versammlung bringen. Alle Sinne müssen wacher als gewöhnlich sein. Innerlich muß in mir die Ruhe eines Bergsees entstehen. Und wenn ich dann aus meiner Ruhe heraus die Sehne spanne und den Pfeil auf das Ziel richte, trifft er ohne die geringste Abweichung, da wo er treffen soll.
Eine Bedingung dazu ist, dass Du still bist.

Maria nickte. Paula stieg in das Torhaus. Bruder Matthias richtete die Waffe. Paula postierte sich hinter der Fensterlade und beobachtete Camillus. Von hier würde sie treffen können, wenn er nahe genug an den Grabenrand herantrat.

Isabell wählte das Fenster daneben. In voller Größe würde er sie nun sehen können.

Camillus, hörst Du mich?

Ja, schallte es geladen zurück, wie könnte ich deine grauenhafte Stimme überhören.

Die Äbtissin überging seine Beleidigung. Camillus, unsere Gemeinschaft will dich aufnehmen. Dein Zimmer ist bereits gerichtet und ein kräftiges Mahl wird dir gereicht werden.
Aber wir möchten zuvor sehen, ob Du wirklich ein studierter Medikus bist?

Wie kann ich meine Dokumentenrolle zeigen, wenn Euer Tor verschlossen ist?

Wir öffnen, Camillus, wenn Du uns vom Grabenrand aus den Siegel deiner Urkunde zeigst.

Der Quaksalber war inzwischen bis an die Grabenkante heran getreten. Paula zielt selbstvergessen auf seine Stirnmitte. Die Sehne war maximal gespannt. Mit ihrer Ausatmung löste Paula den Pfeil und annähernd im gleichen Moment stürzte Camillus zu Boden. Besinnungslos baumelte sein Kopf an der Grabenkante herunter.

Ein gutes Ergebnis, flötete Paula. Langsam, richtete der getroffene sich auf. Sein Gesicht war voller Holzteersprenkel und so sah er tatsächlich erkrankt aus.

Alle Schestern müssen sofort auf die Mauerbrüstungen. Sie sollen seine Flecken sehen. Wenig später spürten die Nonnen eine Gänsehaut. Der Mensch vor ihnen hatte schwarze Flecken. Das war die Pest. Niemals könnte es diesem Scheusal gestattet werden, seine Füsse über die Schwelle des Torhauses zu setzen. Ängstlich rannten die Nonnen zurück. In der Kirche dankten sie Gott. Sie dankten ihm für die umsichtige Isabell, die ihnen vorstand.

Callista fiel mit einer schauerspielerischen Szene auf die Knie. Ihre Stimme klang hysterisch.
 

herb

Mitglied
hallo bosbach,

du kannst ja auch ganz anders. eigentlich erwartete ich vorm schlafen gehen eine lustige geschichte im dialekt,
und was finde ich, eine hervoragend geschriebene erzählung mit viel kenntnis im detail, eine historische erzählung, in der man sofort in dieser geschilderten zeit drinsteckt.
aber das ist keine erzählung, das ist ein teil eines guten romans. wie weit bist du damit? ich lese gern historische romane...
herzlichen glückwunsch, hoffentlich findest du einen verlag dafür
die paar tipfehler sind bei der länge geschenkt, das macht dann der lektor, lächeln
also ganz im ernst, ich möchte demnächst einen historischen roman von dir im buchhandel entdecken, du kannst das schaffen
 



 
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