Peter Gstam und der Ziegenbock.

pleistoneun

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Er lachte innerlich, als er sich zurück erinnerte an sein Leben als gelbe Sumpfdotterblume und wie man ihn als Tulpe verschenkte oder ihn als Nelke am Rock ansteckte. Weder die langsam verblassenden Erinnerungen, noch die Tatsache, dass er damals als Schnittblume im wahrsten Sinne des Wortes "von seiner Umwelt abgeschnitten worden war", konnten sein Bewusstsein darüber trüben, dass er doch wieder nur eine Blume war, ein Bodenerzeugnis, nicht viel mehr als ein Graswuchs, jedoch mit dem Unterschied in der Evolution auf dem Weg nach oben zu sein. Immerhin befand er sich in 2000 m Seehöhe.

So bescherte ihm das bewusste Nachsinnen über sein Leben nach einer Weile doch das Gefühl der Ruhe und natürlichen Ausgeglichenheit - und sein Äußeres bewies es auch: gesund, saftig und grün stand er da. Alle Eigenschaften, die eine Blume braucht, um von einem Bergtier attraktiv gefunden zu werden und ein Ziegenbock gab der gelben Verlockung nach, schnappte Peter und würgte ihn hinunter. Völlig entwurzelt und herausgerissen aus seinen Philosophien fand er sich im Ziegenmagen neben widerwärtigem Unkraut wieder. So schnell kann das gehen, dachte er sich bei vollem Bewusstsein. Peter Gstam verbrachte eine schier endlose Zeit im Verdauungstrakt des Getiers und hegte wegen der unangenehmen Lage bald eine große Abneigung.

Jahre später war Peter Gstam als kleiner Hirtenjunge wiedergeboren und durfte eines Tages des Bauern Ziegen hüten. Als Anführer der Herde lebte der grimmige Ziegenbock, der Peter damals als Blume verzehrte, ein königliches Leben. Peter der Hirtenjunge trieb auf der Bergwiese die Tiere vor sich her, bis plötzlich der Ziegenbock Hunger bekam und den armen Hirtenjungen Hals über Kopf verschlang. Der kleine Peter saß im finsteren Magen der Ziege und war hilflos und zornig. Er überlegte, was er im nächsten Leben werden sollte, um das ewige Ziegendilemma zu beenden. So wurde er Regen, Blitz und Donner, Krankheit, Hunger und Alter, doch nichts brachte den Ziegenbock zur Strecke, bis Peter Gstam eines Tages in Gestalt des mächtigen Todes vor dem Geißenmann stand. "Niemand kann sich dem Tod entziehen, nicht einmal ein zäher Ziegenbock wie du", sprach der Tod zum Bock und breitete theatralisch den schwarzen Umhang der ewigen Finsternis über das Tier. Doch statt klein beizugeben trat der Bock dem Tod mit starkem Schlag gegen das Gebein, sodass sich dieser schmerzverzerrt entfernen musste.

Für das Amt des Todes - so befand der Herrgott - war das Vorgehen viel zu gutmütig und unehrenhaft. Völlig ungeeignet, wie es schien, waren alle Gestalten, und mit keiner war dem Ziegenbock beizukommen. Dem Herrgott war dieses Spiel nun selbst zuwider und schickte Peter Gstam in allerletzter und schlimmster Konsequenz noch einmal auf die Erde. Diesmal in Gestalt eines Bauernstiefels. Von diesem Tag an jagte der Bauer mit seinen Stiefeln den alten Ziegenbock über seine Wiesen und wenn der Bock noch lebt, dann wird er immer noch getreten.
 



 
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