Place de Clichy

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Regenzauber

Mitglied
Place de Clichy



Röchelnd aus der Metro aufgeriss'nen Schlünden
tauchen auf und stürzen hastig ins Gemenge
auf den Straßen, die von allen Seiten münden,
Menschenmassen, während andre durch die Gänge,
die zur U-Bahn führen, drängend sich beeilen.


Der Boulevard kann kaum den Fahrzeugbrei zerteilen.
Mit langen Armen schiebt er rote Autobusse
durch brodelndes Gewühle nach der Vorstadt hin,
zum Zentrum auch, nur weg von sich, doch bleibt zum Schlusse
es unverändert so wie es am Anbeginn.


Die breiten Scheiben der Veranden der Bistros
sie hemmen kaum den Lärm, der von der Straße dringt.
An Tischchen hocken die Touristen dos-à-dos,
man lacht und freut sich, dass man hier ist, und man trinkt,
sagt Olala! How great! und zeigt mit nacktem Finger


zur andern Straßenseite, wo die jungen Dinger
wie Bienenschwärme drängen aus dem Tor der Schule,
beäugt von einer Horde Burschen voller Gier.
Dann Hand in Hand verschwinden Heteros und Schwule
und suchen in der Pizzeria ihr Pläsier.


Bei Coca Cola, Zigaretten oder Joint
beschließt man leicht, mit wem und wo sich amüsieren.
Wer dabei übrig bleibt, vielleicht hinüberstreunt
zum Filmpalast, im dunklen Saale zu riskieren
vom Nachbarsitze her ein Tasten nach dem Schenkel.


Man schließt die Augen und vergisst des Tags Geplänkel...
Umspült von Lärm, verseuchter Luft und Schmutz bedrängt,
schweigt vornehm und gelassen eine Brasserie,
in der wie leises Wehen ein Erinnern hängt
an jene Zeit der stillen Tage in Clichy.
 

Gerd Geiser

Mitglied
Schönes Stimmungsbild, gern gelesen, zeugt von einem ausgeprägten Sprachsinn, wenn ich das mal so sagen darf.
Kompliment!
(da ich für meinen "Kleinkram" oftmals Achten einheimse, würde ich hier mal eine neun vergeben wollen)
Gruß,
GG
 
P

Prosaiker

Gast
Ja, ein Stimmungsbild, das Gefühl für Sprache aufweist. Im Vergleich zu Herrn Miller jedoch fehlt mir die entsprechende Intensität. Im Vergleich zu üblichen Leselupenwerken jedoch eine ganz andere Ebene.

Grüße,
Prosa.
 

Regenzauber

Mitglied
@Prosaiker

Miller hat mich hier genauso wenig inspiriert, wie Hemingway es tut, wenn ich in der Closerie sein Namensschildchen lese oder in der Rotonde sitze.
Da ich aber in unmittelbarer Nähe dieses Platzes wohne und das dort herrschende Verkehrschaos sowie die enorme Luftverschmutzung nicht immer vermeiden kann, schrieb ich den Text, um mich bei dieser Lokalität (genius loci?) für meine negative Verhaltensweise zu entschuldigen und auf gewisse positive Aspekte wie den Anhauch durch Erinnerungen an die Vergangenheit hinzuweisen, und da konnte ich freilich nur an den Wepler denken.

Ich danke dir für deine Kritik.
 

Regenzauber

Mitglied
@Gerd Geiser

Danke für dein Kompliment, das von jemand, der so viel Liebe zur Sprache bezeugt wie du, wohl besonders wertvoll ist.
 
P

Prosaiker

Gast
Mir war der Vers "stille Tage in Clichy" ein doch sehr deutlicher Hinweis auf eine Inspiration durch Miller. Oder ist das sowas wie ein Sprichwort in der Gegend?

Gruß,
Prosa.
 

Regenzauber

Mitglied
Inspiration?

Ich habe mich falsch ausgedrückt, wenn du so willst, denn natürlich sind die Schlußworte des Textes ein Hinweis auf H.M. und jedesmal, wenn ich im Wepler einen Kaffee trinke, denke ich daran, da ich vor Jahren ziemlich einige Werke von ihm gelesen (dürfte in den 50er gewesen sein mit allen seinen Tropics). Ich wollte jedoch ausdrücken, dass die Quiet Days nichts mit der Entstehung dieser Beschreibung zu tun haben, sondern mir zum Ende, wie ich auf die Brasserie hinwies, diese Reminiszenz einfiel.

Schönen Abend. Regenzauber
 

gareth

Mitglied
Sehr wohltuend, Regenzauber,

in der Leselupe wieder einmal auf eine ganz andere Ebene (Zitat Prosaiker) zu stoßen. Es scheint mir kaum sinnvoll zu sein, auf Einzelheiten einzugehen, da hier neben Inhalt und Sprache auch das Handwerk auf hohem Niveau steht.
Dementsprechend soll ein Kompliment genügen und der Vorsatz, mehr von Dir zu lesen.

Grüße
gareth
 



 
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