Principiis obsta!

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Dorothea

Mitglied
Jeder Handgriff ist bemessen.
Kämmen, zwei Minuten.
Ganzkörperpflege,
nicht mehr als zwanzig.

Zuhören
gehört nicht zum Standard.
Tränen trocknen
kommt in der Liste nicht vor.
Berührende Nähe
gegen die Ohnmacht des Verlorenseins
läßt sich nicht abrechnen.

Doch mit Zahlen
und Computern
läßt sich exakt berechnen
wann das Abschalten der Geräte
optimal ist
für die Gemeinschaft
der Versicherten.

Es fehlt nur ein Schritt noch,
ein Gedanke zunächst,
der nicht ausgesprochen wird.
Doch er wächst
auf den Brachfeldern des Geistigen,
genährt von Sonntagsreden
und Euphemismen,
bis er beizeiten geerntet wird
und von den Armutspflegern des Faktischen
zu Paragraphen gegossen,
vor denen die müden Gewissen
stramm stehen können.

Habt ihr denn schon vergessen
die willfährigen Hände,
die abstrakte Theorien
über „unwertes Leben“
lebendig machten.
 

revilo

Mitglied
Liebe Dorothea,
"die Armutspfleger des Faktischen" ist ein starkes Bild,das donnert und brüllt! Mehr davon! Sehr angetan von revilo
 

Dorothea

Mitglied
Hallo revilo,

herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Ja, das Kleben am sogenannten Faktischen, am Machbaren, Finanzierbaren, ohne die Kraft lebendiger Utopien, wirklich schöpferischer Visionen, macht mich ganz krank!

Die sogenannte Macht des Faktischen hat in den Krankenhäusern schon dazu geführt, dass Menschen, die nicht mehr allein essen können, aber zur Essenszeit keinen Besuch von Verwandten oder Feunden haben, erleben müssen, dass ihr Essen unberührt wieder hinaus getragen wird, weil die Personalkapazität einfach nicht ausreicht! In Pflegeheimen ist es ja so viel kostengünstiger eine Nahrungssonde zu legen, als die mühsame, langwierige Arbeit zu leisten, Hilfe bei der Nahrungsaufnahme zu gewährleisten.

Dir dennoch ein schönes Wochenende.
 
B

Beba

Gast
Hallo Dorothea,

ein sehr, sehr trauriges Thema. Gibt es etwas Wertvolleres als Leben? Eigentlich unvorstellbar, wie man so etwas zur Verwaltungssache machen kann. Eigentlich ...
Du setzt dieses Trauerspiel gut und gekonnt um. So, dass man nicht einfach darüber hinwegliest. Nein, besonders der 4. Absatz fordert zum Denken heraus.

Mir gefällt der Text.

Ciao,
Bernd
 



 
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