Profil - abgefahren

Odilo Plank

Mitglied
Ach ja, mein Profil, meine unverwechselbaren Besonderheiten beim Schreiben...Ihr habt die Lizenz zur Kritik.
Bei meinen beiden Vorderreifen hat die Polizei das Vorrecht zum Knöllchen. Gott sei Dank hat mich noch keiner erwischt. Morgen acht Uhr Termin in der Werkstatt.
Das Profil meiner Wanderschuhe ist noch völlig in Ordnung. Bei glatten Felshängen ist es sehr dienlich.
Der erdachte Boden eines Schreibforums ist wohl auch manchmal recht glitschig. Da sind andere Mittel gefragt, um nicht abzurutschen.

Bei der bangen Frage, wie man es denn bekommt, das Profil, hier das geistige, scheint es ratsam zu wissen, was es überhaupt ist, dieses ganz und gar Eigenständige, dieses Unverwechselbare, das einem die Konturen verleiht, an denen man endlich erkannt wird. Und wenn man so "abgefahren" ist wie meine Reifen, wie kann man sich profilieren?

Das Wort selbst ist seltsam. Es kommt vom lateinischen filum, dem Faden. Eine böse Überraschung! Das, was uns ausmacht, sollte an einem Faden hängen?

Mit filum, Faden meinte man damals die Umrisse, die man damit auslegen konnte, die Stirn, die Nase, den Mund, das Kinn - die Konturen. profilare bedeutete also, einen Umriss zeichnen, wie man ihn beim Scherenschnitt erwartet.

Es lag nahe, diese Äußerlichkeiten auch auf den Charakter zu übertragen. charaktér: das Eingegrabene, Eingeprägte, der Stempel, das Gepräge, die Eigenart, das Wesen, der Stil. Das Handfeste wird zum Bild und Gleichnis.
Da hätten ja die Fältchen, die Falten im Gesicht einen Sinn!

Wie also profilieren wir uns?
profilare: Wir ziehen einen Faden hevor, wir spinnen! Das französische filer heißt spinnen. Wir spinnen unser Profil. -

Da kommt mir der Refrain eines schwermütigen französischen Liebesliedes in den Sinn:

File la laine,
File les jours,
Garde mes peines
Et mon amour...
Verspinne die Wolle,
verspinne die Tage.
Bewahre meine Schmerzen
und meine Liebe...

Spinnen wir also unser Profil, solange der Faden nicht reißt. Bewahren wir uns den Schmerz und die Liebe.

Morgen Abend werde ich Profil zeigen, mit meinen Vorderreifen. Da beißt keine Maus einen Faden ab.
Aus der Reihe: Geklaute Wortgeschichten (Vortext!)
 
P

Prosaiker

Gast
Sehr schön. Du kannst schreiben; was ich wiederum gut finde. Mehr wollte ich gar nicht sagen.

Grüße,
Prosa.
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo Odilo,

schön, dass dein Text wieder hier steht, jedoch bitte die „Geklauten Wortgeschichten" unter diesen Text ( oder auch als Vorwort) setzten, es erklärt Zusammenhänge, ist aber kein Werk ist. Ansonsten kann ich dafür auch das „Lupanum“ empfehlen.

Lieben Gruß
Franka
 

Odilo Plank

Mitglied
Ach ja, mein Profil, meine unverwechselbaren Besonderheiten beim Schreiben...Ihr habt die Lizenz zur Kritik.
Bei meinen beiden Vorderreifen hat die Polizei das Vorrecht zum Knöllchen. Gott sei Dank hat mich noch keiner erwischt. Morgen acht Uhr Termin in der Werkstatt.
Das Profil meiner Wanderschuhe ist noch völlig in Ordnung. Bei glatten Felshängen ist es sehr dienlich.
Der erdachte Boden eines Schreibforums ist wohl auch manchmal recht glitschig. Da sind andere Mittel gefragt, um nicht abzurutschen.

Bei der bangen Frage, wie man es denn bekommt, das Profil, hier das geistige, scheint es ratsam zu wissen, was es überhaupt ist, dieses ganz und gar Eigenständige, dieses Unverwechselbare, das einem die Konturen verleiht, an denen man endlich erkannt wird. Und wenn man so "abgefahren" ist wie meine Reifen, wie kann man sich profilieren?

Das Wort selbst ist seltsam. Es kommt vom lateinischen filum, dem Faden. Eine böse Überraschung! Das, was uns ausmacht, sollte an einem Faden hängen?

Mit filum, Faden meinte man damals die Umrisse, die man damit auslegen konnte, die Stirn, die Nase, den Mund, das Kinn - die Konturen. profilare bedeutete also, einen Umriss zeichnen, wie man ihn beim Scherenschnitt erwartet.

Es lag nahe, diese Äußerlichkeiten auch auf den Charakter zu übertragen. charaktér: das Eingegrabene, Eingeprägte, der Stempel, das Gepräge, die Eigenart, das Wesen, der Stil. Das Handfeste wird zum Bild und Gleichnis.
Da hätten ja die Fältchen, die Falten im Gesicht einen Sinn!

Wie also profilieren wir uns?
profilare: Wir ziehen einen Faden hevor, wir spinnen! Das französische filer heißt spinnen. Wir spinnen unser Profil. -

Da kommt mir der Refrain eines schwermütigen französischen Liebesliedes in den Sinn:

File la laine,
File les jours,
Garde mes peines
Et mon amour...
Verspinne die Wolle,
verspinne die Tage.
Bewahre meine Schmerzen
und meine Liebe...

Spinnen wir also unser Profil, solange der Faden nicht reißt. Bewahren wir uns den Schmerz und die Liebe.

Morgen Abend werde ich Profil zeigen, mit meinen Vorderreifen. Da beißt keine Maus einen Faden ab.
Aus der Reihe: Geklaute Wortgeschichten (Vortext!)
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
War mir ein Vergnügen,

erwarte schon neugierig die weiteren Texte dieser "Reihe".

Lieben Gruß
Franka
 



 
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