Protokoll einer Höllennacht

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Odilo Plank

Mitglied
00 05: Wir hatten ausgemacht, einer bleibt beim Hund, der andere wünscht der Nachbarschaft „Prost Neujahr!“ Meine Frau hat´s kurz gemacht. Wechsel. Die Haustür steht offen. Unsere Hündin will nicht in den Keller. Bei diesem Trommelfeuer da draußen will sie bei uns sein. Vor unserer Einfahrt explodiert ein Kanonenschlag. Der Knall scheint den Körper des Tieres zu Boden zu drücken, dann reißt er ihn hoch, und schon ist sie verschwunden, hinaus in die Hölle.
00 30: Ein Batteriechef straßenabwärts lässt neue Lunten glimmen. Er fragt: „Suchen Sie Ihren Hund? Da ist er durchs Tor!“ Die Straße liegt grau in Blitz, Donner und beißendem Pulverdampf. Mit der Stablampe bin ich in ein fremdes Grundstück eingedrungen, leuchte in jeden Busch, unter jede Fichte, rufe verzweifelt ihren Namen. Ein Würgehusten quält mich. Vater unser im Himmel...
03 00: Das „Feuer“ ist ein wenig schwächer geworden, die Rauchschwaden liegen drückend zwischen den Häusern. Eine Müllverbrennungsanlage müsste lange dagegen anstinken. Und irgendwo da draußen unsere Hündin. Ein Mann torkelt über die Kreuzung, sturzbesoffen, da liegt er schon. Ein Auto braust heran, blendet auf, Notbremsung. Einer steigt aus, packt ihn und wirft in auf den Bürgersteig.
03 30: Untergehakt tappen wir durchs Dorf. Sein Gesicht ist blutig. Er weint. Er will jetzt allein weiter. Ich soll nicht wissen, wo er wohnt. Er schämt sich. Einer schämt sich in dieser Nacht! „Ein Hund,der stirbt wie ein Hund und weiß, dass er…“
04 00: Nur in der Ferne kracht es noch. Die Straße ist bedeckt mit glimmenden Resten.
05 30: Ich bin müde vom Suchen und Rufen. Sie ist doch noch immer wiedergekommen.
06 00: Dank sei Gott. Sie ist da. Ich reibe sie trocken. Dann liegt sie im Korb, leckt meine Hand, streckt sich, seufzt noch einmal tief und schläft. Ich drücke meine Nase in ihr Fell. Es riecht wunderbar nach Wald und Moos.
 
B

bluefin

Gast
jaja, lieber @odilo, die bösen, bösen knallmänner und die guten, guten tierchen bzw. deren noch braveren halter.

tipp für künftige silvesterfeiern: zur schonung der nerven aller das zamperl rechtzeitig dorthin bringen, wo es vor den lauten geräuschen geschützt ist. es gibt immer mittel und wege - jedenfalls bessere als den beschriebenen.

ein wenig unlogisch erscheint mir auch der aromatische geruch des hunderls am ende - hatten wir dein lyrich nicht von beißendem pulverschmauch und rauchschwaden allenthalben berichten gehört? sonderbar. wurde das hunderl etwa schamponiert (fichtennadelextrakt), bevor man es trockenrieb?

ein wenig verworren auch der zeitplan. um 3.00 wirft ein fahrzeuglenker einen bersoffenen auf den bürgersteig (das muss ja ein herkules gewesen sein!); um 3.30 uhr tapert der trunkene immer noch an der seite des lyrichs durchs dorf. eine halbe stunde mit einem besoffenen auf der walz? kaum glaublich.

lieber @odilo, wenn du uns schon die silvesterfete verderben möchtest mit deiner bella (wir hatten gestern auch eine zu betreuen, die hieß so) - mach, dass nicht das gefühl aufkommen muss, jeder knallfroschwerfer wär quasi ein mörder...

liebe grüße aus münchen

bluefin
 
M

mirami

Gast
hallo odilo,

mir gefällt die aufzeichung der höllennacht, und das nicht nur weil’s der albtraum eines jeden hundehalters ist. mir gefällt die feine ironie die du untermischt, z.b. in worten wie batteriechef, (herrlich charakterisiert) kanonenschlag, trommelfeuer, brennende lunten, beißender pulverdampf usw. das beschreibt für mich sehr gut die gesamte tragikomische wild-west-manier, mit der dieses zweifelhafte vergnügen jedes jahr wieder betrieben wird.
(auch der asphaltcowboy und der vom feuerwasser sturzbesoffene passen gut in die groteske situation.)

in der hoffnung, dass die ereignisse dieser "höllennacht" nur deiner phantasie entsprungen sind
wünsche ich ein frohes neues jahr

mirami

p.s. @ bluefin,

die hündin trieb sich bestimmt nicht mitten im geschehen herum, deshalb riecht ihr fell auch nicht nach pulverschmauch. bis zu ihrem heimweg um sechs in der früh dürfte der gestank auch aus den straßen verschwunden sein :)
 
B

bluefin

Gast
ach so - das dorf war trotz der halbstundenmärsche nicht berlin, in der eine million und münchen, wo eine halbe unterwegs waren. böse menschen, meine ich, nicht brave hunderln.

ja dann...

übrigens - der bardot ist das ihre auch abhanden gekommen, in der silversternacht, las ich eben. es entwischte, elfjährig, dem betreuer und ward bis dato nicht wieder aufgefunden.

ob in paris hunde noch unter das fleischbeschaugesetz fallen, weiß ich nicht - in deutschland verschwanden sie erst 1993 endgültig aus der obligatorischen trichinenschau.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

FrankK

Mitglied
Hallo Odilo
Ein frohes neues, gesundes und erfolgreiches Jahr!
Auch unser Vierbeiner hatte über Silvester einfach nur Stress. Von etwa 17:00 bis 4:00 war nicht mehr dran zu denken, mit ihm das Haus zu verlassen.
Wir haben uns gegen das "Trommelfeuer" verbarrikadiert. Einmal Silvester-Party im kleinen Kreis, zwei Erwachsene und ein Hund, bitte. ;)

Ein winziges Fehlerteufelchen ist mir aufgefallen:
Einer steigt aus, packt ihn und wirft [red]ihn[/red] auf den Bürgersteig.
Randbemerkung:
00 30: Ein Batteriechef straßenabwärts lässt neue Lunten glimmen.
...
04 00: Nur in der Ferne kracht es noch. Die Straße ist bedeckt mit glimmenden Resten.
Zweimal glimmt es. Auch wenn das jeweils damit gezeichnete Bild passt, bin ich als Leser gestolpert. Eine Art von "Déjà-vu", das hatten wir doch gerade schon.

Ich muss mirami zustimmen,
mir gefällt die feine ironie die du untermischt

Viele Grüße
Frank
 

Odilo Plank

Mitglied
00 05: Wir hatten ausgemacht, einer bleibt beim Hund, der andere wünscht der Nachbarschaft „Prost Neujahr!“ Meine Frau hat´s kurz gemacht. Wechsel. Die Haustür steht offen. Unsere Hündin will nicht in den Keller. Bei diesem Trommelfeuer da draußen will sie bei uns sein. Vor unserer Einfahrt explodiert ein Kanonenschlag. Der Knall scheint den Körper des Tieres zu Boden zu drücken, dann reißt er ihn hoch, und schon ist sie verschwunden, hinaus in die Hölle.
00 30: Ein Batteriechef straßenabwärts lässt neue Lunten glimmen. Er fragt: „Suchen Sie Ihren Hund? Da ist er durchs Tor!“ Die Straße liegt grau in Blitz, Donner und beißendem Pulverdampf. Mit der Stablampe bin ich in ein fremdes Grundstück eingedrungen, leuchte in jeden Busch, unter jede Fichte, rufe verzweifelt ihren Namen. Ein Würgehusten quält mich. Vater unser im Himmel...
03 00: Das „Feuer“ ist ein wenig schwächer geworden, die Rauchschwaden liegen drückend zwischen den Häusern. Eine Müllverbrennungsanlage müsste lange dagegen anstinken. Und irgendwo da draußen unsere Hündin. Ein Mann torkelt über die Kreuzung, sturzbesoffen, da liegt er schon. Ein Auto braust heran, blendet auf, Notbremsung. Einer steigt aus, packt ihn und wirft ihn auf den Bürgersteig.
03 30: Untergehakt tappen wir durchs Dorf. Sein Gesicht ist blutig. Er weint. Er will jetzt allein weiter. Ich soll nicht wissen, wo er wohnt. Er schämt sich. Einer schämt sich in dieser Nacht! „Ein Hund,der stirbt wie ein Hund und weiß, dass er…“
04 00: Nur in der Ferne kracht es noch. Die Straße ist bedeckt mit glimmenden Resten.
05 30: Ich bin müde vom Suchen und Rufen. Sie ist doch noch immer wiedergekommen.
06 00: Dank sei Gott. Sie ist da. Ich reibe sie trocken. Dann liegt sie im Korb, leckt meine Hand, streckt sich, seufzt noch einmal tief und schläft. Ich drücke meine Nase in ihr Fell. Es riecht wunderbar nach Wald und Moos.
 

Odilo Plank

Mitglied
@FrankK, @bluefin, @mirami,
ich bedanke mich herzlich für die Beachtung und die guten Wünsche! Auch Euch ein glückliches neues Jahr!
Tja, der Text ist tatsächlich ein Protokoll,nur in den Wertungen verfremdet, polizeilich somit nicht zu gebrauchen. Zur Polemik: Knallfrösche sind keine Kanonenschläge, lieber bluefin. Hast Du schon mal nen total Besoffenen von der Stelle bewegt? Er blutete stark, er erbrach, er war mir lästig. Aber ich dachte damals: Wenn ich dem jetzt nicht helfe, verdiene ich nicht, dass der Hund zurückkommt. Der roch übrigens gut, weil er nur Sekunden im Gestank und sechs Stunden im Wald aushielt. Zur Fete: Wie herrlich opulent könnte sie werden mit der Knete, die in einer Viertelstunde in einer Straße verballert wurde!
Liebe Grüße aus der Pfalz! Odilo
 
B

bluefin

Gast
lieber @odilo,

wie schon gesagt - bei hunderln immer vorsorgen!

ob ein knallfrosch das weniger "schlimme" ist als ein (legitimer) kanonenschlag, wage ich zu bezweifeln - ersterer hat die "lustige" eigenschaft, nicht auf der stelle zu explodieren, sondern herumzuhüpfen, als sei er lebendig, und mehrmals zu knallen. daher der name.

ich habe feuchte hunde immer nur übelriechend in der nase. instinktbedingt maskieren sie ihren ohnehin strengen eigengeruch gern damit, dass sie sich in allem möglichen wälzen, je strenger duftend, je lieber.

bei besoffenen, die bluten und nicht mehr gehfähig sind, tipp ich der einfachheit ebenso der sicherheit halber immer 112 - da werden sie geholfen, auch ohne dass ich mich von ihnen ankotzen lassen muss oder gar riskiere, dass sie mir auf einem halbstündigen weg nach nirgendwo kollabieren. aber ich warte, bis der krankenwagen kommt. es gibt ja inzwischen sehr viele solche dienste, auch oder gerade an silvester, und auch auf dem land.

wahrscheinlich hast du längst herausbekommen, lieber @odilo, dass der walfisch gern den advocatus diaboli gibt: allzubrave bürger spritzt er tüchtig an; für kleine würstl, wie z. b. bademeister, oder kinder, bremst er.

aber da du ja ein großer tierliebhaber bist, muss ich nicht angst haben, dass du mir mit der großen harpune kommenn und mich zu tran verkochen willst. oder etwa doch?

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

Odilo Plank

Mitglied
Lieber advocatus d.,weiß ich doch längst.
Das einzige, was mich stört, ist Dein lyrich. Ich verzapfe für gewöhnlich keine Lyrik, aber ich liebe sie. Dem lyrischen Ich ziehe ich den lyrischen Sprecher vor; denn es ist ja oft nicht ausgemacht, dass dieser mit Fug und Recht Ich sagt.
Unter lyrich versteht ein Pfälzer leicht lirrisch = liederlich. Prot gefällt mir auch nicht sehr. Fachleute-Slang?
Liebe Grüße aus der Pfalz! Odilo
 
B

bluefin

Gast
lieber @odilo,

sag mir bitte, worauf wir beide uns einigen könnten.

liebe grüße aus müchen

bluefin
 

Odilo Plank

Mitglied
Lieber Bluefin: Ganz einfach - Prosatext: Sprecher, lyrischer Text: lyrischer Sprecher.
Grüße aus der Provinz; früher: Rheinprovinz Odilo
 
B

bluefin

Gast
lieber @odilo,

da dein hieisger text kein lyrischer ist, würde man wohl besser nur "erzähler" sagen. aber egal, ob erzähler oder sprecher: es wird damit nicht klar, ob's ein "ich" oder eine dritte person macht.

vorschlag: "odilos erzähl-ich".

bluefins ich dagegen will immer ein lyrisches sein; ein anderes haben walfische nämlich nicht - die können nur stillstand oder vollgas.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 



 
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