RUPERT UND DAS VIECH

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Yamana

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RUPERT UND DAS VIECH

juri wies mit seinem daumen auf den ältlichen mann am nebentisch.

"das ist rupert."

dort sass ein strähniger althippie, raub des alkohols. vor ihm ein fettig-begrapschtes bierglas. mit gesenktem blick und auf seine arme gestützt, beobachtete er die gelbe, abgestandene pfütze, als erwarte er, früher oder später etwas lebendiges darin umherschwimmen zu sehen.

„er muss bleiben, bis das viech wieder verschwunden ist. sagt er.“

juri lächelte entspannt und wissend.
ich verstand das aber nicht:

„das viech?“

„es wartet draussen vor der türe.“ juri schnippte nach einem bier.

„in einer toreinfahrt. er flieht hierher vor diesem viech und dann traut er sich erst wieder nach hause, wenn er sicher ist, dass es nicht mehr draussen wartet.“

„er hat angst?“ - für mich war der alte genügend ausführlich beschrieben. etwas ironisch, und in vorfreude auf meine gerade angekommene suppe, meinte ich:

„ich verstehe! rupert ist ein siegfried, der den kampf mit dem drachen schwänzt.“

juri wurde ernst, strich sich über die unterlippe und wünschte mir einen guten appetit.

„er hasst sich dafür, dass er nicht den mut finden kann, gegen das viech zu kämpfen. sagt er.“

„woher weiss er eigentlich, wann es da draussen nicht mehr auf ihn wartet?“ fragte ich zwischen zwei löffeln suppe. aber was für eine suppe! es gibt niemanden, der eine so schlichte aber ganz und gar wunderbare tomatensuppe zustande bringt, wie kohl. das ist der wirt. kohl ist eigentlich germanist und hat in frankreich studiert.

„wenn er das viech nicht mehr riechen kann“, antwortet juri, „dann ist es weg. bis zum nächsten mal. er kann es riechen.“

„sag mal, hat er denn keinen arzt?“. juri verstand nicht.

kohl hatte etwas zuviel majoran an die suppe getan, ansonsten aber war sie feinsäuerlich und mild-fruchtig, ganz und gar köstlich - so wie immer.

„naja“, meinte ich und wedelte mit dem suppenlöffel vor meinem gesicht hin und her, „der ist doch nicht ganz...“ aber weiter kam ich nicht. die suppe hatte gerade die richtige temperatur, der duft fruchtiger tomaten bepinselte meine nase von innen her. trotzdem liess ich den löffel sinken. ein kurzrasierter student betrat die szene und ging zu kohl an den tresen. umständlich gestikulierend flüsterte der kurzrasierte mit dem wirt, woraufhin kohl sich ratlos am haarkranz zupfte. der vorgang hatte die volle aufmerksamkeit der paar gäste. ihre schütter vor sich hin tröpfelnden gespräche waren eines nach dem anderen verstummt.
dann drehte kohl die musik ab.
die kneipe sog sich mit leerer stille voll. augenblicklich zerplatzte die illusion, sich hier in wohlig-muffiger sicherheit zu wähnen.
um ihren trost betrogene kneipengäste blickten ratlos.
der kurzgeschorene räusperte sich und sprach zögernd, jedes wort vorsichtig tastend in die leere kneipe balancierend:

„da draussen ist was. das ist schlimm.“
jetzt erst fiel mir auf, w i e erschrocken er aussah. er war wirklich und wahrhaftig erschüttert.

man kann sich vorstellen, wie rupert den satz des jungen aufnahm. zunächst schaute er auf, wie aus metertiefen gedanken hinaufgezogen, dann öffnete er den mund, japste und fiel schliesslich taumelnd nach hinten, - fing sich aber doch rechtzeitig ab, so dass nicht er, sondern nur sein stuhl, auf die bodenfliesen knallte.
von ruperts reaktion überrascht, verstummte der kurzgeschorene zunächst, räusperte sich wieder und fuhr dann fort:
„leute, also, das klingt jetzt verrückt, aber, bitte, geht nicht da raus, wirklich, da draussen klingt es, als ob...“,
- er suchte in alter gruselfilm-sitte nach den worten für das unaussprechliche -
„...als ob, da etwas, in einer ecke sitzt, ... etwas sehr ... sehr grosses, und ...“
er machte eine bedeutsamkeitspause und flüsterte :
„...und es h e u l t.“
juri neben mir, lachte etwas unsicher: „was ist jetzt mit der musik?“, fragte er bei kohl nach. der zuckte mit den achseln.

„menschenskind, wirklich, ich bin nicht bekloppt“, versuchte sich der kahlgeschorene zu rechtfertigen,
„ich hab’s ja auch erst nicht geglaubt, aber... alleine wie es da draussen riecht...“

für rupert war das mass voll: ansatzlos stürzte er plötzlich nach draussen. im nächsten augenblick hörte man ihn schon auf der strasse rufen. kohl war besorgt wegen des lärms und ging zur tür, juri wollte auch nachschauen und winkte mir zu, ihm zu folgen.
ich dachte an meine schöne suppe. sie würde kalt werden. ich liess den löffel zwischen petersilien-schnippseln in die suppe rutschen und folgte juri ins freie.
vor der türe sogen wir frühlingsluft ein. eine ganz und gar ungebetene erfrischung.

„komm schon her, du. komm raus, ich warte!“ rief rupert.
er klang sehr entschlossen. niemand konnte ihn jetzt noch für einen verrückten alten säufer halten! er sah von einem augenblick zum nächsten plötzlich straff und heldenhaft aus, hatte sich aufgerichtet und suchte mit festem blick in der dunkelheit nach dem feind. sogar seine grauen haarsträhnen hatten ihre frühere, mutmasslich tiefschwarze farbe zurückbekommen - zumindest wirkte es in der dunkelheit so.
rupert sah aus wie jemand, der sich vor garnichts, was es auch sei, zu fürchten brauchte.
der kurzgeschorene steckte die nase aus der kneipentür: „ihr seid verrückt, kommt wieder rein, das ist kein spass hier, ihr seid verrückt “.
kohl folgte mit einer kleinen schar von gästen im schlepptau, seine kochschürze in der hand. er wischte sich die hände trocken und versuchte es als gütig-bestimmte sozialarbeiterin: „also, leute, jetzt geht doch erstmal wieder rein, und dann können wir das drinnen besprechen. ausserdem stört ihr die anwohner und ich habe dann den ärger damit, wirklich.“
aber kohls litanei war nur hintergrundrauschen, denn in diesem augenblick hörten wir alle ein durchdringendes, sonoriges heulen im innenhof nebenan.

„und? was ist das? na, was ist das?“, fragte der kurzgeschorene mit wirrem blick. unwillkürlich sahen alle zu ihm. er hatte die wahrheit gesagt.
alle hatten das heulen gehört.
rupert war sofort in den innenhof gestürmt. einen kurzen moment zögerte ich, dann folgte ich rupert. warum? ich wollte seinen kampf nicht verpassen: ich wollte rupert siegen sehen.

„rupert“, rief ich.

„rupert?“

kaum betrat ich die toreinfahrt, zog mir ein irrsinniger gestank in die nase. der kurzgeschorene hatte auch damit recht behalten. ein beissender geruch stand im ganzen innenhof. vielleicht war es rauptierpisse oder ein erbärmlich stinkendes zottelfell.
es war stockfinster. rechts blitzten einzelne chromteile und rücklichter von ein paar fahrrädern auf, links erkannte man zwei bauchige müllcontainer.
wie spät war es eigentlich?
bis auf zwei fenster im obersten stockwerk, herrschte vollkommene dunkelheit. alles schlief.
mitternacht vorbei, dachte ich, sicher schon gegen eins.
von rupert keine spur.

„rupert?“ flüsterte ich.
aber es kam keine antwort.
ich tappte noch ein stück vorwärts:
„rupert?“

ein leises knacken im kopf, dann, ansatzlos, hatte sich alles verändert. mit einem mal durchströmte mich das sichere gefühl, nun ganz alleine im hof zu sein.
wie aufgewacht aus träumen stand ich zwischen kinderrädern und mülltonnen.
kein viech mehr. und auch kein rupert.
unschlüssig und fast etwas peinlich berührt rief ich nochmal: „rupert?“,
und machte dann kehrt.
eilig tastete ich mich zurück.

die anderen lugten um die ecke der toreinfahrt.
„was ist nun?“, juri wollte es als erster wissen.
ich zuckte mit den achseln: „nichts. alles ist still“.
kohl stand noch in der türe seiner kneipe, die weisse schürze in der hand.
„wo ist rupert hin?“ fragte er.
darauf hatte ich keine antwort.
der kurzgeschorene sah inzwischen unendlich müde aus.
„komm“, kohl klopfte ihm tröstend auf die lederjacke,
„komm, du kriegst jetzt erstmal was zu trinken. und ausserdem ein gutes Süppchen“.

ratlos und unschlüssig tappten alle in die kneipe zurück.
ich war schon an der zwischentür, als juri mich festhielt:
„merkst du was“, grummelte er, „es riecht nicht mehr so. es ist weg.“

„wahrscheinlich hast du recht“, hörte ich mich sagen,
„aber rupert, der ist auch weg.“

„rupert, der wird uns morgen alles erzählen“,
beruhigte juri sich selbst und mich dazu,
„auf d i e geschichte bin ich jetzt schon gespannt.“
 

Gandl

Mitglied
ein leises knacken im kopf ...

Hi Yamana,
ganz lakonisch und fein beobachtet zeichnest du da eine verrückte Welt...
(ab dem fünften Bier ist sie verrückt. hm.. wirklich erst ab dem Fünften?),
streust Satzperlen in den Text: „um ihren trost betrogene kneipengäste blickten ratlos.“
Oder: „die kneipe sog sich mit leerer stille voll.“ Das gefällt mir.
Schön auch, dass du das Geheimnis des Viechs und Ruperts
Verschwinden nicht aufgelöst hast.
Liebe Grüße
Gandl
PS: jetzt erst fiel mir auf
 



 
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