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Raniero

Textablader
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„Lay back in the arms of someone“ , klang es aus den Lautsprechern des großen Kaufhauses.
Bruno, ein Mann im besten Alter, stand in einer langen Kundenschlange vor einer Kasse; gern wäre er der Aufforderung des Hits aus den Siebzigern nachgekommen und hätte sich in die Arme von irgendjemandem zurückgelehnt. Seine Füße schmerzten, und bepackt mit zahlreichen Waren schob er sich langsam vor.
„Haben Sie eine Payback-Karte?“ fragte die Dame an der Kasse.
Bruno wusste nicht, was eine solche Karte war und bat um Aufklärung.
„Eine Payback-Karte“, erklärte ihm die Kassiererin, „ist ein besonderer Service unseres Hauses. Mit dieser Karte sammeln Sie Punkte, sogenannte Guthabenpunkte, bei jedem Kauf. Diese Punkte werden auf Ihrer Karte elektronisch gespeichert und wenn Sie eine größere Summe angespart haben, können Sie dieses Guthaben bei uns einlösen, verstehen Sie?“
Bruno hatte noch nicht so ganz verstanden, doch seine Frage zielte schon in die ungefähre Richtung: „Also ungefähr so eine Art Rabattmarkenheft, wie früher beim Krämer um die Ecke, beim Margarinekauf, wo man die Hefte gegen schöne Fotos eintauschen konnte, nicht wahr?“
Damit konnte wiederum die Kassiererin nichts anfangen, denn sie war zu einer Zeit geboren, als es diese Margarinehefte schon lange nicht mehr gab.
„Ich nehme die mal mit, diese Karte“, murmelte Bruno und steckte sie ein; schwer beladen stapfte er in Richtung Rolltreppe.

Zu Hause überraschte er seine Frau mit der Neuigkeit: „Schatz, du wirst es nicht glauben, es gibt wieder Rabattmarken! Sie heißen jetzt zwar anders, aber es ist das gleiche Prinzip“.
Stolz zeigte er seiner Frau die neue Wunderkarte.
Brunos Ehefrau war kaum jünger als er und kannte folglich auch noch das alte Rabattmarkensystem.
Schon fielen beide in nostalgische Schwärmereien: „Ich habe immer bebilderte Buchbände bekommen“ blickte die Frau zurück, „von meinen Eltern. Dafür haben sie die Marken eingetauscht.“
„Bei uns war es anders“, erinnerte sich Bruno mit Wehmut, „bei uns war das Geld immer knapp, unsere Markenhefte gingen immer für Lebensmittel drauf.
Doch halt, einmal habe ich ein Buch bekommen, mit Fotos von Fußballspielern.
„Das waren noch Zeiten!“ stimmten beide vergnügt an.

Als gegen Abend die erwachsene Tochter heimkehrte, fand sie die Eltern in aufgeräumter Stimmung vor. Bruno war zwischenzeitlich in den Keller gegangen, um eine Flasche Wein zu holen und dabei nach kurzer Suche auf das alte vergilbte Fotobuch mit den Fußballspielern aus den fünfziger Jahren gestoßen: „Schau mal Schatz, da ist sogar der Fritz Walter drauf, auf dem Foto, und guck mal da, die gesamte Weltmeisterelf von damals!“
Die Eltern waren glücklich, und die Tochter sah es ihnen an, doch sie konnte sich noch keinen rechten Reim darauf machen.
Kichernd hielt der Vater seiner Tochter die neue Payback-Karte unter die Nase:
„Das hier, mein liebes Kind, ist eine Layback-Karte, kennst du so etwas?“
„Payback-Karte, Papa, nicht Layback-Karte. Das ist doch ein alter Hut! So eine Karte habe ich auch.“
Zur Verblüffung der Eltern griff die Tochter in ihre Handtasche und zauberte eine gleiche Karte hervor.
„Du hast eine solche Karte, und wir wissen das noch nicht einmal!“ entrüstete sich der Vater.
„Natürlich, und ich habe auch schon damit etwas bestellt.“
„Du hast mit der Karte schon etwas bestellt? Geht das denn so ohne weiteres?“ geriet das Rabattmarkenbild des Vaters aus den Fugen.
Geduldig setzte die Tochter ihren Eltern das System einer Payback-Karte auseinander. Während der Vater immer verständnisloser dreinschaute und sich mehr dem Wein und seinen alten Fußballern widmete, geriet die Mutter direkt in Verzückung, und bald schon saßen die beiden Frauen über einen Katalog gebeugt, den die Tochter inzwischen herbeigeholt hatte.

Einige Wochen später trafen bei Bruno eine große Anzahl von Paketen ein, von dem Kaufhaus, bei dem er seinerzeit die Payback-Karte erhalten hatte.
Erfreut nahmen Frau und Tochter die Pakete in Empfang, rissen sie los und starteten eine Modeshow vor Brunos Augen.
Während er noch ganz entgeistert dem Treiben seiner beiden Damen zuschaute, fiel sein Blick auf einen Brief, der aus einem der Kartons herausgefallen war.
Bruno öffnete den Brief und war einer Ohnmacht nah.
‚Rechnung‘, las er, ‚nach Abzug der Guthabenpunkte Ihrer Payback-Karte sind von Ihnen noch zu zahlen:‘
Es folgte ein stattlicher dreistelliger Eurobetrag.
Im Anschluss daran waren alle Kleidungsstücke aufgelistet, die ihm Frau und Tochter soeben vorführten.
Im Hintergrund erklang der wohlbekannte Song der Band aus den Siebzigern.
Bruno lehnte sich zurück, in seinem Sessel, schweren Herzens, und zwischen den Zähnen knirschte er den Text des Liedes mit, in leicht abgeänderter Form:
“Pay back, in the arms of someone!“
Er wusste genau, wer dieser ‚someone‘ war; es stand ja auf der Rechnung.
 



 
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