Rausch

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guadalajara

Mitglied
Dani steht mitten in der Menschenmenge, die sie Freunde nennt.
Laute Musik dröhnt von der Bühne zu Ihnen herüber, Zigaretten und Alkohol machen es erträglich.
Während bei all den anderen die Stimmung stetig steigt, sei es durch den sozialen Kontakt oder schlichtweg durch ihr allmähliches betrunken werden, vergeht Dani die Feierlust immer mehr.
Gerade hier, gerade heute, ist sie so einsam, wie in keiner Sekunde in ihrer leeren Wohnung, ganz mit sich allein, ohne tagelang auch nur einen anderen Menschen zu sehen oder zu hören.
Je glücklicher die Menschen um sie herum, desto unglücklicher sie. Dieser Zwang, auch lachen zu müssen, auch Spaß zu haben, bewirkt genau das Gegenteil.
Sie grübelt. Sehnt sich nach den positiven Gefühlen, die die anderen mitreißen und früher auch sie mitrissen.
Alles, was sie selbst fühlt, ist negativ. Da sind nur Leere, Angst, Sinnlosigkeit, manchmal auch Verzweiflung oder sogar Wut, Wut auf sich selbst und Wut auf die Menschheit, weil sie sich alleine gelassen fühlt mit allem, was sie fühlt.
Und dann ist da noch dieses Unverständnis gegenüber allen anderen, die ihr Leben oberflächlichst gestalten, nur um nicht eine einzige Minute mit sich selbst, mit der Suche nach sich selbst und dem Sinn des Lebens, wenn man so will, zu verbringen, nur um ihre Gedanken nie den selben Weg gehen zu lassen, den Danis Gedanken täglich wandern, der immer Tiefer führt und immer aussichtsloser ins nichts, in düstere Regionen ohne Umkehrmöglichkeit, ohne den Willen, umkehren zu wollen.
Wer lange in diesen Gegenden verweilt fragt sich nicht mehr, wie er hier wieder entwischen kann, sondern nur mehr, warum er dass gar nicht mehr will.
Dani nimmt noch einen Schluck, und dann noch einen, und dann gleich ein ganzes Glas auf ex, immerhin betäubt der Alkohol.
Mit Ihren rohen Gedanken und Gefühlen umgehen kann sie nicht, mit ihrem betrunkenen ich kommt sie aber bestens klar. Dieses betrunkene, manchmal sogar sturzbetrunkene ich hervortreten zu lassen verlangt auch die Gesellschaft, die sich am Samstagabend vor der Bühne versammelt. Wer hier nüchtern bleibt, wird gerade noch akzeptiert, dazu gehört er aber nicht.
Dazugehörig fühlt Dani sich aber sowieso schon lange nicht mehr. Wie oft merkt sie, abschätzige Gedanken über ihre engsten Freunde zu denken, merkt, wie sie das Glück der anderen regelrecht anwidert, ob aus Eifersucht oder Missgunst.
Doch wie soll sie jemals wieder Glücklich sein, wenn sie sich schon beim kleinsten hauch positiver Energie in ihrer Negativität versteckt? Wie soll die aus diesen finsteren Regionen herausfinden, wenn die einzige Straße nur noch tiefer hinein führt?
Dani nimmt noch ein paar große Schlucke, ein Schnapserl geht auch noch.
Wenn sie etwas kontrollieren gelernt hat, dann ihren Alkoholpegel. Auf den Schluck genau kann sie bestimmen, wann genug ist, was meistens sehr spät eintritt. Nicht der erste peinliche Moment, nicht das erste Mal übergeben bestimmen, wann genug ist. Genug ist dann, wenn noch mehr Alkohol zu absoluter gesellschaftlicher Unfähigkeit führen würde, wenn sie also einschlafen oder einfach umfallen würde. Dann wird lieber eine Stunde gewartet, etwas fettiges gegessen, vorzugsweise der Magen nochmals entleert, bis es wieder weiter gehen kann.
Meist trinkt sie zu anfang deutlich schneller als die anderen, um diesem unsinnigen zustand zwischen nüchtern und etwas angetrunken sein zu entkommen, der reine zeit- und Geldverschwendung ist.
Halbherzige Dinge mochte Dani noch nie. Wenn schon Alkohol, dann so viel wie irgend möglich.
Extreme haben sie schon immer angezogen. Ganz oder gar nicht, dazwischen verbringen nur langweilige Menschen ihr Leben, bis sie abkratzen, ohne jemals gelebt zu haben, was den Glücklichen natürlich nie bewusst sein wird.
Der Alkohol baut eine immer höhere Mauer um sie herum, die die anderen nicht durchdringen können. Es geht nur mehr um sie, die anderen sind maximal zu ihrer Belustigung da. Im nachhinein tut ihr das oft leid, ist sie nüchtern doch eigentlich ein sehr sozialer Mensch, der gerne unter Freunden ist, wären da nicht die ganzen Steine, die sie sich über die Jahre selbst in den Weg gelegt hat.
Man kann nicht sagen, sie hätte sich damals nicht bewusst dem Alkohol versprochen. Bis sie das verstand, dauerte es allerdings eine Weile.
Wie viele Menschen versuchten ihr immer wieder zu helfen, wie oft hatte sie selbst Hilfe gesucht. Doch war Hilfe nie das, was sie wirklich wollte. Insgeheim versucht sie jeden, der sie aus ihrem Sumpf herausziehen möchte dazu zu bringen, ein bisschen zeit mit Ihr zu verbringen, in ihrer eigenen düsteren Welt, um nicht mehr die einzige sein zu müssen, die hier lebt. jeder Hilferuf war so eigentlich eine Einladung zu ihr nach Hause, die Suche nach jemandem der sie nicht versuchte glücklich z machen, sondern ihr Leid mit ihr teilte, oder sein eigenes leid mitbrachte, um dann gemeinsam ein neues zu kreieren.
Dani schüttete noch ein paar Drinks hinunter. je mehr sich alles um sich zu drehen begann, desto ruhiger wurde es in ihrem Inneren. Sie konnte sich jetzt mehr auf die Leute um sich herum konzentrieren, weil in ihr drin nicht mehr so viel los war. Erst jetzt war sie zu dem fähig, mit dem alle anderen schon seit Stunden beschäftigt waren: im Augenblick zu leben. Hier auf dieser Party, die Musik wahrzunehmen, sich zu unterhalten, nicht an gestern oder morgen zu denken sondern einfach hier zu sein.
All zu lange wird dieser Zustand leider nicht anhalten, denn sie wird weitertrinken müssen, dann wird sie kotzen und danach wieder trinken, und dann wird bald genug sein und sie wird am nächsten morgen, oder eher Mittag, aufwachen und nichts mehr von all dem wissen, was sie am Vortag getan und nicht getan hat.
 
Hallo guadalajara

Einen tragischen Charakter beschreibst du in deiner Geschichte. Ich hoffe die autobiografischen Elemente halten sich in Grenzen.

Nachdem ich deine Beschreibungen von Dani ein erstes Mal gelesen hatte, habe ich mich gefragt, was mir eigentlich von dieser jungen Frau im Gedächtnis geblieben ist. Alkoholprobleme - und sonst? Ich musste den Text ein zweites Mal lesen. Und auch jetzt würde es mir schwer fallen, wenn ich diese Dani jemandem beschreiben müsste.

Weniger ist manchmal mehr – fällt mir spontan zu deiner Geschichte ein. Du versuchst in deinem Text sehr viele psychische Facetten von Dani wiederzugeben. Drang sich zu betäuben, Einsamkeit, Negativität, Angst, Verzweiflung, Eifersucht etc. Zu jedem dieser starken Gefühle ließe sich ein ganzes Buch schreiben. Du gehst aber nicht weiter darauf ein. Wenn du 20 Leute zu ihrer Einsamkeit befragst, wirst du 20 unterschiedliche Geschichten erfahren und du wirst feststellen, dass Einsamkeit zwanzigmal unterschiedlich gefühlt wird. Einsamkeit ist nicht gleich Einsamkeit. Diese Umschreibung, was Leere, was Angst, was Negativität für Dani genau bedeuten, was hat dazu geführt, wie leidet sie darunter, fehlt mir in deinem Text. Erzähl doch die spannende Geschichte über „die ganzen Steine“ die Dani in den Weg der Freundschaft gelegt hat. Ich glaube sie würde mir dann besser im Gedächtnis haften bleiben.

Müde Grüße
Vom Dichter
 

Eremit

Mitglied
Ich finde die Geschichte schonungslos ehrlich, du versuchst nicht, den großen Sieger hervor zu kehren. Nein, Dani ist ein Loser, das darf sie auch sein, das ist auch Aufgabe der Literatur, sich mit den schweren und dunklen Seiten der Menschen zu beschäftigen.
Viele Gefühle der Protagonistin kann ich nachvollziehen, kenne ich ebenfalls.
Dennoch bin ich von der Geschichte eigentlich enttäuscht. Denn die Beschäftigung mit "tieferen Gedanken", die Abwendung vom Oberflächlichkeiten, die Suche nach dem Sinn, das ist zwar mit Leid verbunden, aber keine Endstation.
Die Geschichte sagt im Grunde, dass der Alkoholismus die Folge von Danis Tiefgang ist. Und diese Aussage kann ich nicht teilen.
Gegen den Strom zu schwimmen, die Gesellschaft und ihre Werte zu hinterfragen, sich auf den Weg machen, kann durchaus mit Einsamkeit verbunden sein. Aber dass Dani mit ihrem Weltschmerz nicht anders umgehen kann, als sich dem "Rausch" hinzugeben, klingt wie eine Warnung. Leute, macht euch ja keine Gedanken, sonst stürzt ihr ab.
Ich würde mir für Dani wünschen, dass sie zwar einen schweren Weg geht, aber dadurch auch reift und sich entwickelt. Irgendwann könnte sie lernen, dass es trotz allem die bessere Wahl ist, in die Tiefe zu gehen, als immer auf der Oberfläche dahin zu planschen.

LG
Eremit
 
G

Gelöschtes Mitglied 18005

Gast
Dani erscheint mir wie ein höchst interessanter und komplexer Charakter, der hervorragend in die heutige Zeit der Postmoderne hineinpasst! Erschreckend viele ihrer Gedanken kenne ich aus eigener Haut. Mir bleibt nicht nur im Kopf, dass sie Alkoholprobleme hat - ihr Problem ist ja ohnehin nicht der Alkohol!! Vielmehr ist sie in meinen Augen eine dreidimensionale Persönlichkeit. Auf ihrem hinterfragenden und analytischen Weg dringt sie scheinbar tiefer in die Welt ein, als die Mehrheit. Vielleicht weil sie sich mit diesem philosophischen Charakterzug identifiziert, sieht sie sich als besonders und anders an - sie meint, sie wäre so einzigartig, dass niemand sie mehr verstehen könnte. Sie mangelt vielleicht an Menschenoffenheit oder Empathie, hört anderen nicht gerne zu, setzt sich nicht oft in andere hinein, sodass sie nicht versteht, wieso sie derart oberflächlich erscheinen. Dies führt sie letztlich in den Alkoholismus, denn in Alkohol sieht sie ein Mittel zur Lösung ihrer Einsamkeit. Nach einer Weile scheint sie darin zu verzweifeln und würde wohl alles dafür tun, intime (nicht unbedingt sexuell), bzw. persönliche Beziehungen zu führen. Sie befindet sich momentan in einer Tiefphase, in der sie keinen Ausweg sieht, wobei es aber natürlich welche gäbe! Diese könnten gut in einem weiteren Verlauf der Geschichte beschrieben werden.

Für mich war deine "Kurzgeschichte" wie du siehst vor allem ein gedanklicher Anstoß. Was du hier beschrieben hast betrachte ich eher als eine reine Charakterisierung, vielleicht sollte dieser Text auch für dich bloß dazu dienen. Es ist so viel aus Dani machbar! Du könntest diese Figur als Protagonistin eines größeren Projekts verwenden, einen längeren Ausschnitt aus ihrem Leben in einer längeren Erzählung oder einem Roman o.ä. zeigen. Hier haben wir lediglich eine kurze Zeitspanne beschrieben, in der sie sich auf einem festival-artigen Schauplatz in den Blackout trinkt. Nebenbei bemerkt gefällt es mir, dass sie sich so grenzenlos betrinkt und welche Wirkung der Alkohol auf ihren Körper (ihr Gehirn) hat. Ich sehe so viel Potenzial in diesen Ideen! Eine Denkart, die der meinen ähnelt, bzw. Ideen, von denen ich denke, dass ich sie völlig verstehe, in denen ich sehr viel sehe. Über diese Dani würde ich furchtbar gerne mehr erfahren! Ihr Charakter hat mich stark inspiriert.

Ich würde gerne wissen, ob du dich hier selber beschrieben hast oder nicht, bzw. nicht ob, sondern inwiefern, denn autobiographische Elemente sind ja immer mehr oder weniger vorhanden.
 



 
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