Realitätsverlust

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Groteska

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Der Lehmweg war ockerfarben und wies tiefe schwarze Risse der Trockenheit auf. Es war ein langer Weg, und durch den schier nie enden wollenden Fußmarsch hatten meine Fersen die gleiche Struktur wie dieser Lehm.
Das Land ringsum war fruchtbar, saftig und grün, aber der Pfad, auf dem ich wandelte ausgetrocknet, öde und schmerzhaft.

Rechter Hand tauchte plötzlich ein Haus auf. Die Wand bestand aus Brettern, grünbemalt, von der die Farbe abblätterte. Darauf ein reetgedecktes Dach. Es wirkte auffallend niedrig, das Haus, ja es erschien beinahe unmöglich einzutreten ohne sich zu bücken. Also beugte ich meinen Oberkörper nach vorne, als ich die quietschende Türe aufstieß. Während meine Schultern beim Eintreten nach vorne gesenkt waren, fuhren meine großflächigen Hände gespreizt über meinen dicken Bauch. Sie rieben beruhigend die Wölbung, die mit den vergangenen 9 Monaten zu einer mächtigen, prallen Kugel herangewachsen war.
Obwohl es im Innern des Hauses sehr dunkel war, konnte ich die Zimmerdecke erkennen und war erstaunt über ihre immense Höhe, schien das Gebäude von außen doch so flach.
Als meine Augen sich an die Finsternis gewöhnt hatten, nahm ich zwei dunkle Gestalten im hinteren Teil des großen Raumes wahr. Die Köpfe bedeckt mit Kutten, konnte ich kein Gesicht erkennen, empfand ihre Silhouetten aber fast wie die von Mönchen.

Die Frucht in meinem Leib begann sich zu regen, drückte, dehnte sich immer weiter aus und es wurde mir klar, dass dies der Beginn der einsetzenden Wehen war.
Von Schmerz erschüttert sackte ich zusammen und fiel auf meine Knie. Als hätten sie auf dieses Zeichen gewartet, stürmten die beiden Gestalten auf mich zu und erfassten meine Arme, um mich vor einem endgültigen Fall zu bewahren.
Ehe ich es mich versah, fand ich mich auf einem eisernen Tisch wieder. Die metallene Platte war kalt im Rücken. Ich wurde angeschnallt, spürte aber auch, dass die beiden Wesen dieses nicht zum ersten Mal machten. Routiniert bereiteten sie alles für die Geburt vor.
Einer von den beiden Kuttenträgern stand nun ganz dicht an meinem Kopf.
„Sagt meinem Mann Bescheid!“ flüsterte ich ihm flehend zu.
Abwehrend antwortete seine dunkle Stimme „Der hat hier nichts zu suchen!“
Diese Äußerung machte mir bewusst, dass ich Ihnen ausgeliefert war, den beiden ´Helfern`.
Der andere befand sich in Bauchhöhe und hantierte dort bereits mit Skalpell und Scheren. Schmatzende und glucksende Geräusche ließen mich ahnen, dass in meinen Eingeweiden nach dem neuen Leben gegraben wurde. Deutlich fühlte ich, wie sich der innere Druck löste und wie aus meinem Körper der andere glitt, ein Gefühl, das unendlich anzudauern schien.
Die Stimme in der Nähe meines Kopfes ermahnte immer wieder zur Vorsicht, wobei ich wusste, dass diese Worte nicht mir golten. Verzweifelt versuchte ich einen Blick zu erhaschen, irgendwie mehr am Geschehen teilzuhaben. Die Schnüre an meinen Armen hielten mich auf der Pritsche gefangen und doch konnte ich mein Haupt ein wenig heben.

Was ich nun sah, vermag ich kaum mehr zu beschreiben.
Mein Atem stockte und Empfindungen von Ekel und Furcht vor dem was kommen würde, stiegen in mir auf.

Der Geburtshelfer zog einen schimmernden Körper aus mir heraus. Er umfasste den schleimigen Leib und zog kräftig an ihm. Das Stück, was er herausgezogen hatte, glich aber in keinster Weise einem menschlichen Geschöpf, nein, es sah eher aus wie ein überdimensionaler Aal. Vielleicht war es auch ein Wurm, ein Parasit. Auf jeden Fall besaß er eine enorme Größe!!
Erneut packte die Gestalt am Fußende zu und zog abermals an dieser Kreatur, die zum Teil noch immer in mir steckte. Schlangenartig rutschte wieder ein Stück von ihr heraus.
Ich ließ den Kopf zurückfallen und dachte, dass dies nur ein böser Traum sei. Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren aufzuwachen und mir einzureden, dass das doch nicht so schwer sein könne.
Mein Körper wurde erneut geschüttelt und die Prozedur erschien mir endlos.
Wieder hob ich meinen Kopf. Gleichermaßen fasziniert und schockiert stellte ich fest, dass der Wurm sich in seiner Oberflächenbeschaffenheit veränderte: jeder Zentimeter, der das Licht der Welt erblickte, schien mit dem Sauerstoff eine chemische Verbindung einzugehen und sich zu Metall zu transformieren. Er sah nun aus wie von einer Blechschicht überzogen.
Ich verstand die Welt nicht mehr und war über alle Maßen erschöpft. Ich legte mich zurück und harrte der Dinge aus, die da kommen mögen. Irgendwann wurde das Rütteln weniger und ich fühlte mich regelrecht ´ausgeleert`. Trotzdem konnte ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass etwas festsaß. Ein letztes Mal hob ich den Kopf und sah die Gestalt mit der Kutte mit aller Kraft an dem Neugeborenen ziehen. Es folgte ein dumpfes, klatschendes Geräusch und ich wusste, dass die Geburt vollbracht war.
Das zweite Wesen an meinem Kopfende löste sich aus seiner Habachtstellung und eilte dem anderen, am unteren Ende des Tisches, zu Hilfe. Vermutlich wurde die Erstvorsorgung vorgenommen.
Meine Lider wurden schwer.
Das letzte, was ich wahrnahm, war ein kehliges, fauchendes Geräusch, wie ich es noch nie zuvor gehört hatte.


Als ich mein Bewusstsein wiedererlangte, befand ich mich noch immer auf dem kalten Operationstisch, bemerkte aber, dass man die Fesseln von den Armen entfernt hatte. Mein Körper war kraftlos und der Raum gleißend hell erleuchtet, so dass ich Mühe hatte, etwas zu erkennen. Als mein Blick sich allmählich verschärfte, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen.
Unter der Zimmerdecke, weit entfernt, erblickte ich den knöchernen Kopf eines Reptils. Zunächst dachte ich, man hätte mich in ein Museum verlegt und unter einem Dinosaurier abgestellt. Der Schädel wies lange Zahnreihen auf und hatte seitlich große Augen. Aber dann bemerkte ich dass diese Kreatur anders war. Der Kopf war nicht aus Fleisch und Blut, er war aus einem Stoff, der unverwundbar schien. Es war mir unmöglich zu sagen ob es Metall war, aber es sah zumindest so aus.
Der Hals dieses Lebewesens zog sich fragezeichenförmig bis zum restlichen Teil des Körpers, den ich besser wahrnehmen konnte, da er neben meiner Unterlage endete. Der Rumpf war so stark wie der von drei muskulösen Männern zusammen, die Arme, im Verhältnis zum Restkörper, viel zu kurz. Es glich wirklich einem Urviech, das vor Millionen von Jahren gelebt hatte.

Der Kopf äugte mich an. Dabei drehte er sich mal nach links und mal nach rechts. Die Lider bedeckten die Augen langsam und öffneten sich in der gleichen Geschwindigkeit wieder. Wären die Bewegungen nicht so mechanisch ausgefallen, hätte es beinahe niedlich ausgesehen.
Muttergefühle regten sich in mir und Tränen trübten meinen Blick. Mit müdem Lächeln schickte ich ein „Mein Kind!“ in die Höhe.
Blitzschnell schoss mir daraufhin sein glänzender Schädel entgegen und stoppte erst kurz vor meinem Gesicht. Die Augen hatten sich zu kleinen Sehschlitzen geschlossen und sahen plötzlich gar nicht mehr so freundlich aus.
Ein Fauchen entglitt der Kreatur und sie legte den Kopf schief. Mit rasselnder Stimme begann sie ihren Monolog, der vom Inhalt her an Abartigkeit nicht mehr zu übertreffen war.
Es gab mir zu verstehen, dass es in keineswegs friedlicher Absicht mit mir in Verbindung getreten war – ganz im Gegenteil!
Daß ich als gebärendes Bindeglied von zwei Welten missbraucht worden war, so wie angeblich tausende andere Frauen auch. Daß dieses ´Ding` kurz nach der Geburt menschliche Gestalt annehmen würde und für niemanden, außer der eigenen Rasse, als ein fremdes Wesen erkennbar sein würde.
Ich versuchte, mir die verheerenden Ausmaße vorzustellen, die eintreten würden, wenn wirklich so viele Frauen etxraterrestrisches Leben zur Welt brächten. Und eine jede von ihnen hätte das gleiche Wissen, wie es nun auch mir zuteil geworden war! Was würden sie tun? Würden sie ihre Kinder annehmen, sie großziehen und ihnen ihre Liebe schenken, damit sie dann, wenn sie ihre Manneskraft erlangt haben, unser Volk vernichten? Oder ob einige von ihnen mit der Vorstellung nicht fertig werden und das Tor für die Fremdlinge zu verschließen suchen, indem sie das neue Leben mit eigener Hand vernichten? Schließlich hört man immer wieder von solchen Greueltaten und kann so etwas nicht verstehen, während es für mich jetzt immer nachvollziehbarer wurde.
Es musste einen Ausweg geben!
Mit rasendem Puls protestierte ich, dass ich diese Situation nicht so einfach hinnehmen würde, worauf ich von der Kreatur den nächsten Dämpfer bekam.
Würde ich auch nur ein Wort, über all das hier, zu irgendjemandem verlauten lassen, so würde die menschliche Hülle meines Kindes sofort sterben.
Im meinem Kopfe hallte das Wort Kindstod nach.
Mir wurde übel ob der Machtlosigkeit.
Überlegen, und fast gleichgültig, ließ mich die Kreatur wissen, dass sie sich in solch einem Falle eben einen anderen Körper suchen würde, durch den sie dann in diese Welt gelangen könnte.

In meiner Verzweiflung fing ich an zu weinen.
Ich hatte mich doch so auf mein Baby gefreut!
Was sollte ich tun?
Es konnte doch keiner von mir verlangen, dass ich mein eigen Fleisch und Blut umbringen würde! Nein, dass würde ja so und so keiner tun.
Und so weinte ich weiter, weinte Bäche und Flüsse und schluchzte, bis mir der Hals weh tat.
„Es ist nur ein Traum!“ schrie ich immer wieder, wand mich hin und her und dann, irgendwann, wachte ich auf.

Gefangen genommen von diesem Traum saß ich noch lange Zeit wach in meinem Bett. Neben mir lag mein Mann und schlief den Schlaf der Gerechten. Das Kind unter meinem Herzen strampelte wild und ich war fest entschlossen, niemals auch nur ein einziges Sterbenswörtchen über diesen furchtbaren Traum zu erzählen.

Unser Sohn wurde bald darauf geboren.
Er kam drei Wochen zu früh und musste per Kaiserschnitt geholt werden. Während der Geburt war ich nur teilnarkotisiert und durchlebte Teile meines damaligen Albtraumes zum zweiten Mal.
Da das Kind ein Frühchen war, mussten wir noch einige Wochen im Krankenhaus verbleiben, wo es unter ärztlicher Kontrolle stand.
Fast jede Mutter kennt die Gefühlsschwankungen, die einen nach der Geburt überkommen, vielleicht sogar die tiefen Depressionen.
Bei mir aber kamen zu diesem natürlichen Tief auch noch die Nachwehen dieses Traumes hinzu.
„Ein Traum ist ein Traum ist ein Traum ist ein Traum“, sagte ich mir immer wieder. „Er hat nichts mit der Realität zu tun!“
Ich wusste, dass es für mich nur eine einzige Möglichkeit gab, dieser Hölle zu entkommen:
Ich musste mich jemandem mitteilen, um die Gewissheit zu haben, dass ich nicht mein Leben lang unter dem Einfluss eines Hirngespinstes leiden würde. Nur so konnte ich den Schritt aus der Phantasie heraus wagen und mich selbst von diesen Angstzuständen befreien.

In meinem Mann fand ich einen verständnisvollen Zuhörer, der diese Ängste wohl der strapaziösen Schwangerschaft zuschrieb, mir aber Mut zusprach und mir damit eine enorme Erleichterung verschaffte.
Sichtlich um mein Wohl besorgt, bemühte er sich um einen Schlafplatz in der Klinik, damit er mir weiteren Beistand leisten konnte.
Es ging mir besser, viel besser, obgleich die Beklemmung auch am nächsten Tage noch nicht vollends von mir gewichen war.
Früh morgens machten wir uns auf den Weg zur Säuglingsstation, wo wir von den traurigen Augen einer Hebamme empfangen wurden...
 

Groteska

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Vielen Dank Michael & SnOwflake für das tolle feedback! Die Geschichte ist wirklich lang ausgefallen und um so schöner ist es zu hören, daß es sich trotzdem gut lesen lässt und ich euch bis zum Schluss begeistern konnte. Danke nochmals!
Gruß Groteska :)
 



 
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