Reden ist Schweigen - Silber ist Gold

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Steewee

Mitglied
Man redet ja über einiges. Wetter, Sterbefälle, Geburten, Morgenstuhl.
Das war hier in Hinterwald zwischen Oberwitz und Untersau nicht anders, als in anderen Dorfgemeinschaften. Nur war es in diesem Sechzigseelenhort, der auf keiner Karte verzeichnet war und um den selbst Fuchs und Hase einen Bogen machten, nicht nur Zeitvertreib, sondern Lebensinhalt. Der Dorftratsch ersetzte hier die Volksempfänger, auf denen mancher Hinterwäldler bis heute ausdauernd im Atmosphärenrauschen nach einer Ansprache des Führers suchte.
So traf man sich alltäglich zur Erhaltung der Sprachrezeptoren im „Dunklen Eck“. Einer zur Menschentränke umfunktionierten Tankstelle, die wie alle Häuser direkt an der einzigen Straße des Ortes lag, weswegen die Namensgebung ein wenig eigenwillig anmutete. Dies zeugte wohl noch vom Galgenhumor des ehemaligen Pächters, dem erst nach Eröffnen der Tankstelle bewusst wurde, dass niemand in Hinterwald ein Auto besaß, geschweige denn, sich eines je hierher verirrte.

Nachdem die Tauschgeschäfte zwischen Gemüsebauer, Hühnerfarmer und Müller beendet und die ersten Selbstgebrauten gezapft waren, ging man zum Austausch von Belanglosigkeiten über. Die Wetterverhältnisse am Ortsein- und ausgang wurden abgeglichen, ebenso wie die Konsistenz von Körperausscheidungen.
Zwischendurch wurde wie jeden Tag ein Branntwein auf den alten Fahrengruber gekippt, der vor zwei Monaten das Zeitliche gesegnet hatte. Da er dummerweise der Pfarrer und Bestatter in Hinterwald war, es somit niemand wagte, den Guten ohne Segen unter die Erde zu bringen, wurde er hinter Moosbauers Scheune kurzerhand den Elementen übergeben. Seitdem grübelte man, wer doch mal nach ihm sehen sollte, kippte den Branntwein und entschied, dass der Herr sich schon seiner annehmen würde. Nur Moosbauer kippte gleich einen doppelten Branntwein, damit könne er ruhiger schlafen, wenn er des Nachts an den Fahrengruber denkt, der keine fünfzig Meter von ihm entfernt ruht und dem die heimische Fauna sicher schon übel zugesetzt hatte. Zumindest waren die Enkel von der Traudel recht schweigsam, seit sie ihrer Oma hinter seiner Scheune einen Kornblumenstrauss pflücken wollten.

Dann dauerte es nicht lange, bis das Gespräch auf das alte Zollhaus kam. Es stand in einiger Entfernung vor dem Ortseingangsschild, gehörte somit selbstverständlich nicht zur Gemeinschaft und doch kam niemand umhin, diesem etwas merkwürdig gestalteten Bauwerk seine Aufmerksamkeit zu schenken. Dessen einziger Bewohner, ein altmodisch, aber stets gepflegt gekleideter Herr im letzten Lebensviertel, unterhielt ein kleines Lädchen, dass er tagtäglich penibel sauber hielt. Ebenso Gehweg, Fassade, Fenster und das riesige Tor in der Gebäudemitte, dessen ursprünglicher Sinn sich niemandem mehr erschloss. Wenn er nicht hinter seiner Ladentheke stand, sah man ihn eigentlich nur putzen, streichen, ölen, polieren, fegen. Auch nickte er zwar jedem höflich zu, verlor aber nie ein einziges Wort außerhalb seiner Behausung. Das Verderben des Breies in der dörflichen Gerüchteküche überließ er anderen Köchen.
Die Waren in seinem Laden bot er jedem kostenfrei an und sah sich so auch nicht genötigt, Fragen zu beantworten. Die Hinterwäldler, erfreut über die Großzügigkeit, wagten es widerum nicht, welche zu stellen. Das wurde dann im „Eck“ unter Tagesordnung 4 Absatz 2 abgehandelt.
In der letzten Woche führte dies zu einigen Unruhen, als man sich über die, in frischem kalkweiß getünchte Fassade des Zollhauses unterhielt. Brandgärtner Willy warf ein, dass er sich damals einen Spaß daraus machte, die Fassade frische Eier schmecken zu lassen, um so den Putztrieb des Alten herauszufordern. Als man ihn fragte, was er mit „damals“ meinte, verwies er auf die Zeit, als der Führer noch durch den Äther zum deut- schen Volk sprach. Nach zwei Runden Branntwein erklärte man diese Zeitspanne für unmöglich und Brandgärtner Willy für verrückt. Nur Moosbauer, der ja schon die doppelte Menge an Branntwein hatte, sprang auf und brüllte mit erhobenen Fäusten, dass er noch Fackeln und Mistgabeln in seiner Scheune hätte und das Dorf doch in guter, alter Tradition dem Sonderling einen Besuch abstatten solle. Mit dem Verweis, dass das dem Fahrengruber sicher nicht gefallen hätte, wurde Moosbauer aber recht schnell ruhig gestellt. Vielleicht war es auch die Flasche Branntwein, in deren Obhut er sich in einer stillen Ecke im Eck begab.
An diesem Abend beschloss man, den Alten im Zollhaus doch machen zu lassen und wandte sich wichtigeren Themen zu. Schließlich war man sich immer noch nicht einig, welchen Namen denn nun die einzige Straße im Dorf eigentlich tragen sollte. Siegerallee oder Ringelblumenweg.

Am nächsten Tag, wieder im „Eck“, ergriff Moosbauer noch vor allen andern das Wort. Er hätte gestern Nacht mal wieder keinen Schlaf gefunden und wäre draußen am Zollhaus gewesen. Dort fand er das große Tor sperrangelweit offen und unter dem Torbogen stand eine dieser modernen Reisekutschen. Darin zählte der Alte dem Fahrer gerade ein dickes Bündel Scheine in die Hand und dankte diesem überbordend.
Moosbauer traute seinen Augen nicht, als dieser verschwiegene, gebeugte Greis jungenhaft, händereibend lachend aus dem Bus sprang. Er könnte auch schwören, dass die Augen des Alten dabei wie glühende Kohlestücke geleuchtet hätten. Man legte dem Moosbauer daraufhin nahe, doch lieber auf das Selbstgebraute statt Branntwein als Schlummertrunk zurückzugreifen. Dass er sich aber auch den Reisebus eingebildet haben soll, daran wollte keiner recht glauben.
Einige Branntweine später lag die Lösung für alle klar auf der Hand. Der Alte betrieb sicher so etwas, wie eine illegale, geheime Herberge, am Finanzamt vorbei. Das würde auch das ständige Putzen erklären. Auch das großzügige Verschenken. Wahrscheinlich hat er sich schon eine goldene Nase verdient und wollte so sein Gewissen und die Geschwätzigkeit der Dorfbewohner beruhigen. Alle waren heilfroh über diese offenkundige Erkenntnis und wischten Schreckgespenster, wie das kryptische Alter, die Wortkargheit oder auch die glühenden Kohlestücke des Zollhausbewohners vom Tisch.
Die Traudel meinte, sie werde ihn einfach mal ansprechen, denn wenn er nicht zur Gemeinde kommt, dann kommt sie eben zu ihm. Wir Hinterwäldler sollten uns nicht immer so ängstigen, wie Pfarrer Fahrengruber es gepredigt hatte, meinte sie.

Dann machte sich die Traudel auf zum Zollhaus, denn es war der zweite Samstag im Monat und da verschenkte der Alte immer frisches Hack, Rippchen, Haxen und feinste Filetstücke in seiner kleinen Fleischerei.
 

wirena

Mitglied
Steewee,hallo - welch interessante Geschichte - sehr informativ für mich - weshalb hast du diese nicht in Kurzprosa gepostet?
LG wirena
 

Steewee

Mitglied
Hi Wirena,

freut mich. Kurzprosa? Ist das Kurzprosa? Was ist Kurzprosa? Ich dachte, das hier wäre zu lang für Kurzprosa. Gibt es da Richtlinien? LG Steewee
 

Steewee

Mitglied
Man redet ja über einiges. Wetter, Sterbefälle, Geburten, Morgenstuhl.
Das war hier in Hinterwald zwischen Oberwitz und Untersau nicht anders, als in anderen Dorfgemeinschaften. Nur war es in diesem Sechzigseelenhort, der auf keiner Karte verzeichnet war und um den selbst Fuchs und Hase einen Bogen machten, nicht nur Zeitvertreib, sondern Lebensinhalt. Der Dorftratsch ersetzte hier die Volksempfänger, auf denen mancher Hinterwäldler bis heute ausdauernd im Atmosphärenrauschen nach einer Ansprache des Führers suchte.
So traf man sich alltäglich zur Erhaltung der Sprachrezeptoren im „Dunklen Eck“. Einer zur Menschentränke umfunktionierten Tankstelle, die wie alle Häuser direkt an der einzigen Straße des Ortes lag, weswegen die Namensgebung ein wenig eigenwillig anmutete. Dies zeugte wohl noch vom Galgenhumor des ehemaligen Pächters, dem erst nach Eröffnen der Tankstelle bewusst wurde, dass niemand in Hinterwald ein Auto besaß, geschweige denn, sich eines je hierher verirrte.

Nachdem die Tauschgeschäfte zwischen Gemüsebauer, Hühnerfarmer und Müller beendet und die ersten Selbstgebrauten gezapft waren, ging man zum Austausch von Belanglosigkeiten über. Die Wetterverhältnisse am Ortsein- und ausgang wurden abgeglichen, ebenso wie die Konsistenz von Körperausscheidungen.
Zwischendurch wurde wie jeden Tag ein Branntwein auf den alten Fahrengruber gekippt, der vor zwei Monaten das Zeitliche gesegnet hatte. Da er dummerweise der Pfarrer und Bestatter in Hinterwald war, es somit niemand wagte, den Guten ohne Segen unter die Erde zu bringen, wurde er hinter Moosbauers Scheune kurzerhand den Elementen übergeben. Seitdem grübelte man, wer doch mal nach ihm sehen sollte, kippte den Branntwein und entschied, dass der Herr sich schon seiner annehmen würde. Nur Moosbauer kippte gleich einen doppelten Branntwein, damit könne er ruhiger schlafen, wenn er des Nachts an den Fahrengruber denkt, der keine fünfzig Meter von ihm entfernt ruht und dem die heimische Fauna sicher schon übel zugesetzt hatte. Zumindest waren die Enkel von der Traudel recht schweigsam, seit sie ihrer Oma hinter seiner Scheune einen Kornblumenstrauss pflücken wollten.

Dann dauerte es nicht lange, bis das Gespräch auf das alte Zollhaus kam. Es stand in einiger Entfernung vor dem Ortseingangsschild, gehörte somit selbstverständlich nicht zur Gemeinschaft und doch kam niemand umhin, diesem etwas merkwürdig gestalteten Bauwerk seine Aufmerksamkeit zu schenken. Dessen einziger Bewohner, ein altmodisch, aber stets gepflegt gekleideter Herr im letzten Lebensviertel, unterhielt ein kleines Lädchen, dass er tagtäglich penibel sauber hielt. Ebenso Gehweg, Fassade, Fenster und das riesige Tor in der Gebäudemitte, dessen ursprünglicher Sinn sich niemandem mehr erschloss. Wenn er nicht hinter seiner Ladentheke stand, sah man ihn eigentlich nur putzen, streichen, ölen, polieren, fegen. Auch nickte er zwar jedem höflich zu, verlor aber nie ein einziges Wort außerhalb seiner Behausung. Das Verderben des Breies in der dörflichen Gerüchteküche überließ er anderen Köchen.
Die Waren in seinem Laden bot er jedem kostenfrei an und sah sich so auch nicht genötigt, Fragen zu beantworten. Die Hinterwäldler, erfreut über die Großzügigkeit, wagten es widerum nicht, welche zu stellen. Das wurde dann im „Eck“ unter Tagesordnung 4 Absatz 2 abgehandelt.
In der letzten Woche führte dies zu einigen Unruhen, als man sich über die, in frischem kalkweiß getünchte Fassade des Zollhauses unterhielt. Brandgärtner Willy warf ein, dass er sich damals einen Spaß daraus machte, die Fassade frische Eier schmecken zu lassen, um so den Putztrieb des Alten herauszufordern. Als man ihn fragte, was er mit „damals“ meinte, verwies er auf die Zeit, als der Führer noch durch den Äther zum deut- schen Volk sprach. Nach zwei Runden Branntwein erklärte man diese Zeitspanne für unmöglich und Brandgärtner Willy für verrückt. Nur Moosbauer, der ja schon die doppelte Menge an Branntwein hatte, sprang auf und brüllte mit erhobenen Fäusten, dass er noch Fackeln und Mistgabeln in seiner Scheune hätte und das Dorf doch in guter, alter Tradition dem Sonderling einen Besuch abstatten solle. Mit dem Verweis, dass das dem Fahrengruber sicher nicht gefallen hätte, wurde Moosbauer aber recht schnell ruhig gestellt. Vielleicht war es auch die Flasche Branntwein, in deren Obhut er sich in einer stillen Ecke im Eck begab.
An diesem Abend beschloss man, den Alten im Zollhaus doch machen zu lassen und wandte sich wichtigeren Themen zu. Schließlich war man sich immer noch nicht einig, welchen Namen denn nun die einzige Straße im Dorf eigentlich tragen sollte. Siegerallee oder Ringelblumenweg.

Am nächsten Tag, wieder im „Eck“, ergriff Moosbauer noch vor allen Anderen das Wort. Er hätte gestern Nacht mal wieder keinen Schlaf gefunden und wäre draußen am Zollhaus gewesen. Dort fand er das große Tor sperrangelweit offen und unter dem Torbogen stand eine dieser modernen Reisekutschen. Darin zählte der Alte dem Fahrer gerade ein dickes Bündel Scheine in die Hand und dankte diesem überbordend.
Moosbauer traute seinen Augen nicht, als dieser verschwiegene, gebeugte Greis jungenhaft, händereibend lachend aus dem Bus sprang. Er könnte auch schwören, dass die Augen des Alten dabei wie glühende Kohlestücke geleuchtet hätten. Man legte dem Moosbauer daraufhin nahe, doch lieber auf das Selbstgebraute statt Branntwein als Schlummertrunk zurückzugreifen. Dass er sich aber auch den Reisebus eingebildet haben soll, daran wollte keiner recht glauben.
Einige Branntweine später lag die Lösung für alle klar auf der Hand. Der Alte betrieb sicher so etwas, wie eine illegale, geheime Herberge, am Finanzamt vorbei. Das würde auch das ständige Putzen erklären. Auch das großzügige Verschenken. Wahrscheinlich hat er sich schon eine goldene Nase verdient und wollte so sein Gewissen und die Geschwätzigkeit der Dorfbewohner beruhigen. Alle waren heilfroh über diese offenkundige Erkenntnis und wischten Schreckgespenster, wie das kryptische Alter, die Wortkargheit oder auch die glühenden Kohlestücke des Zollhausbewohners vom Tisch.
Die Traudel meinte, sie werde ihn einfach mal ansprechen, denn wenn er nicht zur Gemeinde kommt, dann kommt sie eben zu ihm. Wir Hinterwäldler sollten uns nicht immer so ängstigen, wie Pfarrer Fahrengruber es gepredigt hatte, meinte sie.

Dann machte sich die Traudel auf zum Zollhaus, denn es war der zweite Samstag im Monat und da verschenkte der Alte immer frisches Hack, Rippchen, Haxen und feinste Filetstücke in seiner kleinen Fleischerei.
 

wirena

Mitglied
hallo steewee - ob es eine Regelung für "Kurzprosa" oder so gibt! keine Ahnung, wieviele Zeilen etc. dafür zulässig sind. Der Forendredakteur kann dir diese Frage sicher beantworten. Sicher kommt es aber auch auf den Inhalt an...z.b. Satire bleibt eine Satire und ein PsychoHorror dito...

lg wirena
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Prosa oder nicht Prosa

Irgendwie ist ja alles Erdachte und Geschriebene ohne lyrischen Background (hier gelten strengere Regeln!) Prosa in Form von kurzen oder langen Geschichten.

Da dein Werk sowohl satirische, als auch humoristische Züge trägt, kannst du es ruhig lassen, wo es ist.

Habe mich beim Lesen übrigens amüsiert.

Grüße vom Ironbiber
 



 
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