Regen

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Andraika

Mitglied
"Ist das ekelhaft draußen!"

Ich schaute von meinem Schreibtisch auf und schwenkte den Blick gen Fenster. Dort blieb er hängen. Dicke Tropfen bevölkerten die Scheibe und verliehen ihr so ein ganz neues Aussehen. Kleine Pünktchen und dicke, runde Wasserkugeln wechselten sich ab. Sekündlich kamen neue hinzu. Gleichzeitig schlossen sich die vorhandenen Tropfen zusammen, bis sie zu schwer wurden, um der Schwerkraft weiterhin zu trotzen, und anfangen mussten, sich an der Scheibe entlang dem Unten zu nähern.

Jede kleine Wasserkugel für sich bot ein faszinierendes Schauspiel. Sie war nicht vollkommen rund, sondern hatte an einer Seite eine kleine Kante, oder zog einen kleinen Schweif hinter sich her, oder war länglich und dabei leicht gebogen. Genauso bot jeder Tropfen ein ganz anderes Lichtspiel. Auf den ersten Blick hatten sie alle das gleiche blau-grau des Hintergrundes. Doch am oberen Rand saß ein dunkler Schatten, der die Form des Tropfens etwas kleiner und verzerrt wiedergab. Ein schmaler dunkler Streifen umrandete den Tropfen schließlich. Und auch der hellere untere Teil war nicht einfach nur blau-grau, sondern blasste zu seinen Rändern fast ins Weiße aus. Ich stellte mir vor, wie man es wohl anstellen müsste, wenn man solch einen Tropfen zeichnerisch zu Papier bringen wollte.

Dann stellte sich mein Fokus um und ich blickte an den Scheibentropfen vorbei in die Ferne. Der Himmel war von dicken Wolken verhangen. Ein düsteres blau-grau schien das gesamte Draußen zu beherrschen. Wie flüssiges Silber tropften die schweren Wasserkugeln vom Äther, bildeten einen Schleier, der mich von der Welt abzuschirmen schien und füllten den Grund mit Wasser.

Es drängte sich die Vorstellung auf, sich, mit einer heißen Schokolade in den Händen, in eine weiche Wolldecke einzumummen und in einem weichen Sofa zu versinken, während man beim Knistern eines warmen Kaminfeuers die beruhigend heimelige, beinahe hypnotisierende Wirkung des Regens auf sich wirken lässt.

Oder aber selbst mitten in dem Schleier zu stehen und ein Teil des Schauspiels zu sein.

Der Blick folgte den Tropfen nach unten, auf das mit einer Schweißbahn bedeckte Flachdach. Doch von der Dachpappe war nichts zu sehen. Die Silbertropfen füllten die Fläche und ließen die Blau- und Grautöne des Äthers auf ihr tanzen. Ich versuchte, mich auf einen einzelnen Tropfen zu konzentrieren. Den Moment, in dem er auftraf, abzufangen. Ihn zu sehen. Zu verstehen. Doch er war zu schnell für das Auge. Die Sekunde, die ihn gebar, bedeutete auch schon seinen Tod.

Ich seufzte und wünschte mir, nicht nur die Schönheit des Gesamten zu verstehen, sondern auch des Einzelnen. Es greifen zu können. Es auf Papier festhalten zu können. Und war traurig, dass unendlich viele einzigartige Momente, in denen ein Tropfen die Haut der Wasseroberfläche berührt, sie in Bewegung versetzt und schließlich in ihr verschwindet, ungesehen vergehen.

Dann vernahm ich wieder eine Stimme hinter mir:
"Iiihh, was für ein Sauwetter!"
 
U

USch

Gast
Hallo Andraika,
eine sehr schön "beobachtete" Sequenz von Regentropfen. Du bist ja eine sehr genaue Beobachterin. Zeichnest, malst du? Wenn nicht, dann wäre das sicher auch ein Feld, wo du kreativ sein könntest.
Zwei Kleinigkeiten:
Gleichzeitig schlossen sich die vorhandenen Tropfen zusammen, bis sie zu [red]schwer [/red]wurden, um der [red]Schwer[/red]kraft weiterhin zu trotzen,
Die Doppelung klingt nicht gut.

[red]Sie [/red]war nicht vollkommen rund, sondern hatte an einer Seite eine kleine Kante
Welche? Vielleicht lieber [blue]Einige waren...[/blue]

LG USch
 
E

eisblume

Gast
Hallo Andraika,

ich stimme Usch zu, du hast wirklich eine sehr gute Beobachtungsgabe.

Die Idee hinter deiner Geschichte finde ich sehr schön, vor allem finde ich diesen Schluss mit dem Sauwetter klasse :) Insgesamt noch besser würde es mir gefallen, wenn du manche Stellen sprachlich noch ein wenig überdenken würdest.

Den Einleitungssatz könntest du streichen und gleich mit dem Blick aus dem Fenster beginnen. Wobei mir da jetzt ein klassisches „Gedankenverloren sah ich aus dem Fenster.“ viel besser gefallen würde. Der schwenkende Blick und dann noch „gen“ klingt mir zu bemüht, ebenso bräuchte es das Hängenblieben dann nicht. Da nach dem Blick zum Fenster eine detaillierte Beschreibung der Tropfen folgt, ist das ohnehin klar :)

Dann stellte sich mein Fokus um ...
Das ist mir viel zu technisch. Lass doch den Blick weiterwandern, schweifen, oder auf etwas anderes aufmerksam werden.

Es drängte sich die Vorstellung auf, sich, mit einer heißen Schokolade ...
Du schreibst doch aus der Ich-Perspektive, warum dann diese unpersönliche, steife Formulierung? Warum nicht einfach z. B.: Am liebsten würde ich mich jetzt mit einer heißen Schokolade …

Der Blick folgte den Tropfen nach unten ...
Ich meine, da könnte dir auch noch etwas Besseres einfallen.

Der folgende Absatz mit dem Seufzen und der Schönheit des Gesamten gefällt mir sehr gut. Das meine ich, wäre genau der richtige Tonfall für diesen Text. Und dann kommt ganz unvermittelt das Sauwetter, mit dem man so gar nicht gerechnet hat.
Wobei mir diese Überleitung jetzt nicht so gut gefällt.
Dann vernahm ich wieder eine Stimme hinter mir:
Du könntest ja vielleicht die Person hinter der Stimme benennen, meinetwegen meine Tochter, mein Sohn, und sie ins Zimmer stürmen und die Gedanken des Ich durchbrechen lassen. Nur so eine Idee.

Das ist jetzt natürlich nur meine persönliche Sicht, ich meine aber, dass da sprachlich noch einiges mehr herauszuholen wäre.

wünsche dir einen schönen Sonntag, lieben Gruß
eisblume
 

Andraika

Mitglied
Vielen Dank USch und eisblume für die tollen Kommentare, ich werde sie mir mit Sicherheit zu Herzen nehmen und den Text dahingehend überarbeiten! Danke! :)

@ USch: Ja, ich zeichne auch. Wenn du auf mein Profil gehst, habe ich dort meinen Blog unter "Homepage" angegeben, dort findet man neben den paar Texten, die ich hier auch reingestellt habe, noch ein paar mehr und auch Zeichnungen von mir.

@ eisblume: Ich stelle fest, dass ich mich sehr oft sehr "technisch" bzw. "unpersönlich und steif" ausdrücke. Das habe ich auch selbst schon gemerkt, ich werde versuchen, daran zu arbeiten. Könnte daran liegen, dass ich es in drei Jahren Deutsch-LK geschafft habe, adäquat sowie eloquent über andere Texte zu schreiben - sollte man meiner Lehrerin Glauben schenken - und ich nun versuche, von dieser theoretischen Schiene abzurücken, mein Repertoire zu erweitern und selbst kreativ zu werden.
Deshalb bin ich auch glücklich, dieses Forum gefunden zu haben, weil man hier super geholfen kriegt!
Nochmals Danke dafür.

Lg, Andraika
 

Andraika

Mitglied
"Ist das ekelhaft draußen!"

Bei diesem Satz meiner Kollegin schaute ich von meinem Schreibtisch auf und schwenkte den Blick zum Fenster. Dicke Tropfen bevölkerten die Scheibe und verliehen ihr so ein ganz neues Aussehen. Kleine Pünktchen und dicke, runde Wasserkugeln wechselten sich ab. Sekündlich kamen neue hinzu. Gleichzeitig schlossen sich die vorhandenen Tropfen zusammen, bis sie der Schwerkraft nicht mehr trotzen konnten und sich an der Scheibe entlang dem Unten nähern mussten.

Jede kleine Wasserkugel für sich bot ein faszinierendes Schauspiel. Die einen waren nicht vollkommen rund, sondern hatte an einer Seite eine kleine Kante, andere zogen einen kleinen Schweif hinter sich her, oder waren länglich und dabei leicht gebogen. Genauso bot jeder Tropfen ein ganz anderes Lichtspiel. Auf den ersten Blick hatten sie alle das gleiche blau-grau des Hintergrundes. Doch am oberen Rand saß ein dunkler Schatten, der die Form des Tropfens etwas kleiner und verzerrt wiedergab. Ein schmaler dunkler Streifen umrandete den Tropfen schließlich. Und auch der hellere untere Teil war nicht einfach nur blau-grau, sondern blasste zu seinen Rändern fast ins Weiße aus. Ich stellte mir vor, wie man es wohl anstellen müsste, wenn man solch einen Tropfen zeichnerisch zu Papier bringen wollte.

Dann ließen meine Augen die Scheibentropfen los und mein Blich wanderte an ihnen vorbei in die Ferne. Der Himmel war von dicken Wolken verhangen. Ein düsteres blau-grau schien das gesamte Draußen zu beherrschen. Wie flüssiges Silber tropften die schweren Wasserkugeln vom Äther, bildeten einen Schleier, der mich von der Welt abzuschirmen schien und füllten den Grund mit Wasser.

Wie gerne würde ich mich jetzt mit einer heißen Schokolade in den Händen in eine weiche Wolldecke einmummen und in einem weichen Sofa versinken, während ich beim Knistern eines warmen Kaminfeuers die beruhigend heimelige, beinahe hypnotisierende Wirkung des Regens auf mich wirken lasse.
Oder aber selbst mitten in dem Schleier stehen, um ein Teil des Schauspiels zu sein.

Zusammen mit dem Regen wurde auch mein Blick nach unten gezogen, auf das mit einer Schweißbahn bedeckte Flachdach. Doch von der Dachpappe war nichts zu sehen. Die Silbertropfen füllten die Fläche und ließen die Blau- und Grautöne des Äthers auf ihr tanzen. Ich versuchte, mich auf einen einzelnen Tropfen zu konzentrieren. Den Moment, in dem er auftraf, abzufangen. Ihn zu sehen. Zu verstehen. Doch er war zu schnell für das Auge. Die Sekunde, die ihn gebar, bedeutete auch schon seinen Tod.

Ich seufzte und wünschte mir, nicht nur die Schönheit des Gesamten zu verstehen, sondern auch des Einzelnen. Es greifen zu können. Es auf Papier festhalten zu können. Und war traurig, dass unendlich viele einzigartige Momente, in denen ein Tropfen die Haut der Wasseroberfläche berührt, sie in Bewegung versetzt und schließlich in ihr verschwindet, ungesehen vergehen.

Dann vernahm ich wieder eine Stimme hinter mir:

"Iiihh, was für ein Sauwetter!"
 
Hallo Andraika,

deine Beschreibung der Regentropfen gefällt mir ebenso wie der witzige Schluß.

Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg mit deinen Erzählungen.
Liebe Grüße. Rrhondaly.
 

Andraika

Mitglied
"Ist das ekelhaft draußen!"

Bei diesem Satz meiner Kollegin schaute ich von meinem Schreibtisch auf und schwenkte den Blick zum Fenster. Dicke Tropfen bevölkerten die Scheibe und verliehen ihr so ein ganz neues Aussehen. Kleine Pünktchen und dicke, runde Wasserkugeln wechselten sich ab. Sekündlich kamen neue hinzu. Gleichzeitig schlossen sich die vorhandenen Tropfen zusammen, bis sie der Schwerkraft nicht mehr trotzen konnten und sich an der Scheibe entlang dem Unten nähern mussten.

Jede kleine Wasserkugel für sich bot ein faszinierendes Schauspiel. Die einen waren nicht vollkommen rund, sondern hatte an einer Seite eine kleine Kante, andere zogen einen kleinen Schweif hinter sich her, oder waren länglich und dabei leicht gebogen. Genauso bot jeder Tropfen ein ganz anderes Lichtspiel. Auf den ersten Blick hatten sie alle das gleiche blau-grau des Hintergrundes. Doch am oberen Rand saß ein dunkler Schatten, der die Form des Tropfens etwas kleiner und verzerrt wiedergab. Ein schmaler dunkler Streifen umrandete den Tropfen schließlich. Und auch der hellere untere Teil war nicht einfach nur blau-grau, sondern blasste zu seinen Rändern fast ins Weiße aus. Ich stellte mir vor, wie man es wohl anstellen müsste, wenn man solch einen Tropfen zeichnerisch zu Papier bringen wollte.

Dann ließen meine Augen die Scheibentropfen los und mein Blich wanderte an ihnen vorbei in die Ferne. Der Himmel war von dicken Wolken verhangen. Ein düsteres blau-grau schien das gesamte Draußen zu beherrschen. Wie flüssiges Silber tropften die schweren Wasserkugeln vom Äther, bildeten einen Schleier, der mich von der Welt abzuschirmen schien und füllten den Grund mit Wasser.

Wie gerne würde ich mich jetzt mit einer heißen Schokolade in den Händen in eine weiche Wolldecke einmummen und in einem weichen Sofa versinken, während ich beim Knistern eines warmen Kaminfeuers die beruhigend heimelige, beinahe hypnotisierende Wirkung des Regens auf mich wirken lasse.
Oder aber selbst mitten in dem Schleier stehen, um ein Teil des Schauspiels zu sein.

Zusammen mit dem Regen wurde auch mein Blick nach unten gezogen, auf das mit einer Schweißbahn bedeckte Flachdach. Doch von der Dachpappe war nichts zu sehen. Die Silbertropfen füllten die Fläche und ließen die Blau- und Grautöne des Äthers auf ihr tanzen. Ich versuchte, mich auf einen einzelnen Tropfen zu konzentrieren. Den Moment, in dem er auftraf, abzufangen. Ihn zu sehen. Zu verstehen. Doch er war zu schnell für das Auge. Die Sekunde, die ihn gebar, bedeutete auch schon seinen Tod.

Ich seufzte und wünschte mir, nicht nur die Schönheit des Gesamten zu verstehen, sondern auch des Einzelnen. Es greifen zu können. Es auf Papier festhalten zu können. Und war traurig, dass unendlich viele einzigartige Momente, in denen ein Tropfen die Haut der Wasseroberfläche berührt, sie in Bewegung versetzt und schließlich in ihr verschwindet, ungesehen vergehen.

Dann vernahm ich wieder die Stimme einer Kollegin:

"Iiihh, was für ein Sauwetter!"
 



 
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