Regen im April

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Retep

Mitglied
Danach hatte er von ihr nichts mehr gehört. Briefe kamen nicht mehr. Morgens wartete er vergeblich auf einen Anruf. Ihm fehlten diese kleinen Wortwechsel, inhaltlich nichtssagend, aber am Schluss immer Sehnsucht, Zärtlichkeit, ein "Ich-hab-dich-lieb". Andere fragten ihn öfter, wo er gerade sei, er höre ja gar nicht zu. Er schüttelte nur den Kopf.
Nachts hatte er noch schlechter geschlafen als sonst. Er lag oft lange wach, dachte an sie. Ob ihre Ohren wohl klingen würden?


Es war nicht so gut gelaufen in diesen drei Tagen, die sie zum ersten Mal wieder alleine zusammen verbrachten. 17 Jahre waren seit damals vergangen. Er machte sich Gedanken, woran es wohl gelegen haben könnte, versuchte sich an die einzelnen Tage, Stunden, Minuten, Worte und Gesten zu erinnern. Er meinte Lösungen und Gründe gefunden zu haben, verwarf dann aber alles wieder.

Er war schon früher im Hotel angekommen, hatte aus dem Fenster gesehen und geträumt.
Damals war sie 31 Jahre alt gewesen, voller Zärtlichkeit hatte sie ihn geliebt, wie ihn wohl noch niemand geliebt hatte und wohl auch niemand mehr lieben würde. Es war eine andere Zeit gewesen, "leider nicht unsere Zeit", hatte sie einmal gesagt. Er war von anderen Dingen gefangen gewesen, wollte ihre Zuneigung nicht erwidern, "ich wäre ja verrückt, wenn ich mich in dich verlieben würde". Er glaubte sie aus allem heraushalten zu müssen und konnte doch ihre Traurigkeit nicht verhindern. Es war ihm nicht schlecht gelungen, seine Gefühle zu verbergen. Sie sei dennoch glücklich, hatte sie ihm immer wieder gesagt, hatte ihm dennoch oft ein schlechtes Gewissen vermittelt, weil er ihr das nicht zurückgeben konnte, was sie ihm gab. Sie hatte ihm viele Seiten geschrieben.
Er merkte damals, dass er sich zu verlieren begann, Tränen und Schreie anderer bewahrten ihn davor. Wie musste sie gelitten haben, hatte dennoch ihren Humor, den Versuch, ihn zu verstehen und ihre unendliche Zärtlichkeit und Liebe lange bewahrt, verloren und dann zum Teil wieder gefunden.

Dann sah er das Taxi, lief zu ihr, holte sie ins Zimmer, sie umarmten sich, er konnte nicht erwarten, in sie einzudringen. Mit wenig Zärtlichkeit nahm er sie, als wenn er alles nachholen müsste, was einmal nicht gewesen war, als wenn er die Zeit einholen wollte, zurückdrehen könnte.
Sie tranken Sekt, wie sie es früher auch gemacht hatten.

Sie waren in diesen drei Tagen viel zusammen gewandert, hatten über vieles miteinander gesprochen, was sie eigentlich gar nicht so sehr interessierte.
Ihr Körper war jung geblieben, sie war härter geworden. Es war ihr öfter nicht sehr gut ergangen, wie sie erzählte. Sie war empfindlicher, ungeduldiger geworden, ihn zu verstehen. Seine Ironie, sein Husten und Schnarchen störten sie jetzt. Als er ihr damals erzählte hatte, dass seine Frau bei seinem Schnarchen nicht schlafen könne, ihn schüttele und trete, hatte sie gesagt: " Wie könnte mich so etwas an dir stören."

Er verstand sie und sie ihn nicht mehr.

Warum ich Dich liebe? Weil Du Du bist und ich verrückt bin. Weil Du mich von meiner Liebe zu Dir wieder und wieder überzeugst, nachdem ich mir einzureden versuche, dass das alles nur "leseras" sind. Weil Du etwas hast, was mich alles andere vergessen lässt, mich gleichgültig macht, mich zum Zittern bringt, meine Zärtlichkeit und mein Begehren weckt, weil ich mit Dir über alles reden kann (Du bedauerlicherweise aber nicht mit mir, naja und oje), weil Du viel Liebe brauchst (und ich natürlich meine für Dich am besten halte), manchmal traurig bist und ich Dich trösten möchte. Weil Du Ruhe brauchst und bei mir müde sein darfst.
Du bist der erstaunlichste Mann für mich, anregend, aufregend, erregend. Der Mann, für den ich alles aufgeben würde, bei dem ich vor Schwierigkeiten keine Angst hätte.


Das hatte sie vor langer Zeit einmal in ihr Tagebuch geschrieben.

Hatte sie am ersten Tag beim Wandern noch seine Hand gesucht, ihre in seine Jackentasche gesteckt, so gingen sie am dritten Tag nur noch nebeneinander wie ein altes Ehepaar, jeder seinen eigenen Weg, nur räumlich nahe.

Bevor er am dritten Tag den Bus verließ, streichelte sie noch einmal zärtlich seinen Arm, er stand auf, nahm seinen Koffer, "Paß gut auf dich auf", sagte er, stieg dann aus, ohne sich noch einmal umzuschauen.

Es kam dann noch einmal ein Anruf. "Bis bald!"

Und noch einmal wollte er die Zeit nicht nur anhalten, " ich will bei Dir sein, und dann soll die Zeit stille stehen..", hatte sie vor langer Zeit gesagt, zurückdrehen müsste er sie, bis zu dem Augenblick, als etwas verloren gegangen war, wann war das?

Was erwartest Du jetzt von mir? Was glaubst Du, wie sich das mit uns entwickeln wird? Wärst Du froh, hörte ich bald auf, Dich zu lieben? Ich frage nicht, wie Du das für mich selbst, sondern für Dich, aus Deiner Sicht siehst. Wärst Du enttäuscht von mir, wenn sich das langsam auflöste? Sag nicht, dass sei normal. Das mag so sein: nur wärst Du dann traurig, weil Du damit etwas verlieren würdest?

Er ging zu einer Telefonzelle, begann zu wählen und legte dann aber wieder auf. Es hatte zu regnen begonnen, Aprilwetter! Tränen liefen ihm über das Gesicht, er hatte lange nicht mehr geweint. Eine alte Frau, die telefonieren wollte, seine Tränen sah, fragte ihn: "Geht es Ihnen nicht gut?"
Er sagte: "Doch, doch, es ist nur der Aprilregen, der mir übers Gesicht läuft, der wischt alles weg."
 
hallo Retep

dein Text hat mich berührt.
Daniel Defoe sagte einmal "Der Mensch lernt erst dann etwas zu schätzen, wenn er es nicht mehr hat"

liebe grüße gernot
 
S

suzah

Gast
hallo retep,
ein guter text, ja, so kann es jemand ergehen, wie auch gernot schon schrieb.

liebe grüße suzah
 

MarenS

Mitglied
Oh, dieser arme Idiot!
Das war mein erster Gedanke.
Der zweite:
Man kann nur tun, zu was man in der jeweiligen Lage fähig ist.
Später sagt man oft: Das war ein Fehler. Aber es war keiner, denn zu dem Zeitpunkt, als wir uns so und nicht anders entschieden zu handeln, konnten wir wohl nicht anders.
Wichtig ist, dazu zu lernen, den Mut zu haben Dinge umzustürzen, Neues anzugehen.
Unser Klammern an gewohnten Dingen lässt uns oft kein Neuland betreten.
Mir gefällt deine Geschichte, Peter, sie ist gut erzählt.

Grüße von Maren
 
B

bluefin

Gast
also ehrlich gestanden, lieber @retep - man versteht die frau nicht so recht, vor allem ihren tagebucheintrag nicht. was mag an diesem typen denn so besonderes sein, das ihn vor anderen auszeichnet? aus dem text geht dazu nichts hervor - er tut sich selbst leid, wie so viele, und als er sein vormaliges g'spusi nach ein paar jahren wieder trifft, macht er sofort einen auf rammelmaier und langweilt sich danach wieder. auch wie so viele.

ebensowenig erfahren wir, was die erschütterung des protagonisten am ende glaubhaft machen könnte. die frage "wärest du traurig, wenn du mich verlieren würdest" allein reicht jedenfalls nicht. so lange nicht gesagt wird, was dem am ende schluchzenden denn da wirklich entgangen sein sollte, bleibt die geschichte eine ziemlich flache sache. u. a. heißt es da:
Seine Ironie, sein Husten und Schnarchen störten sie jetzt. Als er ihr damals erzählte hatte, dass seine Frau bei seinem Schnarchen nicht schlafen könne, ihn schüttele und trete, hatte sie gesagt: " Wie könnte mich so etwas an dir stören."
dem entnimmt der leser, dass die holde schon damals nur ein außereheliches verhältnis war und dass ihr die bereitschaft, über die unarten des protagonisten hinwegzusehen, abhanden gekommen ist - der einsatz rentiert ja nicht mehr. die anschließende kühne behauptung
Er verstand sie und sie ihn nicht mehr.
hat mich doppelt schmunzeln lassen. der typ hat bis ganz zum schluss nicht gerafft, worum's der frau eigentlich ging, aber sie hat am ende erkannt, dass er nur ein schnarchender langweiler war und ist.

da nach alledem kein zusammenfinden mehr ist, gibt's auch keinen trennungsschmerz. die tränen des prot können am ende also nur theatralische sein. vielleicht weint er ja seiner vergangenen jugend nach, wenn er "etwas" vermißt?

tipp: entweder die typen der geschichte so charakterisieren, dass deren handlungen tatsächlich nachvollziehbar werden, oder aber das motto anders wählen, z. b. "weil nichts bleibt", oder so ähnlich - und darüber filosofieren, warum man zeit nicht zurückholen wollen darf, sondern immer in der leben muss, die gerade ist.

dann würz.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 
S

suzah

Gast
hallo bluefin,
du liest doch sonst zwischen den zeilen. ich sehe das so:

sie hat ihn geliebt, für sie war er: "Du bist der erstaunlichste Mann für mich, anregend, aufregend, erregend. Der Mann, für den ich alles aufgeben würde,..."

irgendwann ist diese liebe dann gestorben, weil er ihre gefühle nicht erwiderte oder vielleicht verdrängte. der prot hatte sich wohl vorgestellt, dass sie wie solvejg in "peer gynt" ein Leben lang auf ihn warten bzw für ihn da sein würde.

liebe grüße suzah
 
B

bluefin

Gast
dass jemand jemanden liebt und dass jemand jemanden nicht mehr liebt, ist so mager, dass man literarisches bauchweh kriegt, falls es darüber hinaus nichts zu futtern gibt.

wenn ersichtlich nichts zwischen die ackerzeilen gepflanzt wurde, kann man nichts finden - sorry, so ist das nun mal. gefühle lassen sich nicht dadurch erlesen, dass der autor lapidar behauptet, es seien welche da (gewesen).

eine gute geschichte fängt erst da an, wo profane beschreibungen aufhören.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

Retep

Mitglied
Hallo lieber bluefin,

dein Kommentar klingt wie immer gut, aber:

wenn ersichtlich nichts zwischen die ackerzeilen gepflanzt wurde, kann man nichts finden
Vielleicht solltest du deine Ansicht nicht verallgemeinern. Wenn für dich etwas nicht "ersichtlich" ist, muss es für andere nicht so sein.

Gruß

Retep
 
H

Heidrun D.

Gast
Liebe Peter,

mir gefällt deine Kurzgeschichte, in die ich mich leicht einfühlen kann.- Zeigt sie doch einmal mehr die Unfähigkeit der (meisten) Menschen, auf Dauer zu lieben.

Formal gesehen freut es mich, dass es dir immer öfter & besser gelingt, dich auf das Wesentliche zu beschränken, für mich eine Grundvoraussetzung gelungener Kurzgeschichten (wie der Name schon sagt ;)).

Die Protagonisten scheinen mir "austauschbar", zeigen sie doch letztendlich das "gleiche" Verhalten (ein weiterer Pluspunkt dieser Story).

Also: Juuut!
Heidrun
 

Kafkarules

Mitglied
hallo retep,
ich würde mein Feedback zum Text nicht zu krass formulieren wie bluefin, denn ich finde schon, dass der Text etwas aussagt oder dass er etwas erzählt, was wert ist erzählt zu werden. Nicht überzeugt hat mich aber, wie Du das Thema darstellst. Mir kommt der Text wie ein großes Durcheinander vor, wo Du zwischen Orten, Personen und Zeiten hin und herspringst. Eine gute Kurzgeschichte hat für mich mit einer guten Struktur zu tun und einer kompakten Gestaltung. Nicht gut finde ich zunächst den Einstieg. Ich würde eine Geschichte nicht mit "Danach" beginnen. Außerdem erschließt sich mir nicht, warum der Mann auf einen Anruf von ihr wartet. Warum ergreift er nicht selbst die Initiative und kämpft um seine Liebe und ruft die Frau an?
Vielleicht wäre es besser, die 3 Tage in chronologischer Reihenfolge zu erzählen.
Wichtig ist mir auch immer die Sprache und da finde ich, dass viele deiner Beschreibungen zu allgemein sind. Was z.B. habe ich mir unter "voller Zärtlichkeit hatte sie ihn geliebt" vorzustellen - da fände ich es besser, bestimmte Berührungen oder spezielle Handlungen der Person darzustellen. Zu allgemein sind auch Worte wie "ging" "sagte" oder sie "gingen nebeneinander". Hier könnte man stets fragen: Wie ging er? Wie sagte er es? Oder wie gingen sie nebeneinander? Dies kann man besser darstellen, indem man z.B. versucht für die Handlungen der Personen spezielle Beschreibungen zu finden (z.B. indem man unter "gehen" im Thesaurus nachsieht und dann ein anderes Wort wählt).
Den Schluss finde ich allerdings sehr gut, vor allem den letzten Satz.
Viele Grüße
kafkarules
 

Retep

Mitglied
Morgen Kafkarukes,

ich würde mein Feedback zum Text nicht zu krass formulieren wie bluefin, denn ich finde schon, dass der Text etwas aussagt oder dass er etwas erzählt, was wert ist erzählt zu werden.
- so sehe ich das auch

Mir kommt der Text wie ein großes Durcheinander vor,
- das höre ich zum ersten Mal

- Das eine kompakten Gestaltung fehlt, meinst du. Ich hörte schon öfter das Gegenteil.

- Mit "danach" zu Beginnen halte ich für einen guten Einstieg und nicht nur ich.

Wichtig ist mir auch immer die Sprache und da finde ich, dass viele deiner Beschreibungen zu allgemein sind.
- das mag sein, das kann man sicher besser beschreiben, statt nur zu erzählen

Den Schluss finde ich allerdings sehr gut, vor allem den letzten Satz.
- freut mich. Den letzten Satz finde ich auch gelungen.

Ich danke dir, dass du dich mit dem Text beschäftigt hast. Wegen solcher konstruktiven Kommentare stelle ich meine Texte hier ein.

Gruß

Retep
 

raggedy

Mitglied
Die story ist gut; das Thema auch. Denn ganz gleich wie oft diese Geschichte schon passiert sein mag, jeden Erzaehler (be)trifft es auf seine ganz eigne Art.
Ich stimme allerdings mit ((Kafkarules)) darin ueberein, dass Du die Handlung etwas straffer organisieren solltest. Am besten wohl chronologisch. Den Hoehepunkt der story wuerde ich nach dem Liebesakt plazieren. Ich wuerde den Erzaehler dann in die Ernuechterung schicken.

Eine Unklarheit: der Tagebucheintrag der Frau. Normalerweise waere der Eintrag nur ihr bekannt. Wieso kennt der Erzaehler ihn?
 

Retep

Mitglied
Werde deine Vorschläge bei einer Überarbeitung überdenken.
Das Tagebuch hat sie ihm nach der ersten Trennung geschenkt,
hatte es für ihn geschrieben.
Das kommt nicht rüber, weiß ich.

Gruß

Retep
 



 
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