Reisen Amazonas

3,00 Stern(e) 1 Stimme

Volker Alzey

Mitglied
Soledades

Die träge Fahrt auf den Verzweigungen des Amazonas hatte mich reizbar gemacht. Ich hatte damit begonnen, die Verse meines Verwandten Luis de Góngora vor mich her zu sagen. Umzingelt von den Mauern des Urwalds, erhielt dessen Hymne auf die Natur einen schauderhaften Klang. An irgendeinem Abend steuerte das Schiff auf das wuchernde Ufer zu. Ein Ladino sagte mir, ich wäre fast da. Irgendwo zwischen Itaituba und der Verästelung des Tapajós ging ich von Bord.
Von der Luft durchnässt erreichte ich Mission. Ich suchte die Kirche auf und betete. Mein Gebet war die Frage eines Zweifelnden. Wie kannst Du der Schöpfer dieser Hölle sein? fragte ich Gott.
Ich trat aus der Kapelle. Es war bereits dunkel. Ich schloss die Augen und lauschte dem Zirpen der Grillen, das mich an die violetten Abende zu Hause am Guadalquivir erinnerte. Ich döste gerade im Schatten einer der weißen Mauern Córdobas, als eine Hand sich auf meine Schulter legte. Ich drehte mich um und erblickte ein hohlwangiges Gesicht. Der Mann stellte sich als José Neves vor. Er war der Leiter der Mission.
Er führte mich in ein dürftig erleuchtetes Zimmer. Wir setzen uns an einen Tisch, auf dem eine halbvolle Flasche Schnaps stand. Jetzt, im Zwielicht, machte die Erscheinung des Missionars einen heillos kranken Eindruck auf mich. Nu wenige seiner Worte sind mir im Gedächtnis geblieben. Er sagte: „Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sind im Urwald zwei miteinander austauschbare Begriffe. Womöglich schon nach zehn Jahren, die Sie an diesem gottverlassenen Ort dahin vegetiert sein werden, werden Sie die erniedrigende Dimension dieser Worte nachempfinden. Wie armselig wir doch sind, Sie und ich!“
Ich fühlte mich beleidigt und wollte etwas entgegnen, aber ich spürte, dass er Recht hatte. Ich wusste, ich würde bleiben müssen. Ich erinnerte mich an die Kette von Umständen, die zu der Reise geführt hatte. Ihr erstes Glied ist die Lektüre einer Biografie über meinen Ahnen Góngora. Ich mag zwölf gewesen sein, als ich den Wunsch verspürte, Priester zu werden. Wo befände ich mich heute, dachte ich, hätte der Zufall mir beim Stöbern in der Bibliothek meines Vaters Marco Polos Reisebericht oder »Tausendundeine Nacht« zugeführt, und nicht Sepúlvedas‘ fadenscheinige Schriften. Die Entstehungsgeschichte des Neuen Testamentes mag mich von der Notwendigkeit meiner Reise bestärkt haben.
In den folgenden Tagen machte mich der Missionar mit den Regeln der Mission vertraut. Eines Nachts verschwand er.
Es gibt Menschen, die ihre Einsamkeit hüten. Mein Ahne Góngora war einer von ihnen. Irgendwo in seinem Werk steht, die Einsamkeit sei ein Ort der künstlerischen Ausgestaltung einer Welt von Fantasien. Doch während der zwanzig Jahre, die mich der Urwald verschloss, gelangen mir nur hölzerne Zeilen. Die Einsamkeit, die der Dschungel mir einverleibte, machte mich stumpf gegen die Schönheit meiner Muttersprache. Auch jetzt noch, nach einem halben Jahr zurück in Córdoba, sträuben sich die Wörter gegen das Erzählen. Das Zirpen der Grillen weckt unliebsame Erinnerungen in mir. Ich habe die Verse meines Verwandten verbrannt und leugne meine Herkunft. Ich besuche die geselligen Stunden der Märkte und suche Zerstreuung in Gesprächen mit anderen Bettlern.
 

Eve

Mitglied
Hallo Volker,

erstmal herzlich Willkommen auf der Lupe!

Und nun zu deinem Text, um den es ja eigentlich geht ;-) ein interessantes Thema, mit angenehmer Sprache umgesetzt. Aber eben war man noch in der Geschichte, eben ist das Lyr. Ich angekommen, schon sind Jahre vergangen, schon ist er wieder zurück in Cordoba. Es passiert alles zu schnell. Der Anfang ist ausführlich, nimmt fast 3/4 des Textes in Anspruch - und Zack! handelst du 20 Jahre in drei Zeilen ab, in zwei weiteren Zeilen teilst du mit, dass er wieder in Cordoba weilt - und der Schluss rast in wenigen Zeilen an einem vorbei.

Schade, weil du zu Beginn tolle Bilder geschaffen hast und Interesse weckst. Mindestens müsste der Hauptteil so lang wie der Anfang sein, du könntest beschreiben, was passiert, dass er sich am Ende so leer fühlt, dass er nicht über seine Erlebnisse schreiben oder sprechen kann. Das Ende wiederum ist okay, führt langsam weg und zeigt, wie das Lyr. Ich mit seinen Erlebnissen umgeht bzw. wozu sie ihn gemacht haben.

Ich würd's toll finden, wenn du den Hauptteil ausbautest ... dann könnte ich meine Neugier stillen ;-)

Viele Grüße,
Eve
 



 
Oben Unten