Rekortage.

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pleistoneun

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Drei Freunde wollten seit Jahren ins Buch der Rekorde. Einfälle hatten sie genug, aber entweder kam ihnen ein Rekord zuvor oder sie wurden für ihre Darbietungen beim Buchverlag ausgelacht. Nach vielen rekordlosen Tagen blendete wieder mal ein Geistesblitz, der schnurstracks ins sagenumwobene Buch der Rekorde führte. Es war der Plan, 100 Tage lang, jeden Tag einen bestehenden Rekord zu überbieten und zudem eine völlig neuartige, noch nicht da gewesene Höchstleistung zu erbringen. Diesen Einfall hatte wohl noch niemand vor ihnen.

Der Ausgangsversuch war die Strickleiternummer: 15 Strickleitern solange mit dem Kopf balancieren, bis man in vietnamesischer Landessprache den Unabhängigkeitsvertrag von St. Germain auswändig konnte. Diesen Rekord täglich zu toppen war kein Problem - man erhöhte die Zahl der Strickleitern. Das gabs noch nicht, das wollte niemand nachahmen und machte in der Umsetzung wenig Schwierigkeiten.

Die Aufgaben der nächsten Tage waren weitere Strickleitern balancieren, Matjesheringe mit Zehen entgräten, 10.000 Meter kraulend in 30 min. mit 1.000 Kaffeebohnen im Mund, Heißluftballonsprünge mit und ohne Fallschirm, viszerales Speedpiercing, nukleare Bestrahlungsnummern, Pferdehufnageln, Maibaumentwurzeln, Apfel-, Birnen-, Kirschkernlutschen und Extremdauermalen.

Die Tage vergingen und alles schien nach Plan zu laufen, als um den 65. Tag der Staatsvertrag allmählich seine wahre Länge zeigte, denn die Strickleitern waren über die zu sprechende Distanz kaum noch zu balancieren. Doch man wollte das bisher Erreichte nicht wegen einer solchen Lapalie zunichte werden lassen und kürzte kurzum den Text.

Am 100. Tag traten sie für den letzten Finalakt an die Öffentlichkeit. Dutzende Kameras aus mehreren Ländern standen bereit und eine stattliche Anzahl Schaulustiger begrenzte das Areal, das zum Schauplatz des aufwändigsten, je produzierten Rekordes, werden sollte. Es ging los. Der Strickleiternhaufen wurde gepackt und der gekürzte Text des Staatsvertrages flüssig und fehlerlos in vietnamesischer Sprache aufgesagt. Der Versuch glückte, das Publikum applaudierte und die Zeitungen schrieben von einem "eisenern Vorhaben dreier Freunde, das die Welt verändert hat".

Die drei hatten ihr Ziel also erreicht. Alles schien in bester Ordnung, als plötzlich das Land aus der Luft angegriffen wurde. Vietnamesische Tiefflieger bombardierten alles, was höher als ein Hydrant und aus Beton war. Man zerstörte alle Städte und bewohnbare Gebiete wurden zu Asche und Staub. Die Menschen mussten hilflos mitansehen, wie die vietnamesische Streitmacht mit einem Schlag einem ganzen Volk das Garaus machte.

Wie sich erst viel später herausstellte, war der Grund des Angriffs eine fehlerhafte Übersetzung der Völkerverbundssatzung des stark gekürzten Staatsvertrages. Vietnam wurde darin beschimpft und sie sollten sich zu einem Kampf herausgefordert fühlen. Ob die drei Freunde die Welt mit ihrem Rekordversuch wirklich verändert haben?
 



 
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