Rocker - Wir verloren Tom

4,00 Stern(e) 5 Bewertungen

bluesnote

Mitglied
Lost Johnny – Motorhead




Rocker – Wir verloren Tom


Tom Raid erwachte in einem Krankenzimmer.
Das letzte, an das er sich erinnerte, war der heiße Asphalt, auf dem er lag. Dann war da das tosende Whap, Whap, das von den drehenden Rotoren eines Hubschraubers stammen mußte. Er sah einen Mann in signalroter Uniform mit der Aufschrift „NOTARZT“.
Ihm wurde klar, er hatte seinen Bock verlassen.
Er hatte den großen Abflug gemacht, war unfreiwillig vom Sattel gestiegen. Tom faßte sich an den Kopf, er hoffte, das sein Schädel auf diesem Flug nicht all zuviel mitgenommen hatte.
Freeway Riders. Ja, er war Rocker, und die Truppe würde sich um ihn kümmern – in der nächsten Zeit.
Vorerst aber mußte er dringend pinkeln und Durst hatte er auch. Er stand auf.
Das weiße Zimmer, die Krankenliege und diese merkwürdige Stille. In seinem Kopf zuckte es einmal schmerzlich, noch einmal betastete er sein Haupt.
Er betrat das WC, die Einrichtung bestand aus Toilette, einem Waschbecken nebst Handtuchhalter.
Warum gibt es hier keinen Spiegel.
Zu gern würde Tom sehen, ob sein Gesicht noch ganz war.

Da sich niemand um ihn kümmerte und er im Zimmer auch keine Notschelle vorfand, zog er seinen Lederkombi an ( welcher Rocker will schon im Nachthemd unter Menschen) und ging auf den Flur des Krankenhauses. Durch die Fenster sah er die Dämmerung hinein sickern.
Der Betrieb dieses Etablissements scheint sich auf die Nachtruhe vorzubereiten.
Er versuchte, seinen Gedanken die gewohnt, lässige Art zu verleihen. In einem Glaskäfig sah er die Nachtschwester, gekleidet in Intensivgrün, vertieft in einem Magazin.
Tom Raid fand die ganze Szene nicht gerade „Born to be Wild“, doch er würde sie fragen müssen, was Sache ist.
> N’ abend! <
Er stellte der Schwester die Frage seines größten Interesses, fragte nach dem Verlauf seines Schicksals, über das Wie und Warum und Weiter.

Weiter... ? Nichts. Die Schwester blieb stumm. Ja, sie sah ihn nicht mal, blätterte und blickte weiter in ihrem Hausfrauenblatt.
Wenn sie ihn ignorierte, würde er dafür sorgen, daß sie reagieren mußte.
Er griff in seine Brusttasche links und in seine Brusttasche rechts, holte das gelbe Päckchen Revi ohne und ein Sturmfeuerzeug hervor.
Das Feuerzeug schnackte. Genüßlich sog er einige Male an der verknitterten Kippe.
Nichts! Keine Reaktion.
Er sprach sie erneut an, wurde lauter, schrie.
Zuletzt gab er auf.
Wenn die sich hier so zickig anstellen, geh ich lieber auf ne’ andere Party.
Tom drehte auf der Stelle und suchte den Ausgang.
Endlich draußen lockten ihn bunte Lichter. Er sah an sich hinab, einige Stellen seiner Lederkluft waren reichlich aufgeschürft. Aber er fand, es würde nichts ausmachen.
Das verleiht mir einen wilden Touch!

Tom erreichte die Kirmes, er brauchte jetzt dringend ein Bier.
An der Theke eines Bierschiffes gab er dem Whiskeykeeper seine Bestellung auf, doch auch hier wurde er überhört.
Er nahm sich ein Glas und drehte den Hahn selber auf.
Ahh, das tut gut.
Da sowieso niemand auf ihn achtete, vergaß er auch zu bezahlen und ging mit einem neuen Glas Bier in der Hand über den Platz.

Das Riesenrad drehte, Fahrgeschäfte verschleuderten kaltes Neonlicht. Karambolagen am Autoscooter, verliebte Pärchen Arm in Arm vor dem Hully Gully.
Er sprach ne Alte an, > Hey, Schickse! Ne Menge Trubel hier! <
Da war nichts zu machen. Die Kleine lächelte still vor sich hin und nahm den blonden Kerl neben ihr gar nicht wahr.
Du hast schlechte Karten!
Tom kam es in den Sinn, das es vielleicht kein Traum war, wie er am Anfang annahm.
Na, wenn das so ist!
Weiter vorn an dem sich wie irr drehenden Love-Bugs sah er einen Kumpel von der Konkurrenz. Auch in Leder gekleidet, mit einer Unmenge Pickel im Gesicht. Tom baute sich neben dem Typ auf, > Tach, Pickelfresse. Jetzt geht’s mal ab hier. Freifahrt! < Er stieß den Knaben zwischen die Fahrkörbe, sein Opfer kam nicht mal zu einem Schrei. Tom schmiß das leere Glas hinterher und wartete ab.

Der Fahrbetrieb wurde sofort eingestellt, Polizei und Notrettung bargen den Schwerverletzten, eine Menge Zeugen wurden befragt, die nur einen Sturz als Unfallursache angaben.
Tom stand die ganze Zeit daneben und grinste. Er stieß einen Polizisten die Mütze vom Kopf, stahl einem anderen die Dienstwaffe und rief die ganze Zeit: > ich war’s, ich war’s! <
Nach dieser Show kippte er einiges an Bier, stellte auch ab und an anderen Leuten was zu trinken hin. In einer Frittenbude stand Tom persönlich an der Friteuse und stellte sein eigenes Menü zusammen.
Am Ende des Kirmestages zückte er die Pistole und zielte zwischen Jugendlichen auf ein Brett mit aufgestellten Blechbüchsen. Immer, wenn jemand warf, schoß er auf eine Büchse und traf. Der Knall der abgefeuerten Kugel ging im übrigen Lärm zwar nicht unter, aber niemand sah den Grund des Kraches, der in der Luft hing.

Die letzten Lichter erloschen, bis auf das einsame der Straßenlaternen.
Born to Ride!
Tom’s Laune war auf dem Höhepunkt, als er die Harley unter einer Laterne stehen sah. Ganz und gar in Silber und mit gewaltigen Zylinderköpfen versehen.
Fachkundig knackte er die Karre, stieg auf und fuhr mit donnerndem Sound Richtung Highway.

Am Morgen hatte er die Schnauze voll von der Strasse, er war zurück in der Stadt. Er fand, nichts wäre langweiliger als der frühe Morgen. Aus Frust nahm er eine Zeitung aus einem Packen, der für die Zeitungsboten am Marktplatz auslag.
Tom setze sich auf den Bordstein und rauchte. Dabei las er.
Zunächst zwei Schlagzeilen auf Seite Eins: „Ein Schwerverletzter auf dem Jahrmarkt“ und „Leiche verschwunden aus dem Spital der Elisabethaner“, dann weiter über das Wetter auf Seite Drei und Sonstiges auf Seite Fünf. Auf der letzten Seite gelangte er zu den Traueranzeigen: Wir verloren Tom – Freeway Riders stand zwischen einem geblümten Rahmen zu lesen.

Er schnippte die Zigarette auf die Strasse, es war also wahr. Er besaß nun Gewißheit, es war kein Traum. Sein letzter Ritt führte ihn direkt ins Grab.
Tote brauchen keinen Spiegel! Es war eine Abstellkammer für Verstorbene, in die sie ihn geschoben hatten.
Ich bin lange tot und fast vergessen!
Er dachte daran, wie sie im Clubhaus ganz in der Nähe ihrer Bike’s einen auf sein Ableben heben würden.
Zufuß ( bei Tag war es ihm peinlich, ungesehen Motorrad zu fahren), marschierte er durch die Stadt. Es zog ihn zum Haus seiner Eltern, eine Hütte am Fuß einer staubigen Senke, von oben hinab zwischen Bäumen und einigen Büschen konnte er auf die Häuser des Armenviertels mit ihren rußgeschwärzten Wänden sehen. Er kniete auf seinen ledernen Knien im Gras ( er spürte den kalten Tau nicht mehr) und sah mildes Licht hinter einem Fenster aufleuchten.
Das ist sie, wenn sie morgens als erste aufsteht und Wasser für den Kaffee aufsetzt.
Tom dachte an seine Mutter und sah auf das Licht im Küchenfenster.
> Mutter <, flüsterte er, > Mutter. <

> Hey, Tom! <
Plötzlich standen sie neben ihm. Typen in grauschwarzem Leder. Seine Kumpel: Mark, Will, Charles und all die anderen, Freeway Riders, die lange vor ihm schon den Staub der Strasse gefressen hatten.
> Jetzt bist du nicht mehr allein. Na, deine Mami wirst du nun nicht wieder sehen, ab jetzt hast du uns. Für immer reiten! Für immer Rocker! <

Im Westen, September 2003
 
Hi blues,
klasse Geschichte, schöne "is mir doch scheißegal"- runtergeschrieben. Gibts nichts dran auszusetzen.
Den Schluss find ich nicht schwach, könnte aber stärker sein. Erinnert mich unheimlich an Ghostriders in the sky:

A bolt of fear went through him
as they thundered through the sky.
Oh, he saw the riders comin’ hard,
And he heared their mournful cry...

Man könnte jetzt am Schluss natürlich noch weiter gehn und den Rocker innerhalb der Geisterrocker beschreiben, ein paar moralische Zweifel einfügen, Angst, etc. etc.
Aber vielleicht wär das zu viel, vielleicht steckt da n´guter Bikerhorrorroman drin. Wer weiß es.
Jedenfalls kann ich mir gut vorstellen, wie er irgendwie melancholisch am Haus seiner Mutter seht, die alten Jungs kommen auf ihren fetten Maschinen angedonnert und holen ihn, damit sie endlich wieder zusammen auf den Highway können. Dann springt er bei einem hinten auf und plötzlich sind sie nurnoch eine Sandwolke, die über die Straße fegt und alten Damen die Röcke aufwirbelt.

Jaja, klasse Idee, diese Gruppe von Geistern, die noch ihren alten Neigungen nachhängen.

Gruss, Marcus
 

bluesnote

Mitglied
Geisterrocker - verdammt gute Idee

Hallo Michael, hallo Marcus.

Ich hab so viele Anregungen bekommen, das ich jetzt unheimlich Bock drauf hab, eine richtige Rockerstory zu schreiben.
Aber diesmal ist Schluss mit der Knuddelei, dann lass ich's richtig krachen.
Die Jungs sind aussen hart wie Stahl und innen weich wie Butter. Und es sind die Lilac Angels aus dem schmutzigsten Duisburg Ruhrort.
Und wenn ich endlich das richtige Passwort für mein Profil finde, klau ich die Zeilen vom Ghostrider und nehm sie für mein Signum, Marcus.
Damned, wird sowieso mal Zeit für ein neues!

Also, liebe Brüder und Schwestern, bis dann und grüsst mir die Genossen.

dirty bluesnote
 

Nina H.

Mitglied
>Warum gibt es hier keinen Spiegel.

Also hinter diesen Satz gehört ein Fragezeichen.

Ansonsten wars ganz witzig, mal etwas aus der Sicht eines Rockers zu lesen, also mal eine ganz andere Denkweise als die meine kennenzulernen ;-)
 

bluesnote

Mitglied
Ne Menge Haken!

Hallo Nina.

Tom kommt wieder. Diesmal mit den Perros und den Hijas del Camino.

In der Story sind eine ganze Menge mehr Haken. So müsste z.B. der Krankenschwester auffallen, wenn Toms Feuerzeug in der Luft hängt und aufflammt.
Ich hab die Geschichte aber noch in Arbeit. Das Ding wurde ganz umgeschrieben und kommt in den nächsten Wochen raus.
Darin gehts um eine Gruppe Outlaws, die sich gegen die Gesellschaft wehren und an mehreren Fronten kämpfen müssen.
Also, die Harley ist noch lang nicht in die Garage geschoben und Tom geht wieder auf die Strasse, diesmal kommt er mit Verstärkung.

Viele Grüsse.

Udo
 



 
Oben Unten