Rosen

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Raniero

Textablader
Rosen

„Dreh dich nicht noch einmal um ....“
So oder ähnlich begann der Text einer Schnulze aus den Fünfzigern, zu der einst unsere Altvorderen das Tanzbein schwangen. Ein nettes kleines Lied, vom Ursprung her aus dem Französischen mit dem Originaltitel ‚La vie en rose’, ein Leben in Rosen gebettet.
Sehr schmalzig und banal, Titel wie Text, im Original und auch in der deutschen Übersetzung, und dennoch oder gerade deswegen wurde dieses Lied damals ein Hit, wie man heutzutage formuliert, Schlager oder Gassenhauer, wie es früher hieß.
Ein kleines Lokal an einem oberitalienischen See, in einem Ort, an dem der verwelkte Glanz früherer Epochen noch zu verspüren war. Hier hielt ich mich oftmals auf, des Abends, in den Stunden, die auf Mitternacht zugingen. Dieses Lokal war bis zum Ende der Saison durchgehend geöffnet, in der Woche.
In den Abendstunden spielte ein Pianist, der sich selbst vokal begleitete; nicht zum Tanze, dafür eignete sich diese kleine Bar nicht, sondern mehr zur Unterhaltung, zur Untermalung der eigenen Reflexionen beim Genießen des herrlichen Seeblicks und der umliegenden Landschaft.
So auch an diesem Abend im September; das Lokal war nur spärlich besetzt, als ich es betrat. Wie an jedem Abend saß der Pianist bereits am Klavier und spielte auf; er begrüßte mich mit einem Handzeichen, wie einen Stammgast. Ich nahm Platz, orderte meinen Drink und schaute mich ein wenig um. In unmittelbarer Nähe des Pianos saß eine kleine gemischte Gruppe, drei Damen und zwei Herren, allesamt im fortgeschrittenen Alter. Außer diesen Personen und mir befanden sich nur noch zwei weitere männliche Gäste, die an der Theke Platz genommen hatten, in der Bar.
Wie ich schnell bemerken konnte, spielte der Mann am Klavier an diesem Abend speziell für diese kleine Gruppe an dem Tisch, die in ständigem Blickkontakt mit ihm standen; es handelte sich wohl um so eine Art Wunschkonzert für diese Gäste.
Insbesondere fiel mir aus dieser Gesellschaft eine Dame Mitte Fünfzig auf, die, so schien es, mit dem Maestro flirtete; vielleicht ist flirten nicht der richtige Ausdruck, aber sie hing an seinen Lippen und hatte scheinbar die Welt um sich herum vergessen, während er seine Texte sang.
Nach jedem Stück gab es höflichen Beifall, nicht nur von den anwesenden Gästen, sondern auch vom Mann hinter der Bar wie auch von der Kellnerin, und ein jedes Mal setzte eine lebhafte, im scherzhaften Plauderton geführte Unterhaltung ein zwischen dem Pianisten und der kleinen Tischgesellschaft, über die Auswahl und die Interpretation der Lieder.
Ein neues Stück begann, ‚La vie en rose’. Als der Klaviervirtuose nach ein paar instrumentalen Einführungsakkorden zu singen begann, vollzog sich etwas Seltsames. Die Dame, die bisher schweigend an seinen Lippen gehangen hatte, sang den Text mit und blickte den Pianisten dabei mit einem Ausdruck von Glückseligkeit, fast einer geistigen Entrückung an, der mich fassungslos machte.
Auch die übrigen Anwesenden schienen ähnlich zu fühlen; alle schauten wie gebannt auf dieses kleine Intermezzo des im Gesang vereinigten Paares.
Irgendetwas vollzog sich da vor unseren Augen, irgendetwas zwischen den beiden, dessen wir nicht habhaft werden konnten.
Im Anschluss an diesen Liedbeitrag gab es einen außerordentlichen Beifall. Jemand forderte eine Zugabe, doch die Sängerin wehrte bescheiden ab, und nach einigen scherzhaften Floskeln des Pianisten setzte dieser zu einem neuen Stück an.
Er spielte noch eine Zeitlang, und ich beteiligte mich auch an dem Wunschkonzert und erbat das Lied des viel zu früh verstorbenen ehemaligen geistigen Kopfes der Beatles, in welchem dieser seinerzeit die Welt aufforderte, sich ein Dasein ohne Paradies und ohne Inferno vorzustellen.
Doch so schön dieser Song, so schön auch der weitere Klaviergesang sich an diesem Abend gestaltete, der einmalige Augenblick der Verzauberung, der Verzückung, wie wir ihn alle beim ‚La vie en rose’ verspürt hatten, stellte sich nicht mehr ein.
Kurz vor Abschluss meines Aufenthaltes in dieser herrlichen Gegend bemerkte ich, als ich nach einem morgendlichen Ausflug mein Hotel aufsuchen wollte, einen Trauerzug, der aus einer kleinen Kirche unmittelbar neben meinem Urlaubsdomizil heraustrat. Ich war ein wenig irritiert; zum ersten, weil ich dieses Gotteshaus, an dem mich mein Spaziergang täglich vorbeiführte, kaum wahrgenommen hatte, bis zu diesem Zeitpunkt, zum anderen, weil ich auf eine Beerdigung während eines Ferienurlaubes nicht gefasst war.
Als ich näher herantrat, bemerkte ich, dass einem der Trauernden ein kleines Bild aus der Hand gefallen war. Er hatte es nicht bemerkt; ich bückte mich und hob das Bildchen auf, um es ihm zurückzureichen, als ich wie erstarrt innehielt.
Das Bild enthielt eine Photographie der Dame, die zwei Wochen zuvor in der kleinen Bar so innig das Lied vom Rosenweg gesungen hatte!
Erschüttert wandte ich mich an den Trauernden, dem das Photo entglitten war und fragte ihn, nachdem ich ihm zuvor von der Begegnung in der Pianobar berichtet hatte, was geschehen sei.
Er teilte mir mit, den Tränen nahe, dass diese Dame zum Sterben an diesen Ort gekommen war. Sie hatte hier in früheren Jahren viele Male ihre Ferien, die schönsten Tage des Jahres, wie man zu sagen pflegt, verbracht; dieser Ort war ihr über diesen langen Zeitraum zur zweiten Heimat geworden, und so hatte sie, als sie erfuhr, dass ihr nur noch ein sehr kurzer Zeitraum zum Leben vergönnt war, den einzigen Wunsch gehabt, ihre letzten Tage hier zu verbringen und an diesem Fleckchen Erde ihre ewige Ruhestätte zu finden.

Ein jedes Mal, wenn ich dieses Lied, diesen Schlager oder diese Schnulze, wie immer man es auch nennen möge, höre, erinnert es mich an die Vergänglichkeit unseres Lebens.
 
H

HFleiss

Gast
Das ist eine runde Geschichte, ein Streulicht, anekdotenartig, ein bisschen nahe der Rührseligkeit anno Neunzehnhundert, ich hätte mir ein wenig Verfremdung gewünscht. Der letzte Satz irritiert mich, er scheint mir überflüssig, so ein bisschen: Was lernt uns das? Verzichte darauf.

Lieben Gruß
Hanna
 

Raniero

Textablader
Hallo Hanna,

es freut mich, dass Dir diese kleine Story gefallen hat.
In Bezug auf den letzten Satz muss ich Dir Recht geben, er kann besser unterbleiben.

Gruß Raniero
 



 
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