Rote Fäden

Janosch

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Das Leben ist wie verschütteter Rotwein, der sich tief in die feinsten Fasern meiner Hose frisst, um selbst teuer erworbenen Hochleistungswaschmaschinen ihre Grenzen aufzuzeigen. Da hilft kein Schrubben und kein Schleudern; der weinrote Fleck will und will beim besten Willen nicht die verzweigten Stoffgefilde des angepeilten Unterschlupfs von seiner munteren Hartnäckigkeit entlasten. Nein schlimmer noch: er dehnt sich aus! Wie ein sich ankündigender Tsunami, der die verzweifelnde Machtlosigkeit ganzer Zivilisationen unter sich begräbt. Langwierig aufgebaute Existenzgrundlagen verpuffen in Sekundenbruchteilen am Fingerschnipsen der eigenbrödlerischen Naturgewalt.
Tiefer und tiefer dringt das Rot in meiner Hose vor. Doch ich denke nicht an Resignation und habe mir inzwischen eine Hand voll der effektivsten Chemikalien gekrallt. Von der aufrüttelnden Triebhaftigkeit meines blinden Wahnsinns umklammert, schütte ich von allem etwas auf die fiesesten Stellen ohne mir Zeit für vernunftbegabte Gedankenspielereien, geschweige denn die Verpackungsbeilagen zu nehmen. Und da es immer kommt wie es kommen muss, versagt die schnöde Chemie auf ganzer Linie. Doch immerhin verpasst sie mir einen gehörigen Denkzettel, der sich in Form von brodelnden Hautschichten und fortbestehenden Furunkeln in mein Gedächtnis brennt. Und alles nur wegen dem sich ausbreitenden Rotwein! Alles nur der machthungrigen Gesellschaft wegen, die auf den Straßen ihre Artgenossen zusammentrommeln, um flüsternd, spottend, keifend ihrem Überlegenheitsdrang zu frönen. Wer unter einer Decke steckt, der muss die Kälte nicht fürchten. Und ich tanze mit meiner rotweinbefleckten Hose aus der Reihe. Und da ich nach wie vor der ursprünglichen Gestalt meiner Hose nachtrauere; einer Gestalt, die mir ob ihrer Normkompatibilität Wärme aller Decken versprach; bin ich verletzbar, verbarrikadiere mich, verschließe die Türen hinter mir. Bin ich alleine, so kann niemand mit dem Zeigefinger schwingen. Das beruhigt mich und meine Hose zunächst einmal, doch bin ich ein soziales Wesen und fange ich an zu vereisen ohne den Gemeinschaftseffekt.
Der rote Fleck hat mittlerweile über die Hälfte meiner ursprünglichen Hosengestalt rekrutieren können, wodurch es nicht gerade einfacher wird. Ich hege Kapitulationsgedanken. Ich lasse die Dinge über mich ergehen. Vielleicht sollte man sich hier und da mit Flecken abfinden, die weder löschbar noch in ihrem Ausbreitungstrieb zu stoppen sind. Vielleicht sollte man beginnen seine Hose zu akzeptieren, egal durch welches Missgeschick oder welchen Schicksalsschlag sie ihre Gestalt zu ändern beginnt. Vielleicht steht mir meine Hose nur dann, wenn Ich zu Ihr stehe.
Unterwegs auf leicht und stark besiedelten Straßen versuche ich krampfhaft in Gleichgültigkeiten zu schwelgen. Der rote Wein, der sich auf meiner Hose breit macht, tut das selbige mit mir, wenn ich meine Zellen damit füttere. Das macht es leichter. Auf diese Weise kann ich mit dem Rot verschmelzen; sämtliche Identifikationsprobleme unter den Tisch trinken. Und eines Tages,
eines Tages werde ich blinzelnd ein stilles, sanftes Morgengrauen begrüßen, noch mit leichtem Schädelbrummen vor den Spiegel stolzieren und meine Hose wird in gänzlicher Röte erstrahlen. Jede einzelne Faser. Von Hosenstall bis Arschtasche. Und dann, ja dann wird es gut sein.
 



 
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