Rübezahl und Loreley

disul

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Ob aus den beiden Geschichten eine Trilogie wird?

Warum Rübezahl sein fröhliches Gemüt verlor

Jeder Riese, der noch jung an Jahren, musste zu gegebener Zeit seine Heimat verlassen und sich auf Wanderschaft begeben.
So schnürte auch Rübezahl aus dem Riesengebirge eines schönen Tages sein Bündel und machte sich auf den Weg. Von Bergen hatte er gehört, die so hoch wären, dass sie das ganze Jahr über von Schnee bedeckt seien, und die noch kein Mensch je erklommen hätte. Diese Berge zu sehen, nahm er sich vor, und er gedachte, zuerst nach Westen und dann in Richtung Süden zu wandern.
Rübezahl war ein gutmütiger, fröhlicher und aufgeschlossener Kerl. Den Menschen war er wohlgesonnen, und kaum jemand hatte Angst vor ihm, obwohl er von grosser und kräftiger Gestalt war.
Nach einigen Tagen erreichte er den Brocken. Es war schon am Eindunkeln, und im Osten, wo die Nacht den Tag schon besiegt hatte, funkelten bereits die ersten Sterne am Himmel. Kaum tauchte der Mond am Horizont auf, spürte Rübezahl einen heftigen Windstoss, und im Nu legte sich ein nebliger Schleier um den Wanderer. Alle Geräusche der hereinbrechenden Nacht verebbten im Nu. Nur noch das weit entfernte Heulen eines Hofhundes war zu vernehmen. Rübezahl, der keine Furcht kannte, blickte neugierig um sich. Da, etwa drei Schritte von ihm entfernt, sah er eine etwas dunklere Stelle in dem nebligen Grau. Langsam löste sich der Nebel auf und vor ihm stand ein schwarzgewandetes Weib mit einem Stab in der Hand. Er trat auf das Weib zu und begrüsste es in seiner gewohnt freundlichen Manier. Schnell vertieften sich die beiden in ein angeregtes Gespräch. Rübezahl erfuhr vieles, was ihm bisher unbekannt war: Über das Leben und Treiben der Hexen, über ihren berühmten Hexentanz, über die Länder rund um den Harz, über die langen Flüsse, die diese Länder durchquerten, und über die Wesen, die in ihnen hausten. Von Loreley erzählte das Weib. Schön wie der Himmel sei sie, lieblich, mit langem, blondem Haar, dass sie mit ihrem goldenen Kamm seidig glänzend kämmte. Rübezahl hing an der Hexe Lippen und erlabte sich an ihren Worten. Alles, was er wissen wollte, erfuhr er über Loreley. Und je mehr er hörte, desto mehr erbrannte er in Liebe zu ihr.
Eins war ihm jetzt schon gewiss: Sobald der neue Tag anbrach, wollt er sich aufmachen, dorthin, wo seine Angebetete hauste. Dort, wo der Rhein seine tiefste und schmälste Stelle hatte, würde er sie auf einem Felsen finden, ihr Goldhaar kämmend, so schön und rein wie der neue Tag. Und von dort wollte er sie mitnehmen in seine Heimat, und sie lieben Tag um Tag und Jahr um Jahr.
Es war noch früh am Morgen, als sich Rübezahl auf den Weg machte. Er holte fest aus und erreichte schon nach weiteren drei Tagen den Rhein. Eilends schritt er auf die Stelle zu, wo er seine Angebetete finden musste. Die Sonne zeigte bald Mittag. Und da sah er sie. Schöner, lieblicher, anmutiger, als er sie sich je hätte vorstellen können. Ohne zu zögern trat der in Liebe entbrannte Riese auf Loreley zu, nahm sie auf seinen starken Arm und fragte sie unverzüglich, ob sie sein Weib werden und mit ihm in seine Heimat ziehen wolle. Loreley brach in ein schallendes Gelächter aus, und wand sich wendig aus den Armen des überraschten Rübezahl. Sie setzte sich, wie wenn nichts geschehen wäre, auf den Felsen über dem Rhein, kämmte ihr blondes Haar mit dem goldenen Kamm und lachte, und lachte.
Rübezahl blieb mit Tränen in seinen Riesenaugen am Ufer des Rheins stehen. Erst, als die Sonne schon weit nach Mittag zeigte, drehte er sich um. Enttäuscht, gebückt und voller Gram machte er sich auf den Heimweg.
Die Menschen erschraken, als sie den Riesen nach wenigen Tagen wieder zu Hause sahen. Da kam ein wortkarger, bärbeissiger Bursche, gar garstig und boshaft in seinem Wesen. Und viele fürchteten ihn fortan, und dies nicht nur, weil er von grosser und kräftiger Gestalt war.

Warum Loreley ihr Lächeln verlor

Hoch über den Felsklippen und Stromschnellen sass sie auf dem mächtigen Schieferfelsen und kämmte ihr langes, blondes Haar mit dem goldenen Kamm. Es glänzte wie der feuchte Tau, der sich am frühen Morgen in den Gräsern am Ufer des Rheins verfing. Sie war so schön; schöner, als dass je ein Schiffer und Flösser ein Wesen gesehen hatte. Sie lächelte und bezauberte jedermann.
Sie schaute dem Riesen nach, der sie eben noch auf seinen starken Arm genommen hatte und sie fragte, ob sie sein Weib werden und mit ihm in seine Heimat ziehen wolle. Loreley war nach in ein schallendes Gelächter ausgebrochen, hatte sich wendig aus den Armen des überraschten Rübezahl befreit und hatte sich, wie wenn nichts geschehen wäre, auf den Felsen über dem Rhein gesetzt. Sie hatte ihr blondes Haar mit dem goldenen Kamm gekämmt, und sie hatte gelacht und gelacht.
Sie sah den Riesen mit Tränen in den Augen am Ufer des Rheins stehen, und sie sah, als er - die Sonne hatte bereits die Hälfte ihrer Tagesreise vollbracht - gebückt von dannen zog.
Tag, Wochen zogen ins Land.
Immer öfters kreisten die Gedanken der schönen Loreley um den von ihr zurückgewiesenen Rübezahl. Er war nicht der erste, den sie verschmäht hatte. Prächtige Prinzen, einfache Bauernsöhne, weitgereiste Kaufmänner, junge Gesellen hatten bereits um ihre Hand angehalten. Und alle hatte sie abgelehnt, wohlmeintlich, dass es noch einen Besseren, einen Schöneren, einen ihrer Würdigeren gäbe.
Sie konnte nicht umhin, sich einzugestehen, dass sich ihre Gedanken, länger als ihr lieb war, um den starken Kerl drehten, der sie, einer Feder gleich, auf seine kräftigen Arme gehoben hatte. In Erinnerung daran durchströmte sie ein beruhigendes Gefühl der Geborgenheit und des Behütetseins, so wie sie’s noch nie empfunden.
In ihrer Erinnerung sah sie in seine Augen, wie in dem Moment, nur ganz kurz, als er sie bat, seine Frau zu werden und nichts Falsches oder Arglistiges konnte sie seinem Blick entnehmen.
Nie hatte es ein Bursche gewagt, sei er nun Edelmann oder gemeiner Geselle, sie so freimütig, geradeheraus, ohne Schmeicheleien und Komplimente anzusprechen.
Und so kam es, dass Loreley auf dem Felsen hoch über dem Rhein sass, ihr blondes Haar mit dem goldenen Kamm kämmte und dabei nur an den Riesen dachte, der als bisher einziger gar mutig und überhaupt nicht unterwürfig war, und den sie so schmählich behandelt hatte und ohne ein Wort von dannen ziehen liess.
Und je mehr sie über ihn nachdachte, desto mehr entbrannte sie in Liebe zu ihr. Eins wurde ihr jetzt schon gewiss: Sie musste alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihn dazu zu bewegen, zu ihr zurückzukommen und ihre, ihrer tiefsten Seele entspringende Entschuldigung anzuhören. Und dann, wer konnte wissen, was dann geschah?
Und also tat sie, was sie tun konnte, und sie begann zu singen, da ihr das Laufen selber unmöglich war. Und ihr Gesang war so schön wie der reine Tag, so hell, wie der hellste Glockenklang, so wunderbar und prächtig, wie noch nie jemand vorher ein einen gehört hatte.
Die Rheinschiffer waren verzückt und lauschten gebannt den unglaublich schönen Klängen, die gefährliche Strömung und die Felsenriffe nicht mehr beachtend. Ihre Schifferboote zerschellten kläglich. Eins ums andere.
Sie dachte nur noch an den Riesen, den sie von ganzem Herzen liebte und dem sie mit ihrem Gesang den Weg zu ihr weisen mochte.
Tage, Wochen, Jahre zogen ins Land.
Loreleys Lächeln, das jedermann bezaubert hatte, verschwand von ihrem Antlitz, und sie wurde traurig und trauriger. Aber ihre Liebe wurde grösser und grösser, und sie nährte Tag um Tag ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen und sie sang und sang. Immerdar.

© by disul
 
F

Franziska Franke

Gast
interessante Verknüpfung von Geschichten, die ich so nicht zusammen gebracht hätte
 



 
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