Samhain | Totentanz

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astarte

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Sieh' die schwarzen, alten Bäume
zitternd wachen an der Pforte,
sich ergeben in den Winter
an dem dunklen, kalten Orte
Hör' die Glocken ferne läuten,
den Toten seien sie zur Ehr -
bald schon lüftet sich der Schleier,
es ist die Zeit der Wiederkehr

Stille tauchen aus dem Nebel
all die Seelen alter Zeiten,
irren suchend auf den Pfaden,
die sie einst hatten zu schreiten
In die neue Welt sie fliehen
aus den Jahrhunderten herab,
denn das Sehnen ist nicht müde,
ihnen zur Seit' ruht es im Grab

Rastlos strömen die Vergess'nen
aus jenem dunklen Grund empor,
streben aus der Nacht des Todes
hinaufzuwandeln durch das Tor,
um zu tanzen auf den Gräbern
ekstatisch wirbelnd mit dem Wind,
eng verschlungen ihre Leiber,
die lange schon verfallen sind

Atmend den schweren Erdenduft
und der Sinnlichkeit gedenkend,
sich mit staubiger Leidenschaft
dem Leben entgegen schenkend,
des Daseins Fieber erahnend,
finden zum Feste sie sich ein
um zu schmecken von dem Brote,
zu trinken einmal noch vom Wein

Wie dereinst mit allen Fasern
sie gierig darben nach Genuß,
trunken von Erinnerungen,
flehen herbei den süßen Kuß,
den sie noch im ew'gen Schlafe
wähnen zu spüren auf dem Mund
und verzweifelt hallt ihr Lachen
weither hinaus zu später Stund'

Viel zu schrill und viel zu trotzig
tost es durch die kahlen Bäume,
weh sich wiegend mit den Schatten
dringt es ein in uns're Träume
Durch die Welten braust es zornig
entlang der Zeitenalter Bruch,
läßt erschaudern die es hören
- das Requiem der Lebenslust
 
@ astarte

Die ägyptische Göttin der Liebes- und Kriegskunst steht hier deutlich mit der ehrwürdigen Form der "Ballade" auf Kriegsfuß.
Die Wortwahl des Textes ist im Allgemeinen anspruchsvoll. Somit stimmten eigentlich die Zutaten, aber das Menue misslingt, es ist "unausgegoren". Möglicherweise ist es der Autorin nicht gelungen eine (?) durchaus wunderbare Idee, ein Gefühl hier in Sprache zu transformieren?
Der Text hat inhaltlich etwas sehr Schönes (untereinander isolierte Seifenblasen), aber die Sache bleibt diffus, sodass es mich richtig ärgerlich macht, dass nicht herauskommt, was herauskommen könnte: Eine tatsächlich gelungene Ballade, deren Inhalt "aus einem Guß" ist.

(a) Bereits die Logik stimmt nicht:
Die Überschrift "Totentanz" und das kulminierende Ende "Requiem der Lebenslust" sind diskrepant, der symbolische Totentanz des Mittelalters war keineswegs als eine gestische "summa" des Lebens gedacht.
Der vorliegende Text verhandelt exklusiv den Tod und die Toten, dies sind jedoch Endzustände, die erst in Bezug auf das Leben Wertung und Sinngehalt bekommen könnten. Dieser Kontrast fehlt hier, sodass das Tod-Problem hier aus der greifbaren Realität hinaus-mystifiziert wird.

Entsprechend vergespenstern und ver-unbegreiflichen die Textinhalte.

[Sieh' die schwarzen, alten Bäume
zitternd wachen an der Pforte,
sich ergeben in den Winter
an dem dunklen, kalten Orte]

Entlaubte Bäume "schlafen" eher im Winter (nicht "wachen"), und im Dunkeln ist selbst der schwärzeste Baum unsichtbar, somit die Aufforderung "sieh!" irgendwie absurd. Sich in die Kälte "ergeben" steht im Widerspruch zu "zittern".

Die majestätische Denkfigur, dass Bäume als Lebewesen in lebendigem Zustand auch den kältesten und dunkelsten Winter mit derselben stoischen Ergebenheit überleben wie völlig tote Steine, wird hier verschenkt, natürlich, weil sie den Intentionen des folgenden Textes abträglich wäre.

[Hör' die Glocken ferne läuten,
den Toten seien sie zur Ehr -
bald schon lüftet sich der Schleier,
es ist die Zeit der Wiederkehr]

Es ist ungünstig die "Totenglöckchen" zu erwähnen, die per Definition den Toten läuten, und sie dann mit "seien sie zur Ehr" verbal erneut den Toten zu weihen. Im Zusammenhang hier scheinen die Glocken auch nicht "zu Ehr" zu läuten, sondern zur "Wiederkehr" (Auferstehung?) zu rufen (lt. Religion erledigen das am Ende "Fanfaren").

[Stille tauchen aus dem Nebel
all die Seelen alter Zeiten,]

Das geht nicht! "Stille" = "die Stille", und gemeint ist "still" = "lautlos". Und "all die Seelen"..., ja, mein Gott, da erstehen dann die Toten aus Jahrmillionen? Das sind zuviele, um das textlich beabsichtigte Inhalts-Ambiente hier aufrecht zu erhalten. Das Wort "all" passt hier nicht.

[irren suchend auf den Pfaden,
die sie einst hatten zu schreiten]

...stolper, holper ...

[In die neue Welt sie fliehen
aus den Jahrhunderten herab,
denn das Sehnen ist nicht müde,
ihnen zur Seit' ruht es im Grab]

Welche "neue Welt"? Warum "fliehen" sie? Aus den begrabenen Jahrhunderten kommt man eher "herauf" als "herab"?
Und dann wirds ungewollt komisch: Die Toten sind wahrhaft "totmüde" (Bild des Todes als der großen Bruders des Schlafes). Ihre Seelen mögen noch "leben". Dass indes "das Sehnen" überhaupt nicht müde ist und als jahrhunderte währender Unruheherd just neben den Toten in der Enge des Grabes liegen soll, erzeugt mir als Leser Heiterkeit statt Drama.

[Rastlos strömen die Vergess'nen
aus jenem dunklen Grund empor,
streben aus der Nacht des Todes
hinaufzuwandeln durch das Tor,]

Nachdem sie gerade vorher aus "Jahrhunderten herab kamen", "strömen" sie jetzt "aus dunklem Grund", und dies -wieder komödiantisch- ungebührlich "rastlos" für Tote.

[um zu tanzen auf den Gräbern
ekstatisch wirbelnd mit dem Wind,
eng verschlungen ihre Leiber,
die lange schon verfallen sind]

Das eben gegessene Stück von gestern restlos vernaschten Kuchen schmeckte gut, oder wie?
Dass Tote "ekstatisch wirbeln", passt nicht zum Drama des Totentanzes, sondern zu lebendiger Ekstatik, religiöser trancehafter Ausgelassenheit. "Leiber" sind (1) plastisch (so wie etwa bei P.Breughel) und können sich (2) "schon lange verfallen" dann nicht mehr umschlingen.
Außerdem geht es nicht um das "Verfallsdatum", sodass gemeint war die Leiber seien "zerfallen".

[Atmend den schweren Erdenduft
und der Sinnlichkeit gedenkend,
sich mit staubiger Leidenschaft
dem Leben entgegen schenkend,]

Ich denke, es ist "Winter" im Text? "Schwerer Erdenduft" im Sinne von "warmer Ackerboden" existiert aber im Frühling/Sommer, und zwar dann, wenn es feucht+warm ist (Wasserdampf ist Träger der meisten Gerüche!), also gerade nicht in "staubiger Leidenschaft" und "im Winter", wobei gerade vorher ja erst "verschlungene Leiber" und "ekstatisch wirbelnde" Tänze geschildert wurden.

[des Daseins Fieber erahnend,
finden zum Feste sie sich ein
um zu schmecken von dem Brote,
zu trinken einmal noch vom Wein]

Hier hinkt die Metaphorik gewaltig: Das "Fest", dass hier gefeiert werden soll, ist das "core", das Kernritual des Christentums: Die Transsubstantiation: Dieses "Brot und Wein" sind das Fleisch und Blut der Erlösung, und wer davon isst, bleibt nicht im Tod. Damit aber erübrigen sich die Metaphoriken des "Totentanzes" komplett, die Überschrift und der vergestellte Text.

[Wie dereinst mit allen Fasern
sie gierig darben nach Genuß,]

Hier verliere ich den Zusammenhang zum bisherigen Text.
"Wie dereinst sie [werden] gierig darben nach Genuss"?, oder "wie (vor)einst sie darbTen nach Genuss"?

[trunken von Erinnerungen,
flehen herbei den süßen Kuß,
den sie noch im ew'gen Schlafe
wähnen zu spüren auf dem Mund
und verzweifelt hallt ihr Lachen
weither hinaus zu später Stund']

Das ist verbaler Eintopf mit Stacheldraht-Einlage: Nach der Kommunion (Wein + Brot) ist der Schlaf nicht mehr ewig, Tote küssen und lachen nicht, und sie haben keinen Mund, und die Formulierung "weither hinaus" ist mir nicht begreiflich.

[Viel zu schrill und viel zu trotzig
tost es durch die kahlen Bäume,
weh sich wiegend mit den Schatten
dringt es ein in uns're Träume
Durch die Welten braust es zornig
entlang der Zeitenalter Bruch,
läßt erschaudern die es hören]

Pathetische Phrasierungen an sich, aber in ihrer Zusammenstellung hier nichtssagend, da -nicht wiedersprüchlich- sondern zusammenhanglos gereiht.
Zum Textanfang stehen die Bäume und "wachen" ( = ruhiges Bild), und jetzt wird hier "getost" und "gebraust" (blizzard?), "schrill", "trotzig", "zornig" (= Steigerung von was?), das geht durch "Welten" und "Zeitalter" (welche?).
Und das Wort "Zeitenalter" als Ersatz für "Zeitalter" (damit der Rhythmus stimmt, funktioniert nicht.

[ - das Requiem der Lebenslust]

siehe oben, unter (a)

---

Ich tröste mich bis zur evtl. erhellenden Aufklärung damit, dass ich vielleicht (hoffentlich) nur zu dumm bin den Text richtig zu verstehen, denn irgendwie hat die Sache was, aber die Ausarbeitung ist vermutlich mangelhaft.

PS: Die Überschrift /"Samhain | Totentanz"/ (Samhain = keltisch, Totentanz = christlich) kann bedeuten, dass im Text zwei unterschiedliche kulturelle Codes durcheinander gemixt sind (keltisch+christlich). Diese sind dann aber entweder nicht bis zur Kompatibilität (und sei diese komplementär) herausgezüchtet worden, oder nicht kontra-diktorisch sauber gegenübergestellt. Das Resultat ist dann chaotischer Eintopf, ein eher belangloses, unkritisches Glasperlenspiel wie oft im Bereich der "gothic" üblich. Im Ergebnis unfruchtbar = schade wegen der versäumten Chancen.
 

astarte

Mitglied
Hallo Waldemar,

wow, das ist ja mal eine ausführliche Kritik. Deshalb vielen Dank erstmal, dass du meinem Gedicht so viel Aufmerksamkeit und Mühe angedeihen läßt. Bevor ich auf einige deiner Kritikpunkte eingehe, möchte ich zuerst etwas allgemeines zu deinem Post Scriptum anmerken. Ich denke dieses "Mixen" und Vermischen von Religionen ist ein ganz normaler und überall festzustellender Vorgang, der sich Jahrhunderte hindurch in der Geschichte findet und auch heute kenne zumindest ich persönlich keinen Menschen, der nicht ab und zu über die Konventionen seiner "angestammten" Religion hinwegschaut und auch andere Dinge für sich annimmt (und sei es nur einen alten heidnischen Aberglauben). Ja, im Grunde ist es sogar so, dass gerade Christentum und Heidentum sehr eng miteinander verwebt sind, und die Grenzen oft undeutlich werden, da von der Kirche viele heidnische Bräuche unter anderem Namen und mit der dem christlichen Glauben entsprechenden Symbolik übernommen wurden. Deshalb ist es wohl, zumindest was die Praxis anbelangt, relativ abwegig, Religionen oder Brauchtümer so strikt voneinander getrennt herausarbeiten zu wollen.

Doch ist deine Vermutung nicht richtig, dass in meinem Gedicht das keltische und christliche Brauchtum vermixt wurden, sondern ist wahrscheinlich das Ergebnis eines grundlegenden Mißverständnisses in der Deutung der Symbolik des Gedichtes.

Da jeder Glaube anders ist, stets bei jedem Menschen, manchmal auch nur um Nuancen variiert, sieht man manchmal Symbole da, wo keine sind, oder weist ihnen eine eigene bekannte Bedeutung zu, während eigentlich etwas ganz anderes gemeint ist. Nehmen wir zum Beispiel "Brot und Wein". Du siehst es als ein Symbol für das Abendmahl, Fleisch und Blut der christlichen Erlösung, als was es aber überhaupt nicht gedacht war. Es sollte einfach nur die Lust am Essen und Trinken wiederspiegeln. Genausogut hätte ich Kaffee und Kuchen nehmen können. ;o)
Dass ich doch das Brot gewählt habe, liegt an dem alten heidnischen Brauch, den Toten zu Samhain Speisen und Milch auf den Tisch, den Kamin oder das Fensterbrett zu stellen. Warum ich dann keine Milch genommen habe? Nun, ich fand, Wein sei dem Genuß zuträglicher und außerdem korrespondierte es mit dem ähnlichen Brauch, den Toten zu Samhain Brot und Wein auf ihr Grab zu stellen. Und schon ist das Mißverständnis komplett. Hättest du mich nicht daran erinnert, dass Brot und Wein auch ein Symbole für das Abendmahl sind, wäre ich allein darauf gar nicht gekommen, weil ich dabei halt an etwas ganz anderes gedacht habe.

Mit "Wiederkehr" ist hier ebenfalls nicht die Auferstehung im christlichen Sinne gemeint, die mit dem ewigen Leben "endet", sondern die Wiederkehr allein für diese eine Nacht, in welcher die Toten zurück auf die Erde, zum Ort ihres früheren Lebens dürfen, um ihre Familie und ihre Freunde zu besuchen. So ist dies im Volks(aber)glauben für die Nacht vor Allerheiligen überliefert, in welcher nach altem Brauchtum das keltische Neujahrsfest gefeiert wird. (Deshalb wurde das Fest Allerheiligen von der Kirche auch auf speziell diesen Tag gelegt, um so den alten keltischen Bräuchen sozusagen den Wind aus den Segeln zu nehmen.) Doch Samhain wurde nicht nur als Neujahrsfest, sondern auch als Totenfest gefeiert, eben wegen des Glaubens, dass sich in dieser Nacht die Grenzen zwischen Diesseits und Totenwelt öffnen und die Toten auf der Erde wandeln.

Auch die Verwendung des Wortes "Totentanz" im Titel ist eher Zufall, denn das Gedicht hat keineswegs etwas mit den mittelalterlichen Totentänzen zu tun, sondern die Verwendung dieses Wortes ist allein dem Umstand zu danken, dass Tanz für mich der Inbegriff der Lebensfreude ist und ich diesen Begriff deshalb für das, was ich ausdrücken wollte, sehr passend fand. Es war nie meine Absicht, einen mittelalterlichen Totentanz nachzuzeichnen, zumal diese ja auch ein ganz anderes Thema aufgreifen, in welchem der Tod die Lebenden zum Tanz auffordert. Und wie du richtig erkannt hast, behandelt mein Text allein die Toten.

Hätte nun jemand versucht, dieses mittelalterliche Bild des Totentanzes auferstehen zu lassen und hätte sich streng an die damit überlieferte christliche Symbolik gehalten, natürlich nicht, ohne sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, wäre die Sache einfach gewesen. Aber so einfach ist sie eben doch nicht, denn diese Art des Gedichteschreibens liegt mir relativ fern. Meist versuche ich mit meinen Gedichten ganz persönlichen Gedanken, Gefühle oder innere Bilder darzustellen. Das ist bei diesem Gedicht nicht anders, wenn es mir auch anscheinend nicht gut, bzw. überhaupt nicht gelungen ist.

Meine eigentliche Absicht war, dem Bild Ausdruck zu verleihen, welches sich mir beim Hören oder Lesen der Sagen, Legenden und Bräuchtümer um Samhain in meiner Phantasie entspinnt - Tote, die in dieser Nacht voll Gier nach Leben auf die Erde strömen, um sich noch einmal darin zu versuchen, um sich zu erinnern, noch einmal davon zu kosten, wenn es denn auch nur ein schwacher Abklatsch des wirklichen Lebens und dessen sinnlicher Genüsse ist.
Dass dieses Bild zum einen tragisch, aber zum anderen dabei auch unfreiwillig komisch ist, geht gar nicht anders, denn jeder der versucht, irgendetwas nachzuahmen, was ihm nicht gegeben ist (in diesem Falle Leben) oder einen Platz einzunehmen, den er nicht auszufüllen vermag, wird mehr oder weniger unfreiwillige Heiterkeit erzeugen. So ist es auch bei diesem Tanz und Abgesang der Toten, die am nächsten Morgen doch wieder die Erde verlassen müssen, auch wenn sie noch immer die Sehnsucht nach Leben, Genuß und ihren verlassenen Lieben in sich spüren, doch lernen müssen, dass ihre Zeit auf Erden um ist. Das Leben den Lebenden, der Tod den Toten.


Und noch einige Anmerkungen zu anderen deiner Kritikpunkte:


Die Sache mit den wachenden oder schlafenden Bäumen, der duftenden Erde u.ä. ist für mich ehrlich gesagt Haarspalterei. Es geht ja darum, ein Bild zu transportieren und wenn ich kahle Bäume links und rechts neben einer Pforte stehen sehe, so mag es mir erscheinen, als seien sie Wächter, egal ob sie dabei nun eigentlich "schlafen" oder nicht. Erde duftet auch im Winter, nur dass man es nicht so intensiv wahrnimmt. Dunkelheit ist nicht gleich Dunkelheit. Auch Dunkelheit gibt es in allen Variationen und wenn du dir mal nachts denn Himmel anschaust, wirst du bemerken, dass dieser immer heller ist, als die Schatten der Bäume. Und wieso ist es absurd, sich zitternd zu ergeben? Ich sehe darin keinen Widerspruch und irgendwie gewinne ich bei diesen Anmerkungen von dir den Eindruck, dass dich tatsächlich irgendwas an dem Gedicht ärgerlich macht. Aber ich bin mir sicher, dass es nicht diese speziell von dir erwähnten Dinge sind.

Viele Grüße
 



 
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