Hallo Waldemar,
wow, das ist ja mal eine ausführliche Kritik. Deshalb vielen Dank erstmal, dass du meinem Gedicht so viel Aufmerksamkeit und Mühe angedeihen läßt. Bevor ich auf einige deiner Kritikpunkte eingehe, möchte ich zuerst etwas allgemeines zu deinem Post Scriptum anmerken. Ich denke dieses "Mixen" und Vermischen von Religionen ist ein ganz normaler und überall festzustellender Vorgang, der sich Jahrhunderte hindurch in der Geschichte findet und auch heute kenne zumindest ich persönlich keinen Menschen, der nicht ab und zu über die Konventionen seiner "angestammten" Religion hinwegschaut und auch andere Dinge für sich annimmt (und sei es nur einen alten heidnischen Aberglauben). Ja, im Grunde ist es sogar so, dass gerade Christentum und Heidentum sehr eng miteinander verwebt sind, und die Grenzen oft undeutlich werden, da von der Kirche viele heidnische Bräuche unter anderem Namen und mit der dem christlichen Glauben entsprechenden Symbolik übernommen wurden. Deshalb ist es wohl, zumindest was die Praxis anbelangt, relativ abwegig, Religionen oder Brauchtümer so strikt voneinander getrennt herausarbeiten zu wollen.
Doch ist deine Vermutung nicht richtig, dass in meinem Gedicht das keltische und christliche Brauchtum vermixt wurden, sondern ist wahrscheinlich das Ergebnis eines grundlegenden Mißverständnisses in der Deutung der Symbolik des Gedichtes.
Da jeder Glaube anders ist, stets bei jedem Menschen, manchmal auch nur um Nuancen variiert, sieht man manchmal Symbole da, wo keine sind, oder weist ihnen eine eigene bekannte Bedeutung zu, während eigentlich etwas ganz anderes gemeint ist. Nehmen wir zum Beispiel "Brot und Wein". Du siehst es als ein Symbol für das Abendmahl, Fleisch und Blut der christlichen Erlösung, als was es aber überhaupt nicht gedacht war. Es sollte einfach nur die Lust am Essen und Trinken wiederspiegeln. Genausogut hätte ich Kaffee und Kuchen nehmen können. ;o)
Dass ich doch das Brot gewählt habe, liegt an dem alten heidnischen Brauch, den Toten zu Samhain Speisen und Milch auf den Tisch, den Kamin oder das Fensterbrett zu stellen. Warum ich dann keine Milch genommen habe? Nun, ich fand, Wein sei dem Genuß zuträglicher und außerdem korrespondierte es mit dem ähnlichen Brauch, den Toten zu Samhain Brot und Wein auf ihr Grab zu stellen. Und schon ist das Mißverständnis komplett. Hättest du mich nicht daran erinnert, dass Brot und Wein auch ein Symbole für das Abendmahl sind, wäre ich allein darauf gar nicht gekommen, weil ich dabei halt an etwas ganz anderes gedacht habe.
Mit "Wiederkehr" ist hier ebenfalls nicht die Auferstehung im christlichen Sinne gemeint, die mit dem ewigen Leben "endet", sondern die Wiederkehr allein für diese eine Nacht, in welcher die Toten zurück auf die Erde, zum Ort ihres früheren Lebens dürfen, um ihre Familie und ihre Freunde zu besuchen. So ist dies im Volks(aber)glauben für die Nacht vor Allerheiligen überliefert, in welcher nach altem Brauchtum das keltische Neujahrsfest gefeiert wird. (Deshalb wurde das Fest Allerheiligen von der Kirche auch auf speziell diesen Tag gelegt, um so den alten keltischen Bräuchen sozusagen den Wind aus den Segeln zu nehmen.) Doch Samhain wurde nicht nur als Neujahrsfest, sondern auch als Totenfest gefeiert, eben wegen des Glaubens, dass sich in dieser Nacht die Grenzen zwischen Diesseits und Totenwelt öffnen und die Toten auf der Erde wandeln.
Auch die Verwendung des Wortes "Totentanz" im Titel ist eher Zufall, denn das Gedicht hat keineswegs etwas mit den mittelalterlichen Totentänzen zu tun, sondern die Verwendung dieses Wortes ist allein dem Umstand zu danken, dass Tanz für mich der Inbegriff der Lebensfreude ist und ich diesen Begriff deshalb für das, was ich ausdrücken wollte, sehr passend fand. Es war nie meine Absicht, einen mittelalterlichen Totentanz nachzuzeichnen, zumal diese ja auch ein ganz anderes Thema aufgreifen, in welchem der Tod die Lebenden zum Tanz auffordert. Und wie du richtig erkannt hast, behandelt mein Text allein die Toten.
Hätte nun jemand versucht, dieses mittelalterliche Bild des Totentanzes auferstehen zu lassen und hätte sich streng an die damit überlieferte christliche Symbolik gehalten, natürlich nicht, ohne sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, wäre die Sache einfach gewesen. Aber so einfach ist sie eben doch nicht, denn diese Art des Gedichteschreibens liegt mir relativ fern. Meist versuche ich mit meinen Gedichten ganz persönlichen Gedanken, Gefühle oder innere Bilder darzustellen. Das ist bei diesem Gedicht nicht anders, wenn es mir auch anscheinend nicht gut, bzw. überhaupt nicht gelungen ist.
Meine eigentliche Absicht war, dem Bild Ausdruck zu verleihen, welches sich mir beim Hören oder Lesen der Sagen, Legenden und Bräuchtümer um Samhain in meiner Phantasie entspinnt - Tote, die in dieser Nacht voll Gier nach Leben auf die Erde strömen, um sich noch einmal darin zu versuchen, um sich zu erinnern, noch einmal davon zu kosten, wenn es denn auch nur ein schwacher Abklatsch des wirklichen Lebens und dessen sinnlicher Genüsse ist.
Dass dieses Bild zum einen tragisch, aber zum anderen dabei auch unfreiwillig komisch ist, geht gar nicht anders, denn jeder der versucht, irgendetwas nachzuahmen, was ihm nicht gegeben ist (in diesem Falle Leben) oder einen Platz einzunehmen, den er nicht auszufüllen vermag, wird mehr oder weniger unfreiwillige Heiterkeit erzeugen. So ist es auch bei diesem Tanz und Abgesang der Toten, die am nächsten Morgen doch wieder die Erde verlassen müssen, auch wenn sie noch immer die Sehnsucht nach Leben, Genuß und ihren verlassenen Lieben in sich spüren, doch lernen müssen, dass ihre Zeit auf Erden um ist. Das Leben den Lebenden, der Tod den Toten.
Und noch einige Anmerkungen zu anderen deiner Kritikpunkte:
Die Sache mit den wachenden oder schlafenden Bäumen, der duftenden Erde u.ä. ist für mich ehrlich gesagt Haarspalterei. Es geht ja darum, ein Bild zu transportieren und wenn ich kahle Bäume links und rechts neben einer Pforte stehen sehe, so mag es mir erscheinen, als seien sie Wächter, egal ob sie dabei nun eigentlich "schlafen" oder nicht. Erde duftet auch im Winter, nur dass man es nicht so intensiv wahrnimmt. Dunkelheit ist nicht gleich Dunkelheit. Auch Dunkelheit gibt es in allen Variationen und wenn du dir mal nachts denn Himmel anschaust, wirst du bemerken, dass dieser immer heller ist, als die Schatten der Bäume. Und wieso ist es absurd, sich zitternd zu ergeben? Ich sehe darin keinen Widerspruch und irgendwie gewinne ich bei diesen Anmerkungen von dir den Eindruck, dass dich tatsächlich irgendwas an dem Gedicht ärgerlich macht. Aber ich bin mir sicher, dass es nicht diese speziell von dir erwähnten Dinge sind.
Viele Grüße