Sammeln verboten

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Josef

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Sammeln verboten

Kinder sind eifrige Sammler. Ich erinnere mich, daß ich als Kind mal Autonummern gesammelt habe. Zusammen mit meinem Freund aus der Nachbarschaft. Da streiften wir also durch die Stadt und sammelten diese Nummern. Es hat wirklich Spaß gemacht, obwohl wir natürlich gar nichts davon hatten. Außer schließlich eine Menge Ärger, weil irgendwann der Platz unter meinem Bett nicht mehr reichte für all die Schilder.
„Was, zum Teufel, ist das?“ brüllte meine Mutter. Sie hatte die Schilder beim Saubermachen gefunden.
„Das sind Autonummern“, half ich ihr auf die Sprünge.
„Autonummern?“ würgte sie hervor und ihre Stimme flatterte zwischen Schreien und Krächzen hin und her.
„Wo hast du die her, du Schwachkopf? He, woher hast du diesen ganzen Scheiß, frag ich dich?“
„Gesammelt“, sagte ich nur und räumte sie zu Stapeln zusammen.
„Ich glaub, ich spinne! Du bringst das sofort weg, sag ich dir! Du und dein sauberer Freund, ihr bringt das sofort weg!“
So einfach, wie sie sich das vorstellte, war das aber nicht. Mein Vater ging dann mit mir am nächsten Tag zur Polizei, die von meiner Sammlung sehr überrascht war.
„Einen netten Jungen haben sie da. Wird ihnen bestimmt noch viel Spaß machen“, grinsten sie meinen Vater blöd an.
Und ich war unheimlich stolz. Welcher Vater bekommt schon von der Polizei gesagt, daß im sein Sohn noch viel Spaß machen wird. Wo die meisten Kinder ihren Eltern doch nur Sorgen machen.
„Warum hast du die eine Nummer behalten?“ fragte ich meinen Vater auf dem Heimweg.
„Das geht dich im Augenblick gar nichts an, du mißratener Mistkerl!“ zischte er mir zu.
Zum Glück war mein Vater nie nachtragend. Im Grunde hatte er alles sehr schnell vergessen.
Am nächsten Tag nahm er mich am Abend zur Seite.
„Wenn du was sammeln willst, mein Junge, dann empfehle ich dir: sammle Briefmarken!“
Ich sah ihn überrascht an.
„Ja, du hast richtig verstanden, Briefmarken, mein Junge. Das ist viel einfacher, schau her.“
Er holte einen Stapel mit Rechnungen und Mahnungen, die wir fast jeden Tag reinbekamen.
„Siehst du, du brauchst nur die Post nehmen und die Dinger ablösen. Steck sie in ein Album, wenn sie trocken sind, verstehst du?“
„Klar, verstehe“, sagte ich.
„Na also, guter Junge!“ Zufrieden zog er ab.
Von da an kümmerte ich mich um die Post. Ich rannte jeden Tag raus zum Briefkasten, nahm die Umschläge mit rein und löste die Marken ab. Mit der Zeit füllte sich das Album, das mir mein Vater geschenkt hatte.
„Ist mein eigenes, von früher“, sagte er, als er es mir überreichte.
Es war leer, als ich es aufschlug.
„Und die Marken? Wo sind die?“ fragte ich ihn.
„Verkauft“, sagte er kurzangebunden.
„Schade“, seufzte ich.
„Irgendwann braucht jeder mal Geld. Das wirst du schon noch merken. Dann sei froh, wenn du die Marken hast.“
Ich nickte und begann also meine Zukunftssicherung von den Drohbriefen abzulösen, die meine Eltern erhielten.
Zu der Zeit wurde ich auch richtig sauer auf meinen Bruder, meinen älteren Bruder. Nicht, weil er älter war, was natürlich schon ein Grund gewesen wäre. Sauer wurde ich, als ich dahinter kam, daß er meine Briefmarkensammlung gar nicht wirklich brauchte.
„Darf ich mir mal deine Sammlung anschauen“, hatte er mich gleichgültig gefragt und ich sagte: „klar, hab ich nichts dagegen.“
Konnte ich denn ahnen, daß er noch jemanden mitbringen würde, um sie sich anzuschauen.
Jedenfalls gab es eines Tages plötzlich einen Höllenlärm im Haus und meine Mutter brüllte rum, wie sie es eigentlich immer tat.
„Schau dir dieses Schwein an!“ brüllte sie, „schau dir doch dieses Schwein an!“ und ich ging schnell die Treppe hoch, um mir dieses Schwein anzuschauen. Wo sollte denn in unserem Haus ein Schwein herkommen, fragte ich mich. Dann hörte ich immer wieder Schläge, als würde sie auf jemandem herumklatschen.
„Schau, daß du verschwindest, du geiler Bock!“
Auf den Bock war ich sehr gespannt. Es kam mir aber nur mein Bruder entgegen. Er hatte bloß seine Unterhose an und rannte ins Bad.
„Und zieh dir was an!“ schrie sie und schleuderte ihm seine Klamotten hinterher, die gegen die Tür flogen und in einem Haufen davor liegenblieben.
Ich drückte mich in eine Nische und meine Mutter schoß keifend an mir vorbei.
„Und du, lass dich hier nicht mehr blicken!“ brüllte sie zurück.
Als sie unten war, schlich ich mich in das Zimmer, um zu sehen, wen sie hier nicht mehr sehen wollte.
Und ich sah, daß ich noch mehr sehen wollte, denn ich sah dort Susanne, die einige Straßen weiter weg wohnte und die jetzt auf dem Bettrand hockte und mich anguckte, als wäre es die normalste Sache der Welt, so unglaublich das alles war, denn sie war vollkommen nackt.
Vollkommen und nackt, das war wirklich der Ausdruck schlechthin dafür, denn sie erschien mir plötzlich so vollkommen, daß ich erst gar nicht wußte, wo ich hinschauen sollte.
„Ist schon ok“, sagte sie und lehnte sich auf ihre ausgestreckten Arme zurück, was mir die Sache nicht leichter machte.
„Du bist also sein kleiner Bruder“, sagte sie.
„Ja“, bekam ich nur raus, verzieh ihr großherzig das mit dem kleinen Bruder und ließ meinen Blick von ihren Brüsten nach unten wandern.
„Gibst du mir mal meine Sachen da?“ bat sie mich. Mit einem seltsam aufgeregten Gefühl reichte ich ihr die Wäsche. Es schien ihr überhaupt nichts auszumachen, vor mir nackt zu sein. Ehrlich gesagt, mir machte es eigentlich auch nichts aus.
„Tolle Briefmarken“, sagte sie noch im Hinausgehen.
„Was? Ach, ja!“ brachte ich nur hervor und sah erst jetzt das aufgeschlagene Album auf dem Tisch.
Später habe ich ihr dann noch ganz oft meine Briefmarkensammlung gezeigt, bloß nicht bei uns zu Hause, da war das ja verboten.
 

Columbus

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Hallo Josef,

ist echt ein klasse Beitrag, den du da abgeliefert hast. Liest sich so, als wäre es ein Auszug aus einem größeren Werk. Will ich zumindest hoffen. Verstehe nur nicht ganz, warum es im Humorbereich veröffentlicht ist. Hab mir jetzt nicht gerade auf die Schenkel geklopft vor lachen. Ist eher ein Stück was sich "vergnüglich" und vor allem sehr flüssig liest. Aber trotzdem sehr sehr gut. Die handelnden Personen (Mutter, Vater, Bruder) und der Erzähler sollten noch Namen kriegen finde ich. Würde das ganze noch "farbiger" machen. Hab Dir ne 9 gegeben und das nicht ohne Grund. Habe vorher auch viele andere Sachen in den Foren gelesen. Deins war bislang das beste, was ich gefunden hab. Würd mich freuen, wenn du dir mein "Geschreibsel" auch mal anschaust und deine Meinung dazu abgibst.

Columbus
 

Josef

Mitglied
Hallo Columbus und flammarion!
So schnelle Reaktionen auf meine Geschichte habe ich gar nicht erwartet. Die Leser der Leselupe sind emsig.
Danke, daß die Geschichte so gut gefallen hat. Das ist mir ein Ansporn, an der nächsten zu arbeiten. Bis zu deren Einstellen will ich jetzt mal selbst in der Leselupe herumlesen.
Grüße Josef
 



 
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