Schaub-Lorenz

Die allzu flotten Schweizer waren zu exklusiv, das war schon klar. Deshalb gab es, aus regionalen Erwägungen heraus, natürlich nur die obligatorische Armbanduhr. Ganz traditionsbewusst, versteht sich – Junghans forever. Langweilige, zu dicke, Bücher, die das Papier nicht wert waren, auf dem sie geschrieben waren, rundeten das Bild ab - sollten ein wenig bessere Welt vermitteln. Der Alltag war beschissen genug. Selbst der allgegenwärtige pädagogische Anspruch, obwohl ich das Wort bis zu meinem 14. Lebensjahr nie gehört hatte, hielt wie selbstverständlich auch in unseren Kreisen Einzug. Besonders unverständlich, weil die Eltern sich für gewöhnlich nur mit Lohnakkord und Haushaltlöchern rumschlugen, sich Hoffnung, wenn überhaupt, nur auf eine größere Schrankwand beschränkte. Dazu natürlich Bares, und wenn man Glück hatte, wie in meinem Fall, gab es einen Schaub-Lorenz.
So war es bei Jungs.
Zuerst mal wusste ich mit dem Ding ja nicht besonders viel anzufangen. Als ich nämlich das Kabel in die Steckdose steckte, funktionierte es nicht. Zudem galt ich in der Familie als jemand, der eben zwei linke Hände hatte.
Und ich war stolz.
Wer fragt schon gern einen Vater, der handwerklich alles drauf hat, und über die Sperenzchen des Filius, er meinte damit immer meine intellektuellen Anwandlungen, nur milde lächeln konnte. Obwohl ich heute weiß, dass er, ob meiner Hartnäckigkeit, beeindruckt war.
Doch ich wusste mir zu helfen. Wozu hat man einen großen Bruder, dachte ich mir, schob bei ihm rein und legte ihm mein Problem auseinander. Da er schon damals Physiker werden wollte, ist es dann auch geworden, war die Sache schnell geregelt. Mit kurzen Drehbewegungen des Handgelenkes trieb er die paar Schrauben aus der Halterung, und der Deckel fiel auf den Tisch. Mit professoraler Attitüde, das hieß, mit gerunzelter Stirn und stechendem Forscherauge, kam die klare Antwort: „Da gehören 1,5 Volt, 4 Stück rein, am besten beim Benz, denk dran – prüfen lassen.“
Es dauerte dann noch ein paar Stunden bis ich wirklich beim Elektrogeschäft Benz vorbeikam, denn als Youngster hat man 'ne Menge wichtiger Dinge zu tun.
Abends wollte ich’s dann aufprobieren und hatte auch meinem Bruder Bescheid gesagt, quasi, als Feuerwehr, falls ich nicht klarkommen sollte.
Wir standen also mit unseren Schlafanzügen vor meinem Nachttisch, mit Marmorplatten-Imitat, und waren mächtig am werkeln. Genauer gesagt, mein Bruder, und wenn ich ehrlich sein darf, es dauerte gerade mal 1 Minute, bis er die Batterien drin hatte, wortlos zu sich rüber ging, sein „Mein Universum“ in die Hand nahm – nicht mehr von dieser Welt war.
Das hatte seine Vorteile. So konnte ich ungestört hantieren und brauchte mir auch keine Blöße geben.
Es war ein silberner Schaub-Lorenz, mit einem runden Knopf für ein und aus, einen kurzen Drehknopf für die Einstellung, und einem einfachen Kippschalter, für Kurz -und Langwelle.
Ich schüttelte mein Kopfkissen auf und legte mich so ins Bett, dass ich bequem, mit Hand und Auge, mein Gerät bedienen konnte. Es machte einen satten Knack und das Gerät war auf Empfang.
Da ich von der Provinz schon früh die Schnauze voll hatte, begab ich mich sofort ins Ausland. Ich sah mir die Namen an. Hilversum stach mir sofort ins Auge, das schien mir weit genug weg.
Ein penetranter Schnell-Quatscher war dran, der Begriffe, die ich zwar verstand, aber nicht kannte, durch den kleinen Lautsprecher schrie. Das war nicht das Gelbe vom Ei und ich wechselte sofort den Sender. Dann, eine kleine Drehung nach rechts, wurde es immer interessanter, bis ich sogar dorthin kam, wo ich nichts verstand.
Ich hatte das Einfallstor zum Glück gefunden.
Jeden Abend hörte ich, auf dem Schaub-Lorenz Radio, den weiten Äther nach meiner Sehnsucht auf die große, weite Welt, ab.
 



 
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