Mein Dank an alle, die der Meinung waren, der Text überzeugt trotz kleinerer Schwächen
ich lass ihn stehen, wie er besehen und für gut genug befunden wurde.
Und hier eine überarbeitete Version mit kleinen Korrekturen:
Schlusss mit lustig
Die Stimmung nach der Lesung war prächtig. Alle hatten sich amüsiert, hatten gelacht, einige zwar weit unter ihrem Niveau, wie sie witzelten, was dieses Gefühl aber nicht verkleinerte, hatte es doch die meisten Verspannungen in den Gesichtern und Verkrampfungen im Magen-Darm-Trakt gelöst, und gelöst trug das Publikum seine gute Stimmung nach draußen, nach Hause oder sonst wohin.
Die Kritiker waren zufrieden mit ihr, einer schrieb: „Die spätberufene Schriftstellerin A.E.M. erzähle mit der ganzen Erfahrung ihrer 55 Lebensjahre und einer gehörigen Portion Humor kleine Szenen und Begebenheiten aus dem Alltag der Menschen wie du und ich“.
Sie las die Kritik und spürte einen schalen Geschmack am Gaumen. Es stimmte, was da stand. Es gefiel ihr trotzdem nicht.
Sie studierte die dürren Zeilen mit Hingebung und Akribie und kam zu dem Schluss, es müsse die 55 sein, die sich so gallebitter in ihrem Mund breitmachte. Vielleicht wollte ihr die Kritik damit sagen, Lebenserfahrung sollte im Text, nicht aber im Gesicht der Autorin zu lesen sein.
Sie studierte ihr Gesicht, mit Hingebung und Akribie. Und ging zum Friseur. Ein flotter Haarschnitt, grau raus, rot rein. Schon besser, was ihr da aus dem Spiegel entgegenblickte. Sie erweiterte ihr Blickfeld. Die Kleidung. Weg mit den alten Hadern von Escada und Jill Sander, frische pfiffige Mode von H&M, kurze Röcke und schulterfreie Shirts mit und ohne Neckholder – sie sah um Jahre jünger aus! Das ließ sich noch toppen. Ein kleines Lifting dort und da, die Lippen aufgespritzt, die Brüste hochgerafft und unterlegt, zuletzt noch ein Piercing durch die Nase und ein festsitzendes Dauerlächeln mit frischgebleichten Zähnen, perfekt.
Sie schrieb weiter heiter-ironische Geschichten, brachte ihre Leser in gute Schwingungen und die Kritik bedachte sie wiederum mit freundlichen Worten: sie (55) brächte die Menschen zum Schmunzeln und durchaus auch zum Nachdenken. Was da so scheinbar oberflächlich und heiter daherkäme, schrieb einer, diese netten kleinen Dramen, leichtfüßig und leichtgewichtig …
Es stimmte, was da stand, und wiederum gefiel es ihr nicht.
Lange, tagelang, sah sie sich den Spiegel an. Dann drehte sie ihn um. Und sah in eine andere Richtung. Mit grimmiger Energie und Entschlossenheit nahm sie all die Widerwärtigkeiten, die sie sah, in sich hinein und kotzte alles reflektiert in ordentlichen Buchstaben und Worten wieder aus.
Sie verstümmelte und zerfetzte und massakrierte, beraubte ihre Figuren aller Würde und Rechte, ließ Blut tropfen, rinnen, spritzen, ließ dumpfe Schläge und Beilhiebe hören, sammelte üble Gerüche, warf stinkenden Müll und faulende Kadaver auf ihre Seiten.
Ab sofort stand bei ihren Lesungen ein Kübel neben jeder Sitzgelegenheit, und das Publikum, das jetzt ein anderes war, ekelte sich von Herzen und nahezu kein Kotzeimer blieb leer.
Je nach politischem Engagement und religiöser Zugehörigkeit brach die Kritik in nicht enden wollende Jubelchöre aus, von ein paar wenigen wurde sie beschimpft oder bedroht. Keinesfalls aber wurde sie mehr als humoriges Leichtgewicht etikettiert.
Mit großem Aplomb und wortgewaltigen Tiraden ließ sie federn, teeren und kreuzigen – ihr Stift stieß in die letzten Verdrängungen, sie blätterte alle Themen ihrer Zeit auf, und keiner wagte auch nur zu denken, dies alles könnte Pose sein.
Das Schreiben ging ihr leicht von der Hand, es gab unendlich viel Stoff, vor der Haustür und auf allen Kontinenten, und nur in sehr seltenen intimen Momenten gestattete sie es sich, der verlorenen Heiterkeit nachzusinnen, der mit einer gewissen intellektuellen Geringschätzigkeit immer der Makel des Kleinen angeheftet wird.
© Heidi Merkel