Schnee

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monday

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Ich gieße mir einen Becher Kaffee ein und setze mich an den Küchentisch. Draußen ist es immer noch dunkel, aber es schneit nicht mehr. Gott Sei Dank, habe ich gestern daran gedacht, mir genug Zigaretten zu besorgen: jetzt noch mal raus in die Kälte, das wäre echt das Letzte!
Aber der Kaffee tut gut. Wahrscheinlich auch die Beruhigungsspritze, die mir die Sanitäter im Präsidium verpasst haben und die ich nicht abgelehnt habe. Und die von der Polizei waren ja eigentlich auch ziemlich nett. Hab' ich mir echt schlimmer vorgestellt. Dieser Mutzke – der Bulle, der geschossen hat – hat mich sogar gefragt, wo ich denn jetzt unterkomme, ich könne doch nicht mehr in die Wohnung zurück. Das fand ich echt rücksichtsvoll von dem, nach allem, meine ich. Aber ich bin froh, dass ich wieder hier bin. Ist schließlich meine Wohnung, verdammt!
Hab' Duffy eben vom Nachbarn geholt (obwohl es so früh war, war der froh, den Hund loszuwerden). War wie närrisch, die Arme. Aber jetzt liegt sie unterm Küchentisch und pennt. Ist wahrscheinlich auch froh, dass ich wieder da bin. Dass alles vorbei ist. Ich schiebe meine Füße unter ihren warmen Körper und zünde mir eine Zigarette an.
Das Wohnzimmer haben sie versiegelt. Ist mir auch ganz recht. Wer wird das da drin wohl saubermachen? Ob ich das machen muss? Mann, war der Bulle grün im Gesicht, als der da rauskam nach den Schüssen! Und als ich den anderen, den Dicken, regungslos vorm Sofa liegen sah, hab ich zuerst gedacht, der hätte sie beide erledigt. Da habe ich mich dann fast übergeben, obwohl ich zu dem Zeitpunkt das ganze Blut irgendwie noch gar nicht registriert habe. Aber Henning habe ich natürlich gesehen: lag ja fast schon in der Tür, immer noch die Knarre in der Hand. Und die Löcher natürlich, in seinem Körper. Richtige Löcher, gefüllt mit kleinen schimmernden Seen aus Blut.
Dass der nicht mitgekriegt hat, dass er nur eine Schreckschusspistole in der Hand hielt! Aber natürlich war er ja auch ganz schön dicht (dafür habe ich ja gesorgt) und das Ding fühlte sich ja wirklich fast genauso an wie die Echte. Aber trotzdem: das war ein kitzliger Punkt.
Vorsichtig, damit ich sie nicht wecke, ziehe ich meine Füße unter Duffys Körper vor und gehe ins Bad. Ich lasse die Tür auf, damit sie rein kann, und stelle beim Pinkeln fest, dass ich immer noch etwas blute. Vor allem im Hintern tut es echt noch ziemlich weh, wenn ich nicht aufpasse. Aber das geht schon: ist nicht so schlimm wie sonst schon mal. Habe mich ja auch nicht gewehrt diesmal, nachher hätte ich noch irgendwo blaue Flecken gehabt, wo die Bullen sie hätten sehen können (aber die haben des echt gut geschluckt mit dem Psycho-Kram. Stefan, Hennings Bruder, war da eben aber auch eine echte Hilfe. Der hat ja auch genug mitbekommen von den Paranoia, die sein Bruder in der letzten Zeit geschoben hat, und dass Henning plötzlich nach Spanien auswandern wollte, muss Stefan ja auch ziemlich merkwürdig vorgekommen sein).
Ich ziehe mich aus und werfe den blutigen Slip in den Mülleimer neben dem Klo. Und dann dusche ich lange und heiß, breche sogar das Duschgel von Calvin Clein an, das ich von Simone zu Weihnachten bekommen habe, und seife mich richtig verschwenderisch damit ein. Nachher, nachdem ich mich abtrocknet habe, ziehe ich meinen warmen Flanell-Pyjama an, meinen Bademantel und zwei Paar dicke Socken und gehe zurück in die Küche.
Draußen wird es langsam hell. Es hat wirklich richtig viel geschneit heute Nacht und die Bäume auf dem Friedhof gegenüber sind dick mit Schnee eingepackt. Wunderschön sieht das aus. Nachher werde ich mit Duffy in den Wald fahren. Wir können um den See spazieren gehen und ich muss sowieso noch Hennings Knarre verschwinden lassen.
Niemals hätte ich dem zugetraut, dass er damit eine Bank überfallen würde! Mann, wie der plötzlich mit der ganzen Kohle nach Hause kam! Und dass er nicht mal erwischt wird! Aber zusammen mit dem Wichser nach Spanien – no way!
Ich zünde mir eine Zigarette an. An der Bushaltestelle vor dem Haus stehen die Leute und frieren. Manche kenne ich sogar: den Brose vom Hinterhaus und die Frau Pflüger unten aus der ersten Etage. Die fahren zur Arbeit wie jeden Morgen. Eigentlich müsste ich jetzt auch da unten stehen und ich denke, ich werde das hier auch noch eine Weile mitmachen müssen, bevor ich es wagen kann, mich mit der Kohle aus dem Staub zu machen. Vielleicht gehe ich trotzdem nach Spanien. Irgendwie wäre das natürlich extra cool.
Der Bus kommt und sammelt die frierenden Gestalten da draussen ein. Ich drehe mich um, aber hier drin sieht alles so normal aus, als wäre gar nichts geschehen. Nur die Aufkleber an der versiegelten Wohnzimmertür sind irgendwie strange, stören mich aber auch nicht. Duffy seufzt verschlafen, dann steckt sie sich, wie sich nur Hunde strecken können, hebt den Kopf und sieht mich an.
„Wollen wir frühstücken?“ frage ich sie.
 

IDee

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Hallo,
habe leider eben erst Deinen Beitrag lesen können und ich muss sagen das er mir ausgenommen gut gefällt.
LG
IDee
 



 
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