Schneeverwehungen

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gerian

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"Ich komm hier nicht weiter!"
Stecken geblieben, im Schnee.
Ich schrie.
Hörte mich denn keiner?
Mächtiger brüllte der Sturm.
Zerrte wütend an der Westplanke des Bergmassivs.
Schleuderte mir eisige Schneekristalle entgegen.
Ich sehnte mich nach Wärme.

Nachdem, vor einigen Stunden, der Schneesturm immer heftiger geworden war, brachen wir den Aufstieg ab und kehrten am Hang zurück. Die Sicht immer schlechter, kaum die Hand vor Augen.
Orientierungslos!
Die beiden Bergführer holten Karte und Kompass hervor: Die Hütte lag nicht mehr fern.

Wir setzten unseren Abstieg fort, in größeren Abständen zu einander. Verzweifelt stemmten wir uns gegen grimmige Barrieren. Jeder auf sich allein gestellt. Ich fror.
Meine Stimmung auch. Sie sank unter Null.

Hätte ich doch nur auf ihn gehört! Als Ludger gestern Nachmittag von der Bergtour zurückkam, brummelte er mir zu:"Margrit, das g´fallt mir net, da draußen, ich bleib in der Hütt, Morgen!"
Na ja, eines hab ichihm dann doch nachgemacht: Alles angezogen, was da war!

Und nun steckte ich fest.
War hilflos den Naturgewalten ausgeliefert.
Da sah ich einen Schatten aus der Nebelwand näher gleiten kommen. Felix, unser Bergführer.
"Was hasts?", fragte er. Ich zeigte auf die eingebrochenen Schneeschuhe.
Er steckte mir die Hand entgegen.
Als ich zugreifen wollte, riss mir der Faden.
Etwas unerhört Starkes bemächtigte sich meiner, ließ mich erschauern vor der totalen Finsternis. Todgeweiht, abgehoben in schwerelose Sphären getragen, überließ ich mich unfreiwillig, doch hoffnunsvoll, dem höheren Geschehen. Dann stürzte ich, stürtze ich massenweise mit den anderen Massen schneeverbunden, als Teil des Ganzn gefangen, in endlose Tiefengründe.

Die Schneebrettlawine am Bergmassiv hatte niemand hören können. Sie hatte sich mit heimtückisch mit den anderen Orkangewalten verbrüdert, wie ein Raubtier sich zum Sprung geduckt und dann gnadenlos alles verschlungen, was sich ihr in den Weg stellte.
Dann riss sie mich.
Auf einmal war ich weg.

Ich stürzte immer tiefer.
Halbbesinnungslos landete auf etwas Weichem.
Dumpfe Stille. Totenstille!
Keine Luft zum Atmen.
"Ich ersticke!"
"Nein, ich will nicht sterben!"
Ich lebte mich in den Massen bewegungslos.
"Wie halte ich das nur aus?"
Ich atmete Partikelschen Sauerstoff im Schnee.
"Keine Panik, ganz ruhig!"
"So müde!"
"Ich sterbe!"

"Lasst mich in Ruhe, ich will schlafen!"
Ich fühlte unangenehmes Kribbeln am rechten Bein.
"Was tun die da mit dem rechten Bein?"
Dann dämmerte es mir: Lawinensonden!

Gestern hatten wir noch den Ernstfall mit den Sonden geübt, wie in einem Lawinenunglück.

"Sie haben mich gefunden!", jubelte ich leise.
"Wie lange halte ich es hier noch aus?"

Sie hatten das rechte Bein abgetastet, von unten noch oben, dann wußten sie es, wie ich lag, zwei Meter unterm Schnee.

Da, sah ich Licht, gleißend hell, geblendet atmete ich Luft, so viel Luft, mir war so schwindelig.
Dann sah ich Ludger, wie er sich über mich beugte. Er hatte mich freigeschaufelt, mit bloßen Händen.

Als ich im Bett lag, konnte ich endlich weinen.
 



 
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