Schrei Mutter

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ENachtigall

Mitglied
Liebe namibia,

ein gutes Gedicht, weil es in seiner Ungereimtheit doch einer strengen Form unterworfen ist, was mit dem Inhalt korrespondiert.

Du hast konsequent auf Zeichensetzung verzichtet. Das ist gut. So kann
Schrei Mutter
warum hast du geschwiegen
… als Imperativ gelesen und verstanden werden, an eine Frau, die immer nur geschluckt hat, anstatt zur Sprache zu bringen, was hätte gesagt sein sollen.
Schreimutter
warum hast du geschrien
… in Strophe zwei offenbart, dass dieselbe Frau rumgeschrien hat - vermutlich adressiert an die Kinder, aus nichtigem Anlass und unberechenbar.
Schrei Kind
wer brach dir die Flügel
… schließlich liest sich wiederum als Appell; diesmal an das Kind gerichtet, nicht in das Verhaltensmuster der Mutter zu fallen und den Schmerz in sich einzuschließen. Die konkrete Frage nach dem "wer" deutet darauf hin, dass die Ursache einer Person zugeordnet werden kann. Das "brach dir die Flügel" spricht klar von Gewalt.

Inhaltlich spiegelt sich hier die in der Form vollzogene Wiederholung (des Aufbaus der einzelnen Strophen). Das Kind übernimmt die ihm vorgelebte Reaktion.

Darüber hinaus verweist das Gedicht unausgesprochen auf das sogenannte "Schreikind", das familiär sowohl als Indikator einer dauerhaft psychosozialen Spannungssituation, aber auch/oder gleichzeitig als dessen Verstärker fungieren kann.
In jedem Fall ist der Teufelskreis, dem so schwer zu entkommen ist, hier anschaulich und schlüssig ins lyrische Bild gesetzt worden.

Grüße von Elke
 

namibia

Mitglied
Liebe Elke,

vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Genau das wollte ich mit dem Gedicht ausdrücken. Ich wollte mit dem Wort Schreien spielen, es als Ausdruck von Hilflosigkeit, aber auch im Sinne einer unbewussten Übernahme von Mustern zeigen und auf der anderen Seite klar machen, wie manchem die Schreie im Halse stecken bleiben und so auch erstickte Schreie bei den Angehörigen zur Beklemmung führen können.

Es ist ein Gedicht, dass mir sehr am Herzen liegt, umso mehr habe ich mich gefreut, das du es bemerkt hast .

danke und einen guten Abend ..

Namibia alias anna amalia
 
O

orlando

Gast
Hallo Anna,
gern schließe ich mich Elkes zwitscherndem Kommentar an.
Das ist dir wirklich gut gelungen. :)

Grüßle
orlando
 
N

Noemi

Gast
Dein Gedicht spiegelt Ohnmacht und eine grenzenlose Trauer wider.
Ich sehe aber nicht nur das schutzlose Kind, sondern auch die ratlose Mutter.
Wer ist in diesem Drama das Opfer und wer der Täter? Niemand kann es sagen. Nur die Trauer schreit und erschüttert.

viele Grüße
Noemi
 

namibia

Mitglied
Liebe Noemi,

das ist eigentlich die perfekte Zusammenfassung des Gedichtes - genau das wollte ich damit auszudrücken - die Täter-Opfer - Verkehrung, so dass wirklich nicht mehr auszumachen ist, wer was ist und zurück bleibt die Verletzung und der Schmerz..

Danke für deinen wertvollen Kommentar

Liebe Grüße

Anna
 



 
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