Liebe namibia,
ein gutes Gedicht, weil es in seiner Ungereimtheit doch einer strengen Form unterworfen ist, was mit dem Inhalt korrespondiert.
Du hast konsequent auf Zeichensetzung verzichtet. Das ist gut. So kann
Schrei Mutter
warum hast du geschwiegen
… als Imperativ gelesen und verstanden werden, an eine Frau, die immer nur geschluckt hat, anstatt zur Sprache zu bringen, was hätte gesagt sein sollen.
Schreimutter
warum hast du geschrien
… in Strophe zwei offenbart, dass dieselbe Frau rumgeschrien hat - vermutlich adressiert an die Kinder, aus nichtigem Anlass und unberechenbar.
Schrei Kind
wer brach dir die Flügel
… schließlich liest sich wiederum als Appell; diesmal an das Kind gerichtet, nicht in das Verhaltensmuster der Mutter zu fallen und den Schmerz in sich einzuschließen. Die konkrete Frage nach dem "wer" deutet darauf hin, dass die Ursache einer Person zugeordnet werden kann. Das "brach dir die Flügel" spricht klar von Gewalt.
Inhaltlich spiegelt sich hier die in der Form vollzogene Wiederholung (des Aufbaus der einzelnen Strophen). Das Kind übernimmt die ihm vorgelebte Reaktion.
Darüber hinaus verweist das Gedicht unausgesprochen auf das sogenannte "Schreikind", das familiär sowohl als Indikator einer dauerhaft psychosozialen Spannungssituation, aber auch/oder gleichzeitig als dessen Verstärker fungieren kann.
In jedem Fall ist der Teufelskreis, dem so schwer zu entkommen ist, hier anschaulich und schlüssig ins lyrische Bild gesetzt worden.
Grüße von Elke