Schrei nach altem Fisch

1,00 Stern(e) 1 Stimme
Schrei nach altem Fisch
Der erste Schwarze des Schülerlebens betrat den Schulhof in der Gestalt des Cassius Pille. Da gab es mal einen Comic mit einem wuschelhaarigen Huhn das diesen Namen trug und aus einer Eierhüllenwäsche glotzte. Von dem hatte Cassius seinen Spitznamen. Jeder wollte sein weiches und straff federndes Kraushaar berühren, hunderte Schüler drängten sich um ihn um auch mal dranzukommen. Die Raucherhof-Vorbilder aus der Dreizehn - ich noch Fünfte mit Sextanerblase - : Freaks, langhaarig, wie aus dem Afri-Cola-Spot, die Iron Butterfly, Birth Control, Sabbath, Purple und Zeppelin hörten. Da gab es Kloppereien um die Frage, welche Band besser wäre. Wichtig für die Beurteilung waren Länge und Anzahl von Drum- und vor allem Gitarrensolos, die Verspieltheit der barocken Orgelparts sowie Höhe und -länge der Gesangschreie. Die Verdikte wurden in Art der Literaturkritik meiner Mutter verhängt: Gute Werke durften keinen Sex, mussten aber umso mehr Naturbeschreibungen enthalten, um in die Hall of Fame der Bücherwelt aufgenommen zu werden. Naturbeschreibungen waren die Gitarrensoli meiner Mutter. Und für uns war nur gut, was ein geiles Solo, was einen Haufen Lautstärke aufweisen konnte.

Der schon vom Meister der Bohrungen bekannte Affekttäter Nethercod kannte alle Sabbath-Texte auswendig und brüllte in der Umkleide Poisoning their brainwashed mihihinds, oh Lord, yeah! und noch andere Ozzy-Zeilen in die süßschwüle Luft. Oh Lord, yeah! hörte sich bei ihm an wie oh, lodger!, was fast schon science fiction war, da der richtige Lodger erst 79 als LP von Bowie herauskam. Der Besenstielbastler Woody von unserer Kellerpunkband kam immer mit Live-Zitaten von Led Zeppelins "The Song remains the Same" um die Ecke geschlichen - This is a song of hope - als wären die Konzertdurchsagen Bibelsprüche oder Zauberworte, deren Sinn unverständlich, aber doch irgendwie wichtig, richtig und allgemeingültig sein musste. Die Eltern aber hörten ABBA. Und die waren eigentlich auch ziemlich gut. Aber zuzugeben, dass man ABBA selber mochte oder wenigstens die süße Agnetha heimlich als Bravo-Starschnitt hinter die Zimmertür gepinnt hatte, wäre äußerst uncool gewesen. Dafür ist Agnethas Musik stets noch leise im Hintergrund präsent und sue selbst immer noch wunderschön, während sich Ozzy schon das dreiviertel Hirn weggesoffen hat, aber wenigstens wieder Konzerte gibt, für die er so geschminkt wird, dass er wie eine Puffmutter aussieht.

Schreilängen, Soli, Live-Ansagen, End-Parts, pausenlange Rabbinerdiskussionen über Berauschungsgrad und Clerverness der sägenden und scheppernden Musik, in denen Sabbath dumm wie der Alkoholschwamm von Osbornes Hirn waren, Iommis bedrohliche Gitarre aber als Ausgleich dafür innovativ tief und laut. Zeppelin waren schlau und extatisch, Purple wechselten ständig die Besetzung und keiner blickte vor lauter Orgelgedröhn mehr durch wer noch oder schon wieder in der barocken Kathedrale mitspielte: Unnahbare Charaktere, die gute Soli und eine Art von Gottesdienst lieferten, der sich als Orgelpfeifennebel über unsere schummrigen Gewölbe ergoß in denen man kniend oder auf breitbeinig feststehenden Füßen nachts den Kopf zur lauten Musik schüttelte; am Tag danach saß ein Muskelkater im Nacken, der sich allerdings wegmassieren ließ. Im Kiosk gab es Bier, Nuts, Kojak-Lollies, Treets, Nappo, Musketier-Stangen und Schleckmuscheln, fast alle Mädels ließen sich in den dunklen Kirchkellerlöchern knutschen und bei manchen war’s auch besser, dass nur wenig von ihnen und von uns sehen war. Tropfkerzen, Purple-Orgel, Weihrauchschwaden, alles passte im Zeitdesign ganz genau zur gerammelt vollen Gotteshauskatakombe, in der wir sind jeden Abend versammelten. Und zum Wichtigsten gehörte dabei - nicht nur, aber auch - wer am lautesten mit dem Moped vor der Tür an- und abknattern konnte, und hatte man kein Moped, lief man wenigstens in angeberischen Lederklamotten als Vorstufe herum. Ein typischer Provinzjugendclub in einer Kirche, deren heimlicher Gott über Jahre der früh verstorbene Bolan mit seiner Vibratostimme und dem Glamour-Glimmer um die Augen war. Waters und Gilmour spielten allabendlich ihre Radiorausch-Hymne, die ich selbst lautstark so mitsang

We’re just two lost souls
Swimming in a fish bowl
Year after year,
Running over the same old ground.
What have we found?
The same old fish.
Wish you were here

und das schallende Gelächter der Oberschüler erntete, denn in der vorletzten Zeile ging es nicht - so wie von mir gedacht um verlorene Seelen die wie Fische im Glas schwimmen - sondern um Gefühle von Verlassenheit und Angst.


Ob sich Samson schwarz, blau, Drum, Ascot grün, Buccaneer, Van Nelle, Javaanse Jongens braun, blau, oder gar der Lungenputzer Schwarzer Krauser No.1 in der hell- und dunkelblau gestalteten Packung am besten rauchen ließen, war auch eine der essentiellen Fragen. Und auch die, ob dünn, dick oder schwanger gedrehte Zigaretten die besten wären. Der Dritte beim Anzünden mit ein und demselben Streichholz, der Ruchlose, welcher an einer Kerze anzustecken wagte, beide würden mit Sicherheit an Lungenkrebs sterben. Wer aber ein Streichholz nach dem Anreißen vollständig abbrennen konnte, ohne sich die Finger anzusengen, wurde von irgendwem geliebt. Mir gelang das nur, wenn ich mit Spucke schummelte.
 

James Blond

Mitglied
Aus Deinen Jugenderinnerungen, lieber Christof, spricht der vertraute Weichzeichner, der uns im Rückblick vieles harmonischer, schlüssiger, einfacher und reizvoller erscheinen lässt, als es seinerzeit tatsächlich erlebt und empfunden wurde.

Du malst zum Teil schöne Kacheln, allerdings verlierst Du Dich zu oft in Aufzählungen, Namen, Details und verpasst es, das Bild des jugendlichen Lebensgefühls im Auge zu behalten. So bleibt der Pink Floyd Text ein wenig neben vielen anderen Dingen in der Luft hängen, er könnte aber zu einem Kristallisationspunkt werden. Du solltest versuchen, die Teile mehr aufeinander zu beziehen.

Grüße
JB
 



 
Oben Unten