Schüsseltreiben

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Schüsseltreiben

Die Jäger flitzten nach dem letzten Treiben zu ihren Autos. Sie rissen sich die nassen Klamotten vom Balg, zogen sich um und stürmten mit frischer Pelle inne Pinte rein.
Klar, die hatten vom faulen Rumstehen mächtig Durst und Kohldampf.
Die meisten Treiber hatten nix zum Wechseln und latschten zum Ärger vonne Wirtsleute mit die matschigen Gummistiefel in den Speisesaal.
Ich stand draußen und war stinksauer. Mir hatte vor der Jagd kein Aas verklickert, dat man sich beim abendlichen Schüsseltreiben so in Schale schmeißen tat.
Im Kofferraum lagen ne trockene Klempnerlatzhose und en Paar Arbeitsschuhe. Egal, die Sachen waren trocken und sauber.

Als ich zum Umziehn inne Toilette ging und mich im Spiegel sah, erschrak ich. Dat war doch nich der Willi Püttmann, den ich da sah? Dat war eher ne Gestalt vonne Geisterbahn. Ich peilte noch zweimal ungläubig in den Spiegel rein. Doch, ich war et wirklich! Mein Gesicht war blut- und schlammverschmiert, überall am Körper sah ich Kratzer und Risswunden. Die Haare waren vom Schwitzen klatschnass.

Ich präparierte mich son bissken und wollte mir vor dem Schüsseltreiben noch schnell einen am Tresen zwitschern. Da wurde aber nix raus. Ruck zuck hatte mich die hübsche Jägerin, die mit dem netten Kompliment da draußen, beim Wickel und zog mich in son kleinen Nebenraum.
„Herr Püttmann“, sachte se mit glockenreiner Stimme, „ich bin Ärztin, mein Name ist Diana Hundehege, ich warte schon seit zehn Minuten auf Sie, Sie müssen dringend behandelt werden, Sie werden sich sonst infizieren.“
Die Frau sah jetz viel attraktiver aus als draußen inne Dunkelheit. Ihre langen blonden Haare trug se offen, und ihre blauen Augen strahlten. Ein grünet Dirndl hatte hatte se am Balg, mit ner Dekoltheke, die gerade soeben noch ihre zwei runden, weiblichen Argumente verdeckte. Ein Bild vonne Frau war dat!

Als die liebenswürdige Frau Doktor sich auch noch tief über mich beugte und meine Wunden mit ner stinkenden Flüssigkeit betupfte, brannte mein Gesicht wie Feuer und mein Herz wie ne Fackel. Ich peilte wie betäubt nur noch auf ihre herrlichen Mollis. Dat hatte die Frau hundertprozentig mitgekriegt. Sie lächelte.

Bei meinem Bertaken hätte ich natürlich schwer geklagt und stundenlang gejammert. Dat hier war aber ne ganz andere Situation. Keinen Mux gab ich von mir. Meine Privatärztin hauchte mir wie aus ner anderen Welt zu:
„Wilhelm, Sie sind nicht nur ein Gentleman, nein, Sie sind auch sehr tapfer. Die Wunden müssen ja fürchterlich brennen, die Dornen haben Sie ganz schön zugerichtet“
„Vielen Dank für Ihr Mitgefühl, Frau Doktor“, sachte ich, „Sie sind sehr liebenswürdig. Sie wollen jetz doch bestimmt meine Versicherungskarte sehn und die Praxisgebühr kassieren?“ Dat war keine so gute Frage. Wie konnte ich Ochse in sonne Situation nur son Blödsinn quatschen!
„Wilhelm“, hauchte se, „wollen Sie mich beleidigen?“ Sie streichelte mir zärtlich über die unzerstörten Teile vonne Gesichtsbacken.
„Ich bin für dich die „Diana“, mein tapferer Held.“
Mit meiner Beherrschung war et jetz vorbei. Als ich mich gerade so richtig nett bei ihr bedanken wollte, kam son idiotischer Blasmusiker reingepoltert und zerfetzte uns mit seiner verdammten Tröte fast dat Trommelfell.
Aus war et mit meinen Hormonverirrungen. So ein dösiger Hund!

Sein Signal war der Auftakt zum Schüsseltreiben. Ich dankte meiner Leibärztin mit nem flüchtigen Kuss aufe Schnute und musste fest versprechen, mit ihr im Laufe des Abends en Piccolöchen zu verpitschen.

Mit Tannengrün, Äppeln, Nüssen, Kastanien und grünen Kerzen waren die Tische geschmückt. Sie standen hufeisenförmig angeordnet im großen Festsaal. Vor Kopps saßen schon der Jagdherr mit seiner Frau und mein neuer Kumpel, Baron Hanniball.
Am Treibertisch ging et schon schwer rund. Obertreiber Adolf erzählte aus seinem langen Wildererleben. Wir hatten ne Bombenstimmung. Nun, vom Schnaps hatten wir uns ja auch schon tagsüber ganz schön wat reingelötet.
Ich wollte mich auch gerade am Treibertisch niederlassen, da rief mich der Jagdherr zu sich und gebot mir, neben dem Baron und Frau Doktor Hundehege Platz zu nehmen.
„Herr Kuhlenkamp“, sachte ich für ihn, „in meinem Aufzug? Dat geht doch nich.“
„Und ob dat geht, Püttmann, Platz!“
Hanniball streckte einladend seine Hände nach mir aus, und im Gesicht der holden Diana erkannte ich ein süßet Lächeln.
Steckte sie etwa dahinter? Ich saß nämlich genau zwischen ihr und Hanniball.
Die Tür zur Küche wurde aufgestoßen, und zwei schwitzende Köche trugen riesige Suppenterrinen in den Saal. Mir lief allein schon vom Essensgeruch dat Wasser im Mund zusammen. Ein köstlichet Rindfleischsüppchen war da inne Pötte drin. Diana füllte mir äußerst hilfsbereit dreimal den Teller.
Dann wurden dampfende Schüsseln mit lecker Sauerkraut, Kasseler, Grünkohl, Mettwürstken, Kartoffelpüree und Bratkartöffelkes aufn Tisch gestellt.
Zwei flotte Kellnerinnen balancierten Tabletts mit Körnchen und Jägermeister. Sie servierten, wie sich dat gehören tat, zuerst am Vorstandstisch, wo ich, Willi Püttmann, mit der blauen Klempnerrobe ebenfalls thronen durfte. Dat war ein super tollet Gefühl.
Bevor wir aber so richtig reinhauen durften, kloppte Herr Kuhlenkamp an sein Bierglas und krönte Hanniball zum Jagdkönig. Mit meinem Keiler wurde der Jagdkönig!
Er hängte ihm ne bronzene Keilerplakette um den Hals und lobte seine großartige Schießfertigkeit, die er noch mit 82 Jahren regelmäßig auf den Treibjagden bewies.
Dann brüllte er wieder dat bekloppte „Horrido“! Alle Jäger und Treiber grölten „Jo, Jo“! oder „Jo“! zurück. Dann hauten se sich die Schnäpse mit einem Rutsch in den Kopp rein.
„Herr Baron“, sprach Kuhlenkamp weiter, „Sie, als heutiger Jagdkönig, übernehmen bitte ab sofort die gesellschaftliche Gestaltung des Abends.“
Jetzt erst durfte mit der Atzung begonnen werden, also, Sie verstehen schon, mit dem Äsen.
Diana schaute mir tief inne Pupillen rein und fragte leise:
„Was darf ich meinem Willi denn noch auf den Teller legen?“
„Liebet Diana, du biss ja so aufmerksam und nett zu mir, schmeiß ma von jedem wat drauf, aber nich zu wenig, ich hab Kohldampf wie en Ochse. Her damit!“
Sie prustete vor Lachen. Lachen konnte die! Herrlich. Auch Hanniball gefiel meine Antwort und bemerkte weise:
„Jawohl, dem Esel, der drischt, dem soll man das Heu nich verwehren. Richtig so, Wilhelm, hau tüchtig rein!“
Bier und Schnäpschen waren kaum runtergeschüttet, da stand schon wieder ne Doppelrunde aufm Tisch. Dat war die Runde vom Jagdkönig.
Hanniball wirkte noch erstaunlich frisch. Er erhob sich, kloppte mit ner Gabel an sein Bierglas, dankte den Eheleuten Kuhlenkamp im Namen von uns allen für die Jagdeinladung, auch für die vorzügliche Bewirtung und St. Hubertus für den erfolgreichen Jagdtag.
Er nahm sein Schnapspinnchen in die linke Hand, schaute majestätisch inne Runde und rief laut:
„Auf unser deutsches Waidwerk: Ein dreifaches Horrido!“, und schüttete sich mit einem Ruck den Schnaps rein. Dat taten dann mit dem Kampfgebrüll „Horri, Horri, Horrido“ oder so ähnlich, alle inne Jagdtruppe, auch dat schnuckelige Diana.
Plötzlich sprach mich König Hannibal an:
„Wilhelm, steh doch bitte mal auf, damit alle hier noch mal sehen können, wem ich mein Jagdglück, mein großes Waidmannsheil, verdanke. Ja, Wilhelm, du bist ein Treiber, so recht nach meinem Gusto. Weicheier und Drückeberger sah ich oft in meinem Jägerleben. Was ich aber heute mit dem Glas vom Schützenstand beobachtete, werde ich so leicht nicht vergessen. Dieser tapfere Mann hier, trieb nicht nur sieben Fasane aus dichtesten Dornenhecken, nein, Wilhelm stand auch tapfer einem kapitalen Keiler Auge in Auge gegenüber. Er machte die starke Sau kühn und ohne Rücksicht auf seine Gesundheit hoch. Das hätte leicht ins Auge gehen können. Kolossal, Wilhelm, kolossal!
Von Brombeerdornen an Vorderläufen und Haupt schwer verwundet, traf ich dich im Wald an. Diese hervorragende Einzelleistung, zumal du auch noch Erstlingstreiber bist, möchte ich in Abstimmung mit dem Jagdherrn besonders würdigen. Ich ernenne dich, mein lieber Wilhelm Püttmann, Klempnermeister von und zu Herne-Baukau, zum Ehrentreiber.
Hiermit überreiche ich dir die Treiberehren-Urkunde mit meinem Familienwappen.
Meine Damen und Herren, bitte erheben sie sich. Bläser, bitte das Signal „Treiber in den Kessel!“ Ich dachte:
„Junge, Junge, wat machse hier allet mit!“
Da stand ich nun mit meiner hochroten Birne und in meiner blauen Klempnermontur. Ich stammelte verwirrt:
„Viel…, vielen untertänigsten Dank, lieber Hubertus von Hanniball, totaler Einsatz für die Jagd, dat iss doch Treiberehrensache.“ Alle klatschten Beifall und johlten wie bestusst.
Ich dankte für die Beförderung, verbeugte mich kurz nach allen Seiten und bestellte ne Doppelrunde. Diana gratulierte mir überschwänglich und drückte einen langen zarten Kuss auf meine Wunden.
„Die heilen jetzt viel schneller, Willilein“, flüsterte sie in meine hellwachen Gehörgänge. Junge, Junge, son Gebalze vor versammelter Mannschaft! Dat war doch nich normal! Die Jäger- und Treiberbande kriegte dat natürlich voll mit. Sie brüllten vor Begeisterung und verlangten Zugaben. Diana gab ihrem Ehrentreiber hocherfreut drei Zugaben. Ich wehrte mich natürlich nich, nein, ehrlich, ich hab dat sogar richtig genossen. Wann krisse denn so wat schon ma geboten?

Nee, wat ich hier allet in son paar Stunden erlebt hatte, dat glaubte mir zu Hause kein Mensch. Meine Skatbrüder nich und Berta sowieso nich! Dat war zuviel, dat musste ich erst ma richtig verdauen und morgen meinem Bertaken Punkt für Punkt berichten. Natürlich nich allet. Sie wissen schon.
Dat andere, dat Jagdgedöns und meinen todesmutigen Kampf mit dem schwatten Untier wird Berta mit Sicherheit abfällig als Jägerlatein abtun und mir en Vogel zeigen.
Wieso dachte ich Blödmann in solchen Momenten an sie? Der Abend war doch längst nicht zu Ende!
 



 
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