Schulfreund

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Isa

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Schulfreund

Ich sehe Leute näher kommen. Schnell verschwinde ich im hohen Gras des aufgeschütteten Walls. Mein Atem geht schneller, als ich die Gesichter der Menschen näher sehe. Es sind ihre Freunde. Was sie wohl sagen werden, wenn sie erkennen, was ich getan habe?
Es sind drei Jugendliche, zwei Mädchen und ein Junge. Er hat eine Bierflasche in der Hand, die er jedoch geschickt festzuhalten weiß, als er den beiden Mädchen hilft über den Zaun zu klettern. Nach einigem Gewackel und Gelächter stehen sie am Eingang der Kompostieranlage.
Ich wische mir den Schweiß von der Stirn, bald werden sie es merken, doch es ist noch nicht so weit.
Ich kenne ihre Namen. Einmal Karl, der Junge, für den sie so geschwärmt hat. Ein Anflug von Neid überkommt mich, denn er sieht wirklich gut aus. Breite Schultern, durchtrainierter, muskulöser Körper, dazu jedoch blondes Haar und so sanfte Gesichtszüge, dass man ihn für einen tapferen Ritter aus alten Sagen oder Märchen halten könnte. Sie hat mich wegen ihm nie beachtet, ich selbst bin einfach zu unscheinbar.
Karola ist auch dabei. Sie ist von kleinerem Wuchs als das andere Mädchen. Dadurch wirk ihr Körper und ihr gesamtes Erscheinungsbild zerbrechlich, doch habe ich schon an eigenem Leib erfahren, dass dieser Schein trügt. Ihre braunen Augen und die zerzauste Kurzhaarfrisur zeugen von einer schlecht unterdrückten Aggressivität. Ich weiß, dass sie Karola dafür bewundert hat. Diese Stärke hat sie sich immer gewünscht, obwohl ich sie doch viel mehr für ihre eigenen Stärken bewundert habe, die sie nie selbst erkannt hat.
Das letzte Mädchen kenne ich nur flüchtig, es ist eine ihrer Cousinen. Ich habe sie nur ein Mal mit ihr gesehen. Ihr Name ist Tabea oder vielleicht Theresa, ich bin mir nicht so sicher.
Mittlerweile sind sie weitergegangen. Karl hat ein Lied angestimmt, doch der Text dringt nicht zu mir herauf, doch erkenne ich die Melodie. Die beiden Mädchen lachen, als er den Ton nicht halten kann und somit eine Dissonanz zu hören ist, die in ein so einfaches Lied nicht passt.
Mein Atem beginnt sich zu beruhigen und auch der Schweiß auf meiner Stirn trocknet. Ich bin nun ruhig und folge dem Geschehen. Nur mein Herz beginnt schneller zu schlagen. In meinen Gedanken male ich mir das folgende Szenario aus und meine Mundwinkel ziehen sich zu einem spöttischen Grinsen nach oben.
Karola macht den entscheidenden Schritt und die anderen folgen ihr. Karl hat inzwischen sein schlüpfriges Lied beendet und ich bin ihm dankbar. Es hätte die kommende Überraschung nicht würdevoll eingeleitet. Ich weiß, was sie angelockt hat, warum sie sich dem Container nähern. Wahrscheinlich sind Karola die Unmengen an Fliegen aufgefallen, die sich über dem Behälter sammeln. Durch sie weiß ich, dass Karola Insekten abstoßend findet und sie jede Gelegenheit nutzt sie zu zerquetschen.
Sie gehen langsam auf den Container zu und ich kann die Aura der Angst, die sie umgibt, beinahe sehen. Die Cousine klammert sich ängstlich an Karl. Sie ist mit ihm zusammen, eine Fernbeziehung. Als sie es erfahren hat, war sie tagelang betrübt gewesen.
Sie zögern, als sie die Leiter sehen. Ich kann auf die Entfernung den Gesichtsausdruck nicht deutlich genug sehen, doch ich vermute, dass letztendlich Karola sich aufraffen und die Stufen nach oben steigen wird. Meine Hand tastet das Gras neben mir ab. Erleichtert atme ich auf, es ist noch da. Bald werde ich es brauchen.
Nun dauert es Karola zu lange und sie steigt die Leiter hinauf. Sie ist wackelig und rostig. Auch ich war vor einiger Zeit dort oben gestanden. Meine Hand hat es nun fest umklammert und ich ziehe es an mich heran, Karola nicht aus den Augen lassend.
Ein Schrei unterbricht die Stille und ich sehe, wie Karola blasser wird und schwankt. Das habe ich vorausgesehen, sogar fest damit gerechnet. Dieser Schrei bedeutet, dass ich meine Arbeit gut getan habe.
Ich sehe, wie Karola fällt. Karl reagiert unglaublich langsam, doch schafft er es noch rechtzeitig, sich von seiner Freundin loszureißen, und Karola aufzufangen. Ich entsichere und warte auf weitere Reaktionen. Karl ist mit Karola beschäftigt, er wird hoffentlich nichts merken. Seine Freundin steht weiterhin wie angewurzelt da und rührt sich nicht. Ich lege an und kurz erscheint ihr Bild vor meinem Innerenauge. Danach wäre sie wieder frei gewesen. Ich drücke ab. Kurz darauf fällt Karls Freundin auf den schlammigen Boden.
Karl fährt herum und rennt auf seine Freundin zu. Er ist zu spät, ich bin ein guter Schütze. Karola sitzt wie benommen auf dem Boden und starrt ins Leere. Ich lege erneut an und wieder habe ich ihr Bild vor Augen. Nun lächelt sie sogar. Mein Finger krümmt sich und gibt dem Drang nach. Ein weiterer Schuss fällt und mit ihr der aufrechte Oberkörper Karolas.
Karl zuckt wieder herum. Schade, dass ich sein Gesicht jetzt nicht sehen kann. Die vielen Male, die er mich so schäbig behandelt hat, als sei ich weniger Wert, als der Dreck unter seinen Fingernägeln. Nun machen sich die vielen Stunden im Schützenverein bezahlt. Wie sehr sie doch über mich gelacht haben, als sie es herausgefunden haben. Er allen voran. Nun sitzt er im Dreck, überschwemmt von Panik und Angst und ich habe die Macht über ihn. Er weiß es nicht und diese Ungewissheit muss ihn bestimmt rasend machen.
Ich lege ein letztes Mal an. Danach wird alles vorbei sein. Normalerweise mag ich es nicht, auf unbewegliche Ziele zu schießen, doch dieser Fall ist eine Ausnahme. Schneller als zuvor drückt mein Finger den Abzug durch. Ein letztes Mal sehe ich ihr Gesicht. Sie lächelt und streckt mir auffordernd ihre Hand entgegen. Dann ist sie verschwunden und Karl schwankt und fällt.
Meine Aufgabe ist beinahe erledigt. Ich werde sie noch wegräumen müssen. Sie sollen kein so schönes Bett bekommen, wie sie. Ihre Freunde haben es nicht verdient so sanft gebettet zu werden. Ich laufe den Hügel hinunter, mein Gewehr geschultert.
Dann schleife ich einen nach dem anderen zur Jauchegrube. Mit einem lauten Platschen versinken drei Körper in der trüben, braunen Flüssigkeit. Ein letztes Mal beschließe ich sie mir anzusehen. Meine Beine steigen sicher die wackeligen Stufen der Leiter nach oben und ich sehe hinab. Dort liegt sie. Gebettet auf Rosen und Lilien. Man könnte glatt meinen, sie würde nur schlafen, wäre da nicht das Loch in ihrer Stirn.
 
Hallo Isa

eine eindrücklich Geschichte hast du da geschrieben.
Nur an einer Stelle hast du ein Wort zuviel (Nun [red]hat[/red] dauert es Karola zu lange und sie steigt die Leiter hinauf.

grüsse Claudia
 



 
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