Schulte - Fischedick

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Ralf Langer

Mitglied
Schulte - Fischedick
Eine Tragödie

Was hatte der Makler noch gesagt.
Ein spannendes Ladenlokal in bester Lage. Die Zeit sei reif. Am besten wir träfen uns schnell. Eine einmalige Gelegenheit. Die Interessenten stünden Schlange.
Schon seine Stimme war mir seltsam vorgekommen. Sie war verlogen. Aber das schüttelte ich jetzt ab, wie den Nieselregen der mein Jackett durchnässte.
Immerhin war er Makler.
Und da erwartet man nicht die Wahrheit.
Aber jetzt, da ich wusste, dass wir uns auf der Domplatte trafen, wurde mir doch mulmig!
Wer vermutet schon auf der unteren Hochstraße der Bueraner Fußgängerzone ein erstklassiges Ladenlokal?

Irgendwie endete die Einkaufsstraße seit Jahren hinter Karstadt, zerfaserte von da,in einen bosnischen Nachkriegsschauplatz mit vergatterten Erdgeschossen und Plakaten auf denen in krakeliger Schrift zu lesen ist:

RÄUMUNGSVERKAUF oder gar in Sütterlin:NACHMIETER GESUCHT

Aber ich war guter Dinge. Ich war jung, hatte Erfahrung, gesunden Menschenverstand, ein bisschen Geld und meine Taschen gefüllt mit gutem Willen in Buer eine eigene Gastronomie zu eröffnen.
Bei Tschibo machte ich einen Stopp. Ich hatte noch Zeit und glaubte, das es wichtig wäre auf keinen Fall zu früh zum Termin zu erscheinen. Ich wollte geschäftig aussehen, nicht zu interessiert, eben so, als hätte ich mir gerade in Buer noch andere Objekte angeschaut, Objekte die vielleicht spannender waren als dieses.
All das wollte ich den Makler spüren lassen.
Ich kramte einen Zettel heraus:
Schulte – Fischedick.
Nach wie vor war ich der Meinung ich hätte den Namen falsch verstanden.
Aber der Makler hatte ihn mir zweimal buchstabiert. Schulte Bindestrich Fischedick.
Wie sieht ein Makler aus der Schulte Bindestrich Fischedick heißt?

Und vor allem, wie vermietet man Objekte, mit diesem irgendwie wenig vertrauenswürdig klingenden Namen?
Und welcher Hauseigentümer bestellt einen Makler aus Horst?
Einem dieser Gelsenkirchener Stadtviertel mit einer unrühmlichen Tradition in jahrelang leerstehenden Ladenlokalen!

Ich zwang mich dazu den Kaffee langsam zu trinken, rauchte dazu ebenso langsam eine Zigarette, schaute dann auf meine Uhr, und stellte erleichtert fest, dass ich nun endlich soviel zu spät zu dem Termin erscheinen würde, wie ich hoffte, dass es geschäftigen Eindruck erwecken würde.
Ich packte meinen Aktenkoffer - der übrigens leer und geliehen war - und ging los.

Ich drückte Herrn Schulte Fischedick die Hand. Sein Händedruck hatte etwas von totem Aal.
„ Schulte Fischedick ,“ sagte er, während ich immer noch diesen Aal schüttelte.

Was für ein Typ. Im meinem Kopf fing es an zu pochen.
So sah ein Pornodarsteller aus den frühen 70 gern aus. Unwillkürlich entstand vor meinen Augen das Bild seines Büros:
Ich sah eine verblichene Fototapete mit einer darauf abgebildeten, barbusigen Afroamerikanerin, die eine E- Gitarre hielt, hinter einem aus verschiedenen Rollcontainern gepatchworktem Schreibtisch, auf dem Zeitschriften, wie Praline Coupet und Wochenend lagen, die möglicherweise an einigen Stellen auf seltsame Art und Weise zugeklebt zu sein schienen.
Ich riss meine Hand los.
„Langer, sagte ich. Ralf Langer. Meine Freunde nennen mich Taco. Sie dürfen Herr Langer zu mir sagen."
Schulte Fischedick versuchte ein Lächeln.
„Natürlich. Wie sie meinen.“
Er zeigte mit der Hand auf das Ladenlokal.
„Ich darf dann mal vorgehen!“

Ich nickte, ging schweigend die wenigen Meter bis zum Ladenlokal neben ihm her, und dachte mit einem Anflug von Verzweifelung:
Schulte Fischedick. Ehemaliger Pornodarsteller .Jetzt Immobilenmakler. Gewickelt in eine Collegejacke, mit einem verblasstem Emblem einer erfundenen britisches Highschool, Slippern, mit diesen Bömmeln statt Schnürsenkeln, hineingeschossen in eine Buntfaltenhose, mit Falten wie Tränensäcke aus 100 Jahren Einsamkeit, der Kopf umkränzt von einer fliehenden Stirn, die die menschliche Abstammungslehre nach Darwin auf eindringlichste bestätigte.

Dann traten wir ein in den Palast.
„Ich würde gerne Licht machen, aber die Sicherungskästen müssen noch erneuert werden.“
Seine Stimme dieselte und aus seiner Nase nässte ein Bächlein auf sein Revers.
Er ging einen Schritt zur Seite.
„Schauen sie sich doch erst einmal um und lassen den Raum auf sich wirken. Ich bleibe in ihrer Nähe.“
Er deutete mit der Hand auf die Stelle wo er stand und schüttelte sich ein Lächeln aus seinem Kiefer, das mich an einen polnischen Autoverkäufer erinnerte, bei dem ich vor einigen Jahren, auf dem Essener Automarkt, Erfahrungen im Werte von zweitausend Euro erstanden hatte.
Vielleicht Verwandtschft?

Dieser Raum. Ich war überwältigt. So eine Ruine, wie diesen Raum, hatte ich bis jetzt nur im Reich von zweitklassigen Ritterfilmen gesehen.
Langsam, Schritt für Schritt, ging ich in die Tiefen des Raumes.
Da stand ein Tapeziertisch mit einer Bahn Rauhfaser und einem versteinerten Quast vor dem Sicherungskasten. Die Blende baumelte an einem hastig, vor Jahren hineingeschlgenen, Eisennagel, und gab so den Blick frei auf antik anmutende Porzellansicherungen, die von einem Menschen eingeschraubt sein mußten, bevor ein englischer Pilot im zweiten Weltkrieg die Spitze des buerschen Doms abgeschossen hatte.
Aus diesem Artefakt der frühen Christianisierung brandeten Kabel, wie Wellen an den Strand, die sich an der Decke zu einem gordischen Knoten zusammenfügten, den auch Alexander der Große nicht hätte zerschlagen können.
„Man muss natürlich ein bisschen Fantasie mit bringen“,
rief mir Schulte - Fischedick zu.
Ich nickte und sagte etwas zu laut,
„Fantasie alleine wird wohl nicht reichen!“

Dann ging ich weiter und bewunderte die Heizkörper, die nikotingelb und so massiv und schwer wie die Wände von Fort Knox schienen.
„Die Heizkörper erzielen an der Metallbörse bestimmt einen guten Preis“, rief ich ohne mich umzudrehen, ging dann weiter, ohne eine Antwort abzuwarten, und trat dabei einen mit gräulich schimmerndem Brackwasser gefüllten Plastikeimer um, der sich über den Linoleumboden ergoss;
einem Linoleumboden, der wohl verlegt worden war, als die letzte Hexe beim Grafen von Westerholt auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war.
„ Frühes 18.Jdt, was?“, sagte ich und deutete auf den Boden.
Schulte – Fischedick schüttelte energisch den Kopf und rief,
während ich leise fluchend das Wasser von meinem Hosenbein schüttelte,
„Vorsicht die Decke leckt ein bisschen“.
Schon stand er neben mir und zeigte auf einen erheblichen Wasserschaden an der Decke, der die Form des indischen Subkontinents angenommen hatte.
„Ist aber nichts dramatisches. Die Handwerker sind schon bestellt.“
Ich mochte ihm nicht glauben.
Sagte aber nur:
„Ich glaube rechts neben Indien entsteht schon Ceylon.“

Mein Blick schweifte weiter über die Decke. Ich sah Metallgitter in einer Farbe, die nach Goethes Farbtheorie nicht existierte.
Von hier unten aus, sah es so aus als wären Fliegenpopulationen seit dem Anbeginn der Evolution darauf eingegangen.
„Was ist das?“, fragte ich.
„Oh, das ist die Lüftung. Ist noch aus den guten fünfziger Jahren!“
Ich schaute mir die verrosteten Stäbe genauer an.
„Die Fünfziger Jahre? Welchen Jahrhunderts?“

Schulte Fische Dick legte seine Hand auf meine Schultern.
„Sie sind einer von den Lustigen. Stimmt`s?“
Ich schaute mich langsam um.
„Humor hilft. Und hier scheint jede Hilfe brauchbar.“
„Na ja“, sagte er und tupfte sich wieder mit einem eingetrockneten Taschentuch ein wenig Speichel von der Wange.
„Mit der Lüftung ist soweit alles in Ordnung. Man müsste mal schauen, wegen des Asbestes. Aber die Handwerker!“
„...machen das schon“, ergänzte ich.
Ich versuchte auf Hautatmung umzustellen. Der Gedanke an Asbest und an die Kosten, brachten mich ein wenig ins Wanken.

Schulte - Fischedick ergänzte in beruhigendem Ton eines Priesters bei der letzten Ölung:
„Keine Sorge. Die Lüftungen sind so verklebt. Da rieselt nichts mehr raus.“

Ich wusste nicht, ob ich vor Erleichterung lachen oder weinen sollte. Letztlich wurde der Fluchinstinkt stark in mir. Aber ich widerstand.
„Wo befinden sich die Toiletten?“, fragte ich, und versuchte den Plastikeimer wieder so zu kalibrieren, dass die Wassertropfen in ihn hinein fallen konnten.

Schulte Fischedick wies auf eine, an der gegenüberliegenden Seite liegenden Öffnung im Mauerwerk, die im Halbdunkeln aussah, wie das weit aufgerissenen Maul eines Buckelwals. Eine Öffnung die das Licht verschlang, wie der große weiße Wal, die Seelen derjenigen, die ihn jagten.
Und dann sah ich es deutlich vor mir:
Tief in den Eingeweiden diese Gebäude war das Scheißhaus von Käptain Ahab.

Schulte - Fischedick zog eine Taschenlampe aus seiner Collegejacke, schaltete sie an, und ging mir voraus, auf den geöffneten Schlund zu.
„Hier kommt natürlich auch eine neue Tür rein. Wie gesagt die….“
„…die Handwerker sind bestellt“, vollendete ich.
Wir gingen eine eiserne Wendeltreppe hinab. Die Taschenlampe huschte über die Wände. Zweimal riet mir der Makler meinen Kopf einzuziehen, nur einmal reagierte ich zu spät. Dann hatte ich Spinnweben im Gesicht und ein Tier, von dem ich froh war nicht zu sehen wie es aussah, krabbelte mir über die Hand.
Ich musste an die Cranger Kirmes, und meine letzte Geisterbahnfahrt gegen Ende der siebziger Jahre denken.
Schließlich gebot er mir anzuhalten und einen Moment zu warten.

Dämmriges Kerzenlicht erhellte das Ende des Ganges und auch gleichsam das Ende der Welt, dass ich irgendwo hinter den putzlosen Mauern vermutete.

„Ich habe hier unten ein paar dicke Kerzen aufgestellt. So sieht man etwas bis,na ja, sie wissen schon, die Handwerker fertig sind.“
Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Dämmerlicht, und mein Verstand an diesen Raum, der die Gemütlichkeit einer mittelalterlichen Folterkammer ausstrahlte.
Wie lange hatte der Wiederaufbau Dresdens gedauert?
Wie groß war die Zahl der Sklaven, die die großen Pyramiden erbaut hatten?
Wie auch immer !
Hier wurde handwerkliches Neuland betreten.
Dann trat Schulte – Fischedick zur Seite und ich sah sie: Die Toilette!

„Es gibt nur eine Toilette“, fragte ich und gab mir Mühe in meiner Stimme den Unglauben zu unterdrücken.
„Na ja, ist ein bisschen Eng hier unten. Aber vielleicht können die Handwerker….“
„Schon gut. Ich weiß. Die Handwerker. Schon klar“, unterbrach ich ihn.

Unisextoiletten dachte ich unwillkürlich und stellte mir vor, wie meine zukünftigen Gäste sich durch das Maul des weißen Wals zwängten, hier hinunter gingen, einer hinter dem anderen,wie bei einer Prozession, jeder ein Grablicht in Händen, um vor der einzigen Toilette zu stehen, in einem Gewölbe aus Walbein, illuminiert vom Schein gesegneter Kerzen aus dem Dom, um dann auf einer Toilette ihr Geschäft zu verrichten, das der alte Ahab aus einem ägyptischen Tempel der ersten Dynastie gestohlen hatte, auf der möglicherweise noch versteinerte Reste des letzten Stuhlgangs Tut Ench Amuns….

Erlebnisgastronomie, dachte ich und sagte,
„Vielleicht sollten wir wieder nach oben gehen. Für heute habe ich genug gesehen.“

Es war Dämmrig geworden. Ich stand alleine vor dem Ladenlokal. Schulte Fischedick war gegangen. Entschwunden wie der wilde bösartige Sklave Caliban aus Shakespeares „Der Sturm“.
Jetzt saß er vielleicht schon wieder in seinem Büro, in dem ich nun auch umgedrehte Kreuze und Drudenfüße, neben den verklebten Illustrierten und der Fototapete sah, telefonierte wahrscheinlich mit dem Besitzer, dieses- im wahrsten Sinne des Wortes - phantastischen Ladenlokals, und raunte ihm in das geneigte Ohr, dass es ihm wieder gelungen sei jemanden zu verjagen.

Ach ja. 2800 Euro Kaltmiete, natürlich ohne Nebenkosten, Mietvertrag auf mindestens fünfzehn Jahre, mit Option auf weitere fünfzehn, das Stellen einer Kaution - wahrscheinlich für die antiken Sicherungskästen und das Artefakt im Keller - sowie eine Beteiligung an den Handwerkerkosten, habe ich vergessen zu erwähnen.

Ich schluckte meinen Zorn hinunter, und stapfte durch den Regen zu meinem Auto. Ich hatte noch einen Termin in Polsum. Etwas außerhalb. Nicht der Ort wo es mich eigentlich hinzog. Aber wer weiß. Man muß allem eine Chance geben.
Schulte Fische dick ist nicht überall, dachte ich.
Das gab mir Hoffnung.
 

Ralf Langer

Mitglied
Schulte - Fischedick
Eine Tragödie

Was hatte der Makler noch gesagt.
Ein spannendes Ladenlokal in bester Lage. Die Zeit sei reif. Am besten wir träfen uns schnell. Eine einmalige Gelegenheit. Die Interessenten stünden Schlange.
Schon seine Stimme war mir seltsam vorgekommen. Sie war verlogen. Aber das schüttelte ich jetzt ab, wie den Nieselregen der mein Jackett durchnässte.
Immerhin war er Makler.
Und da erwartet man nicht die Wahrheit.
Aber jetzt, da ich wusste, dass wir uns auf der Domplatte trafen, wurde mir doch mulmig!
Wer vermutet schon auf der unteren Hochstraße der Bueraner Fußgängerzone ein erstklassiges Ladenlokal?

Irgendwie endete die Einkaufsstraße seit Jahren hinter Karstadt, zerfaserte von da,in einen bosnischen Nachkriegsschauplatz mit vergatterten Erdgeschossen und Plakaten auf denen in krakeliger Schrift zu lesen ist:

RÄUMUNGSVERKAUF oder gar in Sütterlin:NACHMIETER GESUCHT

Aber ich war guter Dinge. Ich war jung, hatte Erfahrung, gesunden Menschenverstand, ein bisschen Geld und meine Taschen gefüllt mit gutem Willen in Buer eine eigene Gastronomie zu eröffnen.
Bei Tschibo machte ich einen Stopp. Ich hatte noch Zeit und glaubte, das es wichtig wäre auf keinen Fall zu früh zum Termin zu erscheinen. Ich wollte geschäftig aussehen, nicht zu interessiert, eben so, als hätte ich mir gerade in Buer noch andere Objekte angeschaut, Objekte die vielleicht spannender waren als dieses.
All das wollte ich den Makler spüren lassen.
Ich kramte einen Zettel heraus:
Schulte – Fischedick.
Nach wie vor war ich der Meinung ich hätte den Namen falsch verstanden.
Aber der Makler hatte ihn mir zweimal buchstabiert. Schulte Bindestrich Fischedick.
Wie sieht ein Makler aus der Schulte Bindestrich Fischedick heißt?

Und vor allem, wie vermietet man Objekte, mit diesem irgendwie wenig vertrauenswürdig klingenden Namen?
Und welcher Hauseigentümer bestellt einen Makler aus Horst?
Einem dieser Gelsenkirchener Stadtviertel mit einer unrühmlichen Tradition in jahrelang leerstehenden Ladenlokalen!

Ich zwang mich dazu den Kaffee langsam zu trinken, rauchte dazu ebenso langsam eine Zigarette, schaute dann auf meine Uhr, und stellte erleichtert fest, dass ich nun endlich soviel zu spät zu dem Termin erscheinen würde, wie ich hoffte, dass es geschäftigen Eindruck erwecken würde.
Ich packte meinen Aktenkoffer - der übrigens leer und geliehen war - und ging los.

Ich drückte Herrn Schulte Fischedick die Hand. Sein Händedruck hatte etwas von totem Aal.
„ Schulte Fischedick ,“ sagte er, während ich immer noch diesen Aal schüttelte.

Was für ein Typ. Im meinem Kopf fing es an zu pochen.
So sah ein Pornodarsteller aus den frühen 70 gern aus. Unwillkürlich entstand vor meinen Augen das Bild seines Büros:
Ich sah eine verblichene Fototapete mit einer darauf abgebildeten, barbusigen Afroamerikanerin, die eine E- Gitarre hielt, hinter einem aus verschiedenen Rollcontainern gepatchworktem Schreibtisch, auf dem Zeitschriften, wie Praline, Coupet und Wochenend lagen, die möglicherweise an einigen Stellen auf seltsame Art und Weise zugeklebt zu sein schienen.
Ich riss meine Hand los.
„Langer, sagte ich. Ralf Langer. Meine Freunde nennen mich Taco. Sie dürfen Herr Langer zu mir sagen."
Schulte Fischedick versuchte ein Lächeln.
„Natürlich. Wie sie meinen.“
Er zeigte mit der Hand auf das Ladenlokal.
„Ich darf dann mal vorgehen!“

Ich nickte, ging schweigend die wenigen Meter bis zum Ladenlokal neben ihm her, und dachte mit einem Anflug von Verzweifelung:
Schulte Fischedick. Ehemaliger Pornodarsteller .Jetzt Immobilenmakler. Gewickelt in eine Collegejacke, mit einem verblasstem Emblem einer erfundenen britisches Highschool, Slippern, mit diesen Bömmeln statt Schnürsenkeln, hineingeschossen in eine Buntfaltenhose, mit Falten wie Tränensäcke aus 100 Jahren Einsamkeit, der Kopf umkränzt von einer fliehenden Stirn, die die menschliche Abstammungslehre nach Darwin auf eindringlichste bestätigte.

Dann traten wir ein in den Palast.
„Ich würde gerne Licht machen, aber die Sicherungskästen müssen noch erneuert werden.“
Seine Stimme dieselte und aus seiner Nase nässte ein Bächlein auf sein Revers.
Er ging einen Schritt zur Seite.
„Schauen sie sich doch erst einmal um und lassen den Raum auf sich wirken. Ich bleibe in ihrer Nähe.“
Er deutete mit der Hand auf die Stelle wo er stand und schüttelte sich ein Lächeln aus seinem Kiefer, das mich an einen polnischen Autoverkäufer erinnerte, bei dem ich vor einigen Jahren, auf dem Essener Automarkt, Erfahrungen im Werte von zweitausend Euro erstanden hatte.
Vielleicht Verwandtschft?

Dieser Raum. Ich war überwältigt. So eine Ruine, wie diese, hatte ich bis jetzt nur im Umfeld von zweitklassigen Ritterfilmen gesehen.
Langsam, Schritt für Schritt, ging ich in die Tiefen des Raumes.
Da stand ein Tapeziertisch mit einer Bahn Rauhfaser und einem versteinerten Quast vor dem Sicherungskasten. Die Blende baumelte an einem hastig, vor Jahren hineingeschlgenen, Eisennagel, und gab so den Blick frei auf antik anmutende Porzellansicherungen, die von einem Menschen eingeschraubt sein mußten, bevor ein englischer Pilot im zweiten Weltkrieg die Spitze des buerschen Doms abgeschossen hatte.
Aus diesem Artefakt der frühen Christianisierung brandeten Kabel, wie Wellen an den Strand, die sich an der Decke zu einem gordischen Knoten zusammenfügten, den auch Alexander der Große nicht hätte zerschlagen können.
„Man muss natürlich ein bisschen Fantasie mit bringen“,
rief mir Schulte - Fischedick zu.
Ich nickte und sagte etwas zu laut,
„Fantasie alleine wird wohl nicht reichen!“

Dann ging ich weiter und bewunderte die Heizkörper, die nikotingelb und so massiv und schwer wie die Wände von Fort Knox schienen.
„Die Heizkörper erzielen an der Metallbörse bestimmt einen guten Preis“, rief ich ohne mich umzudrehen, ging dann weiter, ohne eine Antwort abzuwarten, und trat dabei einen mit gräulich schimmerndem Brackwasser gefüllten Plastikeimer um, der sich über den Linoleumboden ergoss;
einem Linoleumboden, der wohl verlegt worden war, als die letzte Hexe beim Grafen von Westerholt auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war.
„ Frühes 18.Jdt, was?“, sagte ich und deutete auf den Boden.
Schulte – Fischedick schüttelte energisch den Kopf und rief,
während ich leise fluchend das Wasser von meinem Hosenbein schüttelte,
„Vorsicht die Decke leckt ein bisschen“.
Schon stand er neben mir und zeigte auf einen erheblichen Wasserschaden an der Decke, der die Form des indischen Subkontinents angenommen hatte.
„Ist aber nichts dramatisches. Die Handwerker sind schon bestellt.“
Ich mochte ihm nicht glauben.
Sagte aber nur:
„Ich glaube rechts neben Indien entsteht schon Ceylon.“

Mein Blick schweifte weiter über die Decke. Ich sah Metallgitter in einer Farbe, die nach Goethes Farbtheorie nicht existierte.
Von hier unten aus, sah es so aus als wären Fliegenpopulationen seit dem Anbeginn der Evolution darauf eingegangen.
„Was ist das?“, fragte ich.
„Oh, das ist die Lüftung. Ist noch aus den guten fünfziger Jahren!“
Ich schaute mir die verrosteten Stäbe genauer an.
„Die Fünfziger Jahre? Welchen Jahrhunderts?“

Schulte Fische Dick legte seine Hand auf meine Schultern.
„Sie sind einer von den Lustigen. Stimmt`s?“
Ich schaute mich langsam um.
„Humor hilft. Und hier scheint jede Hilfe brauchbar.“
„Na ja“, sagte er und tupfte sich wieder mit einem eingetrockneten Taschentuch ein wenig Speichel von der Wange.
„Mit der Lüftung ist soweit alles in Ordnung. Man müsste mal schauen, wegen des Asbestes. Aber die Handwerker!“
„...machen das schon“, ergänzte ich.
Ich versuchte auf Hautatmung umzustellen. Der Gedanke an Asbest und an die Kosten, brachten mich ein wenig ins Wanken.

Schulte - Fischedick ergänzte in beruhigendem Ton eines Priesters bei der letzten Ölung:
„Keine Sorge. Die Lüftungen sind so verklebt. Da rieselt nichts mehr raus.“

Ich wusste nicht, ob ich vor Erleichterung lachen oder weinen sollte. Letztlich wurde der Fluchinstinkt stark in mir. Aber ich widerstand.
„Wo befinden sich die Toiletten?“, fragte ich, und versuchte den Plastikeimer wieder so zu kalibrieren, dass die Wassertropfen in ihn hinein fallen konnten.

Schulte Fischedick wies auf eine, an der gegenüberliegenden Seite liegenden Öffnung im Mauerwerk, die im Halbdunkeln aussah, wie das weit aufgerissenen Maul eines Buckelwals. Eine Öffnung die das Licht verschlang, wie der große weiße Wal, die Seelen derjenigen, die ihn jagten.
Und dann sah ich es deutlich vor mir:
Tief in den Eingeweiden diese Gebäude war das Scheißhaus von Käptain Ahab.

Schulte - Fischedick zog eine Taschenlampe aus seiner Collegejacke, schaltete sie an, und ging mir voraus, auf den geöffneten Schlund zu.
„Hier kommt natürlich auch eine neue Tür rein. Wie gesagt die….“
„…die Handwerker sind bestellt“, vollendete ich.
Wir gingen eine eiserne Wendeltreppe hinab. Die Taschenlampe huschte über die Wände. Zweimal riet mir der Makler meinen Kopf einzuziehen, nur einmal reagierte ich zu spät. Dann hatte ich Spinnweben im Gesicht und ein Tier, von dem ich froh war nicht zu sehen wie es aussah, krabbelte mir über die Hand.
Ich musste an die Cranger Kirmes, und meine letzte Geisterbahnfahrt gegen Ende der siebziger Jahre denken.
Schließlich gebot er mir anzuhalten und einen Moment zu warten.

Dämmriges Kerzenlicht erhellte das Ende des Ganges und auch gleichsam das Ende der Welt, dass ich irgendwo hinter den putzlosen Mauern vermutete.

„Ich habe hier unten ein paar dicke Kerzen aufgestellt. So sieht man etwas bis,na ja, sie wissen schon, die Handwerker fertig sind.“
Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Dämmerlicht, und mein Verstand an diesen Raum, der die Gemütlichkeit einer mittelalterlichen Folterkammer ausstrahlte.
Wie lange hatte der Wiederaufbau Dresdens gedauert?
Wie groß war die Zahl der Sklaven, die die großen Pyramiden erbaut hatten?
Wie auch immer !
Hier wurde handwerkliches Neuland betreten.
Dann trat Schulte – Fischedick zur Seite und ich sah sie: Die Toilette!

„Es gibt nur eine Toilette“, fragte ich und gab mir Mühe in meiner Stimme den Unglauben zu unterdrücken.
„Na ja, ist ein bisschen Eng hier unten. Aber vielleicht können die Handwerker….“
„Schon gut. Ich weiß. Die Handwerker. Schon klar“, unterbrach ich ihn.

Unisextoiletten dachte ich unwillkürlich und stellte mir vor, wie meine zukünftigen Gäste sich durch das Maul des weißen Wals zwängten, hier hinunter gingen, einer hinter dem anderen,wie bei einer Prozession, jeder ein Grablicht in Händen, um vor der einzigen Toilette zu stehen, in einem Gewölbe aus Walbein, illuminiert vom Schein gesegneter Kerzen aus dem Dom, um dann auf einer Toilette ihr Geschäft zu verrichten, das der alte Ahab aus einem ägyptischen Tempel der ersten Dynastie gestohlen hatte, auf der möglicherweise noch versteinerte Reste des letzten Stuhlgangs Tut Ench Amuns….

Erlebnisgastronomie, dachte ich und sagte,
„Vielleicht sollten wir wieder nach oben gehen. Für heute habe ich genug gesehen.“

Es war Dämmrig geworden. Ich stand alleine vor dem Ladenlokal. Schulte Fischedick war gegangen. Entschwunden wie der wilde bösartige Sklave Caliban aus Shakespeares „Der Sturm“.
Jetzt saß er vielleicht schon wieder in seinem Büro, in dem ich nun auch umgedrehte Kreuze und Drudenfüße, neben den verklebten Illustrierten und der Fototapete sah, telefonierte wahrscheinlich mit dem Besitzer, dieses- im wahrsten Sinne des Wortes - phantastischen Ladenlokals, und raunte ihm in das geneigte Ohr, dass es ihm wieder gelungen sei jemanden zu verjagen.

Ach ja. 2800 Euro Kaltmiete, natürlich ohne Nebenkosten, Mietvertrag auf mindestens fünfzehn Jahre, mit Option auf weitere fünfzehn, das Stellen einer Kaution - wahrscheinlich für die antiken Sicherungskästen und das Artefakt im Keller - sowie eine Beteiligung an den Handwerkerkosten, habe ich vergessen zu erwähnen.

Ich schluckte meinen Zorn hinunter, und stapfte durch den Regen zu meinem Auto. Ich hatte noch einen Termin in Polsum. Etwas außerhalb. Nicht der Ort wo es mich eigentlich hinzog. Aber wer weiß. Man muß allem eine Chance geben.
Schulte Fische dick ist nicht überall, dachte ich.
Das gab mir Hoffnung.
 

Ralf Langer

Mitglied
Schulte - Fischedick
Eine Tragödie

Was hatte der Makler noch gesagt.
Ein spannendes Ladenlokal in bester Lage. Die Zeit sei reif. Am besten wir träfen uns schnell. Eine einmalige Gelegenheit. Die Interessenten stünden Schlange.
Schon seine Stimme war mir seltsam vorgekommen. Sie war verlogen. Aber das schüttelte ich jetzt ab, wie den Nieselregen der mein Jackett durchnässte.
Immerhin war er Makler.
Und da erwartet man nicht die Wahrheit.
Aber jetzt, da ich wusste, dass wir uns auf der Domplatte trafen, wurde mir doch mulmig!
Wer vermutet schon auf der unteren Hochstraße der Bueraner Fußgängerzone ein erstklassiges Ladenlokal?

Irgendwie endete die Einkaufsstraße seit Jahren hinter Karstadt, zerfaserte von da,in einen bosnischen Nachkriegsschauplatz mit vergatterten Erdgeschossen und Plakaten auf denen in krakeliger Schrift zu lesen ist:

RÄUMUNGSVERKAUF oder gar in Sütterlin:NACHMIETER GESUCHT

Aber ich war guter Dinge. Ich war jung, hatte Erfahrung, gesunden Menschenverstand, ein bisschen Geld und meine Taschen gefüllt mit gutem Willen in Buer eine eigene Gastronomie zu eröffnen.
Bei Tschibo machte ich einen Stopp. Ich hatte noch Zeit und glaubte, das es wichtig wäre auf keinen Fall zu früh zum Termin zu erscheinen. Ich wollte geschäftig aussehen, nicht zu interessiert, eben so, als hätte ich mir gerade in Buer noch andere Objekte angeschaut, Objekte die vielleicht spannender waren als dieses.
All das wollte ich den Makler spüren lassen.
Ich kramte einen Zettel heraus:
Schulte – Fischedick.
Nach wie vor war ich der Meinung ich hätte den Namen falsch verstanden.
Aber der Makler hatte ihn mir zweimal buchstabiert. Schulte Bindestrich Fischedick.
Wie sieht ein Makler aus der Schulte Bindestrich Fischedick heißt?

Und vor allem, wie vermietet man Objekte, mit diesem irgendwie wenig vertrauenswürdig klingenden Namen?
Und welcher Hauseigentümer bestellt einen Makler aus Horst?
Einem dieser Gelsenkirchener Stadtviertel mit einer unrühmlichen Tradition in jahrelang leerstehenden Ladenlokalen!

Ich zwang mich dazu den Kaffee langsam zu trinken, rauchte dazu ebenso langsam eine Zigarette, schaute dann auf meine Uhr, und stellte erleichtert fest, dass ich nun endlich soviel zu spät zu dem Termin erscheinen würde, wie ich hoffte, dass es geschäftigen Eindruck erwecken würde.
Ich packte meinen Aktenkoffer - der übrigens leer und geliehen war - und ging los.

Ich drückte Herrn Schulte Fischedick die Hand. Sein Händedruck hatte etwas von totem Aal.
„ Schulte Fischedick ,“ sagte er, während ich immer noch diesen Aal schüttelte.

Was für ein Typ. Im meinem Kopf fing es an zu pochen.
So sah ein Pornodarsteller aus den frühen 70 gern aus. Unwillkürlich entstand vor meinen Augen das Bild seines Büros:
Ich sah eine verblichene Fototapete mit einer darauf abgebildeten, barbusigen Afroamerikanerin, die eine E- Gitarre hielt, hinter einem aus verschiedenen Rollcontainern gepatchworktem Schreibtisch, auf dem Zeitschriften, wie Praline, Coupet und Wochenend lagen, die möglicherweise an einigen Stellen auf seltsame Art und Weise zugeklebt zu sein schienen.
Ich riss meine Hand los.
„Langer, sagte ich. Ralf Langer. Meine Freunde nennen mich Taco. Sie dürfen Herr Langer zu mir sagen."
Schulte Fischedick versuchte ein Lächeln.
„Natürlich. Wie sie meinen.“
Er zeigte mit der Hand auf das Ladenlokal.
„Ich darf dann mal vorgehen!“

Ich nickte, ging schweigend die wenigen Meter bis zum Ladenlokal neben ihm her, und dachte mit einem Anflug von Verzweifelung:
Schulte Fischedick. Ehemaliger Pornodarsteller .Jetzt Immobilenmakler. Gewickelt in eine Collegejacke, mit einem verblasstem Emblem einer erfundenen britisches Highschool, Slippern, mit diesen Bömmeln statt Schnürsenkeln, hineingeschossen in eine Buntfaltenhose, mit Falten wie Tränensäcke aus 100 Jahren Einsamkeit, der Kopf umkränzt von einer fliehenden Stirn, die die menschliche Abstammungslehre nach Darwin auf eindringlichste bestätigte.

Dann traten wir ein in den Palast.
„Ich würde gerne Licht machen, aber die Sicherungskästen müssen noch erneuert werden.“
Seine Stimme dieselte und aus seiner Nase nässte ein Bächlein auf sein Revers.
Er ging einen Schritt zur Seite.
„Schauen sie sich doch erst einmal um und lassen den Raum auf sich wirken. Ich bleibe in ihrer Nähe.“
Er deutete mit der Hand auf die Stelle wo er stand und schüttelte sich ein Lächeln aus seinem Kiefer, das mich an einen polnischen Autoverkäufer erinnerte, bei dem ich vor einigen Jahren, auf dem Essener Automarkt, Erfahrungen im Werte von zweitausend Euro erstanden hatte.
Vielleicht Verwandtschaft?

Dieser Raum. Ich war überwältigt. So eine Ruine, wie diese, hatte ich bis jetzt nur im Umfeld von zweitklassigen Ritterfilmen gesehen.
Langsam, Schritt für Schritt, ging ich in die Tiefen des Raumes.
Da stand ein Tapeziertisch mit einer Bahn Rauhfaser und einem versteinerten Quast vor dem Sicherungskasten. Die Blende baumelte an einem hastig, vor Jahren, hineingeschlagenen Eisennagel, und gab so den Blick frei auf antik anmutende Porzellansicherungen, die von einem Menschen eingeschraubt sein mußten, bevor ein englischer Pilot im zweiten Weltkrieg die Spitze des buerschen Doms abgeschossen hatte.
Aus diesem Artefakt der frühen Christianisierung brandeten Kabel, wie Wellen an den Strand, die sich an der Decke zu einem gordischen Knoten zusammenfügten, den auch Alexander der Große nicht hätte zerschlagen können.
„Man muss natürlich ein bisschen Fantasie mit bringen“,
rief mir Schulte - Fischedick zu.
Ich nickte und sagte etwas zu laut,
„Fantasie alleine wird wohl nicht reichen!“

Dann ging ich weiter und bewunderte die Heizkörper, die nikotingelb und so massiv und schwer wie die Wände von Fort Knox schienen.
„Die Heizkörper erzielen an der Metallbörse bestimmt einen guten Preis“, rief ich ohne mich umzudrehen, ging dann weiter, ohne eine Antwort abzuwarten, und trat dabei einen mit gräulich schimmerndem Brackwasser gefüllten Plastikeimer um, der sich über den Linoleumboden ergoss;
einem Linoleumboden, der wohl verlegt worden war, als die letzte Hexe beim Grafen von Westerholt auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war.
„ Frühes 18.Jdt, was?“, sagte ich und deutete auf den Boden.
Schulte – Fischedick schüttelte energisch den Kopf und rief,
während ich leise fluchend das Wasser von meinem Hosenbein schüttelte,
„Vorsicht die Decke leckt ein bisschen“.
Schon stand er neben mir und zeigte auf einen erheblichen Wasserschaden an der Decke, der die Form des indischen Subkontinents angenommen hatte.
„Ist aber nichts dramatisches. Die Handwerker sind schon bestellt.“
Ich mochte ihm nicht glauben.
Sagte aber nur:
„Ich glaube rechts neben Indien entsteht schon Ceylon.“

Mein Blick schweifte weiter über die Decke. Ich sah Metallgitter in einer Farbe, die nach Goethes Farbtheorie nicht existierte.
Von hier unten aus, sah es so aus als wären Fliegenpopulationen seit dem Anbeginn der Evolution darauf eingegangen.
„Was ist das?“, fragte ich.
„Oh, das ist die Lüftung. Ist noch aus den guten fünfziger Jahren!“
Ich schaute mir die verrosteten Stäbe genauer an.
„Die Fünfziger Jahre? Welchen Jahrhunderts?“

Schulte Fische Dick legte seine Hand auf meine Schultern.
„Sie sind einer von den Lustigen. Stimmt`s?“
Ich schaute mich langsam um.
„Humor hilft. Und hier scheint jede Hilfe brauchbar.“
„Na ja“, sagte er und tupfte sich wieder mit einem eingetrockneten Taschentuch ein wenig Speichel von der Wange.
„Mit der Lüftung ist soweit alles in Ordnung. Man müsste mal schauen, wegen des Asbestes. Aber die Handwerker!“
„...machen das schon“, ergänzte ich.
Ich versuchte auf Hautatmung umzustellen. Der Gedanke an Asbest und an die Kosten, brachten mich ein wenig ins Wanken.

Schulte - Fischedick ergänzte in beruhigendem Ton eines Priesters bei der letzten Ölung:
„Keine Sorge. Die Lüftungen sind so verklebt. Da rieselt nichts mehr raus.“

Ich wusste nicht, ob ich vor Erleichterung lachen oder weinen sollte. Letztlich wurde der Fluchinstinkt stark in mir. Aber ich widerstand.
„Wo befinden sich die Toiletten?“, fragte ich, und versuchte den Plastikeimer wieder so zu kalibrieren, dass die Wassertropfen in ihn hinein fallen konnten.

Schulte Fischedick wies auf eine, an der gegenüberliegenden Seite liegenden Öffnung im Mauerwerk, die im Halbdunkeln aussah, wie das weit aufgerissenen Maul eines Buckelwals. Eine Öffnung die das Licht verschlang, wie der große weiße Wal, die Seelen derjenigen, die ihn jagten.
Und dann sah ich es deutlich vor mir:
Tief in den Eingeweiden diese Gebäude war das Scheißhaus von Käptain Ahab.

Schulte - Fischedick zog eine Taschenlampe aus seiner Collegejacke, schaltete sie an, und ging mir voraus, auf den geöffneten Schlund zu.
„Hier kommt natürlich auch eine neue Tür rein. Wie gesagt die….“
„…die Handwerker sind bestellt“, vollendete ich.
Wir gingen eine eiserne Wendeltreppe hinab. Die Taschenlampe huschte über die Wände. Zweimal riet mir der Makler meinen Kopf einzuziehen, nur einmal reagierte ich zu spät. Dann hatte ich Spinnweben im Gesicht und ein Tier, von dem ich froh war nicht zu sehen wie es aussah, krabbelte mir über die Hand.
Ich musste an die Cranger Kirmes, und meine letzte Geisterbahnfahrt gegen Ende der siebziger Jahre denken.
Schließlich gebot er mir anzuhalten und einen Moment zu warten.

Dämmriges Kerzenlicht erhellte das Ende des Ganges und auch gleichsam das Ende der Welt, dass ich irgendwo hinter den putzlosen Mauern vermutete.

„Ich habe hier unten ein paar dicke Kerzen aufgestellt. So sieht man etwas bis,na ja, sie wissen schon, die Handwerker fertig sind.“
Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Dämmerlicht, und mein Verstand an diesen Raum, der die Gemütlichkeit einer mittelalterlichen Folterkammer ausstrahlte.
Wie lange hatte der Wiederaufbau Dresdens gedauert?
Wie groß war die Zahl der Sklaven, die die großen Pyramiden erbaut hatten?
Wie auch immer !
Hier wurde handwerkliches Neuland betreten.
Dann trat Schulte – Fischedick zur Seite und ich sah sie: Die Toilette!

„Es gibt nur eine Toilette“, fragte ich und gab mir Mühe in meiner Stimme den Unglauben zu unterdrücken.
„Na ja, ist ein bisschen Eng hier unten. Aber vielleicht können die Handwerker….“
„Schon gut. Ich weiß. Die Handwerker. Schon klar“, unterbrach ich ihn.

Unisextoiletten dachte ich unwillkürlich und stellte mir vor, wie meine zukünftigen Gäste sich durch das Maul des weißen Wals zwängten, hier hinunter gingen, einer hinter dem anderen,wie bei einer Prozession, jeder ein Grablicht in Händen, um vor der einzigen Toilette zu stehen, in einem Gewölbe aus Walbein, illuminiert vom Schein gesegneter Kerzen aus dem Dom, um dann auf einer Toilette ihr Geschäft zu verrichten, das der alte Ahab aus einem ägyptischen Tempel der ersten Dynastie gestohlen hatte, auf der möglicherweise noch versteinerte Reste des letzten Stuhlgangs Tut Ench Amuns….

Erlebnisgastronomie, dachte ich und sagte,
„Vielleicht sollten wir wieder nach oben gehen. Für heute habe ich genug gesehen.“

Es war Dämmrig geworden. Ich stand alleine vor dem Ladenlokal. Schulte Fischedick war gegangen. Entschwunden wie der wilde bösartige Sklave Caliban aus Shakespeares „Der Sturm“.
Jetzt saß er vielleicht schon wieder in seinem Büro, in dem ich nun auch umgedrehte Kreuze und Drudenfüße, neben den verklebten Illustrierten und der Fototapete sah, telefonierte wahrscheinlich mit dem Besitzer, dieses- im wahrsten Sinne des Wortes - phantastischen Ladenlokals, und raunte ihm in das geneigte Ohr, dass es ihm wieder gelungen sei jemanden zu verjagen.

Ach ja. 2800 Euro Kaltmiete, natürlich ohne Nebenkosten, Mietvertrag auf mindestens fünfzehn Jahre, mit Option auf weitere fünfzehn, das Stellen einer Kaution - wahrscheinlich für die antiken Sicherungskästen und das Artefakt im Keller - sowie eine Beteiligung an den Handwerkerkosten, habe ich vergessen zu erwähnen.

Ich schluckte meinen Zorn hinunter, und stapfte durch den Regen zu meinem Auto. Ich hatte noch einen Termin in Polsum. Etwas außerhalb. Nicht der Ort wo es mich eigentlich hinzog. Aber wer weiß. Man muß allem eine Chance geben.
Schulte Fische dick ist nicht überall, dachte ich.
Das gab mir Hoffnung.
 

Ralf Langer

Mitglied
Schulte - Fischedick
Eine Tragödie

Was hatte der Makler noch gesagt.
Ein spannendes Ladenlokal in bester Lage. Die Zeit sei reif. Am besten wir träfen uns schnell. Eine einmalige Gelegenheit. Die Interessenten stünden Schlange.
Schon seine Stimme war mir seltsam vorgekommen. Sie war verlogen. Aber das schüttelte ich jetzt ab, wie den Nieselregen der mein Jackett durchnässte.
Immerhin war er Makler.
Und da erwartet man nicht die Wahrheit.
Aber jetzt, da ich wusste, dass wir uns auf der Domplatte trafen, wurde mir doch mulmig!
Wer vermutet schon auf der unteren Hochstraße der Bueraner Fußgängerzone ein erstklassiges Ladenlokal?

Irgendwie endete die Einkaufsstraße seit Jahren hinter Karstadt, zerfaserte von da,in einen bosnischen Nachkriegsschauplatz mit vergatterten Erdgeschossen und Plakaten auf denen in krakeliger Schrift zu lesen ist:

RÄUMUNGSVERKAUF oder gar in Sütterlin:NACHMIETER GESUCHT

Aber ich war guter Dinge. Ich war jung, hatte Erfahrung, gesunden Menschenverstand, ein bisschen Geld und meine Taschen gefüllt mit gutem Willen in Buer eine eigene Gastronomie zu eröffnen.
Bei Tschibo machte ich einen Stopp. Ich hatte noch Zeit und glaubte, das es wichtig wäre auf keinen Fall zu früh zum Termin zu erscheinen. Ich wollte geschäftig aussehen, nicht zu interessiert, eben so, als hätte ich mir gerade in Buer noch andere Objekte angeschaut, Objekte die vielleicht spannender waren als dieses.
All das wollte ich den Makler spüren lassen.
Ich kramte einen Zettel heraus:
Schulte – Fischedick.
Nach wie vor war ich der Meinung ich hätte den Namen falsch verstanden.
Aber der Makler hatte ihn mir zweimal buchstabiert. Schulte Bindestrich Fischedick.
Wie sieht ein Makler aus der Schulte Bindestrich Fischedick heißt?

Und vor allem, wie vermietet man Objekte, mit diesem irgendwie wenig vertrauenswürdig klingenden Namen?
Und welcher Hauseigentümer bestellt einen Makler aus Horst?
Einem dieser Gelsenkirchener Stadtviertel mit einer unrühmlichen Tradition in jahrelang leerstehenden Ladenlokalen!

Ich zwang mich dazu den Kaffee langsam zu trinken, rauchte dazu ebenso langsam eine Zigarette, schaute dann auf meine Uhr, und stellte erleichtert fest, dass ich nun endlich soviel zu spät zu dem Termin erscheinen würde, wie ich hoffte, dass es geschäftigen Eindruck erwecken würde.
Ich packte meinen Aktenkoffer - der übrigens leer und geliehen war - und ging los.

Ich drückte Herrn Schulte Fischedick die Hand. Sein Händedruck hatte etwas von totem Aal.
„ Schulte Fischedick ,“ sagte er, während ich immer noch diesen Aal schüttelte.

Was für ein Typ. Im meinem Kopf fing es an zu pochen.
So sah ein Pornodarsteller aus den frühen 70 gern aus. Unwillkürlich entstand vor meinen Augen das Bild seines Büros:
Ich sah eine verblichene Fototapete mit einer darauf abgebildeten, barbusigen Afroamerikanerin, die eine E- Gitarre hielt, hinter einem aus verschiedenen Rollcontainern gepatchworktem Schreibtisch, auf dem Zeitschriften, wie Praline, Coupet und Wochenend lagen, die möglicherweise an einigen Stellen auf seltsame Art und Weise zugeklebt zu sein schienen.
Ich riss meine Hand los.
„Langer, sagte ich. Ralf Langer. Meine Freunde nennen mich Taco. Sie dürfen Herr Langer zu mir sagen."
Schulte Fischedick versuchte ein Lächeln.
„Natürlich. Wie sie meinen.“
Er zeigte mit der Hand auf das Ladenlokal.
„Ich darf dann mal vorgehen!“

Ich nickte, ging schweigend die wenigen Meter bis zum Ladenlokal neben ihm her, und dachte mit einem Anflug von Verzweifelung:
Schulte Fischedick. Ehemaliger Pornodarsteller .Jetzt Immobilenmakler. Gewickelt in eine Collegejacke, mit einem verblasstem Emblem einer erfundenen britisches Highschool, Slippern, mit diesen Bömmeln statt Schnürsenkeln, hineingeschossen in eine Buntfaltenhose, mit Falten wie Tränensäcke aus 100 Jahren Einsamkeit, der Kopf umkränzt von einer fliehenden Stirn, die die menschliche Abstammungslehre nach Darwin auf das eindringlichste bestätigte.

Dann traten wir ein in den Palast.
„Ich würde gerne Licht machen, aber die Sicherungskästen müssen noch erneuert werden.“
Seine Stimme dieselte und aus seiner Nase nässte ein Bächlein auf sein Revers.
Er ging einen Schritt zur Seite.
„Schauen sie sich doch erst einmal um und lassen den Raum auf sich wirken. Ich bleibe in ihrer Nähe.“
Er deutete mit der Hand auf die Stelle wo er stand und schüttelte sich ein Lächeln aus seinem Kiefer, das mich an einen polnischen Autoverkäufer erinnerte, bei dem ich vor einigen Jahren, auf dem Essener Automarkt, Erfahrungen im Werte von zweitausend Euro erstanden hatte.
Vielleicht Verwandtschaft?

Dieser Raum. Ich war überwältigt. So eine Ruine, wie diese, hatte ich bis jetzt nur im Umfeld von zweitklassigen Ritterfilmen gesehen.
Langsam, Schritt für Schritt, ging ich in die Tiefen des Raumes.
Da stand ein Tapeziertisch mit einer Bahn Rauhfaser und einem versteinerten Quast vor dem Sicherungskasten. Die Blende baumelte an einem hastig, vor Jahren, hineingeschlagenen Eisennagel, und gab so den Blick frei auf antik anmutende Porzellansicherungen, die von einem Menschen eingeschraubt worden waren, bevor ein englischer Pilot im zweiten Weltkrieg die Spitze des buerschen Doms abgeschossen hatte.
Aus diesem Artefakt der frühen Christianisierung brandeten Kabel, wie Wellen an den Strand, die sich an der Decke zu einem gordischen Knoten zusammenfügten, den auch Alexander der Große nicht hätte zerschlagen können.
„Man muss natürlich ein bisschen Fantasie mit bringen“,
rief mir Schulte - Fischedick zu.
Ich nickte und sagte etwas zu laut,
„Fantasie alleine wird wohl nicht reichen!“

Dann ging ich weiter und bewunderte die Heizkörper, die nikotingelb und so massiv und schwer wie die Wände von Fort Knox schienen.
„Die Heizkörper erzielen an der Metallbörse bestimmt einen guten Preis“, rief ich ohne mich umzudrehen, ging dann weiter, ohne eine Antwort abzuwarten, und trat dabei einen mit gräulich schimmerndem Brackwasser gefüllten Plastikeimer um, der sich über den Linoleumboden ergoss;
einem Linoleumboden, der wohl verlegt worden war, als die letzte Hexe beim Grafen von Westerholt auf dem Scheiterhaufen schreiend verbrannte.
„ Frühes 18.Jdt, was?“, sagte ich und deutete auf den Boden.
Schulte – Fischedick schüttelte energisch den Kopf und rief,
während ich leise fluchend das Wasser von meinem Hosenbein schüttelte,
„Vorsicht die Decke leckt ein bisschen“.
Schon stand er neben mir und zeigte auf einen erheblichen Wasserschaden an der Decke, der die Form des indischen Subkontinents angenommen hatte.
„Ist aber nichts dramatisches. Die Handwerker sind schon bestellt.“
Ich mochte ihm nicht glauben.
Sagte aber nur:
„Ich glaube rechts neben Indien entsteht schon Ceylon.“

Mein Blick schweifte weiter über die Decke. Ich sah Metallgitter in einer Farbe, die nach Goethes Farbtheorie nicht existierte.
Von hier unten aus, sah es so aus als wären Fliegenpopulationen seit dem Anbeginn der Evolution darauf eingegangen.
„Was ist das?“, fragte ich.
„Oh, das ist die Lüftung. Ist noch aus den guten fünfziger Jahren!“
Ich schaute mir die verrosteten Stäbe genauer an.
„Die Fünfziger Jahre? Welchen Jahrhunderts?“

Schulte Fische Dick legte seine Hand auf meine Schultern.
„Sie sind einer von den Lustigen. Stimmt`s?“
Ich schaute mich langsam um.
„Humor hilft. Und hier scheint jede Hilfe brauchbar.“
„Na ja“, sagte er und tupfte sich wieder mit einem eingetrockneten Taschentuch ein wenig Speichel von der Wange.
„Mit der Lüftung ist soweit alles in Ordnung. Man müsste mal schauen, wegen des Asbestes. Aber die Handwerker!“
„...machen das schon“, ergänzte ich.
Ich versuchte auf Hautatmung umzustellen. Der Gedanke an Asbest und an die Kosten, brachten mich ein wenig ins Wanken.

Schulte - Fischedick ergänzte in beruhigendem Ton eines Priesters bei der letzten Ölung:
„Keine Sorge. Die Lüftungen sind so verklebt. Da rieselt nichts mehr raus.“

Ich wusste nicht, ob ich vor Erleichterung lachen oder weinen sollte. Letztlich wurde der Fluchinstinkt stark in mir. Aber ich widerstand.
„Wo befinden sich die Toiletten?“, fragte ich, und versuchte den Plastikeimer wieder so zu kalibrieren, dass die Wassertropfen in ihn hinein fallen konnten.

Schulte Fischedick wies auf eine, an der gegenüberliegenden Seite liegenden Öffnung im Mauerwerk, die im Halbdunkeln aussah, wie das weit aufgerissenen Maul eines Buckelwals. Eine Öffnung die das Licht verschlang, wie der große weiße Wal, die Seelen derjenigen, die ihn jagten.
Und dann sah ich es deutlich vor mir:
Tief in den Eingeweiden diese Gebäude war das Scheißhaus von Käptain Ahab.

Schulte - Fischedick zog eine Taschenlampe aus seiner Collegejacke, schaltete sie an, und ging mir voraus, auf den geöffneten Schlund zu.
„Hier kommt natürlich auch eine neue Tür rein. Wie gesagt die….“
„…die Handwerker sind bestellt“, vollendete ich.
Wir gingen eine eiserne Wendeltreppe hinab. Die Taschenlampe huschte über die Wände. Zweimal riet mir der Makler meinen Kopf einzuziehen, nur einmal reagierte ich zu spät. Dann hatte ich Spinnweben im Gesicht und ein Tier, von dem ich froh war nicht zu sehen wie es aussah, krabbelte mir über die Hand.
Ich musste an die Cranger Kirmes, und meine letzte Geisterbahnfahrt gegen Ende der siebziger Jahre denken.
Schließlich gebot er mir anzuhalten und einen Moment zu warten.

Dämmriges Kerzenlicht erhellte das Ende des Ganges und auch gleichsam das Ende der Welt, dass ich irgendwo hinter den putzlosen Mauern vermutete.

„Ich habe hier unten ein paar dicke Kerzen aufgestellt. So sieht man etwas bis,na ja, sie wissen schon, die Handwerker fertig sind.“
Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Dämmerlicht, und mein Verstand an diesen Raum, der die Gemütlichkeit einer mittelalterlichen Folterkammer ausstrahlte.
Wie lange hatte der Wiederaufbau Dresdens gedauert?
Wie groß war die Zahl der Sklaven, die die großen Pyramiden erbaut hatten?
Wie auch immer !
Hier wurde handwerkliches Neuland betreten.
Dann trat Schulte – Fischedick zur Seite und ich sah sie: Die Toilette!

„Es gibt nur eine Toilette“, fragte ich und gab mir Mühe in meiner Stimme den Unglauben zu unterdrücken.
„Na ja, ist ein bisschen Eng hier unten. Aber vielleicht können die Handwerker….“
„Schon gut. Ich weiß. Die Handwerker. Schon klar“, unterbrach ich ihn.

Unisextoiletten dachte ich unwillkürlich und stellte mir vor, wie meine zukünftigen Gäste sich durch das Maul des weißen Wals zwängten, hier hinunter gingen, einer hinter dem anderen,wie bei einer Prozession, jeder ein Grablicht in Händen, um vor der einzigen Toilette zu stehen, in einem Gewölbe aus Walbein, illuminiert vom Schein gesegneter Kerzen aus dem Dom, um dann auf einer Toilette ihr Geschäft zu verrichten, das der alte Ahab aus einem ägyptischen Tempel der ersten Dynastie gestohlen hatte, auf der möglicherweise noch versteinerte Reste des letzten Stuhlgangs Tut Ench Amuns….

Erlebnisgastronomie, dachte ich und sagte,
„Vielleicht sollten wir wieder nach oben gehen. Für heute habe ich genug gesehen.“

Es war Dämmrig geworden. Ich stand alleine vor dem Ladenlokal. Schulte Fischedick war gegangen. Entschwunden wie der wilde bösartige Sklave Caliban aus Shakespeares „Der Sturm“.
Jetzt saß er vielleicht schon wieder in seinem Büro, in dem ich nun auch umgedrehte Kreuze und Drudenfüße, neben den verklebten Illustrierten und der Fototapete sah, telefonierte wahrscheinlich mit dem Besitzer, dieses- im wahrsten Sinne des Wortes - phantastischen Ladenlokals, und raunte ihm in das geneigte Ohr, dass es ihm wieder gelungen sei jemanden zu verjagen.

Ach ja. 2800 Euro Kaltmiete, natürlich ohne Nebenkosten, Mietvertrag auf mindestens fünfzehn Jahre, mit Option auf weitere fünfzehn, das Stellen einer Kaution - wahrscheinlich für die antiken Sicherungskästen und das Artefakt im Keller - sowie eine Beteiligung an den Handwerkerkosten, habe ich vergessen zu erwähnen.

Ich schluckte meinen Zorn hinunter, und stapfte durch den Regen zu meinem Auto. Ich hatte noch einen Termin in Polsum. Etwas außerhalb. Nicht der Ort wo es mich eigentlich hinzog. Aber wer weiß. Man muß allem eine Chance geben.
Schulte Fische dick ist nicht überall, dachte ich.
Das gab mir Hoffnung.
 
R

Rose

Gast
Hallo Ralf,

eine Beschreibung einer Objektbesichtigung erster Klasse! Gern gelesen.
Ein paar kleine Tippfehler sind noch drin.

Blumige Grüße
Rose
 

Ralf Langer

Mitglied
Schulte - Fischedick
Eine Tragödie

Was hatte der Makler noch gesagt.
Ein spannendes Ladenlokal in bester Lage. Die Zeit sei reif. Am besten wir träfen uns schnell. Eine einmalige Gelegenheit. Die Interessenten stünden Schlange.
Schon seine Stimme war mir seltsam vorgekommen. Sie war verlogen. Aber das schüttelte ich jetzt ab, wie den Nieselregen der mein Jackett durchnässte.
Immerhin war er Makler.
Und da erwartet man nicht die Wahrheit.
Aber jetzt, da ich wusste, dass wir uns auf der Domplatte trafen, wurde mir doch mulmig!
Wer vermutet schon auf der unteren Hochstraße der Bueraner Fußgängerzone ein erstklassiges Ladenlokal?

Irgendwie endete die Einkaufsstraße seit Jahren hinter Karstadt, zerfaserte von da,in einen bosnischen Nachkriegsschauplatz mit vergatterten Erdgeschossen und Plakaten auf denen in krakeliger Schrift zu lesen ist:

RÄUMUNGSVERKAUF oder gar in Sütterlin:NACHMIETER GESUCHT

Aber ich war guter Dinge. Ich war jung, hatte Erfahrung, gesunden Menschenverstand, ein bisschen Geld und meine Taschen gefüllt mit gutem Willen in Buer eine eigene Gastronomie zu eröffnen.
Bei Tschibo machte ich einen Stopp. Ich hatte noch Zeit und glaubte, das es wichtig wäre auf keinen Fall zu früh zum Termin zu erscheinen. Ich wollte geschäftig aussehen, nicht zu interessiert, eben so, als hätte ich mir gerade in Buer noch andere Objekte angeschaut, Objekte die vielleicht spannender waren als dieses.
All das wollte ich den Makler spüren lassen.
Ich kramte einen Zettel heraus:
Schulte – Fischedick.
Nach wie vor war ich der Meinung ich hätte den Namen falsch verstanden.
Aber der Makler hatte ihn mir zweimal buchstabiert. Schulte Bindestrich Fischedick.
Wie sieht ein Makler aus der Schulte Bindestrich Fischedick heißt?

Und vor allem, wie vermietet man Objekte, mit diesem irgendwie wenig vertrauenswürdig klingenden Namen?
Und welcher Hauseigentümer bestellt einen Makler aus Horst?
Einem dieser Gelsenkirchener Stadtviertel mit einer unrühmlichen Tradition in jahrelang leerstehenden Ladenlokalen!

Ich zwang mich dazu den Kaffee langsam zu trinken, rauchte dazu ebenso langsam eine Zigarette, schaute dann auf meine Uhr, und stellte erleichtert fest, dass ich nun endlich soviel zu spät zu dem Termin erscheinen würde, wie ich hoffte, dass es geschäftigen Eindruck erwecken würde.
Ich packte meinen Aktenkoffer - der übrigens leer und geliehen war - und ging los.

Ich drückte Herrn Schulte Fischedick die Hand. Sein Händedruck hatte etwas von totem Aal.
„ Schulte Fischedick ,“ sagte er, während ich immer noch diesen Aal schüttelte.

Was für ein Typ. Im meinem Kopf fing es an zu pochen.
So sah ein Pornodarsteller aus den frühen 70 gern aus. Unwillkürlich entstand vor meinen Augen das Bild seines Büros:
Ich sah eine verblichene Fototapete mit einer darauf abgebildeten, barbusigen Afroamerikanerin, die eine E- Gitarre hielt, hinter einem aus verschiedenen Rollcontainern gepatchworktem Schreibtisch, auf dem Zeitschriften, wie Praline, Coupet und Wochenend lagen, die möglicherweise an einigen Stellen auf seltsame Art und Weise zugeklebt zu sein schienen.
Ich riss meine Hand los.
„Langer, sagte ich. Ralf Langer. Meine Freunde nennen mich Taco. Sie dürfen Herr Langer zu mir sagen."
Schulte Fischedick versuchte ein Lächeln.
„Natürlich. Wie sie meinen.“
Er zeigte mit der Hand auf das Ladenlokal.
„Ich darf dann mal vorgehen!“

Ich nickte, ging schweigend die wenigen Meter bis zum Ladenlokal neben ihm her, und dachte mit einem Anflug von Verzweifelung:
Schulte Fischedick. Ehemaliger Pornodarsteller .Jetzt Immobilenmakler. Gewickelt in eine Collegejacke, mit einem verblasstem Emblem einer erfundenen britisches Highschool, Slippern, mit diesen Bömmeln statt Schnürsenkeln, hineingeschossen in eine Buntfaltenhose, mit Falten wie Tränensäcke aus 100 Jahren Einsamkeit, der Kopf umkränzt von einer fliehenden Stirn, die die menschliche Abstammungslehre nach Darwin auf das eindringlichste bestätigte.

Dann traten wir ein in den Palast.
„Ich würde gerne Licht machen, aber die Sicherungskästen müssen noch erneuert werden.“
Seine Stimme dieselte und aus seiner Nase nässte ein Bächlein auf sein Revers.
Er ging einen Schritt zur Seite.
„Schauen sie sich doch erst einmal um und lassen den Raum auf sich wirken. Ich bleibe in ihrer Nähe.“
Er deutete mit der Hand auf die Stelle wo er stand und schüttelte sich ein Lächeln aus seinem Kiefer, das mich an einen polnischen Autoverkäufer erinnerte, bei dem ich vor einigen Jahren, auf dem Essener Automarkt, Erfahrungen im Werte von zweitausend Euro erstanden hatte.
Vielleicht Verwandtschaft?

Dieser Raum. Ich war überwältigt. So eine Ruine, wie diese, hatte ich bis jetzt nur im Umfeld von zweitklassigen Ritterfilmen gesehen.
Langsam, Schritt für Schritt, ging ich in die Tiefen des Raumes.
Da stand ein Tapeziertisch mit einer Bahn Rauhfaser und einem versteinerten Quast vor dem Sicherungskasten. Die Blende baumelte an einem hastig, vor Jahren, hineingeschlagenen Eisennagel, und gab so den Blick frei auf antik anmutende Porzellansicherungen, die von einem Menschen eingeschraubt worden waren, bevor ein englischer Pilot im zweiten Weltkrieg die Spitze des buerschen Doms abgeschossen hatte.
Aus diesem Artefakt der frühen Christianisierung brandeten Kabel, wie Wellen an den Strand, die sich an der Decke zu einem gordischen Knoten zusammenfügten, den auch Alexander der Große nicht hätte zerschlagen können.
„Man muss natürlich ein bisschen Fantasie mit bringen“,
rief mir Schulte - Fischedick zu.
Ich nickte und sagte etwas zu laut,
„Fantasie alleine wird wohl nicht reichen!“

Dann ging ich weiter und bewunderte die Heizkörper, die nikotingelb und so massiv und schwer wie die Wände von Fort Knox schienen.
„Die Heizkörper erzielen an der Metallbörse bestimmt einen guten Preis“, rief ich ohne mich umzudrehen, ging dann weiter, ohne eine Antwort abzuwarten, und trat dabei einen mit gräulich schimmerndem Brackwasser gefüllten Plastikeimer um, der sich über den Linoleumboden ergoss;
einem Linoleumboden, der wohl verlegt worden war, als die letzte Hexe beim Grafen von Westerholt auf dem Scheiterhaufen schreiend verbrannte.
„ Frühes 18.Jdt, was?“, sagte ich und deutete auf den Boden.
Schulte – Fischedick schüttelte energisch den Kopf und rief,
während ich leise fluchend das Wasser von meinem Hosenbein schüttelte,
„Vorsicht die Decke leckt ein bisschen“.
Schon stand er neben mir und zeigte auf einen erheblichen Wasserschaden an der Decke, der die Form des indischen Subkontinents angenommen hatte.
„Ist aber nichts dramatisches. Die Handwerker sind schon bestellt.“
Ich mochte ihm nicht glauben.
Sagte aber nur:
„Ich glaube rechts neben Indien entsteht schon Ceylon.“

Mein Blick schweifte weiter über die Decke. Ich sah Metallgitter in einer Farbe, die nach Goethes Farbtheorie nicht existierte.
Von hier unten aus, sah es so aus als wären Fliegenpopulationen seit dem Anbeginn der Evolution darauf eingegangen.
„Was ist das?“, fragte ich.
„Oh, das ist die Lüftung. Ist noch aus den guten fünfziger Jahren!“
Ich schaute mir die verrosteten Stäbe genauer an.
„Die Fünfziger Jahre? Welchen Jahrhunderts?“

Schulte Fische Dick legte seine Hand auf meine Schultern.
„Sie sind einer von den Lustigen. Stimmt`s?“
Ich schaute mich langsam um.
„Humor hilft. Und hier scheint jede Hilfe brauchbar.“
„Na ja“, sagte er und tupfte sich wieder mit einem eingetrockneten Taschentuch ein wenig Speichel von der Wange.
„Mit der Lüftung ist soweit alles in Ordnung. Man müsste mal schauen, wegen des Asbestes. Aber die Handwerker!“
„...machen das schon“, ergänzte ich.
Ich versuchte auf Hautatmung umzustellen. Der Gedanke an Asbest und an die Kosten, brachten mich ein wenig ins Wanken.

Schulte - Fischedick ergänzte in beruhigendem Ton eines Priesters bei der letzten Ölung:
„Keine Sorge. Die Lüftungen sind so verklebt. Da rieselt nichts mehr raus.“

Ich wusste nicht, ob ich vor Erleichterung lachen oder weinen sollte. Letztlich wurde der Fluchinstinkt stark in mir. Aber ich widerstand.
„Wo befinden sich die Toiletten?“, fragte ich, und versuchte den Plastikeimer wieder so zu kalibrieren, dass die Wassertropfen in ihn hinein fallen konnten.

Schulte Fischedick wies auf eine, an der gegenüberliegenden Seite liegenden Öffnung im Mauerwerk, die im Halbdunkeln aussah, wie das weit aufgerissenen Maul eines Buckelwals. Eine Öffnung die das Licht verschlang, wie der große weiße Wal, die Seelen derjenigen, die ihn jagten.
Und dann sah ich es deutlich vor mir:
Tief in den Eingeweiden diese Gebäude war das Scheißhaus von Käptain Ahab.

Schulte - Fischedick zog eine Taschenlampe aus seiner Collegejacke, schaltete sie an, und ging mir voraus, auf den geöffneten Schlund zu.
„Hier kommt natürlich auch eine neue Tür rein. Wie gesagt die….“
„…die Handwerker sind bestellt“, vollendete ich.
Wir gingen eine eiserne Wendeltreppe hinab. Die Taschenlampe huschte über die Wände. Zweimal riet mir der Makler meinen Kopf einzuziehen, nur einmal reagierte ich zu spät. Dann hatte ich Spinnweben im Gesicht und ein Tier, von dem ich froh war nicht zu sehen wie es aussah, krabbelte mir über die Hand.
Ich musste an die Cranger Kirmes, und meine letzte Geisterbahnfahrt gegen Ende der siebziger Jahre denken.
Schließlich gebot er mir anzuhalten und einen Moment zu warten.

Dämmriges Kerzenlicht erhellte das Ende des Ganges und auch gleichsam das Ende der Welt, dass ich irgendwo hinter den putzlosen Mauern vermutete.

„Ich habe hier unten ein paar dicke Kerzen aufgestellt. So sieht man etwas bis,na ja, sie wissen schon, die Handwerker fertig sind.“
Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Dämmerlicht, und mein Verstand an diesen Raum, der die Gemütlichkeit einer mittelalterlichen Folterkammer ausstrahlte.
Wie lange hatte der Wiederaufbau Dresdens gedauert?
Wie groß war die Zahl der Sklaven, die die großen Pyramiden erbaut hatten?
Wie auch immer !
Hier wurde handwerkliches Neuland betreten.
Dann trat Schulte – Fischedick zur Seite und ich sah sie: Die Toilette!

„Es gibt nur eine Toilette“, fragte ich und gab mir Mühe in meiner Stimme den Unglauben zu unterdrücken.
„Na ja, ist ein bisschen Eng hier unten. Aber vielleicht können die Handwerker….“
„Schon gut. Ich weiß. Die Handwerker. Schon klar“, unterbrach ich ihn.

Unisextoiletten dachte ich unwillkürlich und stellte mir vor, wie meine zukünftigen Gäste sich durch das Maul des weißen Wals zwängten, hier hinunter gingen, einer hinter dem anderen,wie bei einer Prozession, jeder ein Grablicht in Händen, um vor der einzigen Toilette zu stehen, in einem Gewölbe aus Walbein, illuminiert vom Schein gesegneter Kerzen aus dem Dom, um dann auf einer Toilette ihr Geschäft zu verrichten, das der alte Ahab aus einem ägyptischen Tempel der ersten Dynastie gestohlen hatte, auf der möglicherweise noch versteinerte Reste des letzten Stuhlgangs Tut Ench Amuns….

Erlebnisgastronomie, dachte ich und sagte,
„Vielleicht sollten wir wieder nach oben gehen. Für heute habe ich genug gesehen.“

Es war Dämmrig geworden. Ich stand alleine vor dem Ladenlokal. Schulte Fischedick war gegangen. Entschwunden wie der wilde bösartige Sklave Caliban aus Shakespeares „Der Sturm“.
Jetzt saß er vielleicht schon wieder in seinem Büro, in dem ich nun auch umgedrehte Kreuze und Drudenfüße, neben den verklebten Illustrierten und der Fototapete sah, telefonierte wahrscheinlich mit dem Besitzer, dieses- im wahrsten Sinne des Wortes - phantastischen Ladenlokals, und raunte ihm in das geneigte Ohr, dass es ihm wieder gelungen sei jemanden zu verjagen.

Ach ja. 2800 Euro Kaltmiete, natürlich ohne Nebenkosten, Mietvertrag auf mindestens fünfzehn Jahre, mit Option auf weitere fünfzehn, das Stellen einer Kaution - wahrscheinlich für die antiken Sicherungskästen und das Artefakt im Keller - sowie eine Beteiligung an den Handwerkerkosten, habe ich vergessen zu erwähnen.

Ich schluckte meinen Zorn hinunter, und stapfte durch den Regen zu meinem Auto. Ich hatte noch einen Termin in Polsum. Etwas außerhalb. Nicht der Ort wo es mich eigentlich hinzog. Aber wer weiß. Man muß allem eine Chance geben.
Schulte - Fische dick ist nicht überall, dachte ich.
Das gab mir Hoffnung.
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo rose,
manchmal ist es ein wenig unheimlich eingestehen zu müssen,
das geschichten in der wirklichkeit zu hause sind.

man mag es kaum glauben.
aber hier stckt viel erlebtes drin.
hab dank für dein interesse

lg
ralf
 



 
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