Seelendreck

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Dr Time

Mitglied
Seelendreck

Nun war es also so weit. In seiner Seele sah es beinahe so aus, wie in der verwahrlosten Wohnung dieser Kinder aus Berlin, die man monatelang allein gelassen hatte, bevor das Jugendamt sie fand.

In seinem Kopf stank es nach vergammelten Ideen, deren Verfallsdaten längst abgelaufen waren. Aber auch jede Menge Müll, für den er sich schämte, hatte sich angesammelt. Also beschloss er, sich einer Selbstreinigung zu unterziehen.
Bevor er jedoch an sein Innerstes ging, rasierte er sich. Zum ersten Mal seit Wochen tat er dies wirklich gründlich. Er kaufte sich neue Kleidung, und schnitt sich die Fingernägel. Das alles tat er, um auch äußerlich ein Zeichen zu setzen. Doch zur Reinigung seiner Seele bedurfte es natürlich noch mehr.

Er ging also auf den Dachboden und packte ein paar Dinge, die er dort gut versteckt hatte, in eine große blaue Mülltüte. Die Plastikvagina, die er damals in diesem Pornoladen gekauft hatte. Natürlich auch die dazu gehörigen Heftchen. Es lag sovieles dort, an das er lange nicht mehr gedacht hatte. Säuberlich abgelagert wie Sedimente seiner Vergangenheit. Da waren seine Schallplatten, die inzwischen verbogen waren von der Hitze unterm Dach. Zu gerne hätte er sich mal wieder einen Plattenspieler zugelegt, aber immer wieder gab es deswegen Streit mit seiner Frau. (Wo soll das ganze Zeug denn hin?) Kein Streit mehr. Weg mit dem Vinyl.
Bei dieser Gelegenheit fand er auch seine alten Tagebücher wieder. Er schlug wahllos irgendeine Seite auf und las von seinen Träumen, einmal einen verfallenen Bauernhof zu kaufen und ihn zu einem gemütlichen Heim umzubauen. Zuklappen. Weg damit.

Er liebte seine Frau, seine Kinder und sogar den CD-Player. Auch das Haus und der große Garten waren ihm lieb und teuer. Punkt.

Dann diese albernen Hobbys. Nie würde er als Maler sein Geld verdienen können. Wozu also noch die Ölfarben, die ohnehin längst vertrocknet waren? Reine Zeitverschwendung, dieses Gepinsel. Also kamen auch seine Malerpalette und die Zeichnungen in die blaue Tüte. Es waren sehr viele Zeichnungen. Und so war der Müllsack nun fast voll.

Den alten kaputten Kopfhörer hatte er einmal von seinem besten Freund geschenkt bekommen. Damals, als sie beide zehn waren, hatten sie im Wald immer Soldaten-Manöver gespielt. Als Funker brauchte man einen möglichst großen Kopfhörer. Sein Freund lebte inzwischen in Kanada, züchtete Hunde und war schwul geworden. Ob er noch manchmal an den kleinen Funker mit dem großen Kopfhörer gedacht hatte? Jedenfalls passte das Ding nicht mehr in den Müllsack. Also setzte er es sich kurzerhand auf und sah nun aus wie Micky Maus.

So stieg er die enge Dachbodentreppe hinunter zum Flur. Auf der untersten Stufe wurden Meatloaf, Abba und die Village People dem Plastiksack zu schwer. Er riss der Länge nach auf, und der gesamte Seelendreck-Inhalt breitete sich im Flur aus. Die Gummi-Muschi fiel direkt vor die Füße seiner Frau, die gerade zum Flur hereingekommen war und nun zwischen all den Pornoheften stand. Sie sagte irgendetwas, aber davon verstand er kein einziges Wort.

Große Militär-Kopfhörer isolieren hervorragend jedes Geräusch.
 

Dr Time

Mitglied
Nur noch eine kleine Anmerkung:
Diese Geschichte von mir war vor ca. 5 Jahren meine erste Kurzgeschichte überhaupt. Ich habe sie einfach nochmal hier eingestellt, weil ich es zu schade fand, sie in meiner Schublade vergammeln zu lassen.
 

Lio

Mitglied
Hi Stephan,

war das damals dein erster Entwurf, dann müsste er ja sch.... sein:) Nee quatsch, ich finde die Idee, dass man durch das Wegschmeißen von Dingen mit der Vergangenheit aufräumt grundsätzlich ganz witzig und die Erinnerungen des Prot. sind ja auch interessant.

Bei der genaueren Betrachtung fielen mir aber stillistische und dramaturgische Fehler auf:

Dramaturgie:

Kein Konflikt. Ich glaub´ dem Prot. nicht, dass er nicht weiter leben könnte ohne seine Seele zu säubern. Mir fehlt also seine Motivation und da er für mich nicht motiviert ist, gibt es auch keinen wirklichen Konflikt.

Alle anderen Punkte, die die Dramaturgie betreffen, beruhen auf dem fehlendem Konflikt, sprich es gibt keine Enwicklung, der Text plätschert so vor sich hin und endet irgendwo, aber nicht mit einem Knall.

Stilistik

Wie man schreibt ist natürlich jedem selbst überlassen. Angesagt ist ja gerade der Hyperrealismus, da wäre schon dein zweiter Satz viel zu lang.

Anstatt:
In seiner Seele sah es beinahe so aus, wie in der verwahrlosten Wohnung dieser Kinder aus Berlin, die man monatelang allein gelassen hatte, bevor das Jugendamt sie fand.
Hier:

Seine Seele glich einer verwahrlosten, von zurück gelassenen Kindern bewohnte Wohnung.

Aber wie gesagt, dass ist Ansichtssache.
Außer Frage steht aber, dass dein Wortschatz damals noch nicht so groß war, weil immer wieder die gleichen Wörter vorkommen:
Bevor er jedoch an sein Innerstes ging, rasierte er sich. Zum ersten Mal seit Wochen tat er dies wirklich gründlich. Er kaufte sich neue Kleidung, und schnitt sich die Fingernägel. Das alles tat er, um auch äußerlich ein Zeichen zu setzen. Doch zur Reinigung seiner Seele bedurfte es natürlich noch mehr.

Er ging also auf den Dachboden und packte ein paar Dinge, die er dort gut versteckt hatte, in eine große blaue Mülltüte.
u.s.w.

Du gebrauchtest damals außerdem noch viele für den Textfluss nicht notwendige Worte:

Er ging also auf den Dachboden und packte ein paar Dinge, die er dort gut versteckt hatte, in eine große blaue Mülltüte. Die Plastikvagina, die er damals in diesem Pornoladen gekauft hatte. Natürlich auch die dazu gehörigen Heftchen. Es lag sovieles dort, an das er lange nicht mehr gedacht hatte. Säuberlich abgelagert wie Sedimente seiner Vergangenheit. Da waren seine Schallplatten, die inzwischen verbogen waren von der Hitze unterm Dach. Zu gerne hätte er sich mal wieder einen Plattenspieler zugelegt, aber immer wieder gab es deswegen Streit mit seiner Frau. (Wo soll das ganze Zeug denn hin?) Kein Streit mehr. Weg mit dem Vinyl.
etc.

Ich weiß nicht, ob dir meine Anmerkungen etwas gebracht haben, vielleicht hast du diesen Text ja auch nur aus Nostalgie hoch geladen und willst ihn gar nicht mehr überarbeiten.

Alle Gute!

Lio
 

Dr Time

Mitglied
Danke für die Kritik und das Beschäftigen mit meinem Oldtimer-Text. - Nein, Nein, es hatte keineswegs nostalgische Gründe, sondern es interessierte mich, wie der Text hier bewertet wird.
Im Grunde ist es ja die Momentaufnahme einer Midlifecrisis. Insofern liegt die Motivation des Prot. wohl ein Stück weit in der Vergangenheit. Dass man sie nicht erfährt, ist in der Tat ein Manko. Du hast also Recht. Ich hätte z.B. einflechten können, dass er sich zuvor mit seiner Frau gestritten hatte.

Der zweite Satz übrigens (das mit den verwahrlosten Kindern) resultiert aus einer Meldung, die kurz zuvor durch sämtliche Medien gegangen war und damals aktuellen Bezug hatte.
Was die Länge des Satzes angeht, sage ich mal, und das soll nicht despektierlich klingen, war es mir eigentlich immer egal, was so angesagt ist, wie du es ausgedrückt hast. Aber ich verstehe schon was du meinst. Für eine Kurzgeschichte kracht es am Anfang nicht genug. Der Satz ist zu kompliziert. Da werde ich mal nacharbeiten. Aber ich warte wohl noch ab, was sonst so an Kritik kommt.

Besonders geholfen hat mir dein Hinweis auf die überflüssigen Worte. Komisch, dass es mir nicht selber aufgefallen ist.

LG Stephan

PS. Da hatte Hemmingway wohl mal wieder Recht
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also

ich finde die geschichte gut. dass es krach mit der eheliebsten gab, muss nicht erwähnt werden, das klingt unterschwellig durch. midlife crisis pur - selten so sauber dargebracht!
lg
 

Lesemaus

Mitglied
Hallo Dr. Time, auch ich kann der Geschichte einiges abgewinnen, allerdings müsstest du noch dran arbeiten. Es sind aber gar nicht so viel Dinge, die verändert werden müssten.

Insgesamt gesehen fehlt mir irgendwas, ohne jetzt genau benennen zu können, was. Es bleibt bei mir irgend so ein vages Gefühl zurück, das ich aber im Moment nicht näher verifizieren kann. Wenn mir später noch was dazu einfällt, melde ich mich nochmal.

Am Anfang hatte ich gedacht, die Ehe sei gescheitert, seine Frau habe ihn verlassen und er sieht nun ein, dass er viel früher den alten Müll hätte entsorgen müssen.

Vielleicht ist mir auch der Schwenk von der "vermüllten" Seele zum Dachboden zu groß. Wie will er denn seine Seele entmüllen, indem er den Dachboden entrümpelt. Das ist mir nicht nachvollziehbar genug.

Vielleicht denkst du einfach noch mal drüber nach, was du eigentlich erzählen wolltest. Dann wird es vielleicht auch für die Leser klarer.

Nur so ins "Unreine" geschwätzt...

LG Lesemaus
 

Dr Time

Mitglied
Nun – Ich meine schon, es ist eine klassische Verhaltensweise, Dinge zu entsorgen um auch in seiner Seele aufzuräumen. (Ob das klappen kann, sei dahingestellt.) Stell dir nur eine gescheiterte Ballerina vor, die mit 50 endlich ihre Balletschuhe wegwirft. Jemand der gegen das Altern kämpft und nun einsieht, dass die Klamotten aus seiner Jugendzeit, wohl nie mehr passen werden. Er wirft sie fort. usw.

Meine Vorstellung von dem, was ich erzählen möchte ist eigentlich recht klar. Der Mann holt die Dinge vom Dachboden, weil er sich entschieden hat für sein jetziges Leben. Er glaubt, dies gelinge leichter, wenn er all seine Träume, die er hatte hinter sich lässt (sie sozusagen entsorgt). Bisher konnte er diese Träume durch Verdrängung in Schach halten. Mit zu dieser Verdrängung gehörte, dass er alles dort oben unterm Dach verstaut hatte. Doch nun im Anblick all dessen bekommt er ein Problem. Er wird mit diesen, seinen, Träumen und seiner Vergangenheit konfrontiert.

Der schwule Freund steht dabei für einen, der es anders (und wahrscheinlich richtig) gemacht hat. Es sagt dem Leser: Seht her – da ist einer, der seinen Traum lebt. Doch der Protagonist bleibt bei seiner Entscheidung, alles zu entsorgen. Der Schluss hat eine ganz klare Aussage:

Siehst du – du Haderer. Die Vergangenheit wiegt zu schwer, um sie einfach fortzuschmeißen. Du musst dich mit ihr auseinandersetzen. Und auch mit Dir selbst - mit deinen Fehtritten, mit deinen Wünschen, mit deiner Frau, mit den Pornoheften…. Lebe auch du deinen Traum – aber der erste Schritt ist Ehrlichkeit mit Dir und Anderen.


Sehr gut finde ich aber deine Anregung, der Anlass auf den Dachboden zu gehen könne gewesen sein, dass seine Frau ihn verlassen hatte. Somit bekäme der Schluß noch die besondere Bedeutung einer zweiten Chance, die er wahrnehmen kann, indem er nun den Kopfhörer abzieht.

Ich werde mich am Wochenende mal an einer neuen Fassung versuchen.

LG Stephan
 

Dr Time

Mitglied
Seelendreck

Noch Stunden später glaubte er das Geräusch der Tür zu hören, die seine Frau ins Schloss geworfen hatte. Es hallte noch immer durch das Haus, für das sie beide so viel Schweiß und Tränen auf die teuren Fliesen vergossen hatten. Aber diese Fliesen, so schien es ihm nun, waren nur für einen einzigen Zweck verlegt worden. Nicht weil sie so gut zu reinigen waren, nicht weil sie die Fußbodenheizung so effektiv machten und nicht weil sie schick waren.

Nein – Reflexion. Das war es, worauf es ankam, wenn man Tassen zerbrach, wenn man sich laut anschrie und wenn man ein letztes Mal seinen Worten Ausdruck verleihen wollte, obwohl man wusste, dass alles längst vorbei war.

Aber wann bloß hatte es angefangen, vorbei zu sein? Warum hatte es angefangen, vorbei zu sein? Und das Wichtigste – wie konnte es so lange schon vorbei gewesen sein, ohne dass sie es gemerkt hatten?

Hatte er ihre Bedürfnisse nicht gesehen in all den Jahren? Hing er zu sehr seinen eigenen Träumen nach, seinen verpassten Chancen und den großen Plänen. Männer haben das ja meistens. Den Traum von der Weltumseglung oder von einer Harley-Davidson in der Garage. Stattdessen bekommt man aber höchstens einen Gartenteich und einen Kombi mit Verdeck, den man sowieso nicht mehr braucht, wenn die Kinder erst einmal aus dem Haus sind.

Zusammengekauert, die Beine mit den Armen umfassend, so saß er nun auf dem blitzsauberen Fliesenboden und fühlte sich selbst schmutzig. In seiner Seele stank es nach vergammelten Ideen, deren Verfallsdaten längst abgelaufen waren. Aber auch jede Menge Müll, für den er sich schämte, hatte sich angesammelt.

Er musste all diesen Seelenmüll beseitigen, um wieder ein guter Ehemann zu sein, dachte er, und ging ins Bad, wo er sich rasierte - zum ersten Mal seit Wochen wirklich gründlich. Er zog den Anzug an, in dem ihn seine Frau so sehr mochte, und räumte das Haus auf. Doch zur Reinigung seiner Seele bedurfte es natürlich noch mehr.

Auf dem Dachboden hatte er ein paar Dinge gut versteckt, die er unbedingt entsorgen musste, bevor er seine Frau um eine zweite Chance bitten würde. Mit einer großen, blauen Mülltüte stieg er hinauf um alles darin zu verstauen.

Die Plastikvagina, die er einmal in einem Pornoladen gekauft hatte. Natürlich auch die dazu gehörigen Heftchen. Es lag sovieles dort, an das er lange nicht mehr gedacht hatte. Säuberlich abgelagert wie Sedimente seiner Vergangenheit. Da war die Lederjacke, die noch nach genau dem Nikotin roch, welches viele Jahre zuvor durch seine Lungen geströmt war. Und unter der Jacke lagen still und stumm seine Lieblings-Schallplatten, inzwischen verbogen von der Hitze unterm Dach. Zu gerne hätte er sich wieder einen Plattenspieler zugelegt, aber immer wieder gab es deswegen Streit mit seiner Frau. (Wo soll das ganze Zeug denn hin?) Kein Streit mehr. Weg mit dem Vinyl.
Dann fand er seine alten Tagebücher wieder. Er schlug wahllos irgendeine Seite auf und las von seinen Träumen, einmal einen verfallenen Bauernhof zu kaufen und ihn zu einem gemütlichen Heim umzubauen. Zuklappen. Weg damit.

Er liebte seine Frau, seine Kinder und sogar den CD-Player. Auch das Haus und der große Garten waren ihm lieb und teuer. Punkt.

Dann diese albernen Hobbys. Nie würde er als Maler sein Geld verdienen können. Wozu also noch die Ölfarben, die ohnehin längst vertrocknet waren? Reine Zeitverschwendung, dieses Gepinsel. Also kamen auch seine Malerpalette und die Zeichnungen in die blaue Tüte. Es waren sehr viele Zeichnungen. Und so war der Müllsack nun fast voll.

Den alten, kaputten Kopfhörer hatte er einmal von seinem besten Freund geschenkt bekommen. Damals, als sie beide zehn waren, hatten sie im Wald immer Soldaten-Manöver gespielt. Als Funker brauchte man einen möglichst großen Kopfhörer. Sein Freund lebte inzwischen in Kanada, züchtete Hunde und war schwul geworden. Ob er noch manchmal an den kleinen Funker mit dem großen Kopfhörer dachte? Jedenfalls passte das Ding nicht mehr in den Müllsack. Also setzte er es sich kurzerhand auf und sah nun aus wie Micky Maus.

So stieg er die enge Dachbodentreppe hinunter zum Flur. Auf der untersten Stufe wurden Meatloaf, Abba und die Village People dem Plastiksack zu schwer. Er riss der Länge nach auf, und der gesamte Seelendreck-Inhalt breitete sich im Flur aus. Die Gummi-Muschi fiel direkt vor die Füße seiner Frau, die gerade zum Flur hereingekommen war und nun zwischen all den Pornoheften stand. Sie sagte irgendetwas, aber davon verstand er kein einziges Wort.

Große Militär-Kopfhörer isolieren hervorragend jedes Geräusch.
 

Dr Time

Mitglied
Ich hoffe, ich habe es nicht verschlimmbessert. Aber mein Gefühl ist eigentlich ganz gut, was die neue Version angeht.
Viel Spaß beim Lesen.
 

Dr Time

Mitglied
Seelendreck

Noch Stunden später glaubte er das Geräusch der Tür zu hören, die seine Frau ins Schloss geworfen hatte. Es hallte noch immer durch das Haus, für das sie beide so viel Schweiß und Tränen auf die teuren Fliesen vergossen hatten. Aber diese Fliesen, so schien es ihm nun, waren nur für einen einzigen Zweck verlegt worden. Nicht weil sie so gut zu reinigen waren, nicht weil sie die Fußbodenheizung so effektiv machten und nicht weil sie schick waren.

Nein – Reflexion. Das war es, worauf es ankam, wenn man Tassen zerbrach, wenn man sich laut anschrie und wenn man ein letztes Mal seinen Worten Ausdruck verleihen wollte, obwohl man wusste, dass alles längst vorbei war.

Aber wann bloß hatte es angefangen, vorbei zu sein? Warum hatte es angefangen, vorbei zu sein? Und das Wichtigste – wie konnte es so lange schon vorbei gewesen sein, ohne dass sie es gemerkt hatten?

Hatte er ihre Bedürfnisse nicht gesehen in all den Jahren? Hing er zu sehr seinen eigenen Träumen nach, seinen verpassten Chancen und den großen Plänen? Männer haben das ja meistens. Den Traum von der Weltumseglung oder von einer Harley-Davidson in der Garage. Stattdessen bekommt man aber höchstens einen Gartenteich und einen Kombi mit Verdeck, den man sowieso nicht mehr braucht, wenn die Kinder erst einmal aus dem Haus sind.

Zusammengekauert, die Beine mit den Armen umfassend, so saß er nun auf dem blitzsauberen Fliesenboden und fühlte sich selbst schmutzig. In seiner Seele stank es nach vergammelten Ideen, deren Verfallsdaten längst abgelaufen waren. Aber auch jede Menge Müll, für den er sich schämte, hatte sich angesammelt.

Er musste all diesen Seelenmüll beseitigen, um wieder ein guter Ehemann zu sein, dachte er, und ging ins Bad, wo er sich rasierte - zum ersten Mal seit Wochen wirklich gründlich. Er zog den Anzug an, in dem ihn seine Frau so sehr mochte, und räumte das Haus auf. Doch zur Reinigung seiner Seele bedurfte es natürlich noch mehr.

Auf dem Dachboden hatte er ein paar Dinge gut versteckt, die er unbedingt entsorgen musste, bevor er seine Frau um eine zweite Chance bitten würde. Mit einer großen, blauen Mülltüte stieg er hinauf um alles darin zu verstauen.

Die Plastikvagina, die er einmal in einem Pornoladen gekauft hatte. Natürlich auch die dazu gehörigen Heftchen. Es lag sovieles dort, an das er lange nicht mehr gedacht hatte. Säuberlich abgelagert wie Sedimente seiner Vergangenheit. Da war die Lederjacke, die noch nach genau dem Nikotin roch, welches viele Jahre zuvor durch seine Lungen geströmt war. Und unter der Jacke lagen still und stumm seine Lieblings-Schallplatten, inzwischen verbogen von der Hitze unterm Dach. Zu gerne hätte er sich wieder einen Plattenspieler zugelegt, aber immer wieder gab es deswegen Streit mit seiner Frau. (Wo soll das ganze Zeug denn hin?) Kein Streit mehr. Weg mit dem Vinyl.
Dann fand er seine alten Tagebücher wieder. Er schlug wahllos irgendeine Seite auf und las von seinen Träumen, einmal einen verfallenen Bauernhof zu kaufen und ihn zu einem gemütlichen Heim umzubauen. Zuklappen. Weg damit.

Er liebte seine Frau, seine Kinder und sogar den CD-Player. Auch das Haus und der große Garten waren ihm lieb und teuer. Punkt.

Dann diese albernen Hobbys. Nie würde er als Maler sein Geld verdienen können. Wozu also noch die Ölfarben, die ohnehin längst vertrocknet waren? Reine Zeitverschwendung, dieses Gepinsel. Also kamen auch seine Malerpalette und die Zeichnungen in die blaue Tüte. Es waren sehr viele Zeichnungen. Und so war der Müllsack nun fast voll.

Den alten, kaputten Kopfhörer hatte er einmal von seinem besten Freund geschenkt bekommen. Damals, als sie beide zehn waren, hatten sie im Wald immer Soldaten-Manöver gespielt. Als Funker brauchte man einen möglichst großen Kopfhörer. Sein Freund lebte inzwischen in Kanada, züchtete Hunde und war schwul geworden. Ob er noch manchmal an den kleinen Funker mit dem großen Kopfhörer dachte? Jedenfalls passte das Ding nicht mehr in den Müllsack. Also setzte er es sich kurzerhand auf und sah nun aus wie Micky Maus.

So stieg er die enge Dachbodentreppe hinunter zum Flur. Auf der untersten Stufe wurden Meatloaf, Abba und die Village People dem Plastiksack zu schwer. Er riss der Länge nach auf, und der gesamte Seelendreck-Inhalt breitete sich im Flur aus. Die Gummi-Muschi fiel direkt vor die Füße seiner Frau, die gerade zum Flur hereingekommen war und nun zwischen all den Pornoheften stand. Sie sagte irgendetwas, aber davon verstand er kein einziges Wort.

Große Militär-Kopfhörer isolieren hervorragend jedes Geräusch.
 
S

suzah

Gast
hallo dr, time,
aus der idee kann man was machen, doch so einiges müsste noch überarbeitet werden.

"für das sie beide so viel Schweiß und Tränen auf die teuren Fliesen vergossen hatten."
das ist etwas unklar, sicher meinst du das haus insgesamt, für das sie hart gearbeitet haben (schweiß) und nicht nur die fliesen, oder eben nur die tränen auf den fliesen beim streit?
(erinnert auch zu sehr an churchills ausspruch während des 2. weltkriegs)
und dann sich nicht unbedingt zuerst rasieren und den anzug anziehen, den seine frau gern hat, sondern zum aufräumen auf dem staubigen dachboden in den alten klamotten bleiben!
mit ölfarben gemalte bilder sind keine "zeichnungen".

der schluß ist gelungen.

lg suzah
 

Dr Time

Mitglied
Seelendreck

Noch Stunden später glaubte er das Geräusch der Tür zu hören, die seine Frau ins Schloss geworfen hatte. Es hallte noch immer durch das Haus, für das sie beide so viel Schweiß und Tränen auf die teuren Fliesen vergossen hatten. Aber diese Fliesen, so schien es ihm nun, waren nur für einen einzigen Zweck verlegt worden. Nicht weil sie so gut zu reinigen waren, nicht weil sie die Fußbodenheizung so effektiv machten und nicht weil sie schick waren.

Nein – Reflexion. Das war es, worauf es ankam, wenn man Tassen zerbrach, wenn man sich laut anschrie und wenn man ein letztes Mal seinen Worten Ausdruck verleihen wollte, obwohl man wusste, dass alles längst vorbei war.

Aber wann bloß hatte es angefangen, vorbei zu sein? Warum hatte es angefangen, vorbei zu sein? Und das Wichtigste – wie konnte es so lange schon vorbei gewesen sein, ohne dass sie es gemerkt hatten?

Hatte er ihre Bedürfnisse nicht gesehen in all den Jahren? Hing er zu sehr seinen eigenen Träumen nach, seinen verpassten Chancen und den großen Plänen? Männer haben das ja meistens. Den Traum von der Weltumseglung oder von einer Harley-Davidson in der Garage. Stattdessen bekommt man aber höchstens einen Gartenteich und einen Kombi mit Verdeck, den man sowieso nicht mehr braucht, wenn die Kinder erst einmal aus dem Haus sind.

Zusammengekauert, die Beine mit den Armen umfassend, so saß er nun auf dem blitzsauberen Fliesenboden und fühlte sich selbst schmutzig. In seiner Seele stank es nach vergammelten Ideen, deren Verfallsdaten längst abgelaufen waren. Aber auch jede Menge Müll, für den er sich schämte, hatte sich angesammelt.

Er musste all diesen Seelenmüll beseitigen, um wieder ein guter Ehemann zu sein, dachte er, und ging ins Bad, wo er sich rasierte - zum ersten Mal seit Wochen wirklich gründlich. Er zog den Anzug an, in dem ihn seine Frau so sehr mochte, und räumte das Haus auf. Doch zur Reinigung seiner Seele bedurfte es natürlich noch mehr.

Auf dem Dachboden hatte er ein paar Dinge gut versteckt, die er unbedingt entsorgen musste, bevor er seine Frau um eine zweite Chance bitten würde. Mit einer großen, blauen Mülltüte stieg er hinauf um alles darin zu verstauen.

Die Plastikvagina, die er einmal in einem Pornoladen gekauft hatte. Natürlich auch die dazu gehörigen Heftchen. Es lag sovieles dort, an das er lange nicht mehr gedacht hatte. Säuberlich abgelagert wie Sedimente seiner Vergangenheit. Da war die Lederjacke, die noch nach genau dem Nikotin roch, welches viele Jahre zuvor durch seine Lungen geströmt war. Und unter der Jacke lagen still und stumm seine Lieblings-Schallplatten, inzwischen verbogen von der Hitze unterm Dach. Zu gerne hätte er sich wieder einen Plattenspieler zugelegt, aber immer wieder gab es deswegen Streit mit seiner Frau. (Wo soll das ganze Zeug denn hin?) Kein Streit mehr. Weg mit dem Vinyl.
Dann fand er seine alten Tagebücher wieder. Er schlug wahllos irgendeine Seite auf und las von seinen Träumen, einmal einen verfallenen Bauernhof zu kaufen und ihn zu einem gemütlichen Heim umzubauen. Zuklappen. Weg damit.

Er liebte seine Frau, seine Kinder und sogar den CD-Player. Auch das Haus und der große Garten waren ihm lieb und teuer. Punkt.

Dann diese albernen Hobbys. Nie würde er als Maler sein Geld verdienen können. Wozu also noch die Ölfarben, die ohnehin längst vertrocknet waren? Reine Zeitverschwendung, dieses Gepinsel. Also kamen auch seine Malerpalette und die Bilder in die blaue Tüte. Es waren sehr viele Bilder. Und so war der Müllsack nun fast voll.

Den alten, kaputten Kopfhörer hatte er einmal von seinem besten Freund geschenkt bekommen. Damals, als sie beide zehn waren, hatten sie im Wald immer Soldaten-Manöver gespielt. Als Funker brauchte man einen möglichst großen Kopfhörer. Sein Freund lebte inzwischen in Kanada, züchtete Hunde und war schwul geworden. Ob er noch manchmal an den kleinen Funker mit dem großen Kopfhörer dachte? Jedenfalls passte das Ding nicht mehr in den Müllsack. Also setzte er es sich kurzerhand auf und sah nun aus wie Micky Maus.

So stieg er die enge Dachbodentreppe hinunter zum Flur. Auf der untersten Stufe wurden Meatloaf, Abba und die Village People dem Plastiksack zu schwer. Er riss der Länge nach auf, und der gesamte Seelendreck-Inhalt breitete sich im Flur aus. Die Gummi-Muschi fiel direkt vor die Füße seiner Frau, die gerade zum Flur hereingekommen war und nun zwischen all den Pornoheften stand. Sie sagte irgendetwas, aber davon verstand er kein einziges Wort.

Große Militär-Kopfhörer isolieren hervorragend jedes Geräusch.
 

Dr Time

Mitglied
Hallo Suzah,
Danke für das Lesen und das Beschäftigen mit meinem Text. Mit den Bildern hast Du sicher Recht. Habe es schon geändert. Alles andere werde ich aber nun so lassen. Dass er mit seinem Anzug auf den Dachboden geht, zeigt die Ausnahmesituation, in der er sich befindet. Das war sogar Absicht. Ich hatte ihn als Bild genau so im Kopf.

LG Stephan
 
S

suzah

Gast
hallo dr time,
ich kenne keinen mann, der sich erst rasiert und in schale wirft, um den dachboden aufzuräumen. komischer typ. wenn man nun einmal den gedanken gefaßt hat, jetzt sein leben zu ordnen und auch den müll vom dachboden zu entsorgen, macht man das spontan! sonst verliert man wieder die lust, daran zu gehen und läßt den eigentlichen müll liegen und räumt nur seine seele auf.
lg suzah
 
S

suzah

Gast
hallo dr time,
noch was: sehe gerade, dass es [blue]sehr viele[/blue] bilder waren. also viele zeichnungen kannst du ja in einen müllsack stopfen, mit ölgemälden ist das schon schwieriger. sie sind auf keilrahmen und sperrig, "sehr viele"packt er lieber in einen karton oder kiste.
also das sind zwar kleinigkeiten, aber auch die müssen stimmen.
lg suzah
 



 
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