Sehnsucht, sagst du, sei dunkler

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revilo

Mitglied
...schönes Gedicht, liebe Elke...aber ich empfinde den "steinernen" Blick als ein wenig zu aufgetragen, weil mit " Glashaus" eigentlich schon alles gesagt ist und diese Kombination zu gedrängt und zu vorhersehbar wirkt......ich überlegte mir an Deiner Stelle ein anderes, vor allen Dingen überraschendes Adjektiv.....

LG revilo
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich stimme revilo zu.
Warum denn nicht gläserner Blick.
Das eröffnet eine ganz neue Ebene.
Oder weicht es zu sehr von deinem Gedanken ab?

L.G
Patrick
 

juttavon

Mitglied
Sehnsucht

Liebe Elke, ein sehr feines Gedicht!
Jede Zeile trägt die fragile Stimmung zwischen Wut und Verwundbarkeit, zwischen poetischem Schrei und Schutzbedürftigkeit.

Und du wirfst einen steinernen Blick
nach der Hure im Glashausfinde ich sehr gelungen:
Dabei assoziiere ich 'Steine werfen'.
Die Schwere und Starrheit eines emotional geladenen Blicks kommt zum Ausdruck.
Und es wirkt die Spannung der gegensätzlichen Materialien von 'Stein' und 'Glas'.

Herzlichen Gruß, Jutta
 
O

orlando

Gast
Hallo Elke,
dir geht es offenbar um das Einflechten des Wortspiels: "Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werden."
Aber das wird auch ohne "steinernen" klar, ein Adjektiv, und hier gebe ich revilo und Patrick Recht, das überflüssig scheint, sogar den Fluss der Leserfantasie hindert.
Sehnsucht, sagst du, sei dunkler

noch als Gesang

von lichtscheuen Worten

und ein Grund

wo der Mund seine Küsse verwahrt


Und du wirfst einen [strike]steinernen[/strike] Blick

nach der Hure im Glashaus

die deinen Namen nennt


© 2016 Elke Nachtigall
In meinen Ohren träte auch klanglich eine Verbessserung ein.

Ansonsten: wunderbar!

orlando
 

revilo

Mitglied
Das Adjektiv zu streichen halte ich für eine gute Idee....mir fiel spontan mit einem [red]koscheren[/red] Blick ein....

LG revilo
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Reziprozität

Da "Glashaus" nicht nur im Sprichwort "Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen" vorkommt und einen sehr selbständigen imaginativen Eigenwert hat, denke ich, daß es notwendig ist, den "Stein" irgendwie auch zu erwähnen, sonst "klappt" das Bild nicht.
Und es muß doch "rück-klappen" auf das werfende Subjekt.

"steinern" muß hinein, muß drin bleiben, unbedingt.
 

ENachtigall

Mitglied
Vielen Dank für eure spontanen Rückmeldungen zum Gedicht!
Ich habe gründlich darüber nachgedacht und verstehe euren Einwand, revilo, Patrick und orlando, bezüglich der Stein-Glashaus-Geschichte. Erstaunlich, wie zielsicher es uns immer sofort und automatisch mitten in die Redewendung hineinzieht. Nicht, dass ich meine, man könne sie beim Gebrauch der beiden Begriffe umgehen. Das will ich gar nicht. Und doch sehe ich - wie auch Jutta und Mondnein -, dass die Redewendung nur die Spitze eines Eisbergs ist.

Jutta hat die Grundstimmung sehr empathisch aufgefangen und wiedergegeben. Danke dafür!
Orlandos Vorschlag auf das "steinerne" schlicht zu verzichten, kam meinen zeitweiligen Schwankungen, bezüglich einer eventuellen Änderung, überraschend gleich!

Und doch soll es so bleiben.
Das Wesentliche der Redewendung liegt in der Mahnung zur Passivität; um des Vertuschens der eigenen Unzulänglichkeit wegen, beschuldige ich niemanden seiner Vergehen.

Ich bin sehr mit Mondnein der Meinung, dass das Glashaus
einen sehr selbständigen imaginativen Eigenwert hat
und sehe ihn im diffusen Licht der isolierenden, transparenten, scheinschutzheiligen Atmosphäre jener denkwürdigen Tabuzone, die den "Insassen" darin umgibt.

Ein nicht ausgeklügeltes Thema, dem ich mich hier, im Gedicht, etwas anzunähern versucht habe.

Ich freue mich sehr über euer Interesse!

Liebe Grüße von Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Sehnsucht, sagst du, sei

dunkler noch als Gesang

von lichtscheuen Worten

und ein Grund

wo der Mund seine Küsse verwahrt


Und du wirfst einen steinernen Blick

nach der Hure im Glashaus

die deinen Namen weiß


© 2016 Elke Nachtigall
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Patrick,

entschuldige, dass ich noch nicht auf alle Aspekte Deines Kommentars eingegangen bin. Das möchte ich jetzt nachholen.

Der "gläserne" Blick, wie Du vorschlägst, hat für mich einen ganz anderen Charakter. Er wäre weich, facettenreich, bewegt. Der "steinerne" hingegen hat etwas Starres, Unbeugsames, Eindringliches.

Ist schon spannend, wie wir uns schreibend in der Wortwahl Regie führend die Charaktere aussuchen ...!

LG von Elke
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Elke,

ich lese das als Entscheidungsmoment.
Man ist sich der Sehnsucht bewusst, zweifelt aber, ob man sich öffnen will, spürt die Gefahr, einem billigen Trieb aufzusitzen.
Zu schnell sind Küsse verschenkt.
Ja, der Grund der Küsse hat es mir angetan. Phantastisches Bild!

cu
lap
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Elke,
ein verwunschenes Liebesgedicht, voll von trauernder Schönheit und widersprüchlichem und sich widersprechenden Worten, die von zerrissenheit und Willen sprechen:

dunkel - lichtscheu
steinern - glashaus

Es ist die Sehnsucht. Dieses Verlangen nach einer Person, einem Ort oder einem Zustand der unerreichbar ist bzw. geworden ist.
Eine pathologische Erkrankeung der Seele, die mir persönlich zu einem Hort des lyrischen Entstehens geworden ist.
Die Sehnsucht, metaphorisch verglichen mit dem Dunklen. Das Dunkle: das Wort dient doch der Beschreibung der Abwesenheit, nämlich der Abwesenheit des Lichtes. das Dunkle ist ein Ort der unklaren Strukturen, ein Ort an dem die Dinge beinahe übergangslos ineinánderfließen. Das Dunkle: die Herberge des Unfassbaren.
Hier vergleichend zusätzlich verbunden mit Gesang.

Das ist ein vielschichtiges Wortgebilde. Ich denke hierbei an so etwas wie gregoriansiche Gesänge. An das gesungene Wort für einen Gott, also für eine Entität jenseits der Wirklichkeit physischer Anwesenheit.
Ich sehe die dunkle kapelle der Seele in der durch Mzusikalität das unerreichbare quasi eingefordert wird.

"ein Grund der die Küsse verwahrt"

Hier ist der Mund nicht Sprechorgan. Hier ist der Mund "verkehrt". Er ist der Ort, das Mittel des Schweigens, des Aufhebens, des Zurückhaltens.
Der Mund ein Stück Erinnerung.
Denn am Ende schweigen wir alle mitdem Mund.

Und weiter , von mir gekürzt zusammen gestellt:
"Sehnsucht ist Grund"
Das Unerreichbare ist Grund allen Seins. Die Sehnsucht thront nicht, sie ist der Grundstein aller Wirklichkeit.

HJerzlichen Dank für einen gelungenen Moment

Ralf
 

ENachtigall

Mitglied
Das ist ein vielschichtiges Wortgebilde. Ich denke hierbei an so etwas wie gregoriansiche Gesänge. An das gesungene Wort für einen Gott, also für eine Entität jenseits der Wirklichkeit physischer Anwesenheit.
Ich sehe die dunkle kapelle der Seele in der durch Mzusikalität das unerreichbare quasi eingefordert wird.
Vielen Dank, Ralf, für diesen ausführlichen Kommentar.

Manches mag nicht so einfach gesagt werden. Es sind Worte, die nicht über die Lippe springen; sich im Mund hin und her wälzen wie Schlaflose in mondschweren Nächten, die hier lichtscheu Genannten, weil sie ihre Höhle nicht verlassen. Und doch üben sie unaufhörlich den Aufstand in immer neuen Variationen; im Werden begriffen zerfallend.
Du hast in Deinen Worten hervorragend herausgearbeitet, wie der Gesang zu verstehen sein kann.

Herzliche Grüße,

Elke
 



 
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