Sehnsucht

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weibchen

Mitglied
Sie sitzt am Fenster. Sie fühlt sich kalt und leer. Was ist nur aus ihrem Leben geworden?
Er ruft nach ihr, blind vor Schmerz. Alles scheint dunkel. Sie fröstelt, es riecht muffig in dem Raum, alles wirkt düster und trist. Der dunkle Teppich, die braunen Möbel. Ein starker Geruch von Medizin und Desinfektionsmittel steigt ihr in die Nase. Sie würgt, spürt wie sich ein saurer, brennender Geschmack in ihrem Mund ausbreitet. Sie kann sich nicht gegen dieses Gefühl wehren, sie haßt ihn. Nein, Haß reicht nicht aus um diesen Gefühl Ausdruck zu geben. Sein ständiges Röcheln, sei rasselnder Atem, seine stinkenden Ausscheidungen die sie täglich entsorgen muß. Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst, ein Schatten auch in ihrem Herzen. Langsam kriecht er immer tiefer und frißt sich in ihre Seele. Sie fühlt sich verbittert, einsam.

Schon wieder ruft er nach ihr, diesmal mit schneidender Stimme. „Komm her, Rhaline! Ich brauch dich. Jetzt!“ Sie zuckt zusammen, jedesmal fühlt sie sich schlecht wenn sie es ihm nicht recht gemacht hat. Langsam steht sie auf und geht sich sträubend in Richtung Schlafzimmer. Ein Schwall üblen Geruchs kommt ihr entgegen. Krankheit, alter Schweiß, eine Spur von Verwesung. Sie kann ihren Ekel nur mit Mühe unterdrücken. Wie lange muß sie dies schon ertragen? Wann hatte es angefangen? Wann hatte sie aufgehört, Mensch zu sein. Es scheint ihr eine Ewigkeit her zu sein. Erinnerungen steigen in ihr auf. Das Meer, das sich mit sanften Wellenbewegungen vor ihr auftut. Ein klarer, weißer Sandstrand. Musik im Hintergrund, lachende Menschen. Ein leichtes Lächeln huscht über ihr Gesicht, erstirbt jedoch im selben Moment.
Die schneidende Stimme reißt sie in die Realität zurück. „Wo bleibst du?“ Erschrocken über ihre eigene Nachlässigkeit bemüht sie sich etwas freundlicher zu schauen, setzt ihre Maske auf. Sie will ihn nicht noch mehr verärgern. „So, und nun setz dich ein bißchen zu mir, hier auf die Kante.“ Gierig starrt er auf die sich unter ihrer Bluse abzeichnenden Brustwarzen. Eine fleckige alte Hand tastet zittrig nach ihren Brüsten. Sie schaudert vor Ekel, vor Angst, dass er mehr verlangen wird. Sie weiß, sie muß tun, was er verlangt, denn sie ist sein Eigentum – gekauft, wie eine Ware. Auch wenn sie wollte, sie hätte keine Zukunft ohne ihn, nicht hier, in Deutschland. Die kalte Hand beginnt ihre Brust zu kneten. Er stöhnt. „Komm her, zieh das Ding da aus und leg dich zu mir. Schau her, mein Lümmel, er wird schon ganz hart.“ Mit automatischen Handgriffen, völlig abwesend, beginnt sie seinen Penis zu massieren. Er ist klein und krumm, strömt einen fischigen Geruch aus. Sie bemerkt es nicht mehr, sie fühlt es nicht mehr. Sie hat vergessen, warum sie das Leben liebt. Da war einmal etwas, aber jetzt war es nicht mehr da. Sie war mehr tot als lebendig. „Setz dich auf mich, reite mich!“ Seine röchelnde dünne Stimme zittert vor Erregung. Sie tut was er verlangt. Sie tut es mechanisch, versucht, sich fort zu träumen. Dennoch kann sie ihren Ekel nicht unterdrücken. Langsam beginnt sie sich auf ihm zu bewegen. Es schmerzt. Er windet sich unter ihr und wimmert wie ein kleines Kind. Sie bewegt sich schneller. Jetzt ist sie wieder am Meer, bei ihrer Familie. Das Wasser rauscht sanft im Hintergrund. Ein krächzendes Stöhnen, das schließlich in ein Röcheln übergeht, reißt sie jäh aus ihren Gedanken. Sie verlangsamt ihre Bewegungen als sie sein Zucken bemerkt. Sein ganzer Körper beginnt zu zucken, bis es nur noch ein leichtes Zittern ist und dann ganz erstirbt.

Es ist vorbei. Sie denkt, er ist endlich gekommen, doch irgendetwas stimmt nicht. Sie steigt von ihm hinunter. Sein röchelnder Atem - sie hört ihn nicht. Sie tastet nach seinem Herz – sie fühlt nichts. Erst als sie ihn genau ansieht, bemerkt sie, daß seine Augen leblos und starr zur Decke blicken. Kurz fühlt sie so etwas wie Trauer in sich aufkommen, die sich jedoch sogleich in ein lautes, tiefes Lachen wandelt.


Ende
 
K

KaGeb

Gast
Hallo weibchen,

herzlich willkommen auf (oder in) der Leselupe.

So richtiges Mitleid mag ich für deine Protagonistin nicht empfinden, schließlich hat sie sich ihr Schicksal selbst ausgesucht.
Anfänglich leide ich sogar ein wenig mit "IHM" mit: "... blind vor Schmerz, "...Geruch von Medizin und Desinfektionsmittel ...", "... ein Schatten seiner selbst ..." ...

Da liegt ein alter kranker Mann, der sich den größten Genuss im Leben eines Mannes erkauft hat und der sie sicher auf seine Art auch liebt - und SIE? Hat sich versucht, Freiheit zu erkaufen und ein finanziell abgesichertes Leben. Das hat freilich seinen Preis - und wie (leider) so oft will Prot. mit Naturalien zahlen.

Am Ende lacht sie über seinen plötzlichen Tod - und genau DAS macht mir die Prot. eigentlich noch unsympathischer.

Aber das ist nur (m)eine Meinung, mal sehen, wie das andere Leser beurteilen.

LG, kageb
 

Ofterdingen

Mitglied
Vermutlich ekelt sein alt gewordener Körper auch ihn selber an und nicht nur sie träumt sich weit fort, sondern auch er, noch weiter, radikaler, über die letzte Grenze hinaus und ohne Wiederkehr in die triste Realität. Eigentlich ein schöner Plot, auch die Sprache gelungen (obwohl: Letzteres flüstere ich bloß ganz leise, weil mir sonst bestimmt gleich einer nachweist, wie sehr der Text sprachlich misslungen ist).
 
U

USch

Gast
Hallo weibchen,

eine mutige gut geschriebene Geschichte!
Nur eine Kleinigkeit würde ich ändern:
Wann hatte sie aufgehört, Mensch zu sein. Es scheint ihr eine Ewigkeit her [strike]zu sein[/strike].
Dieses doppelte zu sein stört für mein Empfinden den Sprachfluss.

LG Uwe
 

FrankK

Mitglied
Hallo Weibchen

Eine interessante und zugleich bedrückende und verwirrende Story

Sie weiß, sie muß tun, was er verlangt, denn sie ist sein Eigentum ...
Suggeriert: Ostblock oder asiatisch, eines von diesen Models aus dem Bereich "Partnervermittlung", der gehübschte Name für Menschenhandel. Ein Mädchen / eine Frau aus dem "Katalog".

Komm her, zieh das Ding da aus und leg dich zu mir. Schau her, mein Lümmel, er wird schon ganz hart.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ein Mann in seinem Zustand überhaupt noch einen ... bekommt.

Die nachfolgende Situation ist der Hammer. Keine Ahnung, ob es überhaupt so funktioniert. Aufragende Brustwarzen deuten auf eine gewisse Erregung Ihrerseits, dass Sie ihn "reitet" zeigt schlussendlich eine Lust, die mindestens auch von Ihr ausgeht. Lässt sich eigentlich kaum noch mit blinden Gehorsam erklären. Sklaverei? Besitzdenken? Unterwürfigkeit? Gehorsam?

Jetzt ist sie wieder am Meer, bei ihrer Familie.
Ich habe keine Ahnung, wie ich darauf komme, aber ich fühle mich irgendwie nach Thailand versetzt. Mindestens aber ein weibliches Geschöpf thailändischer Abstammung.

Kurz fühlt sie so etwas wie Trauer in sich aufkommen, die sich jedoch sogleich in ein lautes, tiefes Lachen wandelt.
Ja, endlich, sie hat es geschafft. Erleichterung.
Was? Sie hat ihn zu Tode geritten?
Dieses Lachen zum Schluß, ist genau das, was mich, wie Kageb, an der Protagonistin abstöst. Jedes bischen Mitleid vernichtend, wird SIE als gefühlskalt vorgeführt. Aber ist Sie das?
Könnte das Lachen nicht aus der Ironie entspringen, dass sie Ihm genau das erfüllt hat, was sich (vorgeblich) jeder Mensch wünscht? Mitten im Höhepunkt - Peng - Schluß.
Oder ist es Ihr eigener Sarkasmus, der sie zum Lachen bringt? Trotz allem Hass (oder Wut) und Ekel ihm gegenüber empfindet sie so etwas wie Mitleid?

Ich glaubte ursprünglich, Du solltest Deiner Protagonistin ein anderes Ende gönnen. Eines, dass sich etwas harmonischer in die Gesellschaftlichen Dünkel einfügt.

Mittlerweile bin ich davon abgekommen. Lass sie zum Schluss lachen.
Es geht um Sehnsucht. Der Sehnsucht nach Freiheit. Sie hat es geschafft, sie ist Frei. Nach - wir wissen nicht nach wie vielen Jahren - langer Zeit ist sie endlich Frei.
Darf man da nicht lachen dürfen? Selbst Angesichts des Todes?


Respektierliche Grüße aus Westfalen
Frank
 
A

AchterZwerg

Gast
Hallo Weib,
mir gefällt deine leicht feministische Story.
Ich denke, dass der Ekel vor Krankheit und Tod in unserer Gesellschaft tabuisiert wird, nicht aber im vermuteten (asiatischen) Herkunftsland der Ware Frau.
Das Lachen am Ende ist für mich vollkommen in Ordnung. Elias Canetti schrieb einmal über den "Triumph der Überlebenden" und lag damit wohl nicht ganz falsch.
Kritisch sehe ich lediglich das leichte Taumeln der Geschichte. Ich könnte mir vorstellen, dass die anfängliche Abhängigkeit deutlicher, der Ritt viel agressiver (denn es handelt sich um eine Situation, in der die Frau obenauf ist) und das Lachen noch gellender geraten könnte.
Auf den Pflegeprozess müsstest du m. E. nicht ganz so ausführlich eingehen ... kurzum etwas straffen.
Die Vorzüge der Geschichte überwiegen jedoch in meinen Augen bei Weitem, und ich habe mich gern mit deinem Text beschäftigt.
:)
der 8. Zwerg
 

weibchen

Mitglied
Hallöchen,

erst einmmal vielen Dank für Eure ausführlichen Kritiken...hat mich wirklich sehr gefreut!


Zu KaGeb
Schade dass Dir die Geschichte nicht gefallen hat - aber Du scheinst diese Thematik ganz Anders wahrzunhemen.
Meiner Meinung nach ist es aus Sicht unserer wohlhabenden Gesellschaft manchmal nicht nachvollziehbar, warum ein Mensch sich förmlich verkauft...aber ich denke dass bittere Armut und die Hoffnung auf ein besseres Leben eine große Rolle spielen.
Die Männer die sich diese Armut zunutze machen und sich eine Frau aus dem "Katalog kaufen" sind für mich persönlich die Ekelpakete und Unsympathisanten..;0)

zu FrankK
Brustwarzen werden ja auch hart wenn einem kalt ist...oder man eine Gänsehaut hat..z.B. vor Ekel...:0)
Sie reitet ihn weil sie ihm Hörig ist und er sich ja nicht mehr wirklich bewegen kann...mit sexueller Lust soll das eigentlich nichts zu tun haben...Körperlich hat er zwar keine Macht mehr über sie...aber psychisch hat er sie so in der Hand, dass sie tut was er verlangt...oder wirkt sie für Dich zu lustvoll im "letzten Akt"?

zu FrankK und AchterZwerg
Ja genaiso ist das Lachen am Ende gemeint...es ist keine Freude, sondern ein viellicht verrücktes, aber erleichtertes Lachen..

Zu USch und Ofterdingen
Vielen Dank und die Anmerkung mit dem "her zu sein" seh ich auch so...werd ich bei Gelegenheit ändern...

Lg
 
M

Moony

Gast
Der Text erinnert ein wenig an den abgenudelten Witz, wo die aufsitzende dralle Dirn den röchlenden Opi unter sich fragt "Kommst du, Alter, oder gehst du?" Das Ding ist so abgeschmackt, dass man es auch durch ein funkelnderes Werk als dieses nicht so recht zum glänzen bringen kann.

Falls das Stück moralisch gedacht gewesen sein sollte und "Schuld" beim Lustgreis verortet sein möchte: Das zieht nicht recht, denn entweder ist es grundsätzlich verpönt, sich einem Dritten gegen geldwerte Leistungen hinzugeben, oder nicht. Die Frage nach dem Alter des Partners stellt sich da eigentlich nicht.

Es gibt den süßen, den blutigen und den Betroffenheitskitsch. Wir haben es in Deiner Geschichte mit letzterem zu tun, wobei reichlich Sprachschablonen zur Anwendung kommen. Ich denk an Jopi, liebes Weibchen, und stell mir vor, was Großdoitschland wohl gesagt hätte, wenn am Ende (G)rethel mit der Lache abgestiegen wäre, die Du deiner Protagonistin verleihst. Sie hätte ihren Gespons wohl keine 24 Stunden überlebt ...

Ich empfehle Dir, vor allem bei Kurzprosa-Stücken wie diesem, mehr zu beschreiben statt zu bewerten. Dann hat der Leser die Möglichkeit, seine Sympathie oder Aversion unter den Aktören selbst zu verteilen. So aber kommst Du, wie geschehen, sogleich persönlich in die Zwickmühle und musst Dich rechtfertigen.

Nichts für ungut und liebe Grüße

Moony
 

Hagen

Mitglied
Hallo Weibchen,
eine gute (nicht schöne) Geschichte, dicht an der Realität.
Alter Mann kauft sich eine junge Frau.
Die Beiden!!!!! haben ein Geschäft gemacht, einen Deal!
In der Liebe ist es wie in einem Geschäft; - es müssen beide was davon haben, sonst funktioniert es nicht.
Hier hat es funktioniert, und wie!
Sie hat ihm sogar noch einen schönen Tod bereitet, was will man(n) mehr?

Beste Grüße
Hagen

_______________
In der Liebe ist es wie im Krieg; -
letztenendes entscheidet der Nahkampf!
 

HajoBe

Mitglied
Hallo Weibchen,
alter lüsterner kränkelnder Greis erpresst sich Wohllust mit Abhängiger....Klassiker alla Bangkok.
Greis ist ja noch zu verstehen, aber die Frau? Indem sie ihren Körper ekelgeschüttelt darbietet verkauft sie ihre Seele. Steigt von orgasmusgeschwächter Leiche und seine Seele - falls er eine hatte - nimmt ihre mit....irgendwohin. Sie wird sie nie wiederfinden. Hätte ihre Hände um seinen Hals pressen sollen bis.....Hätte zum ersten Mal über ihn triumphiert.
Kann mit der Frau kein Mitleid empfinden.....
Trotzdem anschaulich geschildert....
Regt zum Nachdenken an.
LG
HajoBe
 



 
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