Sein oder nicht

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Lesemaus

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Wenn ich diesen Satz noch einmal sprechen muss, kotz ich!

Ich kotze in hohem Bogen dem Bürgermeister, der wie immer mit seiner Gattin in der Mitte der ersten Reihe sitzt, auf den Armani-Anzug. Oder seiner Gattin, deren glänzende Augen auf reichlich Martinis schon vor der Vorstellung schließen lassen, in den Schoß. Den immer noch kinderlosen. Was wohl mit ein Grund für die Martinis ist.

Jetzt bräuchte ich selbst einen. Vielleicht kämen dann aus meinem Mund statt wohlgesetzter Shakespeare-Worte ein paar Wahrheiten, die die Anwesenden aus ihrer Müdigkeits-Gelangweilt-Starre reißen.

Frau Finkenbeiner, die alte Giftschlange, die den lieben langen Tag nichts anderes zu tun hat, als hinter der Gardine ihre Nachbarn zu beobachten und hinterher hinter vorgehaltener Hand über sie zu lästern. Wer mit wem und warum oder warum nicht mehr. Oberlehrer Kalwein, der davon überzeugt ist, nur weil er einen Volkshochschulkurs für Kreatives Schreiben leite und einzig die Tatsache, dass er seiner Zeit weit voraus und deshalb von niemandem verstanden wird, sei dafür verantwortlich, dass seine Ergüsse kein anständiger Verlag drucken will. Stattdessen wirft er sein Geld einem jener Pseudoverlage in den Rachen, die sich mit dieserart Möchte-Gern-Schriftstellern eine goldene Nase verdienen. Oder Fußballtrainer Sepp, der sich nicht scheut, den Kindern auch mal eine Kopfnuss zu geben, wenn ihm ihr Einsatz nicht überzeugend genug erscheint.

Es sind so viele, die hier sitzen, nur weil deren Frauen auch mal wieder etwas Kultur tanken oder weil sie sich mal wieder zeigen wollen. Bücher findet man bei den meisten zu Hause nicht. Höchstens Readers digest. Und dann Hamlet! Nicht zu fassen! Perlen vor die Säue!

Aus dem Spiegel starrt mich ein Gesicht an, das mir unsypmpathisch ist. Sollte das wirklich nur an der Theaterschminke liegen?

Hat mein Vater doch recht gehabt? Brotlose Kunst. Hingespieen wie ein Ballen unverdauliches Gewölle. Lern was Richtiges!, Junge. Gönnerhaft, einlenkend. Ich meine es doch nur gut. Es waren eher die harten Rinden, an denen ich mir das Zahnfleisch blutig gerissen habe. Die ewigen Intrigen, die Hochschlafereien, ab irgendeinem Zeitpunkt mehr geduldet als gefördert. Das Faktotum.

Mein Gott, warum bin ich nicht einfach gegangen? Habe es an einer großen Bühne probiert? Was hat mich in dieser Scheiß-Provinz gehalten?

Spätestens als Mona einen Ruf ans Berliner Ensemble bekam. Vielleicht wären wir dann heut noch zusammen.

Stattdessen leckt mir Frodo die Füße. Scheißköter, darauf könnt ich verzichten!

Eine Schulklasse ist auch wieder da, als ob die was verstehen würden von der Zerrissenheit, die ich herausschreie. Was wissen die schon von Hass und Gier? Wahrscheinlich haben die eh alle ihren MP3-Player im Ohr oder schlafen. Chillen, sagt man heut dazu, glaub ich.

Und wenn ich jetzt ginge?

Einfach hinaus, am Pförtner vorbei, der mich vermutlich wie ein Gespenst - haha wie passend - anstarren würde, über den gepflasterten Vorplatz mit den Geranien in den Betontrögen - der Inbegriff des Spießertums - an den bonbonfarben gestrichenen Häuserfassaden vorbei, hinter deren Fenstern die alltäglichen Dramen ihren Lauf nehmen, weiter durch den Stadtpark, wo die Handvoll Jugendlicher, die lieber auf dem Spielplatz ihre Joints rauchen als im Jugendzentrum - dem ganzen Stolz unseres Bürgermeisters - abzuhängen, hinauf auf den bewaldeten Hügel, dessen Kuppe der Turm schmückt, der den Namen eines immer noch verehrten großen Deutschen trägt. Und dann: hinauf auf den Turm - falls er nachts offen ist - auf den Ausguck, wo man endlich einmal den Überblick hat.

Der Inspizient würde, vom Pförtner alarmiert, in die Gardarobe stürzen, würde versuchen, mich auf dem Handy anzurufen, aufgelöst, mit wirrem Haar, stotternd vor Überforderung mit dieser Situation. Was würde er nach der Pause dem geschätzten Publikum sagen? Plötzlicher Herztod? Unfall? Nervenzusammenbruch?

Es ist mir egal! Ich kann diesen Satz nicht mehr sagen, und auch die anderen nicht, jene steingewordenen Monumente der Theatergeschichte, unantastbar, immer aktuell, unkaputtbar! Schwachheit dein Name ist faul im Staate, die Zeit ist aus den Fugen und in Bereitschaft sein, ist alles, ist dies schon Tollheit, ich wittre Morgenluft.

Der Morgen, ja, den Morgen dort oben heraufziehen sehen, das Zwielicht - für zwie war ich immer - nicht Fleisch und nicht Fisch, du kannst dich nicht entscheiden, warf Mona mir vor, als sie ging, warum blieb ich kleben, warum, ich hab nur EIN Leben, und dieses Kaff bringt mich um - jetzt reim ich schon. Mein Gott, bin ich dumm!


Der Rest ist Schweigen.
 



 
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