Selbstgespräche

Wenn einer laut und scheinbar unmotiviert im Beisein genervter Zeitgenossen Selbstgespräche führt, leidet er entweder an Alterserscheinungen, an einer psychischen Störung, ist einfach nur ein einsamer Sonderling oder er telefoniert gerade mit seinem Handy.
Auch Autoren – alte wie junge und nicht selten einsame Sonderlinge – führen Selbstgespräche mit mehr oder weniger literarischer Qualität.
Natürlich sollte sich eine Autorin oder ein Autor die eigenen Texte vorlesen, um damit deren Klang und Rhythmus zu überprüfen. Leider – oder gelegentlich auch zum Glück - kommt es vor, dass sie damit die einzigen bleiben, die jemals ihren Text hören.
Eigentlich aber pflegen Autoren das eher Unausgesprochene und legen das, was sie zu sagen haben, per Computer, handschriftlich oder aus Sentimentalität mit ihrer alten klappernden Schreibmaschine in Schriftform nieder. Damit findet längst noch nicht jeder schreibende Sonderling unter seinen Zeitgenossen aufmerksame Leser. Und Bestseller-Quoten bleiben in der Regel Tag- und Nachtträumen vorbehalten.
Nun ist der Inhalt eines Selbstgesprächs nicht automatisch für die Öffentlichkeit oder möglichst viele ihrer Mitglieder bestimmt. Im Gegenteil – eigentlich spricht der gewöhnliche Selbstredner - in der Regel aus Schusseligkeit, Selbstvergessenheit oder in Ermangelung eines Gesprächspartners – mit sich selbst.
Einer, der mit dem Handy telefoniert, glaubt wenigstens irgendwie mit einem zu reden, der sich auch ein Handy oder einen Telefonhörer an die Ohrmuschel hält. Obwohl, wenn ich in der Straßenbahn Telefonierern zuhöre, kann ich mir kaum vorstellen, dass Angerufene so masochistisch veranlagt sein können, auf einen derart smallen Talk ernsthaft mit Frage und Antwort zu reagieren. Selbst wenn der Anrufer in einem Tonfall hochgradiger Bedeutsamkeit seine und die Wichtigkeit seiner Worte bestätigt haben will. Ich vermute vielmehr, jener am anderen Ende legte den Hörer oder das Handy längst beiseite oder, wenn vorhanden, beauftragte er seinen Papagei, in unregelmäßigen Abständen, mit einem gekrächzten „Ja“ oder „Ja wohl“ zu antworten.
Ohne Papagei hat man einiges auszuhalten, um einen Freund, Bekannten oder Verwandten nicht durch einen deutlichen Hinweis auf sein langweilendes Gelaber unsensibel und mit aller Härte enttäuschen zu müssen.
Ich bin schon lange mit einem Schreiber befreundet, der bei solchen Anrufen den Hörer seines Schnurlos-Telefon ausgerechnet in die stets wenigstens einen Spalt weit geöffnete Schublade legt, in der auch seine unveröffentlichten Manuskripte lagern.
Meistens nimmt er nach einer guten Viertelstunde den Hörer wieder auf, erklärt dem Small-talker, er habe sich sehr gefreut, wieder einmal etwas von ihm zu hören, müsse jetzt aber dringend an einem seiner Texte weiterarbeiten, da er ihn in allernächster Zukunft veröffentlichen wolle.
Als ich ihn kürzlich besuchte, bat er mich, wieder einmal einen seiner langatmigen Texte zu lesen.
Eigentlich müsste ich ihn nicht nur wegen dieses einen Textes dringend anrufen, um ihm zu sagen, er solle seine computer-geschriebenen Selbstgespräche ausschließlich seiner Schublade zumuten.
Doch wer kann einen guten Freund schon so enttäuschen? Und irgendeinen Druckkostenzuschuss-Verleger wird er schon finden.
 
Lieber Marius, liebe Flammarion,
Dank euch für eure Kommentare!
Ehrlich gesagt, auch ich hatte Zweifel, ob mein Text unter "Humor und Satire" so ganz richtig war. Dennoch habe ich mich dann so entschieden, weil ich denke, dass er unter Essay auch nicht so recht passend wäre.
Ich bin natürlich froh, dass du, Flammarion, wenigstens subtilen Humor erkennen konntest... Der hat mich schließlich zu der Entscheidung für die Rubrik "Humor und Satire" gebracht. Wenn mein Text einer anderen Rubrik zugeordnet werden kann, soll es mir recht sein. Mir geht es in dem Fall mehr um den Inhalt...

Liebe Grüße
Karl
 



 
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