Sieh genau hin!

Sie genau hin


Bist du vorbereitet?
Auf das unglückliche Schicksal welches dich erwischen wird?
Nein? Dann denk nur einmal kurz darüber nach, wie du weiterleben würdest, wenn du wüsstest, das morgen dich der Tod ereilt, du es aber verhindern kannst, weil du weißt wie es passiert.
Es kann soviel passieren und vor vielen Dingen kann man sich einfach nicht schützen. Aber man kann Vorsicht an den Tag legen und versuchen andere Vorfälle, die uns nicht betreffen, wir aber von ihnen ahnen, zu verhindern.




Es ist durchaus denkbar, dass etwas passieren wird.
Sogar wahrscheinlich, dass es eintreffen wird. Nur wann und wo es eintrifft ist ungewiss. Eine Vorbereitung auf den Eklat ist unmöglich, denn niemand weiß, worauf er sich vorbereiten soll. Ich war damals des Jobs willen in Minnesota, als es die Stadt überrollte und zu fressen begann. Seine Leckerbissen verschlang es, als würde es an einem riesigen Büfett stehen und von jeder Leckerei probieren. In dieser Zeit arbeitete ich noch bei Consors Discount Broker AG in der Ratsgasse, eine Firma im Auftrag von Kaufhausketten: Eine Überwachungsfirma, die sich mit dem Firmennamen Nature Corporation tarnte. Warum genau das so war, wusste niemand. Ich weiß nicht mehr genau, wie es eigentlich angefangen hatte, aber ich weiß noch ganz genau, wie es endete....

Mein Arbeitsplatz zeichnete sich mehr durch Ordnung und Sauberkeit aus als wirklich durch Papier und Arbeitsmappen: Ein kleiner grauer Raum mit einem Stahlschrank an der Wand, in dem Bücher und angeblich wichtige Unterlagen verschlossen waren, und nur ich konnte ihn öffnen. Er enthielt außerdem Patronen für meine Waffe, die ich als Wachmann von Nature stets trug. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein riesiger smaragdgrüner Tisch mit einer Schalterkonsole –mein Arbeitsplatz- der so breit gefächert war und so viele Schalter hatte, dass man nach Monaten Arbeit an diesem Ding noch immer Schwierigkeiten hatte einzuordnen, welchen Schalter und welchen Knopf man nun umlegen oder drücken sollte.
In mitten der blinkenden Knöpfe waren vier Monitore eingebaut, die vier verschiedene Kameraperspektiven im Gebäude zeigten. Es war ein hohler Raum in der Tiefgarage und ich konnte die Leute beobachten, die aus ihren Wagen stiegen und zum Aufzug rannten.

Die Firma NATURE hatte in den letzten paar Jahren einen erhöhten Umsatz gemacht. Das lag ganz gewiss nicht allein nur am Überwachungsmanagement, nein, ganz bestimmt nicht. Nature hatte in ihren tiefsten Kellern Labors eingerichtet, mit dem teuersten Laborscheiß, den man sich denken kann. Es gab eine Zeit, wenn ich Langeweile bei der Arbeit hatte, da versuchte ich mir vorzustellen, was die Typen in den weißen Kitteln da unten so trieben. Und als ich einmal in die Tiefgarage nach meinem Rundgang durchs Gebäude zurückkam, sah ich eine Ratte an der Wand entlang laufen und um die Ecke verschwinden; ich dachte, dass diese Ratte vielleicht aus den Labors entwischt war und nun um ihr erbärmliches Leben rannte.
Ich erinnere mich außerdem an eine Nacht, in der ich auf die Monitore starrte und mir war, als ob etwas durchs Bild huschte, wie eine Art Geist. Doch ich redete mir ein, dass das Unsinn war. Eine Stunde später huschte wieder etwas durchs Bild, ein Schatten von etwas, das man nicht erkennen konnte. Es husche durch alle Bildschirme, im Abstand von ein paar Sekunden, doch die Kameras waren alle weit von einander entfernt. Es war ein wenig beunruhigend und obwohl man wusste, man würde nichts und niemanden finden, wenn man seinen Rundgang machte, schaute ich doch intensiver in die Ecken und die Büroräume hinein. In die Labors kam ich nicht, nur ausgewähltes Personal und Fachkräfte hatten mittels einer Karte Zutritt, es gab auch keine Kameras in den unteren Stockwerken, niemand kontrollierte diesen Bereich des Hauses. Zwar war ich nur ein Wachmann mit einem ausreichend guten Gehalt, dennoch ein guter Wachmann und wenn es auch nicht viel zu tun gab und ich nur stumm das Gebäude von oben bis unten kontrollierte, machte ich meine Sache so präzise wie möglich. Dazu kam noch, dass ich ein sehr ruhiger gesetzter Typ war, der nicht unbedingt darauf versessen war, dass sich immer etwas ereignete.

Übrigens, ich heiße Peter Riley. Aber meine Kollegen und Freunde nennen mich auch einfach nur Pete. Mein Leben verlief ähnlich wie meine Arbeit: Ruhig und ohne jegliche Hektik, was ja auch nicht falsch war. Damals ging ich stramm auf die fünfundvierzig zu und lebte allein, hang meinen entfernten Träumen nach und genehmigte mir am Wochenende ein paar Bier bei Johnny´s.
Ich wohnte in einer netten Zwei-Zimmer-Wohnung direkt unter dem Dach und wusch meine Wäsche selbst, lud ab und zu ein paar Arbeitskollegen zu mir ein, die es irgendwie nie vermeiden konnten, ausgedehnt über ihren Beruf zu quatschen. Einsam? Vielleicht. Manchmal. Doch durchaus zufrieden.
Fortwährend ich an meinem –zugegeben- langweiligen Arbeitsplatz saß und mir die Zeit mit Kreuzworträtsel ausfüllte, war es doch ein sehr angenehmer Job. Zuverlässig und genau studierte ich die waagerechten und senkrechten Kästchen des Kreuzworträtsel, welche auszufüllen waren und warf ab und zu einen Blick auf die Monitore. Nichts ungewöhnliches.
Der Blick schweifte zurück auf das Klatschblatt. Es war ein Uhr durch und in einer halben Stunde würde ich meinen Rundgang antreten. Noch genügend Zeit, das Rätsel auf der Seite zu lösen, die Munition zu überprüfen und die Dienstwaffe ins Halfter zu stecken, die unter dem Tisch in der Schublade lag.
Mein Rundgang begann mit dem obersten Stockwerk, der dreizehnten Etage, die noch nicht fertiggestellt war. Ich fuhr mit dem Fahrstuhl bis ganz nach oben und sah mich dort ein wenig
um. Alles bestens. Während ich mich bis zur dritten Etage vorarbeitete und alles wie immer zu sein schien, holte ich mir auf der dritten am Automaten einen heißen Kaffee und arbeitete weiter. Im Untergeschoss angekommen hatte ich den Kaffee ausgetrunken und warf ihn in einen Papierkorb. Ich wollte schon zurück zu meinem Posten gehen, als mir wie sonst ein ungewöhnlicher Gedanke kam. Die große Stahltür zu den Labors im Keller konnte man ungehindert durch einen Mitarbeiterausweis öffnen, nur was da hinter lag, war doppelt und dreifach gesichert. Von meinem Kollegen Franklin hatte ich gerade erst letzte Woche erfahren, dass jede Tür dort unten gesichert ist und jeweils mit einem Code zu öffnen war. Ganz schön abgedreht, hatte ich zu ihm gesagt und er nickte nur. Was in aller Welt machten diese Leute dort unten den ganzen Tag. Ich nahm den Ausweis und schob ihn in das Einlesegerät. Es machte KLICK und die große Stahltür öffnete. Ein langer grauer Flur erstreckte sich vor mir, links und rechts waren Türen. Es sah sehr modern aus und ich schritt langsam den Flur entlang. Am Ende des Ganges war eine Tür und da neben an der Wand befand sich ebenfalls ein Einlesegerät, was bei den anderen Türen nicht der Fall war. Also versuchte ich mein Glück und es machte abermals KLICK und die Tür öffnete sich. Ich späte in einen großen dunklen Raum in dem ich nur einzelne Umrisse von Tischen und Regalen sehen konnte. Links neben der Tür war ein Lichtschalter, den ich betätigte. Nacheinander sprangen die Neonröhren an der Decke an und ich erkannte ein Labor. Es sah eher aus wie ein Chemiesaal mit nackten Stahltischen wie man sie aus der Autopsie kannte.
Erst als ich den Raum betrat, fiel mir auf, wie kalt es hier war. Geradezu eisig. Musste wohl so sein, dachte ich unverwundert, zwecks dem ganzen Zeugs an Chemikalien, die sie hier in Schränken und Kühlfächer lagerten. Ich durchquerte den Raum und sah mir alles genau an. Über mir die Lichter, die ein bisschen zu grell eingestellt waren. Am Ende des hohen Raum befand sich ein Durchgang, eine Doppeltür, die durch eine Hebelbedienung an der Tür zu öffnen war.
Zutritt strengstens untersagt. Nur für berechtigtes Personal,
stand in großen roten Lettern darauf. Meine Hand legte sich um den großen Hebel, als ich plötzlich ein Geräusch vernahm und aufschreckte. Sofort ließ ich die Hand wieder sinken und lauschte, ob sich das Geräusch wieder einstellen würde. Tatsache, es kam aus dem langen Flur, den ich zuvor gegangen war. Vielleicht hinter einer der verschlossenen Türen. Es hörte sich an wie ein Gurgeln. Als wenn man Badewasser ablässt und es den schwarzen Schlund des Abflusses hinunterspült. Ich ging zurück und die Laute hielten an. Vor einer Tür hielt ich an und lauschte. Es war näher als zuvor und kam eindeutig aus dem Raum dahinter. Ich versuchte sie irgendwie aufzukriegen, aber es gelang mir nicht. Dann war plötzlich Stille. Schleunigst machte ich mich daran, die Räumlichkeiten zu verlassen und schloss die Stahltür mit meiner Karte. Was konnte das gewesen sein? Fragte ich mich und ging zurück zu meinem Arbeitsplatz. Nachdem ich alles andere gecheckt hatte widmete ich mich meiner Studie über Hunde. Seit Jahren hatte ich schon vor, mir nun endlich einen Hund anzuschaffen, fand aber nie die Zeit dafür, mich um einen Hund kümmern zu können. Fast alles was ich über Hunde wissen musste, wusste ich schon. Warum auch nicht. Ich lebte allein, würde in meinem Rentenalter viel Zeit für mich haben und brauchte jemanden, um den ich mich kümmern konnte. Es war im Sommer sechsundneunzig gewesen, als Alice, meine Frau, sich einen Hund wünschte, als Schutz für ihre nächtliche Heimkehr von der Nachschicht als Krankenschwester. Natürlich kaufte ich ihr einen (einen ausgewachsenen Schäferhund) und sie hat ihn über die Scheidung hinweg auch behalten dürfen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich nicht sonderlich bemühte, um den Hund zu kämpfen. Aber ich hätte es tun sollen. Diese Erkenntnis kam jedoch zu spät.
Vom erfahrenen Ingenieur für Automobiltechnik war ich zu einem Wachtposten in einer gut konkurrierenden Firma gewechselt, der eine ziemliche Anspruchslosigkeit besaß. Aber man kann ja nicht alles haben und ich fand mich damit ab.
Nach etwa einer Stunde sturen Glotzens auf die Monitore und den blinkenden Schaltknöpfen, die Türen und Fenster und sogar einige Schränke öffnen konnten, holte ich meinen Bundeswehrrucksack aus dem Stahlschrank an der Wand und kramte nach meinem nächtlichen Pausenbrot: Wurst und Käse auf zusammengeklappten Mehrkornbrot, war nicht das Gelbe vom Ei, aber es schmeckte gut und ich spülte das Brot mit einem Schluck Tee aus meiner Thermoskanne hinunter. Nach jedem Bissen den ich früher gegessen hatte, steckte ich mir stets eine Zigarette an, so zu sagen als Dessert. Über Jahre hinweg war ich geständiger Kettenraucher. Nach der Scheidung begab ich mich regelmäßig in Therapie und verabschiedete mich vom Glimmstängel.
Während ich den letzten Bissen Brot hinunterkaute und dazu einen Schluck Tee trank, währe mir beinah der Becher aus der Hand gefallen. Mitten auf dem leeren Parkplatz lief eine Ratte. Schon wieder so ein Vieh, das ausgebüchst war, dachte ich.
Ich stellte den Becher auf die Armatur und ging aus dem Raum, schaute über den Platz und entdeckte die Ratte wie sie leise wispernd an der Wand hockte, etwa fünfzig Meter vor mir. Sie nagte auf etwas herum, wie ein Eichhörnchen, dass auf einem Baum hockte und eine Eichel zwischen den Pfoten hielt, an der sie emsig herumnagte. Fett und hässlich grau kauerte sie da an der Wand, ihre Augen bewegten sich ohne Unterlass und musterten die Umgebung. Ständig auf Gefahr bedacht.
»Komm her du blödes Vieh.« Sagte ich und war mir bewusst, dass sie das bestimmt nicht tun würde. Langsam ging ich auf sie zu. Einmal schaute sie hoch und sah mich da stehen. Ich hielt kurz inne und dann nagte sie weiter, lief aber nicht weg. Plötzlich fragte ich mich, was ich hier tat. So würde ich sie nicht bekommen, nicht mit bloßen Händen. Ich scheuchte sie weg, indem ich laut brüllte und auf sie zugerannt kam. Mit einem Satz ließ sie ihre Beute fallen und war um die Ecke verschwunden. Das Stück, was sie zwischen den Pfoten gehalten hatte, lag an der Wand, und nach näherem Betrachten, sah ich, dass es ein Stück Fleisch war. Wo mochte die Ratte das her haben? Die Kantine lag im ersten Stock und von dort konnte sie es nicht herhaben. Alles war steril und Keimfrei verschlossen und Fleisch wurde über Nacht nur in den Gefriertruhen aufbewahrt. Die hässliche Ratte kam von den Fahrstühlen und mir kam die absurde Idee, dass sie mit dem Fahrstuhl nach oben von den Labors (die eigentlich fest verschlossen waren) gefahren war und versuchte zu entkommen. Sie hatte wohl, bevor sie ihre Flucht angetreten hatte, noch etwas Fleisch mitgehen lassen, das (wenn es denn so war) nur von Versuchstieren stammen konnte. Zurück im Überwachungsraum warf ich kurz einen Blick auf die Monitore und wendete mich den Schubladen unterhalb des Tisches zu. Die erste, in der sich normalerweise meine Waffe befand, war leer. Die anderen waren, wie ich vermutete, abgeschlossen. Doch wo ein Schloss ist, muss es auch einen dazugehörigen Schlüssel geben. Ich suchte alles ab und fand schließlich was ich brauchte. Unter dem Tisch hing ein einzelner Schlüssel an einem Haken, der dort deponiert wurde, damit man ihn nicht fand. Ich griff mir das Ding und latschte zum Fahrstuhl, fuhr hinunter zu den Labors und ging den selben Flur abermals entlang. An der ersten fetten Stahltür blieb ich stehen, sah auf den Schlüssel und versuchte es einfach. Mir war klar, dass die Leute, die hier arbeiteten, nur durch einen Code Zutritt gewannen, doch der Schlüssel passte wie angegossen. Es gab ein kurzes schweres Klicken von sich, als die Tür entriegelt wurde und einen Spalt nach innen aufschwang. Vorsichtig lugte ich in die dahinterliegende Dunkelheit hinein und sah im ersten Moment nichts. Von meinem Hosengürtel löste ich die Taschenlampe und knipste sie an. Der helle Lichtkegel schoss in den Raum und ließ auf einen kleinen kahlen Raum schließen, dessen Wände weiß und die Decke grün gestrichen war.
Ich sah mich um, und sah unzählige Glasvitrinen mit einer Unzahl an Fläschchen und Becher und medikamentösen Schachteln. Nichts ungewöhnliches. Dann fiel mir ein, dass ich vorhin ein Poltern vernommen hatte. Hinter einer dieser Türen war etwas hinuntergefallen oder umgestoßen worden. Gegenüber befand sich noch eine Tür, ich versuchte es mit dem Schlüssel und es klickte. Ich leuchtete in den Raum und suchte zuerst nach einem Lichtschalter, der sich auch direkt neben der Tür befand. Gleißend helles Licht erfüllte den Raum und ich kniff die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffnete dauerte es noch einige Minuten, bevor sie sich an das Licht gewöhnt hatten. Diesmal befanden sich keine Glasvitrinen oder gar Obduktionstische im Raum, nur kleine Stahlschränke (mit Stahl waren die echt nicht knitterig), die mitten im Raum standen. Als ich weiter hinein ging, fielen mir die Türen an den Wänden auf, die unmöglich in einen anderen Raum führen konnten: Es waren Kühlkammern. Ein Schild, das über den Türen hing, war ohne Zweifel:

Lagerraum.
Betreten strengstens untersagt.
Bei Kühlung unter 50 Grad Celsius bitte Schotten schließen.
Lebensgefahr.

In meiner Ausbildung als Beamter des Sicherheitsdienstes habe ich eins gelernt: Alles ungewöhnliche auf den Grund gehen und Meldung machen. Ich drehte an dem riesigen Rad, mit dem sich die Tür öffnen ließ, und nach einem gedämpften Plopp! Schwang sie langsam nach innen auf. Ich besah mir die Regale, die aussahen wie übereinandergestapelte Krankentragen, genauer an und entdeckte in jeder Reihe große Plastiksäcke. Es sah aus, als wäre in die Säcke Gas eingelassen worden, das aussah wie gepresster Nebel. Alle Beutel waren beschlagen, als wäre etwas da drin, was atmet. Ich ging ganz nah an einen der Säcke heran, um besser sehen zu können, als sich etwas im Sack bewegte und der Nebel aufgewirbelt wurde wie Dampf. Ich schrak zurück und wäre um ein Haar rücklings gestürzt.
Doch der Türpfosten hinter mir, fing meinen Sturz auf. Mein Herz machte einen Satz und meine Augen waren starr auf das Plastik gerichtet, dass sich eben bewegt hatte und nun ruhig dalag. Angst drang in meinen Kopf ein, als würde es in mein Gehirn gespritzt, wie etwa eine Spritze, die man in den Unterarm bekommt. Meine Beine, meine Arme, mein ganzer Körper war mit einmal wie Blei; ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. Als ich die Stockung in meinen Gliedern überwand, rannte ich aus dem Raum in den Flur. Drehte mich noch einmal um, sah die Plastiksäcke an und machte, dass ich da raus kam. Das Herz schlug mir in der Brust, wie seit meiner Scheidung vor Gericht nicht mehr und ich rannte zurück zum Wachtposten. Das kann nicht sein, das habe ich mir nur eingebildet, flüsterte mein Verstand. Ich hatte nicht mehr ganz eine Stunde, dann würde der Morgen grauen und die Wachablösung würde eintreffen. Doch ein seltsamer beängstigender Gedanke schoss durch mein Oberstübchen: Ich hatte das Gefühl, nicht mehr allein zu sein...

Nachdem ich Waffe und Munition kontrolliert und die Positionen der Überwachungskameras nicht aus den Augen ließ, wartete ich. Von hellem Tageslicht war hier unten nichts zu sehen, da es keine Fenster gab. Da war nur die Einfahrt, auf die ich alle paar Minuten wachsam blickte, ob die Wachablösung schon käme.

... Und sie kam auch. Erleichtert empfing ich meinen Kollegen mit einem freudigen Lächeln. Wir tauschten ein paar Worte und dann ging ich. Mit keinem Wort erwähnte ich, was in der Nacht vorgefallen war. Er würde mich für verrückt erklären oder mir zumindest einreden wollen, dass ich unter Hirngespinsten litt, weil ich immer Nachtwache schob. Zu Hause machte ich mir noch eine Kleinigkeit zu essen, trank das letzte Bier aus dem Kühlschrank leer und legte mich schlafen. Erst nach einer Stunde schlief ich richtig ein.

Am nächsten Tag war ich schon früh dran und erschien kurz vor sieben Uhr abends auf der Arbeit. »Heute war nicht viel los.« Begrüßte mich mein Kollege.
»Gut,« sagte ich. »also nichts ungewöhnliches?« Mein Kollege war dabei seinen Kram zusammen zu packen. »Nein nichts. Das heißt ... bis auf die Ratte.«
»Was für eine Ratte? Hast du eine gesehen?« Ich wurde hellhörig.
»Ich nicht, aber eine Frau. Schrie wie am spieß die Alte. Hat mir ne Heidenangst eingejagt. Ich bin sofort hingerannt, um zu checken, was los ist. Dort hinten soll sie angeblich gehockt haben, die Ratte.« Er deutete mit dem Kopf in die Tiefgarage, dort wo die Wand war. An genau der selben Stelle hatte ich sie auch gesehen. Ich wollte nicht näher darauf eingehen, weil ich ahnte, wenn ich ihm erzählte, was mir letzte Nacht aufgefallen war, er mich auslachen würde. Dann ging er. Wie immer prüfte ich sorgfältig den Arbeitsplatz, ob alles so war, wie es sein sollte. Für sechs Stunden war ich nun mit mir und diesem drohenden Betonklotz von einem Hochhaus allein...

2


Eine Stunde lang ereignete sich nichts aufregendes. Ich würde wie immer um halb elf meine Runde machen und nichts entdecken, wofür es sich lohnte, Alarm zu schlagen. Doch dann geschah doch etwas. Als ich durch Zufall auf die Monitore starrte, sah ich einen Schatten, als wenn jemand mit einem schwarzen Umhang bekleidet in unmenschlicher Geschwindigkeit durch die Kamera lief. Diesmal war die Erscheinung deutlicher, als beim ersten Mal. Ich war verwirrt und doch war ich mir sicher, das hier etwas übles vor sich ging.
Es war jemand im Gebäude, der eigentlich nicht mehr da sein sollte. Um diese Zeit waren selbst die Leute, die Überstunden liebten, zu Hause bei Frau und Kind und schauten sich womöglich die Spätnachrichten an. Rasch bewaffnete ich mich mit Taschenlampe und meinem 38er Dienstrevolver. Ging dann zu den Fahrstühlen und fuhr in die siebte Etage, dort wo die Kamera die Erscheinung aufgenommen hatte. Oben angekommen stieg ich aus dem Lift und warf einen Blick in den linken Korridor. Die Kamera war im D-Trakt montiert, also ging ich den rechten Korridor hinunter. Dieser machte eine scharfe Rechtskurve und da war auch schon die Kamera. Ich schaute zu ihr hoch und sah mich dann nach allen Seiten um. Es war eine angsterfüllte Stille in der siebten Etage und ich merkte meinen Herzschlag schneller pulsieren. Ruhig tastete ich nach meinem Revolver, der noch immer im Halfter an meiner Hose steckte. Langsam ging ich den Flur weiter, lauschte und hörte plötzlich den Fahrstuhl hinter mir anrucken. Erschrocken drehte ich mich um, lief zurück und kam zu spät. Der Fahrstuhl war in Bewegung und irgendjemand war da drin. Mir kam das alles nicht geheuer vor und über Walkie Talkie wollte ich die Hauptzentrale des Wachschutzes rufen, als ich sah, dass der Fahrstuhl im Untergeschoss hielt. Ich steckte das Funkgerät wieder an die Hose; ließ jedoch den Lift nicht aus den Augen. Dann ruckte der Fahrstuhl an und fuhr wieder nach oben. Nervös beobachtete ich die Leuchtziffern über der Tür. Dritte Etage, vierte Etage, fünfte Etage ... er kam wieder hoch. Ich nahm die geladene Kanone in beide Hände und zielte auf die Tür: Sollte der Lift im siebten Stock halten, war ich vorbereitet. Sechste Etage ... ich merkte, dass mir warm wurde. Meine Empfindlichkeit in trockenen Räumen war verschwunden, ich merkte nur noch meine pulsierenden Schläfen und stellte mit Schrecken fest, dass ich eine Scheißangst hatte. Bing. Siebte Etage ... ich hielt die Waffe stur gegen die Tür gerichtet. Der Schweiß lief mir den Rücken herunter und mit meiner Atmung stimmte auch etwas nicht: Ich hechelte wie ein Hund. Als sich die Tür dann öffnete, hätte ich fast gefeuert, aber ich bekam mich unter Kontrolle und stellte erleichtert fest, dass der Liftkorb leer war. Ich untersuchte ihn und fuhr dann wieder zu meinem Wachposten in die Tiefgarage. Ich wusste, dass da jemand war, der so eben runter ins Labor gefahren und noch da war. Doch erst einmal wollte ich die Zentrale verständigen und nachfragen, ob sie vielleicht von einer Person wüssten, die sich um diese Zeit noch im Gebäude aufhielt.

3


Ich hatte die Zentrale nicht erreichen können, die Verbindung war gestört, ich bekam nur ein Rauschen rein. Dann versuchte ich es mit dem Telefon: Aus der Leitung kam nur ein Knacken und dann ein langer Piep-Ton. Die Leitung war tot, es gab keine Verbindung zur Außenwelt. Ich besaß nicht einmal ein Handy, wobei doch heutzutage schon jedes Kind eins besitzt. Was sollte ich jetzt tun? Hier sitzen bleiben und darauf warten, dass die unheimliche Gestalt wieder verschwand oder sollte ich runter fahren, und nachprüfen, wer da um diese Zeit noch Versuche anstrebt zu arbeiten. Ich entschied mich für das letztere, wobei ich mir gleichzeitig den Morgen herbeisehnte.
Als ich im unteren Gefilde der Labors gelangt war und den langen weiten Flur vor mir sah, überrollte mich der Gedanke, ich könnte hier etwas entdecken, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. All die vielen Horrorfilme und Reportagen über Geheimlabors und Tierversuche, die man irgendwann aufdeckt, spuckten mir im Kopf herum. War dies hier auch so ein Fall? Würde ich etwas sehen, was ich nicht sehen sollte? Aber ich war der Wachmann und ich musste alles ungewöhnliche auf den Grund gehen. Schnell entschloss ich mich für die Vernunft; versuchte mir einzureden, dass alles einen harmlosen Hintergrund hatte. Vorsichtig schritt ich zu der offenen Tür, wobei mir klar war, dass diese Tür immer abgeschlossen war, genau wie alle anderen auch. Dort hatte ich die Plastiksäcke in einem separaten Raum entdeckt, von den einer sich bewegt hatte: Nie im Leben wollte ich da wieder hinein gehen. Die dicke Stahltür war nach innen geschoben worden und Licht strahlte aus dem Raum dahinter. Es war eindeutig, dass sich jemand hier unten befand. Ich überlegte kurz, ob ich rufen sollte, um den unangemeldeten Besucher vorzuwarnen, aber ich verdrängte den Gedanken schnell und betrat stattdessen das große Labor. Jetzt wirkte er geradezu unheimlich und düster: All die vielen nackten Tische, die klinischgereinigten Gerätschaften, die eingeschlossenen Fläschchen mit den unbekannten Lösungen, die hinter Milchglasscheiben standen. Mir lag das HALLO! auf den Lippen, aber ich bekam keinen Ton heraus. Ich sah, dass die hintere Tür zum Raum mit den Säcken offen stand. Meine Kehle war schon wieder so trocken, wie bei einem langen Fußmarsch durch die Stadt Mexiko im Hochsommer. Ich öffnete den Knopf meines Halfters und nahm die Dienstwaffe in die Hand, dabei versuchte ich so leise wie nur möglich zu sein. Ich entdeckte Fußspuren auf dem sauberen Fliesenboden. Von Straßenschuhen, die einen schmutzigen Erdfilm hinterlassen haben. Jetzt war es eindeutig: Wenn jemand noch arbeiten wollte, hätte er das Labor nicht mit verdreckten Schuhsohlen betreten, sondern hätte die sauberen Weißen genommen, die hier unten Pflicht waren. Jeder Mitarbeiter hatte seinen eigenen Spind und jeder hatte diese weißen Kochschuhe an. Ich kam zu der hinteren Türe, die weit offen stand, doch der Raum dahinter war nicht beleuchtet. Wenn ich mich recht erinnerte, gab es diesem Raum auch keinen Lichtschalter, zumindest hatte ich ihn letzte Nacht nicht bemerkt. Ich nahm mit feuchten Fingern die Taschenlampe und leuchtete hinein: Die Plastiksäcke lagen an Ort und Stelle und lösten bei mir ein Frösteln aus. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Klappern, dann ein Scheppern und dann ein VERDAMMT!. Erschrocken fuhr ich herum und hielt die Waffe in diese Richtung woher die Geräusche kamen, aber nichts war zu sehen. Dieser Kerl verursachte einen ziemlichen Krach. Ich ging dem Geräusch nach und entdeckte die gleichen Fußspuren wie zuvor auf dem Flur, die in einen anderen Raum führten. Sie führten in den kleinen Raum mit den vielen Schränken und der grünen Decke. Jetzt konnte ich nicht mehr an mich halten, meine Nervosität wurde zu groß und Angst hatte meinen Körper angegriffen.
»Hey, wer zum Teufel ist da?« Hoffentlich hörte man meine Spannung nicht heraus. Abrupt war Stille. »Wer immer sie auch sind, kommen sie sofort aus dem Raum und treten sie auf den Flur. Ich will Ihre Hände über den Kopf sehen. Zwingen sie mich nicht zu schießen.« Mit diesem Spruch fühlte ich mich nicht besser, aber es hatte etwas von einem Großstadtpolizisten. Nichts geschah.
»Wenn sie nicht sofort daraus kommen, machen sie sich strafbar....«
»Reden sie doch keinen Quatsch.« War die Antwort. Nun trat der Mann aus der Tür und offenbarte seine fast zwei Meter hohe Gestalt. Sein langer schwarzer Umhang wehte ihm um die Waden und während ich von seinem Äußeren fasziniert und erschrocken zugleich war, hob er langsam seine Hände. Ein Lächeln umspielte seinen Mund.
»Lassen Sie uns doch vernünftig sein, Mister....« sagte er. Er hatte eine tiefe raue Stimme, die jeden Mann und jede Frau einen kalten Schauer versetzen konnte. »Mein Name ist Riley, ich bin der Wärter hier und wer sind sie?« Der Mann schien zu überlegen, über seinen Augen hatte sich eine tiefe Falte gesetzt.
»Mann nennt mich den schwarzen Mann ... nein, das ist nicht ganz korrekt. Mein wahrer Name tut nichts zur Sache, außerdem sind Sie kein Polizist, sondern nur ein harmloser Hochhauswächter mit einem Mindestgehalt in der Tasche.«
»Lassen sie die Scherze, ich will jetzt wissen, was sie hier zu suchen haben. Wie konnten sie sich überhaupt Zutritt verschaffen, wenn sie hier nicht arbeiten? Verdammt, was zum Teufel machen sie hier?« So langsam wurde ich wirklich ungeduldig. Der Mann gegenüber blieb unbeeindruckt und machte mich durch seine sture Ruhehaltung nur noch nervöser.
»Wenn sie wollen, zeige ich es ihnen. Aber sie dürfen es keinem verraten.« Er legte symbolisch den Zeigefinger auf die Lippen. »Sie rühren sich nicht von der Stelle, kapiert?«
Sagte ich. »Schon gut, es gibt keinen Grund auszuflippen. Ich fände es Schade, wenn wir uns gegeneinander auflehnen. Sie und ich, wir beide haben eine Verbindung, das spüre ich.« Was redete der Kerl für ein Stuss, dachte ich. Doch ich musste zugeben, dass er mir nicht wirklich gefährlich vorkam. Beharrlich behielt er seine Hände oben und lächelte fortweg.
»Nun gut. Zeigen sie mir, was sie hier verloren haben und dann reden wir weiter.« Langsam nahm er seine Hände runter, so bedächtig, als erwarte er, sie gleich wieder hochnehmen zu müssen. »Folgen sie mir!« Plötzlich war er wieder nebenan im Raum verschwunden und ich hatte ihn nicht mehr unter Kontrolle. Ich folgte ihm, war jedoch vorsichtig, denn er könnte versuchen mich zu überwältigen.

Ruhig und im grellen Licht der Neonröhren von einer wundersamen Aura bestrahlt stand er vor einer Vitrine und holte ein paar Fläschchen heraus. Stellte sie vorsichtig auf den Tisch, der daneben stand und suchte gezielt nach weiteren Lösungen. Ab und zu besah er sich das Etikett und stellte wieder welche zurück. »Was machen sie da?« Der Mann wand seinen Blick nicht von den Flaschen und sagte: »Wissen sie eigentlich, dass alles verkommt? Oh, das wissen sie bestimmt, aber wissen sie auch wie? Die Erdbevölkerung sieht den Schaden nicht, den sie selbst angerichtet hat, weil sie zu blind ist oder es einfach nicht wahr haben will. Der Planet verkommt zu einem unbrauchbaren ... Etwas. Irgendwann wird er nur noch als Müllhalde fungieren. Verstehen sie was ich meine? Wenn sie sich wirklich einmal damit beschäftigen, wissen sie wovon ich rede. Wo zum Teufel ist ... ach, da ist es ja.« Er holte ein weiteres Fläschchen heraus, das rosafarben etikettiert war.

»Es ist nicht so, dass ich es nicht begreife.« Begann ich zaghaft. »Doch was soll man dagegen unter....« Der Mann unterbrach mich.
»Man könnte die Welt also doch als einen schmutzigen, stinkenden Fleck
bezeichnen, den wir einigermaßen bewohnbar gemacht habt? Nur war der schmutzige Fleck, erst da, als die Menschen anfingen mit dem Erdgas zu experimentieren. Höher, schneller, weiter, musste es sein. Bauwerk an Bauwerk, Fabrik und meterhohe Schlote, aus dem der Dreck heraus schießt und verteilt wird.« Seine Stimme wurde lauter und war jetzt erregter.
»Und wohin sollte der Schmutz sonst gehen, als in die noch übriggebliebende Natur. Wir werden nie aufhören damit, uns den Lebensraum einzuengen. Im Gegenteil: Wir tun doch wirklich alles dafür, damit es noch schlimmer wird. Es ist ein Wunder, dass wir bei diesen vielen Häusern, Türmen und öffentlichen Gebäuden, nicht klaustrophobisch werden. Immerhin ist die USA voll von hochgewachsenen Bauwerken die die Luftzufuhr nur erschweren und der Natur keine Chance lässt. Wieso nur tun wir das? Wir ruinieren uns selbst. Können wir das zulassen? NEIN, sagen wir im Chor und doch denkt jeder, dass der andere sich schon darum kümmern wird. Am Ende jedoch steht die Antwort: Niemand versucht etwas zu ändern.« Ab und zu warf er mir einen klärenden Blick zu. Dann fuhr er fort.
»Klar, wir versuchen den Müll zu trennen, damit es wieder verwertet werden kann, sicher, kaufen wir Naturprodukte, damit sie sich schneller abbauen, sparen an Strom und Wasser und glauben ernsthaft, etwas für die Umwelt zu tun. SCHWACHSINN!!!
Wir sind unserem Schicksal ausgeliefert und werden nicht miterleben wie eines Tages jemand
das Wort erhebt und sich an die Bevölkerung wendet. Er wird schreien und die Welt wird ihm
zuhören. Dann erst, wenn es zu spät ist, werden die meisten aufwachen und ihm zustimmen.
Und er wird immer wieder der Menge zubrüllen: Jetzt ist Schluss. Ab heute bricht ein neues Leben an und wir sind da, um das zu vollbringen. Ab heute. Gemeinsam und immer wieder.«
»Und sie wollen dieser Mann sein, hab ich recht. Wie wollen sie das anstellen? Wollen sie die
Bevölkerung betäuben?« Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
»Nein. Das schafft niemand. Aber ich werde sie zwingen, mir zuzuhören.« Als er mit dem
Abzählen der Fläschchen fertig war, schloss er den Schrank ab und packte die farbigen
Lösungen in einen Beutel.
Danach ging der Unbekannte an mir vorbei und aus dem Zimmer. Ich folgte ihm stumm.
Noch immer hatte ich die geladene Kanone in der rechten Hand, aber ich zielte nicht mehr auf
ihn. In dem großen Raum, aus dem ich zuvor kam, setzte er die zahlreichen Fläschchen
auf einen der Tische ab.
»Ich arbeite schon sehr lange an diesem Projekt,« sagte er plötzlich. »es ist so zu
sagen, mein Lebenswerk. Immer dann, wenn die anderen gegangen und das Haus
leer war, kam ich hier her, um daran zu arbeiten.«
»Und wie kommen sie ins Gebäude rein?« Wollte ich wissen.
»Das ist einfach: Seit ungefähr sechs Jahren besitze ich eine Karte und habe sie nach meiner
Entlassung behalten. Ja, ich habe hier gearbeitet. Bis dieser Mistkerl von einem Vorsteher
kam und mir meinen Job wegnahm. Soviel Kraft und Geist habe ich in diese Firma gesteckt
und dann kommt da irgend so ein eingebildeter junger Fatzke daher, der meint, er müsste hier
mal kräftig aufräumen.« Während er redete, legte er ein paar Seziergeräte auf den Stahltisch.
»Warum hat er sie denn entlassen? Haben sie Fehler gemacht?«
»Nein, das nicht. Aber dem Kerl hat einfach meine Nase nicht gefallen. Bei einem seiner
Pläne hatte ich mich gesträubt. Ich habe mich also dem großen Boss widersetzt und ihm
meine Meinung über das Projekt kundgemacht. Er sagte zu mir, wenn ich nicht das tat,
wofür ich bezahlt werde, würde ich gefeuert werden. Bevor er mich fristlos kündigte, warf ich
ihm noch an den Kopf, was ich von ihm hielt, und das er mir nicht drohen sollte.
Und das vor versammelter Kollegenschaft. Das hat ihn dann wohl ziemlich wütend gemacht.
Tja, was soll ich sagen? Ich war schon immer ein Aufsässiger und habe mit meiner Meinung
nie hinter dem Berg gehalten. Mein letzter Chef hat das toleriert, denn er wusste, was er an
mir hatte.« Sauber aufgereiht hatte er die Instrumente bereitgelegt.
»Und was hatte er an Ihnen?« fragte ich nicht ohne Neugier.
»Einen brillanten Wissenschaftler.« Sagte er nur und war mit seiner Suche fertig.
»So Mister Riley, wollen Sie mich noch immer aufhalten?« Er schaute mich fragend an.
»Ich kann das nicht zulassen.« Antwortete ich. »Was immer sie auch vorhaben, lassen sie
es bleiben! Sie werden nicht damit durchkommen.«
»Oh doch, das werde ich. Sie werden es erleben.« Er war leicht wütend geworden, über meine
Ungläubigkeit. »Verstehen sie mich recht, Mister. Ich bin ein Mann des Gesetzes, zwar
nur ein Wachmann, aber ich vertrete das Gesetz. Ich kann also nicht anders handeln.«
»Doch sie können anders. Und das wissen sie auch. Mensch, wachen sie endlich auf und
schauen sie mal, wo sie hier sind. Fällt ihnen denn nicht auf, dass wir im Arsch sind? Wir
haben und werden alles zerstören, was uns jetzt gehört, aber im Grunde nie gehört hat.
Verstehen sie worauf ich hinaus will? Wenn wir etwas ändern wollen, können nicht wir es
tun, sondern jemand anderes muss es für uns vollbringen.« Seine Augen hatten jetzt
eine intensive Klarheit angenommen und waren weit aufgerissen.
»Was soll das heißen? Wer soll es dann tun?« Fragte ich und dabei wurde mir bewusst, dass
er nicht von sich sprach. Schließlich wollte er mit all diesen Sachen auf dem Tisch etwas be-
zwecken. Er schaute mich an, als erwarte er, dass ich selbst auf die Antwort käme.
»Es tut mir leid, Mister Riley, aber sie wissen schon zuviel.« Der Mann zog plötzlich eine
Waffe aus seiner Manteltasche und zielte auf mich. Hatte er vor mir, mich zu erschießen? Mir
wurde Bange und ich hatte nicht schnell genug reagieren können, um ebenfalls meine Waffe
zu erheben. Mir brach der Angstschweiß aus und ich bat ihn, nein, ich flehte ihn an, es nicht
zu tun. Doch er achtete nicht auf meine Worte und schoss.

Als ich wieder zu mir kam, war es um mich herum dunkel. War ich tot? Ich konnte es nicht
Genau sagen. Als ich dann jedoch Schmerzen spürte, wusste ich, dass ich noch lebte. Mein
Bein tat höllisch weh, dieser Mistkerl hatte mir ins Bein geschossen, um mich außer Gefecht
zu setzen. Neben mir sprang eine Tür auf und der Kerl kam herein, über mir flimmerten die
Lampen auf und ich kniff die Augen zusammen. »Sie widerlicher Scheißkerl, sie haben mir
ins Bein geschossen.« Sagte ich sofort.
»Ja, das habe ich. Ich konnte doch unmöglich zulassen, dass sie mich an einem
wichtigen Experiment hindern, oder?«
»Was haben sie jetzt vor?« Die Schmerzen schossen mir in den Kopf und ich versuchte
angestrengt, klar bei Verstand zu bleiben. »Erst einmal möchte ich sie mit jemanden bekannt
machen.« Er deutete auf die gegenüberliegende Wand. Dort stand ein Käfig aus grauem Stahl
und in dem Käfig befand sich irgendein Wesen. Noch nie zuvor hatte ich so etwas gesehen.
Ich erschrak. Das Wesen in dem Käfig war nicht menschlich.
»Ich nenne es die apokalyptische Bestie. Es wird uns helfen, zu erkennen, was alles
passiert ist. Wir haben viel Staub aufgewirbelt in den letzten Jahrhunderten.«
Er ging rüber zu dem Käfig und kniete sich daneben. Betrachtete das Ding interessiert, das
da schwer atmend und grauenhaft entstellt hockte.
»Es wird unseren Dreck beseitigen.« Mir spukte ein Gedanke durch meinen Kopf. Ich wagte
ihn kaum auszusprechen.
»Wird es die Menschen auch beseitigen?« Der finstere Mann richtete sich wieder auf und
sah mich mit verständnislosen Augen an.
»Sie können nicht mehr rückgängig machen, was passiert ist. Wir können auch nicht, die
Umweltverschmutzung aufheben und den Planeten einfach so säubern. Das geht einfach nicht.
Dieses Wesen hier, wird den Ursprung allen Übels radikal vernichten. Und wenn das
Geschehen ist, kann sich die Erde wieder langsam regenieren.«
Verständnislos sah ich ihn an. »Sie haben doch nicht vor die Menschheit auszurotten? Wie
wollen sie das anstellen?« Er schwieg. Ich hatte Angst, was seine Antwort sein könnte, und
das sie womöglich die Wahrheit barg.
»Ich habe dieses Wesen erschaffen, um gegen all das anzugehen, was wir außer Stande sind,
zu tun. Frieden zu schaffen. Seit meiner Entlassung, das ist genau ein Jahr her, arbeite ich
daran und es hat in den letzten Monaten unheimliche Fortschritte gezeigt. Ich habe ihm ein
Serum verabreicht. Ob sie es nun verhindern wollen oder nicht, Mister Riley, sie können doch
Nichts dagegen tun. Es wird auch sie erwischen.«
»Verdammt noch mal, was haben sie dieser Bestie gespritzt?«
Dieses Mal zögerte der Kerl nicht mit seiner Antwort.
»Diese von mir erschaffene Kreatur trägt die Pest in sich.« Wie betäubt hörte ich seine
Worte, die an mein Ohr drangen. Konnte das alles wahr sein? Dachte ich bei mir.
Bin ich in einem Traum gefangen, der nicht enden wollte? Und als ob er meine Gedanken
lesen konnte, sagte er: »Ja, Mister Riley sie haben richtig gehört. Dieser Virus wird in
weniger als drei Monaten ein grossteil der Bevölkerung dahin gerafft haben. Ich habe den
Gorilla so erschaffen, dass er sich versteckt, wenn jemand ihn verfolgt und versucht zu
fangen oder zu töten. Durch das Serum hat sich seine Genetik stark verändert und seine
Wesenszüge wurden immer besser. Er bekam Anfälle und Krämpfe und seine Sinne sind
dem Menschen weit überlegen. Dieses Tier hier kann sie bereits aus drei
Kilometern Entfernung kommen hören. Lediglich braucht dieser Affe nur durch die Straßen
zu wandeln und die Leute mit dem Virus zu infizieren. Sollte der Affe trotz aller Vorsicht ge-
tötet werden, wird der Virus weiterwandern. Denn dagegen haben wir kein Gegenmittel.«
Ich wollte einfach nicht glauben, was er sagte. Es lag soviel Überzeugung und Wahnsinn
in seinen Worten, dass es gerade aus diesem Grund schwer war, ihm nicht zu glauben.
Die Schmerzen in meinem Bein, die sich durch meinen gesamten Körper bohrten, wirkten
betäubend auf meinen Verstand. Ich fragte ihn, was er denn mit all den Fläschchen vor hatte
und er antwortete, dass es die letzte Dosis Kraft sei, die der entstellte Affe injiziert bekommt,
bevor er auf die Welt da draußen losgelassen wird. Allmählich viel mir das Sprechen schwer
und wenn ich jetzt nichts unternahm, würde ich es nie mehr können. Bald würde ich
ohnmächtig werden und dann war alles zu spät. Vor mir im Käfig rasselte und
schnaubte heftig es und das war beängstigend.
Wenn dieses Ding erst einmal frei war, gab es kein Entrinnen mehr.
Der Kerl mit dem langen schwarzen Mantel sagte, er werde jetzt die Spritze
und die Instrumente holen. Er wusste, dass ich mich kaum noch bewegen geschweige denn
bei Bewusstsein bleiben konnte, deswegen ging er aus dem Raum, um die Sachen zu holen.

Ich tastete verkrampft nach meiner Pistole, doch er hatte sie mir abgenommen, während ich
ohnmächtig war. Hastig sah ich mich um. In meiner schmerzerfüllten Panik fiel mein Blick
auf ein Stück Seil, das nicht weit von mir auf dem Boden lag. Ich versuchte danach zu
greifen, doch erst beim zweiten Versuch gelang es mir, das Seil zu mir heran zu ziehen.
Danach robbte ich mich zum Käfig, legte das Seil um den Hebel, mit dem sich die Tür
öffnen ließ und knotete es fest. Ich schleifte mich halb ohnmächtig und mit Tränen in den
Augen zu meinem Platz an der Wand zurück und wartete. Das Ding gegenüber brummte vor
sich hin und konnte es kaum erwarten hinter den Gittern hervorzukommen.
Es dauerte nicht lange und der Kerl kam zurück; mit einem Tablett voller kleiner Flaschen,
einer übergroßen Spritze und einem Seziermesser. Er kniete sich vor das Gatter und zog eine
Ampulle über die Spritze, dann stellte er die Ampulle auf den Boden und spritzte etwas vom
Inhalt in die Luft. Als er das Gatter öffnen wollte, bemerkte er erst, das eine Schnur daran be-
festigt war. Noch ehe er darüber nachdenken konnte, zog ich mit letzter Kraft an dem Seil
und das Gatter öffnete sich. Erschrocken drehte er sich zu mir um und sah mir in die Augen.
»Sie werden die Menschheit nicht töten. Der einzige, der vernichtet werden muss, sind sie.«
Dann sprang auch schon das Monstrum aus dem Käfig und fiel den Mann an. Ein
heller Schrei durchdrang die Mauern des Hauses und während der verknorpelte Affe ihn bei
lebendigem Leib aufriss und zerfleischte, schleifte ich mich auf den Flur. Ich schloss die Tür
von außen zu, so dass es nicht entkommen konnte und atmete auf.

Nachdem ich mich in die Garage geschleppt und über Funk die Polizei verständigt hatte, lag ich auf dem Boden meines kleinen Wachhäuschens und dachte (um mich wach
zuhalten) darüber nach, was der Kerl gesagt hatte. Natürlich hatte er recht: Irgendwann gibt es keinen Lebensraum mehr für die Menschen dieser Erde.
Doch bis dahin wird noch viel Zeit vergangen sein....








E N D E
 
W

willow

Gast
Hallo,

beim Frühstück habe ich deine Geschichte gelesen und mich gut dabei unterhalten. Sie ist gut und spannend geschrieben... ein wenig musste ich über den Anfang nachdenken.

Die Theorie, dass die Menschheit irgendwann einmal keinen Lebensraum mehr hat, dass Armut und Hunger die Konsequenz daraus sind, hält sich in unserer Gesellschaft sehr hartnäckig, viele haben genau davor Angst.

Gut gelungen ist dir die Beschreibung von Pete, der nicht nur für die Menschheit, sondern auch für sein eigenes Leben kämpft.

Vom Stil her hört sich das ein wenig an, wie Outer Limits oder auch X-Factor... mit happy ending, welches dazu gehört.

Wirklich eine gute Geschichte.

Lieber Gruß,

willow
 



 
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