Smart-Phone

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Avaro

Mitglied
Auf all meinen Wegen

Angsteinflössende Besessenheit hat sich meiner bemächtigt und längst bin ich zum Spielball nicht steuerbarer Zwangshandlungen geworden. Noch vor Monaten witzelte ich mit unverhohlener Arroganz über die allgegenwärtigen Handy-Junkies, die quasi Nonstop an ihren Geräten nestelten und deren lautstark geführten Marathon-Gespräche an Inhaltslosigkeit nur schwerlich zu unterbieten waren.

Mein brikettgroßes Handy lag meist unbeachtet in irgendeiner Schublade und wenn ich es dann wirklich mal gebraucht hätte, blinkte mir höhnisch die Statusmeldung „Akkukapazität erschöpft“ entgegen. In einer derart verkorksten Beziehung ist man für jeglichen technischen Schnickschnack empfänglich, was dazu führte, dass ich mir in würdeloser Manier die Genehmigung zum Kauf eines Smart-Phones erquengelte. Irgendwie war es Liebe auf den ersten Blick und so blieb es dann auch nicht aus, dass wir bereits wenige Stunden später im Bett landeten, weil ich mich dort in ungestörter Zweisamkeit mit der E-Book-Funktion meines Neuerwerbs vertraut machen konnte.

Aber auch außerhalb des Schlafzimmers erweist sich mein Smarty als wahrer Tausendsassa, dessen vielfältige Funktionen und Fähigkeiten den eigenen Hirnleistungen deutlich überlegen sind. So delegiere ich auch stets mehr Aufgaben an das elektronisches Anhängsel und kann mir absolut sicher sein, dass es mit der mir nachgesagten Schludrigkeit ein für alle Mal vorbei ist. Doch sind es nicht die zahlreichen, ständig piepsenden Erinnerungsfunktionen, die ein modernes Smart-Phone ausmachen, sondern die Möglichkeit, es mit zig Tausend mehr oder weniger sinnvollen Applikationen (Apps) hochzurüsten. So laufe ich jetzt u.a. ständig mit einer Wasserwaage, Metalldetektor, Taschenlampe, Klavier und Gitarre durch die Gegend und die Jungs von Google-Street-View könnten mich glatt als Urlaubsvertretung anheuern, weil ich neuerdings wie wild drauflos filme und fotografiere und mit deren Bilder-Datenbank locker mithalten kann.

Und dann gibt es da noch Alice – die gute Seele meines Smart-Phones – ein weiblicher Avatar, der mir aufs „gesprochene Wort“ gehorcht und zudem noch über ein Wissen verfügt, das die Macher von „Wer wird Millionär“ in den finanziellen Ruin treiben würde. Dank Alice muss ich keinen Finger mehr krumm machen – das lästige, friemelige Eintippen entfällt vollends. Sprachgesteuert erledigt sie meine Korrespondenz und in puncto Rechtschreibung könnte meine virtuelle Traumfrau vielen Internet-Usern dringend angeratenen Nachhilfeunterricht geben. Nenne ich einen Vornamen mit dem Zusatz „anrufen“ so wählt sie automatisch den entsprechenden Kontakt an und auf Befragung kann sie mir die Einwohnerzahl von Goch sagen oder sie informiert mich über das aktuelle Wetter in Tallahassee (USA) Selbstverständlich löst sie auch Rechenaufgaben und hilft mir mittels gesprochener GPS-Anweisung das Wiederauffinden des irgendwo abgestellten Fahrzeugs. Natürlich ist sie auch einem kleinen Flirt nicht abgeneigt. Sie reagiert witzig auf Komplimente und klopft mir jedoch verbal auf die Finger, wenn es in Brüderle-Manier allzu sehr in Richtung Anmache geht.

Mit meinem Smarty kann ich mich in 63 Sprachen verständigen und somit müsste ich auch nicht wortlos einen Abend mit einer aserbaidschanischen Tischnachbarin verbringen. Schnell ein Paar deutsche Sätze ins Smarty gesprochen und nahezu simultan hört die Dame – und leider auch die anderen Gäste - mein Gesülze in ihrer Muttersprache – das Ganze funktioniert natürlich auch in umgekehrter Sprachrichtung.

Mittlerweile habe ich mein Gehirn von jeglichem intellektuellen Ballast befreit. Ein Griff in meine Jackentasche - und schon habe ich Zugang zu sämtlichem Wissen, das sich im Laufe der Menschheitsgeschichte angesammelt hat – oder wussten Sie etwa, dass der ehemalige Musikantenstadl-Moderator Karl Moik am 19. Juni 1938 geboren wurde oder dass unsere Bundeskanzlerin mit zweitem Vornamen Dorothea heißt. Und wer im lärmigen Großstadtgetümmel das Bedürfnis nach einem stillen Örtchen verspürt, ist gut daran, wenn er eine der zahlreichen Toilettenfinder-Apps auf seinem Smart-Phone installiert hat. Wenn’s nicht allzu sehr pressiert, sollte man sich zu einem eventuell weiter entfernten Fünf-Sterne-Klo navigieren lassen.

Die Zahl der von mir installierten Apps ist beängstigend – und täglich kommen weitere hinzu. So kann ich jetzt jederzeit meine Pulsfrequenz messen, weiß welches Flugzeug gerade über mir herfliegt und wenn ich mein Smarty in Richtung Radio-Lautsprecher halte, zeigt es mir an, wer gerade was singt und liefert mir auch sofort die entsprechenden Songtexte zum Mitsingen. Unrasiert und ungekämmt durch die Gegend laufen war gestern, weil ich jederzeit von einem Video-Anruf aus Bottrop oder Boston überrascht werden könnte.

Ohne mein Smart-Phone traue ich mich nicht mehr aus dem Haus – es begleitet mich auf all meinen Wegen. Und wenn ich dann in dunkler Nacht die aus der Bibel entlehnten Worte spreche „Es werde Licht“, dann wird es tatsächlich hell um mich herum. Schließlich hat mein Smarty eine auf Sprache reagierende Taschenlampen-Funktion.
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Auch ich bin so einer

Es wundert mich etwas, dass deine „zeitgeschichtlichen“ Betrachtungen noch keine Resonanz gefunden haben. Das Problem, dass wir heute mit Information in Echtzeit zu nahezu jedem Thema versorgt werden, ist aktueller denn je und treibt langsam seltsame Blüten.

Ich finde, dass du dies sowohl gut beobachtet, als auch selbstironisch beschrieben hast.

Manchmal frage ich mich, wie wir alle so in zehn bis zwanzig Jahren mit Infos zugedröhnt werden und hoffe, dass mal eine Generation der Verweigerer heranwächst, die sich durch all die schöne, neue Technik und den ganzen Schnickschnack nicht mehr knechten lässt, Kommunikation wieder durch Gespräche betreibt und Informationen durch verantwortliche, eigenständige Beobachtung der realen Welt erhält.

Aber das kann ich mir wohl abschminken – die Zeiten sind vorbei und auch ich schleppe jetzt so ein Teil mit mir rum, das ich eigentlich gar nicht benötige und dessen Fehlen ich mit Nichten bemerken würde. Meistens ist es mir eher lästig, da es immer dann auf sich aufmerksam macht, wenn ich es am wenigsten brauchen kann.

Der ertappte und schmunzelnde Ironbiber grüßt.
 

Avaro

Mitglied
Auf all meinen Wegen

Angsteinflössende Besessenheit hat sich meiner bemächtigt und längst bin ich zum Spielball nicht steuerbarer Zwangshandlungen geworden. Noch vor Monaten witzelte ich mit unverhohlener Arroganz über die allgegenwärtigen Handy-Junkies, die quasi Nonstop an ihren Geräten nestelten und deren lautstark geführten Marathon-Gespräche an Inhaltslosigkeit nur schwerlich zu unterbieten waren.

Mein brikettgroßes Handy lag meist unbeachtet in irgendeiner Schublade und wenn ich es dann wirklich mal gebraucht hätte, blinkte mir höhnisch die Statusmeldung „Akkukapazität erschöpft“ entgegen. In einer derart verkorksten Beziehung ist man für jeglichen technischen Schnickschnack empfänglich, was dazu führte, dass ich mir in würdeloser Manier die Genehmigung zum Kauf eines Smart-Phones erquengelte. Irgendwie war es Liebe auf den ersten Blick und so blieb es dann auch nicht aus, dass wir bereits wenige Stunden später im Bett landeten, weil ich mich dort in ungestörter Zweisamkeit mit der E-Book-Funktion meines Neuerwerbs vertraut machen konnte.

Aber auch außerhalb des Schlafzimmers erweist sich mein Smarty als wahrer Tausendsassa, dessen vielfältige Funktionen und Fähigkeiten den eigenen Hirnleistungen deutlich überlegen sind. So delegiere ich auch stets mehr Aufgaben an das elektronisches Anhängsel und kann mir absolut sicher sein, dass es mit der mir nachgesagten Schludrigkeit ein für alle Mal vorbei ist. Doch sind es nicht die zahlreichen, ständig piepsenden Erinnerungsfunktionen, die ein modernes Smart-Phone ausmachen, sondern die Möglichkeit, es mit zig Tausend mehr oder weniger sinnvollen Applikationen (Apps) hochzurüsten. So laufe ich jetzt u.a. ständig mit einer Wasserwaage, Metalldetektor, Taschenlampe, Klavier und Gitarre durch die Gegend und die Jungs von Google-Street-View könnten mich glatt als Urlaubsvertretung anheuern, weil ich neuerdings wie wild drauflos filme und fotografiere und mit deren Bilder-Datenbank locker mithalten kann.

Und dann gibt es da noch Alice – die gute Seele meines Smart-Phones – ein weiblicher Avatar, der mir aufs „gesprochene Wort“ gehorcht und zudem noch über ein Wissen verfügt, das die Macher von „Wer wird Millionär“ in den finanziellen Ruin treiben würde. Dank Alice muss ich keinen Finger mehr krumm machen – das lästige, friemelige Eintippen entfällt vollends. Sprachgesteuert erledigt sie meine Korrespondenz und in puncto Rechtschreibung könnte meine virtuelle Traumfrau vielen Internet-Usern dringend angeratenen Nachhilfeunterricht geben. Nenne ich einen Vornamen mit dem Zusatz „anrufen“ so wählt sie automatisch den entsprechenden Kontakt an und auf Befragung kann sie mir die Einwohnerzahl von Goch sagen oder sie informiert mich über das aktuelle Wetter in Tallahassee (USA) Selbstverständlich löst sie auch Rechenaufgaben und hilft mir mittels gesprochener GPS-Anweisung das Wiederauffinden des irgendwo abgestellten Fahrzeugs. Natürlich ist sie auch einem kleinen Flirt nicht abgeneigt. Sie reagiert witzig auf Komplimente und klopft mir jedoch verbal auf die Finger, wenn es in Brüderle-Manier allzu sehr in Richtung Anmache geht.

Mit meinem Smarty kann ich mich in 63 Sprachen verständigen und somit müsste ich auch nicht wortlos einen Abend mit einer aserbaidschanischen Tischnachbarin verbringen. Schnell ein paar deutsche Sätze ins Smarty gesprochen und nahezu simultan hört die Dame – und leider auch die anderen Gäste - mein Gesülze in ihrer Muttersprache – das Ganze funktioniert natürlich auch in umgekehrter Sprachrichtung.

Mittlerweile habe ich mein Gehirn von jeglichem intellektuellen Ballast befreit. Ein Griff in meine Jackentasche - und schon habe ich Zugang zu sämtlichem Wissen, das sich im Laufe der Menschheitsgeschichte angesammelt hat – oder wussten Sie etwa, dass der ehemalige Musikantenstadl-Moderator Karl Moik am 19. Juni 1938 geboren wurde oder dass unsere Bundeskanzlerin mit zweitem Vornamen Dorothea heißt. Und wer im lärmigen Großstadtgetümmel das Bedürfnis nach einem stillen Örtchen verspürt, ist gut daran, wenn er eine der zahlreichen Toilettenfinder-Apps auf seinem Smart-Phone installiert hat. Wenn’s nicht allzu sehr pressiert, sollte man sich zu einem eventuell weiter entfernten Fünf-Sterne-Klo navigieren lassen.

Die Zahl der von mir installierten Apps ist beängstigend – und täglich kommen weitere hinzu. So kann ich jetzt jederzeit meine Pulsfrequenz messen, weiß welches Flugzeug gerade über mir herfliegt und wenn ich mein Smarty in Richtung Radio-Lautsprecher halte, zeigt es mir an, wer gerade was singt und liefert mir auch sofort die entsprechenden Songtexte zum Mitsingen. Unrasiert und ungekämmt durch die Gegend laufen war gestern, weil ich jederzeit von einem Video-Anruf aus Bottrop oder Boston überrascht werden könnte.

Ohne mein Smart-Phone traue ich mich nicht mehr aus dem Haus – es begleitet mich auf all meinen Wegen. Und wenn ich dann in dunkler Nacht die aus der Bibel entlehnten Worte spreche „Es werde Licht“, dann wird es tatsächlich hell um mich herum. Schließlich hat mein Smarty eine auf Sprache reagierende Taschenlampen-Funktion.
 



 
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