So eine Pflanzerei

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hwg

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Otto ist total verblüfft. Seine zehn Zimmerpflanzen plus Kaktus erwarten persönlichen Zuspruch. Sie haben Gefühle, verfügen über ein gewissen Maß an Gedächtnis und – wenn’s drauf ankommt – über telepathische Fähigkeiten. Jedenfalls hat Otto das in einer Illustrierten gelesen. Seitdem fühlt er sich als Single nicht mehr allein in seiner Wohnung. Ihn überkommt das beklemmende Gefühl, seine Zimmergenossen beobachten ihn unablässig. Otto beginnt mit seinen Pflanzen zu sprechen, zuerst mit dem sensiblen Philodendron. „Ich kann dich gut leiden und finde dich hübsch“, sagt Otto leise und kommt sich nicht ganz richtig im Kopf und außerdem verlogen vor. So furchtbar hübsch ist der Gute gar nicht. Dann ist die Dieffenbachia picta dran. Sie hat Zuspruch besonders nötig. Für ihre Länge ist sie äußerst dürftig beblättert. Anfangs verschwieg Otto seiner Umgebung, dass er mit den botanischen Geschöpfen spricht. Doch als er der Illustrierten entnahm, dass auch die englische Königin mit ihren Gemüsepflanzen redet, gab er es ebenfalls zu. Inzwischen palavert Otto mit allen zehn, einschließlich Kaktus, fließend und ohne Hemmungen. Schimpfen vermeidet er, obwohl in der Kaktus schon mehrmals gestochen hat. Körperliche Angriffe auf seine lieben Pflänzlinge sind für ihn inzwischen völlig passé. Gelbe Blätter knipst er nicht mehr ab, sondern er wartet, bis sie verrunzelt von alleine abfallen. Besondere Vorsicht ist auch beim Philodendron bipinatifidum geboten! Nicht reizen! Sehr sensibel! Bis vor kurzem spielte Otto den Pflanzen zuliebe Radiomusik, auch wenn er nicht daheim war. Das hat er jedoch aufgegeben. Was nützt ihnen schließlich der Radetzkymarsch? Und was der Donauwalzer? Obwohl Otto bemerkte, dass die Dieffenbachia picta mit ihren drei Blättern dazu wedelte. Ihr Harmoniebedürfnis ist groß, wahrscheinlich deshalb, weil sie Giftsäfte produziert und bestimmt ein kompliziertes Innenleben hat. Heute fährt Otto eine Woche auf Urlaub. Der Artikel in der Illustrierten hat für diesen Fall geraten, Fotos der Pflanzen mitzunehmen, sie täglich zweimal anzuschauen und intensiv an die Daheimgebliebenen zu denken. Das würde sie freuen und zum Wachstum anregen. Doch das wird Otto schön bleiben lassen. Sie haben genug Wasser in ihren Hydrotöpfen, und der Kaktus braucht überhaupt keins. Otto wird sich jetzt von ihnen verabschieden und die Tür hinter sich zumachen, um – wie herrlich – Urlaub zu machen von seinen Topfpflanzen. Am liebsten für immer! Als die Wohnungstür ins Schloss gefallen ist, kann er hören, wie alle zehn sowie der Kaktus ein Dankeslied anstimmen. Und die Dieffenbachia picta sagt: „Der geht mir so auf die Nerven mit seinem Gequassel, dass ich ihn vergiften könnte.“
 

hwg

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Völlig richtig, Dein Hinweis. Vor lauter schusseln habe ich auf die Absätze vergessen. Werde mich bessern *g* - und ich danke fürs Lob!
 



 
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