Sohn der Insel

Der Weg zum Wasser war noch feucht vom Tau und der nächtliche Regen hatte hier und dort kleine Pfützen hinterlassen, so das der Sand klebte unter Youris Füßen. Er atmete tief ein und schloß die Augen. Der Sohn dieser Insel konnte den Tag der vor ihm lag schon riechen, das Salz des Meeres und der Duft der Wacholderbüsche öffneten sein Herz und er lachte laut heraus. So rannte Youri weiter den kleinen Pfad zum Meer herunter, durch die Büsche zu den Klippen. Vorsichtig kletterte er die Steilküste herab wie seine Mutter ihm gezeigt hatte und ließ seinen Blick über das weite Blau des Mittelmeeres gleiten. Seine Mutter war es auch gewesen die ihm diesen Platz verraten hatte - seitdem kam er jeden Morgen hierher um den Tag und vor allem das Wasser zu begrüßen.

Das Meer war morgens immer so ruhig, als würde es ihn erwarten, als ob Youri es erst aus seinem tiefen, dunkelblauen Schlaf wecken müßte. Ruhig schwamm er ein paar Meter fort von den Steinen, tauchte ab und ließ sich auf den Grund heruntertreiben. Kleine bunte Fische umzingelten ihn, um freundlich "Buenos dias" zu sagen, obwohl auch der eine oder andere französisch sprechen mochte. Nachdem Youri sich ein wenig in der Sonne getrocknet hatte, spazierte er zum Strand und sah sich nach angespültem Krimskrams um. Fast jeden Morgen fand er etwas das er gebrauchen konnte und manchmal war es sogar so toll, daß seine Mutter ihn versuchte zu überreden es herzugeben. Sein Vater saß dann meist amüsiert in der Ecke bis er entweder seinem Sohn oder seiner Frau schamlos in den Rücken fiel. Youri liebte diese Spielchen mit seinen Eltern und er genoß die Tage an denen sie zusammen im Garten bastelten und schraubten. Das Inselkind wußte, nächstes Jahr würde er höchstwahrscheinlich zur Schule müssen und er hatte beschlossen gut vorbereitet zu sein. Deshalb sah er sich auch immer ganz genau um wenn er über die Insel spazierte, kein Strauch und kein Ast entging seinen Augen, und meist fiel ihm sofort etwas ein das man daraus basteln könnte. Zu Hause ließ er seine Eltern raten was er gesehen hatte, in dem Ast oder der Wurzel die er wieder mal anschlörrte und meist wußten sie recht bald worum es ging.

Youri saß nun oben auf einem Felsen und schaute über die Insel und das Meer. Er war noch nie von hier fort gewesen, aber er dachte in diesem Moment, das alles was er hier sah genug für sein Leben sei. Er fühlte sich als ein Teil dieser Welt und das Gerede seiner Freunde von der Stadt und Hochhausschluchten erschien ihm fremd und leblos.

"Youri!!" ertönte da die Stimme seiner Mutter – manchmal ertappte er sich dabei wie er sich vorstellte, daß selbst die Nachbarinseln erbebten wenn sie nach ihm rief, aber in erster Linie erschien es ihm bloß praktisch denn er konnte überall hingehen weil die Stimme ihn immer erreichte wenn er gebraucht wurde. So machte Youri sich auf zum Frühstück, die Sonne streichelte sein Haar und er freute sich, denn Frühstück war die schönste Jahreszeit – so sagte sein Vater immer.

Youri konnte schon von weitem sehen das seine Eltern wieder mal nicht alleine waren – eine kleine Eidechsenfamilie hatte sich zu ihnen an den Tisch gesetzt um der anderen, etwas größeren, Gesellschaft zu leisten. Es gab Orangensaft und Brot und Obst für Youri und Kaffee für die Eltern. Die Eidechsen kriegten von allem etwas. "Ich habe einen super Ast am Strand gefunden, den gebe ich aber nicht ab Mami!" berichtete Youri, nicht ohne seiner Mutter schon mal eine Warnung im voraus zu geben. "Ach so...", sagte sie da und fing an ihn liebevoll zu kneifen. "Das wollen wir doch mal sehen..." "Hihi...Ha hör auf" gluckste Youri und biß seiner Mutter in den Arm. "Au!!" Sein Vater grinste – "Hm, ich glaube das hat er wohl von dir geerbt..." Daraufhin richteten sich Kneif- und Beißwut von Mutter und Sohn allein gegen den armen Vater, bis alle auf dem Boden lagen und weinten vor Lachen. "Ach, wegen Erben Mami. Wenn du stirbst, kann ich dann eigentlich deine Tauchsachen haben und überhaupt, wie lange dauert das denn wohl alles noch?" Danach mußten Youris Eltern noch mehr lachen und er beschloß, daß es mit dem Erben doch noch etwas länger dauern dürfe.

Die Sonne war inzwischen schwer zugange und Youri genoß die kühle Luft im Innern des Hauses. Die dicken, steinigen Mauern mit ihrer weißen Farbe wiesen zwar die Hitze ab, aber ansonsten war es drinnen als wäre man draußen und Youri liebte das. Heute würde er wieder auf dem Dach schlafen – in der Nacht war es so schön warm und so schwarz, man konnte Milliarden von Sternen sehen. Manchmal holte Youri dann, wenn seine Eltern ihn eigentlich schon im tiefsten Tiefschlaf wähnten, sein kleines Teleskop und schaute sich die Ringe des Saturn an. Es war so ein seltsames Gefühl nur in die Sterne zu sehen, man wurde so klein und so unsagbar frei. Youri hatte immer schon das Gefühl gehabt die Sterne seien nicht nur seine Freunde sondern Teil von ihm, und damit hatte er nicht einmal Unrecht...

Aber jetzt wollte er nicht mehr übers schlafen nachdenken, der Tag lag ja schließlich noch vor ihm. Und es gab einiges zu tun für so einen kleinen, guten Mann! Mami würde jetzt wahrscheinlich Tauchen gehen oder im Garten basteln und Papi hätte sicher auch irgendwas zu tun und dennoch müßte eigentlich noch viel über sein für Youri. Also nahm er sein Lieblingshandtuch und machte sich auf zurück zum Strand, um etwas aus Sand zu bauen. Youri lauschte dem Zirpen der Grillen während er erst eine große Burg baute und danach ein Rennauto. Er fuhr gerade die schnellste Runde, als eine Möwe sich auf sein linkes Vorderrad setzte und den Wagen aus der Balance brachte. "Was machen die Sterne wohl so tagsüber", dachte sich Youri und legte sich in den Sand. "Ich werde gleich Mami fragen", murmelte er und ging wieder ins Haus. Seine Mutter stand draußen und schrubbte eine riesige Wurzel. "Mami!!", rief Youri. "Was machen die Sterne eigentlich wenns hell ist? Schlafen die dann?" Sie legte die Wurzel beiseite und strich sich durch ihre langen, dunklen Haare. "Tja, was machen die Sterne wohl gerade... laß mich überlegen." Sie hob Youri hoch und setzte ihn sich auf den Schoß. Sie wies auf die violetten Sträucher die den großen Garten umgaben, zwischen den knorrigen Bäumchen und Geäst. "Schau Youri, die kleinen Bougainvillas dort drüben, nachts siehst du die auch nicht – und schon gar nicht violett. Dafür kommen dann die Sterne aus ihren Verstecken – die beiden wechseln sich nur ab". "Das glaube ich dir nicht Mama, weil die Blüten kann ich ja anfassen nachts, die Sterne aber nicht. Ich will die Sterne aber auch anfassen können." Youris Mutter lachte ihr schönstes Lachen und versprach ihrem Sohn das sie ihn früher oder später an die Sterne lassen würde. Youri wars zufrieden und ging rüber zu seinem Freund Toni um ihm die tollen Neuigkeiten zu erzählen.

Toni hatte ihm natürlich nicht geglaubt. Wütend und enttäuscht ging der kleine Inselsohn zu seinem Vater um noch mal nachzuhaken. "Papa, was ist denn nun, kann Mama mich die Sterne anfassen lassen oder nicht?" Youris Vater schaute nachdenklich und nahm sein Gesicht in beide Hände. "schau mal nach draußen Youri", und er führte ihn zum Fenster. "Sieh doch mal dahinten, wo deine Mutter steht; na, was sagst du jetzt?" Der Sohn begriff mit einem Mal was seine Mama gemeint hatte und eine Träne rollte seine Wange herunter. "Das hätte ich aber nicht gedacht, Papa, daß uns die Sterne so nahe sind."

Und am Abend dann saßen die drei schönsten, hellsten Sterne der kleinen Insel am Tisch und aßen irgendwas das die Sternenmutter hervorgezaubert hatte. Danach gingen sie allesamt auf das Dach und schauten durch Youris Teleskop herauf zu ihren Verwandten, die ihnen zumindest in Punkto Leuchtkraft in nichts nachstehen wollten. "Schau Mami, Papa, die Ringe vom Saturn sind heute irgendwie seltsam..." Youri hatte recht, der Planet war nämlich im Begriff die Ringe zur Inselfamilie herunterzuschmeissen – "Hier, fang auf kleiner Mann. Und gib deinen Eltern je einen an die Hand, denn das sind die einzigen Ringe die ihnen hier in der Umgebung passen." Youris Mutter und Vater schauten sich jetzt so komisch an, fand der Inselsohn als er ihnen die tausenden Ringe an die Finger schraubte. Und kaum war er fertig knallte es ganz laut und alles war wie vorher. Nur das seine Eltern jetzt auf einmal wieder Namen hatten und irgendwie deutlicher aneinanderklebten.

Dann wachte Youri auf, denn seine Eltern waren ja schon längst verheiratet und die Geschichte war außerdem zu wirr gewesen um wahr zu sein. Trotzdem hatte er jetzt das Gefühl zu wissen wie es ist wenn man die Sterne anfasst. Und seine Mutter kam ihm am Frühstückstisch irgendwie noch strahlender vor als sonst. Plötzlich mußte Youri so laut lachen, daß selbst die mutigste Eidechse noch die Flucht ergriff und die ganze Insel mitlachen wollte.
 
Hallo Kyra

Herrlich, Deine Fantasie.
Die Worte Inselkind und Youri sind treffend gewählt und passen so richtig zur träumerisch-verspielten Stimmung der Geschichte.
Sehr schön.
Liebe Grüße
Willi
 
Entschuldige Willi

ich wollte dich nicht verwirren. Ich bin Kolja der kleine Grauhai und teile mir mit Kyra nur die Seite... Ich habe aber die Signatur mal geändert, damit die Leute hier nicht denken wir seien alle nur eine Person. Das kommt ja manchmal vor, wie mir zu Ohren kam... Jedenfalls danke für deine Antwort. :). Kolja.
 



 
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