1 Aus Schutt und Asche
2 an hässliche Stellen
3 lasst uns Stelen stellen.
4 In den geschenkten Grund
5 senkt unsere Leichen.
6 Dort am Mischer steht
7 chemisch korrekt
8 die Prominenz.
9 Was den Mördern immer nachfolgt
10 sind die Grabbeilagen.
11 Sollst Dich erinnern!
12 In die Ruinen der lachenden Stadt
13 gräbt der Bagger "Roter Senat"
14 in kleinen Parzellen
15 den Parkplatz des Reiches.
16 Holt die Fahnen,
17 die roten,
18 hervor!
19 Es ist der Tag der Devolution!
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Hallo lap,
André Brie, ist Dir vielleicht aus dem politischen (PDS-)Tagesgeschäft heraus bekannt, hatte ich vor 15 Jahren mal als Dozent zum Schweriner Poetenseminar. Nach dem Lesen einer 10 Seiten umfassenden Geschichte durch einen jungen Autor, meinte er nachdenklich: Mach ein Gedicht mit 10 Zeilen daraus!
Bei aller ehrlichen Wertschätzung möchte ich den Tipp in die andere Richtung geben. Mach eine Geschichte draus. Oder mehrere Texte. In 19 Zeilen ist das Thema nicht behandelbar. Besser gesagt die Themen:
1. Das Holocaust-Denkmal und der Wirbel darum
2. Die lokalpolitische Problematik Berlins
3. Die geschichtlichen Schatten Deutschlands
4. Und die historische Moral der jetzigen Generationen.
Diese thematische Vielfalt zerrüttet den Text. Ich merke ihm an, dass Du Dich in der Verknappung der Aussage auch poetisch vergaloppierst. Mit diesem, Deinen Anspruch werden die Kompromisse am Text im schwieriger und gehen, auch angesichts der Kommentare, zu Lasten der Verständlichkeit.
Ich spüre darin auch die (durchaus berechtigte) Wut an unserer Allgemeinsituation. Diese fließt aber eben nach allen Seiten auseinander. Es will nicht gelingen, sie zu kanalisieren.
Nun haben politisch-gesellschaftlich motivierte Texte andere Eigenheiten als die hier so oft erzeugte Liebespoesie. Die Bilder dürfen und müssen anders aussehen. Das Pathos und die Klischees nehmen andere Formen an. Über eine grundlegende politische Korrektheit denke ich hier und jetzt nicht nach.
Aber die Vergleichbarkeit der Verse lässt mich fragen:
Die Zeilen 1 bis 3 hören sich an wie „Auferstanden aus Ruinen....“ (Welches Lied war das doch gleich?) Geschichte ist ein Labyrinth, in dem man unweigerlich aneckt oder gegen Wände läuft.
Zeilen 4 und 5 zeigen ein weiteres Problem: Die poetische Perspektive. Die Betrachtungsperson geht mir in Deinem Rundumschlag gegen alles und jeden, der mit dem Thema zu tun, verloren.
Du erteilst ein Aufforderung an Zukünftiges, Dein lyrisches Uns mit zu beerdigen. Das betrifft mich also auch. Dem stimme ich aber nicht zu. Meine „Leiche“ hat dort nichts zu suchen.
Unter Umständen wirst Du von Widersprüchlern in eine Ecke gestellt, in die Du nicht willst.
Eine andere Frage: Wie fundiert sind Deine Kenntnisse über die sachliche Entscheidung nach dem Standort des Mahnmals? Du läufst Gefahr, Dich immer eines besseren belehren lassen zu müssen.
Ich weiß davon wenig. Ich kann es kaum kommentieren. Eines ist nur sicher: Dieser „geschenkte Grund“ ist da, wo diese Stadt noch immer eine Wunde hat, wo sich Ost und West aneinander reiben, wo eine Vergangenheit aufhört und eine Zukunft anfängt. Einen symbolträchtigeren Standort für die Erinnerung gibt es vielleicht gar nicht.
Zeilen 6 bis 8: Ich möchte bezweifeln, dass diesbezüglich in der (politischen) Prominenz diese Chemie stimmt. Im Gerangel zwischen der Stiftung, die das Mahnmal errichtet und den Gremien von Bund und Land Berlin ist wahrscheinlich nur der Zweck des Mahnmals nicht umstritten. Dieser pauschalierte Vers allerdings spricht jedoch den ehrlich Nachdenklichen ihr Gefühl ab. Und ich nehme an, das hast Du nicht bezweckt. Eigentlich ist dieser klaffender Riss zwischen ehrlicher Betroffenheit und politischer Anbiederung Stoff genug für einen eigenen Text.
Zeilen 9 und 10 hören sich erst einmal gut an. Ich stimme in der Fragestellung Jongleur zu. Dein Kommentar kann mich nicht recht überzeugen. Hier bist Du nicht präzise genug.
Die „Beilage“ stellt sich mir als etwas passives dar. Du sprichst aber in Deinem Kommentar von, Verarbeitung, Reue, Wiedergutmachung. Die kippt man aber nicht zu den Toten. Die lässt man den Lebenden angedeihen. Das hat eine intensive aktive Note. Deshalb trifft das Wort „Beilage“ hier nicht zu.
Zeilen 12 bis 15: Heute lacht die Stadt. Heute ist sie irgendwie und irgendwo und manchmal unangemessen die Hauptstadt der Spaßgesellschaft. Die Ruinen aber am Brandenburger Tor sind aus einer Zeit, in der die Stadt nichts zu lachen hatte. Hier gehst Du am Thema vorbei. Sicherlich nimmt Wowereit hier und da eine Party zu viel mit. Aber dieser Seitenhieb ist mir zuviel im Text.
Oder Du hättest den Text strukturell mit Gegensätzen als Stilmittel aufbauen sollen.
Geschichtlich gesehen habe ich auch mit dem Parkplatz des Reiches ein Problem. Was geparkt ist, kann man wieder benutzen. Dieses Reich, das Du meinst, will ich nicht haben. Schlimmer noch ist das abgewandelte Angebot zu diesem Bild in Deinem Kommentar. Es könnte ja auch nur ein Park sein.
Ein Park des Reiches? Hier sieht man eigentlich, dass Sprache dazu da ist, Missverständnisse zu erzeugen.
Zeile 19. Die Devolution, obwohl ich vielleicht Deine Absicht ahne, irritiert mich genauso, wie sie Jongleur irritierte.
Lieber lap, Du vergesellschaftest Dein Anliegen. Du rollst es weit aus und schaffst es nicht mehr, den Radius zu schlagen. Du bist gar nicht bei Dir geblieben. Ich sage Dir ehrlich, ich hätte mich an die Komplexität der Sache gar nicht herangetraut. Ich hätte mich vielleicht an den Bauzaun gestellt und auf das gehört, was ich diesem Augenblick fühle und wahrnehme.
Wie der Verkehr die Gegenwart vorbeizieht,
dass in diesem Loch die Geschichte eingegraben wird,
als ob man Geschichte vergraben kann
soweit, dass sie noch ein Stück herausschaut,
dass sie kalt ist, leichenkalt und grau und mir nachsieht,
mit einem tausendfachen Blick, der mir auf
meiner Unschuldshaut brennt.
Diese alten Ereignisse sind angetreten in ihrer
Geometrie, die Gassen erzeugt, als könne
man Jahre noch einmal durchschreiten,
dass ich mich fühle, als wäre ich vor eine Barrikade
geraten, das Vergessen mit Steinen verstellt, die mich
anschweigen werden mit dem betonierten Vorwurf,
den ihnen niemand mehr ausredet.
Beste Grüße
Holger