Someone New

Costner

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Ein einsamer Mann auf einer einsamen Straße, die kerzengerade durch ein der Natur belassenes Land führte, zwischen Wüstensand und Steppe, zwischen Himmel und Hölle. Eine Flucht vor dem Untergang einer Erde, welche schon vor diesem zu erwartenden Ereignis nicht mehr das war, was sie einmal war.
Es war nicht irgendwo zwischen hier und dort – es war am anderen Ende der Welt. Die einzige Orientierung dieses Mannes schien die gelbe Fahrbahnmarkierung zu sein, die endlos in eine Richtung verlief. So weit seine Augen reichten, konnte er der Fahrbahn folgen, die irgendwo am Horizont hinter einer der zahlreich vorkommenden Erhebungen in diesem Land verschwand. Sein einziger Begleiter war die Sonne weit oben, die am stahlblauen Himmel zu kleben schien. Sie knallte eine Hitze auf den Asphalt, der man sich kaum aussetzen konnte, aber der einsame Mann scheute die Konfrontation nicht. So lange ihn seine Schuhe trugen, deren Sohlen unter dem Asphalt bereits weich geworden waren, folgte er seinem so genannten Ziel, dass so unwirklich vor ihm lag wie seine unzähligen Gedanken, die ihn durch den Kopf schossen und seinen Blick ratlos erschienen ließ. Braune lange Haare, die ungewaschen in Strähnen in sein Gesicht fielen, verdeckten die nahtlose Bräune in seinem Gesicht. Und dahinter versteckten sich die himmelblauen Augen eines Mannes, als stünde sein Blick für eine Überzeugung, derer er sich ergeben hatte. Die Natur glich einem kochenden Ofen, doch der Mann versteckte sich hinter einer braunen, verschlissenen Jacke, an deren Bund die Fäden hingen. Seine Hose, in demselben Farbton wie die Jacke, war mit einer staubigen Schicht überzogen, die mit jedem Schritt eine Wolke in die Luft trieb. Auf seinem Rücken gebunden, ein Rucksack, dessen Inhalt sein komplettes Leben widerspiegelte.
Wie ein einsamer Krieger in einer scheinbar verlorenen Welt, zog er durch das Land, auf der Suche nach dem, was viele Menschen schon verloren haben – Hoffnung. Rechts und links umgab ihn eine seelenlose Landschaft, Meilenweit keine Existenz und kein Ort der Zuflucht. Kein Zirpen einer Grille oder das Surren einer Fliege – das Gefühl machte sich breit, als wäre er das einzig Lebendige in dieser Gegenwart. Eine tote Landschaft, die in einer Gluthitze verkam. Lediglich der aufsteigende Duft heißen Sandes und der verdörrten Gräser stieg in seine Nase.
Die Geschwindigkeit seiner Schritte wurde langsamer und die Füße, die ihn trugen, immer schwerfälliger. Er spürte die Hitze unter seinen Füßen und hätte ihnen am liebsten eine Abkühlung gegönnt, doch in einer Wüste wieder dieser war kein Schatten auszumachen, in dem man sich ein wenig kühle Luft erhoffen hätte können. Plötzlich hielt er inne und wandte seinen Blick auf den Asphalt. Er zog den Rucksack von seinem schmerzenden Rücken, die in Wellen kamen und wieder gingen. Ein stechender Schmerz, den er zu ignorieren versuchte. Er knallte den Rucksack auf den staubigen Boden und zog die Lederriemen auf, die ihn verschlossen. Seufzend zog er langsam einen Metallkanister heraus, der einer Flasche ähnelte. Er drehte die Verschlusskappe herunter und hielt die Öffnung an sein Ohr – er hörte das Plätschern von Wasser darin. Zügig nahm er so gut wie keinen Schluck und steckte die Flasche wieder zurück in den Rucksack. Kurz darauf zog er einen Handflächengroßen Holzkasten heraus, auf dessen Oberseite eine fast verblichene, schwarze Zeichnung hervor schien. Es war ein vierzackiger Stern, der die vier Himmelsrichtungen darstellte. Er öffnete die Holzkiste und nahm den Kompass heraus. Das Metall fühlte sich kalt und fein auf seiner Handfläche an. Auf der Rückseite des Kompasses glänzte eine Gravur in der Sonne, die er mit aufmerksamen Augen betrachtete: „Damit die Orientierung dich an dein Ziel führt.“
Sein Blick auf die Nadel des Kompasses blieb scharf, auch wenn ihn seine Sehnsucht in eine andere Richtung treiben wollte. Er fühlte die Schwere des Kompasses in seiner Hand – dann wandte er den Blick zur Seite, Richtung Südwesten. Mit dem Zeigefinger klappte er den Deckel des Kompasses zu und ließ ihn zusammen mit der Holzkiste in seinem Rucksack verschwinden, ohne die Richtung, für die er sich entschieden hatte, aus den Augen zu lassen. Am Horizont konnte er lediglich das Flimmern der Hitze ausmachen und das Gefühl, dahinter etwas zu finden, welches eine Zukunft versprach, ließ ihn frösteln. Es durchfuhr seinen Körper wie einen Schauder des Schreckens, als fürchte er sich vor dem, was er suchte. Es war das einzige, woran er sich noch festzuhalten glaubte. Alles andere verschwamm vor seinem geistigen Auge zu einer Verzweiflung – denn es war ihm nichts anderes geblieben. Aber ehe er sich in Bewegung setzte, um seinem Ziel und seinem Mut Hoffnung zu geben, griff er in den Rucksack und zog eine Tageszeitung heraus. „Der Tag an dem die Welt untergeht“ – so die gestrige Schlagzeile. Der Mann verlor die Kraft in seiner Hand und ließ die Tageszeitung aus ihr gleiten. Es war nicht die Tragik dieser Schlagzeile, nicht die beängstigenden Bilder in den Gesichtern der Menschen – es war die Tatsache, dass die Welt vor Jahren ihr Gesicht verloren hatte, welches sie sich besser bewahrt hätte. Ohne zu zögern ging der Mann los, nach Südwesten – er hatte gehört, dass es dort einen Ort gäbe, den so viele Menschen suchen, aber nur wenige finden werden – einen Ort, an dem die Hoffnung noch nicht aufgegeben wurde. Den Rucksack ließ er zurück, weil er wusste, dass die Zukunft einen neuen Inhalt in seinem Leben mitbringen würde.
Es war nicht mehr weit, der Weg, der ihn an diesen Ort führte – quer durch das verdörrte Land, einsam wie die vielen Gesichter, die ihm einmal einen Augenblick geschenkt hatten. Angekommen, war er nicht allein. Die Sonne versank langsam im tiefblauen Ozean, der Himmel verdunkelte sich und unter seinen Füßen spürte er das Zittern der Erde. Er sah in die Augen seines Gegenübers: „Nicht die Menschen werden versiegen, sondern ihre eigene Gewalt, weil sie sich gegenseitig besiegen werden.“
 



 
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