Son of a Preacherman

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Lorenz

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Draußen kam langsam die Sonne durch. Die düsteren Wolken machten ihr Platz. Es war windig, die Bäume rauschten. Das neue Windspiel auf dem Balkon tanzte leicht und tönte aus seinen fünf Röhren. Ich saß am Rechner und sah meine Dateien durch, auf der Suche nach einem Ansatz für das Projekt mit Julian. Die Stereoanlage lief. Es kam: „The only one, who can ever reach me, was the son of a preacher-man". Ich drehte lauter. Nummer Acht. Dieses Lied berührte etwas Tiefes in mir. Aber was? Nur zu gerne würde ich es wissen.

Nach dieser Musik konnte man tanzen. Die Hand hob ich von der Maus und begann mit den Fingern zu schnipsen. Auf dem Drehstuhl kreisten meine Hüften, die Füße hoben sich zum Rhythmus. Als die Posaunen, oder waren es Trompeten, einsetzten kreisten dazu die Schultern und die Augen schlossen sich. Die offenen Handflächen trommelten auf dem Tisch. Ich tanzte im Sitzen. Oder tanzte es mich?

Ich hatte die selbstgebrannte CD, die ich von Micha vor längerer Zeit geschenkt bekommen hatte, eingelegt. Er hatte sie selbst zusammengestellt und als Weihnachtsgeschenk an seine Freunde verschickt. Auf seiner Hochzeit letztes Jahr hatten sie dies Lied zweimal gespielt. Ich erinnerte mich, dass ich dort danach ekstatisch getanzt hatte. Nicht nur nach diesem einen, aber dies war mir gut in Erinnerung geblieben. Der Schweiß war mir damals in Bächen heruntergerannt. Auf der Toilette hatte ich mein T-Shirt unter dem Hemd ausgezogen und mich damit abgetrocknet. Dann hatte ich mein Hemd auf der bloßen Haut getragen und weiter getanzt.

An dem CD-Player programmierte ich immer wieder Nummer Acht ein und drückte auf Play. Auf dem Cover sah ich nach „son of a preacher" von pulp fiction. War das nicht ein Film?

Abgesehen von der Musik, war etwas an dem Text, an der Story, die ich immer noch nicht so richtig verstanden hatte, das mich berührte. Ich versuchte mich auf die schöne, warme Stimme der Sängerin zu konzentrieren und den Text zu erfassen. Es fiel mir schwer, nicht sofort wieder zu beginnen zu tanzen: „The only boy who can ever teach me was the son of a preacher man...oh, yes he was... when he start sweet talkin to me...he come into me, everything is allright...learnin from each others knowin, look and see how much we growin...the only one, who can ever reach me, was the son of a preacher-man". Einiges verstand ich nicht ganz. Mein Englisch war nicht das Beste, mußte ich mal wieder feststellen. Aber im Moment nicht zu ändern. Egal, ich begann wieder auf meinem Drehstuhl zu tanzen.

Die Musik nahm mich mit, entführte mich, tanzte mich. Nahm mich mit in eine andere Welt, an einen anderen Ort, zu einer anderen Zeit. Ich war der Sohn des Predigers... mir folgte eine junge Frau auf den Hinterhof in eine abgelegene Ecke, ließ sich küssen, küßte mich... mir sah diese junge Frau in die Augen und ich ihr...wir liebten uns auf einem weiten, sonnenüberfluteten Weizenfeld, das in voller Blüte stand. Unsere Haut war heiß geworden in der Sonne, alles war heiß...sie lauschte mir, wenn ich ihr von Gott erzählte oder was ich dafür hielt und sie erzählte mir ihre Geschichten...ich kitzelte sie mit dem Strohhalm. Wir balgten uns auf dem Feld und lachten...Oh, es waren sonnige Zeiten. Ich glaube unsere Seelen hatten sich damals berührt. Wie eine Naturgewalt war es über uns hereingebrochen. Es schien keine Fragen zu geben. Es war alles klar. Wenn das nicht wahre Liebe gewesen war... Doch unsere Liebe war geheim, verborgen. Niemand außer uns wußte etwas davon, als wäre sie verboten gewesen.... Die Musik endete.

...Dunkle Wolken zogen über das Weizenfeld. Ich sah nur noch den Abdruck von uns im niedergedrückten Getreide. Es war etwas geschehen damals. Ich weiß nicht was. Wir durften uns nicht lieben. Es schmerzt sehr. Ja, sie war es, die Frau, die ich geliebt habe....
Es tat so unerträglich weh, es drohte meine Brust zu zerreißen, mich zu zersprengen. Warum nur um Gottes Willen? Mit Wehmut im Herz wandte ich meinen Blick auf den Balkon. Die Sonne stand auf den zwei Chrysanthemen auf der Brüstung und den zwei Klappstühlen. Sie leuchteten in strahlendem Gelb. Hastig hob ich meinen schwer gewordenen Arm und drückte auf Play. Ich mußte dieses Lied hören und wenn es das letzte wäre...

Die Boxen tönten den „son of a preacher", die Bäume rauschten, das Windspiel klang, die Kirchenglocken läuteten zwölf, der Zug fuhr vorbei, die Bienen summten in den Blumen, die Waschmaschine schleuderte im Bad, ich tanzte auf dem Stuhl. Achtmal das Lied Nummer Acht. - Vierundsechzig Felder. Auf jedem doppelt so viele Weizenkörner, wie auf dem davor. Ich badete in meinem unermeßlichen Getreidespeicher...

Ich war reich geworden mit meinem Tanz auf dem Stuhl vor meinem Rechner.

Diese Frau ist älter geworden, reifer. Ihre Stimme schöner. Ich höre ihre Sehnsucht. Sie erinnert sich an mich, wie sonst könnte sie dieses Lied singen. Sie lebt. Ich werde sie wiederfinden, ich habe etwas zu sagen. Heute bin ich der Prediger. Ihren Duft rieche ich in meiner Jacke. Mit ihr werde ich ein neues Lied singen.

Ich schmunzelte und dachte auch bei dunklen Wolken scheint die Sonne. Nur ist sie nicht zu sehen. Durstig trank ich einen kalten, bitteren, grünen Tee und machte mich auf den Weg...
 

Joneda

Mitglied
Hallo Lorenz,

Super, gefällt mir total gut.
Ich mußte so lachen, frag mich nicht warum ;-)
Liebe Grüße
Joneda
 

Inu

Mitglied
Hallo Lorenz

Beim ersten und einzigen Durchlesen hat mich Dein Text tief berührt. Nicht nur, dass er sehr gut geschrieben ist, er bringt tatsächlich die Stimmung herüber, die auch mich manchmal befällt, wenn ich eine alte, für mein Leben wichtige Melodie nach langer Zeit wieder höre und sie dann immer und immer wieder spielen muss und in tiefe Wehmut falle. Ich kenne dieses Gefühl der seelischen Euphorie und gleichzeitigen Traurigkeit sehr gut. Und es ist ganz schwer in Worten auszudrücken. Ob der Auslöser nun "preacherman" ist ( mir geschah das vor kurzem bei: "are you going to Scarborough fair"), ob Dein Protagonist auf seinem Computerstuhl innerlich tanzt ( das ist gut nachvollziehbar) es ist immer dieses unsagbar erhebende Gefühl beim Hören solcher Erinnerungs - Songs, (wenn man gerade in der richtigen, aufnahmebereiten Stimmung ist!)Es ist ja nicht nur Text und Melodie. Es kommen die ganze Atmosphäre, die Stimmen, das Licht, sogar die Gerüche von damals mit der Melodie zurück. Ich denke, ich empfinde wie Du, aber es wäre mir nicht gelungen, es so gut auszudrücken. Von mir bekommst Du ein großes Lob.

Ich habe es so verstanden (verstehen wollen) dass Dich der Song an eine ländliche, sommerliche Gegend, an das Zusammensein mit einem wirklichen, geliebten Mädchen im Kornfeld erinnert, deshalb verstehe ich den Schluss nicht ganz, worin plötzlich die Sängerin so eine große Rolle spielt.
Ja, der Schluss! Die beiden letzten Abschnitte überzeugen mich nicht ganz. Da wird plötzlich zu viel gedacht, auch :
Diese Frau ist älter geworden, reifer. Ihre Stimme schöner.
Geht es jetzt plötzlich um die Sängerin? Meine Euphorie bleibt irgendwo da auf der Strecke... und dann der bittere grüne Tee? muss es bitterer grüner Tee sein? Und wohin macht sich der Protagonist auf den Weg? Ich würde mit:
Ich war reich geworden mit meinem Tanz auf dem Stuhl vor meinem Rechner
oder vielleicht allgemeiner: vor meinem Computer? aufhören, diesen letzten Satz sozusagen als Schlussstein nehmen.

Das ist nur meine ganz persönliche Meinung.

Nochmal: es scheint mir ein gelungener Text, der mich auf Anhieb fasziniert hat.

Liebe Grüße
Inu
 

Lorenz

Mitglied
Es ist kein ausschließlich innerer Tanz...

...ganz im Gegenteil er ist sehr äüßerlich, nur halt auf einem Drehstuhl sitzend...

Grüß Dich Inu,

Vielen Dank für die lange Antwort. Freut mich dass dieser Text dir gefällt. Ich glaube es ist einer meiner auf Anhieb mitreißendsten, ich habe ihn komplett spontan in einem Rutsch geschrieben, während ich auf dem Drehstuhl tanzte und diese Musik hörte, also direkt aus dem Gefühl...

Vielleicht sind die zwei letzten Absätze überflüssig..., kann sein. Die Sängerin fällt zusammen mit der Frau aus dem Kornfeld. Es ist die Frau von damals ihre Stimme, nicht die der Sängerin, sie ist nur die Trägerin der Botschaft...Jaip, und es wird trocken in meiner Kehle, diese Sehnsucht...

Munterbleiben, weiterschreiben...buen camino...Lorenz
 

Lorenz

Mitglied
Das freut mich sehr...

...dass diese Geschichte von mir solchen Anklang findet.
Ich sage jetzt nicht, dass sie, wie ich glaube, eine meiner
besten ist, sonst lest ihr die anderen nicht mehr...
Auch nehme ich es mal als Kompliment, dass mir soeben von der Maschine hier der Titel "Autor und Mensch" verliehen wurde.

Allen vielen Dank für die gute Bewertung...

Buen camino wünscht... Lorenz
 
D

Daktari

Gast
Prima

Ich finde den text sehr gelungen. Obwohl er in der ersten Hälfte keine fesselnde Handlung hat, ist er dennoch so flüssig geschrieben, daß es einen richtig fesselt. Ich für meinen Teil hate den Song im Ohr und sah auch die wogenden Weizenfelder vor mir.
Wirklich gut
tschau
Tim
 



 
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