Sonett an Welimir Chlebnikov, den Laibhaftigen

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Sonett an Welimir Chlebnikov, den Laibhaftigen


O Großfried, Großwelt, Welimir,
in die Augen deiner Äste,
ich lachläch schaublick auf zu dir,
rein Chlebnikov, dirdein zum Beste!

Brau dem Gedankensturm Applaus
und redeschreie deine Worte
tief in die Ungewelt hinaus!
Derweil stapf ich zum Wachsmilchorte.

Da braust sich Milch im Wasserglas,
da graust ein Bilch ohn Unterlaß,
Da friedet sich der Grüngelb blaß.

Laibhaft-Brothaft, weich Chlebnisoft,
sindbild gedenklich unverzofft
die Zukunft bruchstampf unverhofft.
 

Khalidah

Mitglied
Gastkritik

"Sie werden beständig baiser, Bernd! Einfach croissartig! Oder wie wir sagen wirden: virtuossant!"

Viroslav Bazillnikow
(Asemmelierungsbeauftragter der Groß-Teskischen Kulturbehörde)
 
E

ElsaLaska

Gast
Lieber Bernd,

ein echtes Meisterstück! Ich habe selten so gelacht in diesen düsteren Hallen!*chapeau*
Damit auch künftige Generationen verstehen, warum dieses Sonett so einzigartig ist, muss ich an dieser Stelle, und es drängt mich geradezu danach, den Laibhaftigen selbst zu Wort kommen lassen. Die Übersetzung ist schlecht, aber ich selbst hätte es auch nicht besser gekonnt, da es ein Ding der Unmöglichkeit scheint, diesen Text in einer andere Sprache zu übersetzen, also begnügen wir uns halt mit dieser Version, die russische Originale hätte eh wieder niemand verstanden:

Bin die Grosslachherrin allen Gelächzes
hol mir's Lächerlichste
unbussfertige Lachsalven,
die lass dem Bösblicker-Totbelipper.
Soll der Hopphoppling, soll der Hoholing
hohoppsa, hoppe, hoppeia
wortbezirpen die Wunderbaren,
los herz uns an, heiz uns an,
in diesen Äugelchen gelchen wir äu,
du uck mal, hinterm Bergelchen, uck:
der heraufig mondige Ruck! (*Kreisch!* E.L.)
Lachseliger Igorok,
bei dem gelöcknert's Gelock.
Süss kommt es aus Trauermäulchen:
heul Trübsal mit den Eulchen.
Ech, ach, droben, schaut,
blüht's Heidekraut-Leidekraut
Velimir Chlebnikov, 1913
(fast möchte man hinzufügen: Im Chat der Leselupe entstanden)

Begeisterte Grüsse
Elsa
 

GabiSils

Mitglied
Ach so!

Hallo Elsa,

der Zeit nach ist das Dada, ja? Danke für die Erläuterung, ich hatte zunächst etwas Mühe mit Bernds Text.
Chlebnikov ist herrlich :)
(und Bernd ein würdiger Epigone)

Gruß
Gabi
 
E

ElsaLaska

Gast
Liebe Gabi,

Chlebnikov auf Dada festzulegen wäre zu wenig. Bei diesem Gedicht ist das der Fall, ich hatte es herausgesucht, weil es Bernds Sonett so herrlich hinterleuchtet.
Ich habe noch was Wunderbares von Chlebnikov (chleb= russ.: Brot, ich denke das macht Bernds Sonett auch schlüssiger, wenn man das weiss) gefunden, das ich hier reinschreibe, und ich hoffe, dass Bernd das nicht stört:

MELANCHOLIE
Wenn ich meiner überdrüssig bin,
stürze ich mich in die goldene Sonne,
ziehe rauschende Flügel an
und vermische Lästerliches mit Heiligem.
Ich bin gestorben, ich bin gestorben, und mein Blut ergiesst sich
in breitem Strom über meine Rüstung.
Manchmal komme ich wieder zu mir
und mustere euch kritisch mit dem Auge des Kriegers.

Überlege grade, ob das meine neue Signatur wird:D
Liebe Grüsse
Elsa
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Nebenbei noch ein paar winzige Erläuterungen für nicht des Russisch Kundige.

Chlebnikow (oder Chlebnikov) war ein Meister der worterfindenden Sprache. Er schrieb relative viele Gedichte, sie sind kaum übersetzbar, wenn man nicht gleichzeitig beachtet, dass jedes Gedicht eine Übersetzung jeden Gedichtes sei.

Welimir (Welemir, Velemir)hab ich auch übersetzt: Welikij - groß; ganz, oder so ähnlich

Mir - Frieden, Welt
Chleb - das Brot -- damit der Laib
nikow - eine wortbildende Endung etwa wie : stammt von, oder desjenigen,

wie kommt nun der Leibhaftige klangbildend herein? ist erS?


dANK FÜR DIE BEGEISTERTEN gRÜSSE


Leider gibt die Leselupe keine kyrillischen Schriftzeichen her, ja nicht mal die osteuropäischen Lateinschriften.

Hier meine (schwachen) Übersetzungsversuche zweier Werke:

http://user.aol.com/hutschi/welimir.htm
 



 
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