Erika Stiller
Mitglied
Sonntag, zum Kaffee
Und was nun? Der nächste Halt war in gut einer Stunde. Wie weit fährt ein Zug in einer Stunde? Ein ICE zudem? Warum nur hatte sich die Tür nicht öffnen lassen?
Das sei bislang noch nie vorgekommen, so der Schaffner; Zugbegleiter nennen die sich jetzt. Als ob das ein Trost sein könnte. Eine Meldung habe er gemacht und eine Warnung an der Tür angebracht, damit keine weiteren Fahrgäste in Mitleidenschaft gezogen würden. Nachzuzahlen hätte sie nichts, auch nicht für die Rückfahrt - wenigstens etwas. Außerdem würde sie eine Entschädigung erhalten.
Dennoch, als ob das in ein Trost sein könnte, in dieser Situation. Verabredet ist sie, unterwegs zu einem Rendezvous, dem ersten seit mehr als zehn Jahren. Nicht mal benachrichtigen konnte sie den Herrn, weil sie keine Telefonnummer von ihm habe. Er wartet nun vergebens am Bahnhof, auf die Frau im roten Kleid mit den weißen Punkten. Was soll er jetzt von ihr denken? Dass sie so eine sei, so eine, die es nicht ernst meine, die nur mit den Gefühlen anderer spiele. Müsse er das nicht zwangsläufig von ihr denken? Ihr wurde ganz schwindelig bei dem Gedanken. Jetzt bloß nicht verrückt machen. Das war höhere Gewalt, dafür konnte sie nichts. So musste sie es ihm am Abend erklären.
Typisch, dass ausgerechnet ihr so was passieren musste. Wenn sie schon mal was unternahm, ihr Schicksal selbst beeinflussen wollte. Hatte sie denn kein Recht auf ein bisschen Glück?
So sehr hatte sie sich auf diesen Tag gefreut, ihm derart entgegengefiebert, dass sie sich in den letzten Tagen nur noch mit Mühe auf die Arbeit und die alltäglichen Aufgaben konzentrieren konnte. Birgit, ihre Kollegin und Freundin, hat sie dann einfach gefragt, ob ihr etwas fehle oder ob sie etwas quäle? Zum wiederholten Male hatte sie einen Vorgang falsch abgelegt, Informationen nicht gleich weitergegeben, Korrespondenzen mit Schreibfehlern zur Unterschrift vorgelegt. So kenne man sie gar nicht. Da hat sie es ihr schließlich erzählt, dass sie einen Mann kennen gelernt habe, im Internet. „Na dann kennst du ihn doch nicht.“ Doch doch, sie schreibe ihm schon über Monate E-Mails, manchmal würden sie auch chatten. „Ja, aber da lernt man sich doch nicht wirklich kennen. Der kann dir doch sonst was erzählen.“ Nein, nein so einer sei das nicht. Er hätte einiges über sich berichtet und sei außerdem immer so charmant. Sie habe das Gefühl, es bestehe eine spezielle Bindung zwischen ihnen, eine Art Band. Immer habe er ein offenes Ohr für sie, für ihre Probleme. Sie fühle sich ihm vertraut, so sehr, dass sie ihm von damals erzählt habe, von Hans, ihrem ersten Freund und davon, wie es zwischen ihnen auseinander gegangen sei. „Du bist ja verrückt! Mach bloß keine Dummheiten. Man weiß nie, ob so einer die Wahrheit sagt.“ Am Anfang sei sie ja auch eher vorsichtig gewesen, doch mittlerweile sei sie sich sicher, sie könne ihm vertrauen. Darum habe sie auch seine Einladung angenommen, Sonntag zum Kaffee bei ihm in F... Sie habe schon die Fahrkarte gekauft und auch ein neues Kleid, rot mit weißen Punkten. „Na, wenn das man gut geht.“
Und da saß sie nun in dem neuen Kleid, saß fest, weil sich in F... die Tür nicht hatte entriegeln lassen. Nicht mal anrufen konnte sie ihn, ihren Kavalier. Er habe kein Mobiltelefon, könne mit diesen neumodischen Dingern nicht viel anfangen. Einzig einen Computer habe er sich zugelegt. Den Internetanschluss habe er von seinem Vormieter übernommen. Sein Telefon sei defekt und er sei noch nicht dazu gekommen, es zu ersetzen. Darum wäre es unsinnig ihr zu diesem Zeitpunkt eine Nummer zu geben. Er würde sie am Bahnhof treffen, dann würden sie zu ihm fahren. Er wohne etwas außerhalb. Er wolle nicht, dass sie sich ein Taxi nehme, die Taxifahrer würden immer Umwege fahren, damit sie mehr Geld verlangen könnten. Er dagegen kenne eine Abkürzung durch den Wald an den Gleisen entlang.
So waren sie verblieben. Und nun saß sie hier fest. Wer weiß wie lange sie auf einen Zug in die Gegenrichtung wird warten müssen. Der Schaffner hatte von Gleisbauarbeiten und Verzögerungen gesprochen. Jedenfalls musste sie sich zu Hause als Erstes an den PC setzen und ihm alles erklären.
Zu Hause erwarteten sie drei neue Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Alle drei von Biggi, sie bat dringend um Rückruf, klang sehr aufgeregt, fast panisch. Es war spät geworden, sie hatte nur einen langsamen Zug für die Rückfahrt bekommen, musste auch noch umsteigen. Der ICE war ausgefallen. Auf der Strecke gab es zudem einen längeren Aufenthalt, in der Nähe von F... Es war von einem Personenschaden die Rede.
Erst mal einen Tee aufsetzen, dann Biggi anrufen, bis der PC hochgefahren ist. „Endlich. Ich habe mir schon solche Sorgen um dich gemacht. Du bist doch nicht etwa wirklich gefahren?“ „Doch und denk dir, in F... ließ sich die Zugtür nicht öffnen. Ich musste eine Station weiter fahren.“ „Dann habt ihr euch also nicht getroffen. Gott sei Dank!“ „Ach, sag doch so was nicht, ich bin ganz aufgewühlt deswegen, will ihm gleich eine Nachricht schreiben und alles erklären.“ „Ja hast du denn nichts mitbekommen? Schau dir erst mal die Nachrichten an, Region F....“ Sie ging auf die Seite mit den regionalen Nachrichten. An den Gleisen zwischen L... und F... sei die Leiche einer Frau gefunden worden, übel zugerichtet, aber noch bekleidet - mit einem roten Kleid, weiß gepunktet.
Und was nun? Der nächste Halt war in gut einer Stunde. Wie weit fährt ein Zug in einer Stunde? Ein ICE zudem? Warum nur hatte sich die Tür nicht öffnen lassen?
Das sei bislang noch nie vorgekommen, so der Schaffner; Zugbegleiter nennen die sich jetzt. Als ob das ein Trost sein könnte. Eine Meldung habe er gemacht und eine Warnung an der Tür angebracht, damit keine weiteren Fahrgäste in Mitleidenschaft gezogen würden. Nachzuzahlen hätte sie nichts, auch nicht für die Rückfahrt - wenigstens etwas. Außerdem würde sie eine Entschädigung erhalten.
Dennoch, als ob das in ein Trost sein könnte, in dieser Situation. Verabredet ist sie, unterwegs zu einem Rendezvous, dem ersten seit mehr als zehn Jahren. Nicht mal benachrichtigen konnte sie den Herrn, weil sie keine Telefonnummer von ihm habe. Er wartet nun vergebens am Bahnhof, auf die Frau im roten Kleid mit den weißen Punkten. Was soll er jetzt von ihr denken? Dass sie so eine sei, so eine, die es nicht ernst meine, die nur mit den Gefühlen anderer spiele. Müsse er das nicht zwangsläufig von ihr denken? Ihr wurde ganz schwindelig bei dem Gedanken. Jetzt bloß nicht verrückt machen. Das war höhere Gewalt, dafür konnte sie nichts. So musste sie es ihm am Abend erklären.
Typisch, dass ausgerechnet ihr so was passieren musste. Wenn sie schon mal was unternahm, ihr Schicksal selbst beeinflussen wollte. Hatte sie denn kein Recht auf ein bisschen Glück?
So sehr hatte sie sich auf diesen Tag gefreut, ihm derart entgegengefiebert, dass sie sich in den letzten Tagen nur noch mit Mühe auf die Arbeit und die alltäglichen Aufgaben konzentrieren konnte. Birgit, ihre Kollegin und Freundin, hat sie dann einfach gefragt, ob ihr etwas fehle oder ob sie etwas quäle? Zum wiederholten Male hatte sie einen Vorgang falsch abgelegt, Informationen nicht gleich weitergegeben, Korrespondenzen mit Schreibfehlern zur Unterschrift vorgelegt. So kenne man sie gar nicht. Da hat sie es ihr schließlich erzählt, dass sie einen Mann kennen gelernt habe, im Internet. „Na dann kennst du ihn doch nicht.“ Doch doch, sie schreibe ihm schon über Monate E-Mails, manchmal würden sie auch chatten. „Ja, aber da lernt man sich doch nicht wirklich kennen. Der kann dir doch sonst was erzählen.“ Nein, nein so einer sei das nicht. Er hätte einiges über sich berichtet und sei außerdem immer so charmant. Sie habe das Gefühl, es bestehe eine spezielle Bindung zwischen ihnen, eine Art Band. Immer habe er ein offenes Ohr für sie, für ihre Probleme. Sie fühle sich ihm vertraut, so sehr, dass sie ihm von damals erzählt habe, von Hans, ihrem ersten Freund und davon, wie es zwischen ihnen auseinander gegangen sei. „Du bist ja verrückt! Mach bloß keine Dummheiten. Man weiß nie, ob so einer die Wahrheit sagt.“ Am Anfang sei sie ja auch eher vorsichtig gewesen, doch mittlerweile sei sie sich sicher, sie könne ihm vertrauen. Darum habe sie auch seine Einladung angenommen, Sonntag zum Kaffee bei ihm in F... Sie habe schon die Fahrkarte gekauft und auch ein neues Kleid, rot mit weißen Punkten. „Na, wenn das man gut geht.“
Und da saß sie nun in dem neuen Kleid, saß fest, weil sich in F... die Tür nicht hatte entriegeln lassen. Nicht mal anrufen konnte sie ihn, ihren Kavalier. Er habe kein Mobiltelefon, könne mit diesen neumodischen Dingern nicht viel anfangen. Einzig einen Computer habe er sich zugelegt. Den Internetanschluss habe er von seinem Vormieter übernommen. Sein Telefon sei defekt und er sei noch nicht dazu gekommen, es zu ersetzen. Darum wäre es unsinnig ihr zu diesem Zeitpunkt eine Nummer zu geben. Er würde sie am Bahnhof treffen, dann würden sie zu ihm fahren. Er wohne etwas außerhalb. Er wolle nicht, dass sie sich ein Taxi nehme, die Taxifahrer würden immer Umwege fahren, damit sie mehr Geld verlangen könnten. Er dagegen kenne eine Abkürzung durch den Wald an den Gleisen entlang.
So waren sie verblieben. Und nun saß sie hier fest. Wer weiß wie lange sie auf einen Zug in die Gegenrichtung wird warten müssen. Der Schaffner hatte von Gleisbauarbeiten und Verzögerungen gesprochen. Jedenfalls musste sie sich zu Hause als Erstes an den PC setzen und ihm alles erklären.
Zu Hause erwarteten sie drei neue Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Alle drei von Biggi, sie bat dringend um Rückruf, klang sehr aufgeregt, fast panisch. Es war spät geworden, sie hatte nur einen langsamen Zug für die Rückfahrt bekommen, musste auch noch umsteigen. Der ICE war ausgefallen. Auf der Strecke gab es zudem einen längeren Aufenthalt, in der Nähe von F... Es war von einem Personenschaden die Rede.
Erst mal einen Tee aufsetzen, dann Biggi anrufen, bis der PC hochgefahren ist. „Endlich. Ich habe mir schon solche Sorgen um dich gemacht. Du bist doch nicht etwa wirklich gefahren?“ „Doch und denk dir, in F... ließ sich die Zugtür nicht öffnen. Ich musste eine Station weiter fahren.“ „Dann habt ihr euch also nicht getroffen. Gott sei Dank!“ „Ach, sag doch so was nicht, ich bin ganz aufgewühlt deswegen, will ihm gleich eine Nachricht schreiben und alles erklären.“ „Ja hast du denn nichts mitbekommen? Schau dir erst mal die Nachrichten an, Region F....“ Sie ging auf die Seite mit den regionalen Nachrichten. An den Gleisen zwischen L... und F... sei die Leiche einer Frau gefunden worden, übel zugerichtet, aber noch bekleidet - mit einem roten Kleid, weiß gepunktet.