Sperrmüll

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tocotomic

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Sperrmüll

„ It`s o.k. to eat fish cause they don`t have any feelings“
Nirvana „ Something in the way“




Kurz nachdem er mich hier zurück gelassen hat, sich abwendet um zurück ins Haus zu gehen, kommt ein alter Pole mit rotem Kopf und geplatzten Äderchen auf der Nase und starrt mich musternd an.
„ Diese gut ?“ brüllt er ihm hinterher.
„ Keine Ahnung, ich habe jetzt einen anderen, sie können ihn haben“ meint er nur und geht achselzuckend ins Haus.
Judas !
„ Diese gut“ setzt der Pole nach, erhält aber keine Antwort und läßt mich mit enttäuschtem Blick stehen.
Wie erniedrigend!
Wer weiß, vielleicht bin ich ja wirklich kaputt.
Manchmal fühlt man sich topfit und schon wenige Tage später ist man mausetot.
Ich habe Ärzte in Cahtrooms über schreckliche Krankheiten berichten hören, ich könnte Geschichten erzählen...
Als Computer hat man es da besser, möchte man meinen.
Man lebt und lebt bis man eines Tages technisch überholt ist und an etwas anspruchslosere Besitzer weiter gegeben wird.
So geht das ewig weiter, dachte ich, Altern mit Würde.
Ich bin schon so alt, daß mich der 10jährige Bruder meines ehemaligen Besitzers nicht wollte.
Ich liege im sterben und kein Verwandter kommt mich besuchen, könnte man sagen.
Ich sehe wie der Pole wiederkommt und eine elektronische Küchenmaschine, die mit einer dünnen, graugrünen Schicht überzogen ist, mitnimmt.
Eine alte, bucklige Frau mit Kopftuch nimmt einen alten Stuhl mit 3 Beinen mit.
Jemand schnappt sich eine Fernbedienung.
Mein Ex-Besitzer kommt wieder aus dem Haus, die Autoschlüßel in der Hand, eine geschmacklose Sonnenbrille im Gesicht.
Der Pole stellt sich ihm in den Weg und hält mich direkt vor sein Gesicht.
„ Hat diese Pentium?“
„ Nein, stöhnt dieser Verräter, sichtlich genervt.
„ Oder Soundkad, hatte Soundkad?“
„ Bitte, lüg nur einmal, mir zuliebe, der alten Zeiten Willen“ denke ich mir, aber nichts da.
„ Hören Sie,“ fährt er den Polen an „ eigentlich kann es mir ja egal sein, aber das hier ist derälteste Scheißkasten, den es in der gesamten sperrmülldurchwühlenden Hemisphäre gibt!
Der hat gar nichts, null, niente, O.K? Ich habe ihn benutzt um damit Briefe zu schreiben oder primitive Spiele zu spielen. Das ist alles was er hat!Aber da man heutzutage ins Internet muß, habe ich mir einen neuen gekauft und das kommt mich 10mal billiger als mit diesem Fossil zu surfen. Und ich rate ihnen, sich auch einen neuen zu kaufen, weil das hier nicht mehr ist als ein elektronischer Taschenrechner. Darf ich jetzt mal durch“?
Das tut weh!
„ Hatte Internet“ ruft der Pole ihm noch hinterher, aber er ist schon in seinen geschmacklosen, neuen Porsche gestiegen.
Der Pole stellt mich wieder ab und schleicht enttäuscht von dannen.
Ein anderer, älterer Herr kommt hinter einer Ecke hervor und hebt michneugierig hoch.
„ Ja, nimm mich mit! Hab mich lieb!“ möchte ich schreien, aber er stellt mich zurück, nachdem ihm der Pole etwas zuruft, das ich nicht verstehe.
Der Himmel bewölkt sich.
Ich denke an früher.




6 Jahre zurück, als er mich im Discountmarkt sah, Liebe auf den ersten Blick.
Ich war damals etwas runtergesetzt, aber immer noch das heißeste , daß es auf dem Markt gab, für nur lächerliche 799 DM.
Er zahlte mit 8 Hundert- Mark Scheinen und transportierte mich in einer riesigen Plastiktüte zu sich nach Hause.
Stolz geschwellte Brust.
Sein erster Computer.
Mein erster Besitzer.

2 Tage lag ich quer über den Schreibtisch verteilt einfach nur so da. Hin und wieder verteilte er meine Einzelteile etwas anders, schloß Kabel an den absurdesten Stellen an, bis eines Tages ein fachkundiger Freund erschien und mich aktivierte.
Es dauerte keine halbe Stunde, der Freund ließ uns wieder alleine und eine „ Doom“ Diskette auf dem Schreibtisch liegen.
Erinnerungen.
Unser erstes Mal.

Wir saßen nächtelang zusammen und retteten gemeinsam die Welt vor dem entsetzlichen Cyberdemon, es war eine wunderschöne Zeit.
Dann war er eine zeitlang weg und als er wieder kam, hörte er auf mit mir „ Doom“ zu spielen und fing an mir glühende Liebesbriefe für ein Mädchen namens „ Monique“ zu diktieren.
Wir wurden ein Team.
Emotionen flossen wie Bäche aus Licht. Aus seinen Fingern. Auf meine Tastatur.
Explosionen aus Poesie.
Ich verstand seine Liebe und gab sie ihm zurück.
Und er gab sie weiter.
Ich habe seitdem nie wieder „ Doom“ gespielt.

Ich wurde mehr und mehr zu seinem Sklaven und als er mir einen Bewerbungsbrief für eine Werbeagentur diktierte, wußte ich das es nie mehr so werden würde wie früher.
Er hatte sich verändert.
Bald darauf, kam er mit einem Modem nach Hause und schloß es an.
Er versuchte mit mir ins Internet zu gehen, zu chatten, diesen ganzen neumodischen Kram eben.
Ich war ihm zu langsam
Da fingen die Prügel an.

Er war jetzt wer, er musste jetzt ins Internet und so kam es wie es kommen musste.
Eines Tages kam er mit einem winzigen Computer nach Hause, originalverpackt und ich wusste das meine Stunde geschlagen hatte.
Bei Traktoren ist es die Größe, die entscheidend ist.
Wenn du einen Computer sieht, der in eine Streichholzschachtel paßt, weiß du, daß du verloren hat.
Zumindest, wenn du auch ein Computer bist.
Meine letzte Amtshandlung war es, einen Brief an Monique zu schreiben, der ihr wohl mehr denn mir das Herz brach. Ich wurde abmontiert und mußte in den Keller ziehen. Warten auf bessere Zeiten.

Das war vor 4 Monaten, heute war dann endlich Sperrmüll und er konnte mich hämisch grinsend auf die Straße befördern.
Hier stehe ich.
Verlassen. Verraten. Veraltet.
Er kommt zurück, mit seinem tollen Porsche und dieser Hure, die er sich jetzt an Land gezogen hat.
Er geht an mir vorbei, würdigt mich keines Blickes.
Sie bleibt kurz stehen und deutet auf mich.
„ He, guck mal, dein alter Klapperkasten, steht immer noch da“ gackert sie.
„ Den will einfach niemand mehr, warum auch“ meint er achselzuckend und geht ins Haus.
Hier stehe ich.
Es fängt an zu regnen.
 



 
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