Spiegelbilder

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MisterX

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Sam fühlte sich müde, lustlos, ohne Sinn. Aus dem Fenster gelehnt sah er sein Schiff. Eine stolze Fregatte, erbeutet bei einem Raubzug in der Nähe von Tahiti. Neben ihm stand Jack Silver. Er blickte ihn an, ein junger Mann, die Haut von der Sonne gegerbt, und an beiden Armen mit Totenköpfen tätowiert.
„Jack, ich glaube ich werde alt. Lief alles früher irgendwie viel einfacher. Schau, bloß den Weg hierauf, weißt du wie lange ich gebraucht habe?“
„Hey Chef, wir konnten die spanischen Schiffe zwar nicht erreichen, aber wir sind doch hier…“
„Ja, wir sind hier… Gestrandet vor einer alten Festung. Sie dich um! Was gibt es hier. Nicht als alter Plunder. Das Gold und die Edelsteine sind schon längst weg. Die Möbel verfaulen und unser Schiff liegt mit einem Leck im Hafen. Wer konnte auch wissen, dass die Spanier eine Eskorte hinterher schicken, die uns weit überlegen war.“
Die Spitze seines Holzbeins schabte am Fußboden während er sich drehte. Ein leichtes Quietschen wie beim Schleifen einer Messerspitze erfüllte den Raum. Er klopfte mit seinem Holzbein auf dem Fußboden. Spinnenweben kamen herab. Seine Nase juckte von dem modrigen Geruch den das Haus verbreitete. Staub bedeckte die alten Möbel.
„Ich geh´ dann mal wieder auf´s Schiff!“, murmelte Jack und verschwand.
Verdeckt von einer alte Decke erblickte Sam einen Gegenstand. Er nahm das Verdeck ab uns erblickte einen alte, aber dennoch intakten Spiegel. Der Rahmen war verrostet, aber ansonsten schien er noch gut in Schuss. Kaum einen Kratzer wies das alte Glas auf. Mit seinem rechten Zeigefinder wischte er die dicke Staubschicht weg. Hinter den Schlieren lächelte ihn ein bekanntes Gesicht an. Sah er sich selbst? Rundlich, die Haare gekämmt, den Rauschebart ab, blickte er ihn an. Sein Mode entsprach nicht seinen Vorstellungen. So sauber… eine Art graue Stoffjacke mit blauen Strick vor dem Hemd, hüllte ihn ein. An den Gesichtszügen erkannte er sich doch wieder selbst. Er fasste nach diesen Unbekannten, diesen Anderen…sich selbst…. Als er mit den Fingern über seine Konturen zog, tastete ob das wirklich sein konnte, erfasste ihn ein Sog. Etwas zog. Er konnte es nicht begreifen. Der Spiegel zog ihn in sich hinein. Einen kurzen Moment fühlte er sich wie in einer Leere - er schwebte - bis ihn wieder etwas hinaus zog. Langsam sah er wieder etwas vor den Augen. Das Licht blendete ihn, lies jedoch rasch nach. Zuerst sah er nur verschwommen, dann sah er sich an. Er war nicht mehr er selbst, er war anders.

Ein Berg von Papier türmte sich auf dem Tisch vor ihm auf. Ordentlich aufgereiht lagen vor ihm verschiedene Stifte auf dem Tisch, einschließlich eines großen Blechkastens auf dem etwas flimmerte. Wo bin ich hier? Er sah sich um, jeder klopfte etwas auf dieses merkwürdige Brett das vor seinen Händen lag. Seltsames Gerät, was ist das bloß? Er machte es nach, klopfte jedoch so stark, dass ihm ein kleiner schwarzer Gegenstand entgegen kam.
„Heute nicht dein Tag, oder?“, redete ihn der Mann nebenan an und grinste dabei. „Hol dir eine neue Tastatur, du weißt ja wo es die gibt. Ich denke sowieso wir sollten hier mal einen Reparaturdienst einrichten. Laufend klopft hier einer zu viel drauf. Halten einfach nichts aus die Dinger!“

Kaum hatte er ausgesprochen, blaffte ihn schon eine blonde junge Dame an: „Hey Chef, was los? Schon Feierabend oder was?“ Schelmisch grinsend lief sie an ihm vorbei und trug eifrig Papiere aus.
Er wollte den Mund öffnen, doch sein Kollege fiel ihm schon ins Wort: „Ich weiß nicht, warum du dir das immer von unserer Azubiene gefallen lässt. „Azu…was?“ Der Mann sah ihn fragend an. Das Mädchen war bereits verschwunden. Ein anmutiger Duft lag in der Luft. Was ist das? Überhaupt wo bin ich hier?
Schreiben und lesen hatte er nie gelernt. Doch eines konnte er sagen: Zahlen flimmert vor ihm auf diesem weißen Schirm. Sie sahen etwas anders aus, doch kannte er sie von den Häfen wo er sein Plündergut verkaufte. Die Händler schrieben sie immer an die Wand, strichen aus und schrieben neu, bis sie zu einem Ergebnis kamen. Er konnte die Zahlen nicht benennen, doch wusste er je länger sie waren, desto höher lag der Preis. Diese hier waren sehr lang.
„Hey Kumpel, erklär mir das!“, fragte er seinen Nebenmann.
„Ich dachte du kannst lesen! Intercredit, die Konkurrenz ist pleite. Einlagen in Höhe von 15.000.000 Dollar werden gesucht. Ich hoffe die sind nicht so blöd und kaufen diesen Schundverein. Schau, das ist die ganze Auflistung des Vermögens. Alles auf Schulden finanziert. Was sollen wir mit denen? Bei der Sitzung später werden sie beschließen, was passieren soll.“
„Sitzung?“
„Ja klar, du bist ja auch dabei. Musst ihnen mächtig einheizen. Sie müssen es bereuen das Gespräch überhaupt erst geführt zu haben. Wir sind doch eine seriöse Bank.“
„Bank?“ In Gedanken sah Sam Geldscheine fallen.
„Wieso? Gehört das nicht zu unserem Job? Die haben doch bestimmt einen großen Tresor. Ich mach zwar lieber Jagd auf spanische Galeonen, aber Papier im gleichen Wert finde ich auch nicht schlecht!“
Sein Kollege sah ihn ungläubig an. „Liegt alles auf ´nem Konto…“

Die Tür ging auf, die junge Frau von vorhin kam wieder reingestolpert. „Hey Chef, da bin ich wieder. Soll sagen, dass sie endlich zum Meeting kommen sollen! Warten schon alle ganz aufgeregt. Der Big Boss meint sie sollten endlich ihren Hintern bewegen. Steht doch alles in der elektronischen Post!“ Wieder erfüllte ein Duft den Raum. Träumte ich? Das ist doch alles nicht wahr.
„Achso, jaja. Elek…, bei uns an Bord machen wir das mit Tauben. Die kennen den Weg zum Land.“ Mit fragendem Blick sah sie ihn an, fast so als konnte man Fragezeichen auf der Stirn sehen.
„Übrigens habe ich Ihnen schon gesagt, dass sie riechen?“
Als hätte sie einen Schlag getroffen blieb sie stehen und starrte ihn an.
„Wie meinen sie das, Sam Hawkins? Gefällt Ihnen meinen Deo nicht?“
„Welches Deo?“
Ihr Kopf lief rot an. „Riechen sie das den nicht?“
„Es riecht!“
„Ihre Post können sie ab jetzt selbst abholen, Sam Hawkins.“

Verwirrt hastete er über den Gang, öffnete sämtliche Türen. Gesichter sahen ihn an, verstanden nicht was er von ihnen wollte. Nach einiger Zeit wurde er von zwei Milchbubis aufgehalten. Den Begriff wendete er in der Regel für die reichen Bengels an, die sich zu fein waren die Hände schmutzig zu machen. Einer hatte fast bleiche Haut, kaum Muskeln, die obligatorische Narbe im Gesicht, fehlte ihm. Der andere hatte graue Haare und wirkte etwas dicklich, so wie die reichen Bonzen in seinem Heimathafen, die den ganzen Tag nur an das Essen dachten und den besten Wein schlürften.
„Sag mal, lassen sie dich nicht in die Luft raus?“, fragte er den einen, zum anderen gewandt, fuhr er fort: „Gab´s heute was deftiges zum Essen?“
Die beiden blickten sich an, man spürte sie wollten etwas sagen, doch wandten sich ohne Kommentar zu Sam.
„Unser Privatleben geht sie nichts an“, äußerte der rundere. „Mensch Sam, reißen sie sich doch zusammen. Wenn sie so weiter machen bekommen sie noch ernsthafte Schwierigkeiten.“
„Welche Schwierigkeiten?
„Darüber sprechen wir später“, antwortete der bleiche Mann.

Die Tür öffnete sich, Sam würde hineingeführt.
An der Spitze eines langen Tisches befand sich ein sehr redselig wirkender älterer Mann. Grauhaarig, schlank, sehr sportlich wirkend. „Da sind sie ja endlich Sam! Hatten wohl viel Arbeit. Nun gut, wenn´s zum Firmennutzen ist. Bitte setzen sie sich.“
Weißes Porzellan, gefüllt mit mit brauner Flüssigkeit, blitzte ihn an. Die meisten seiner Kollegen hatten so etwas vor sich stehen. In der Mitte des Tisches lag Gebäck, säuberlich auf einen Teller gestellt, Gabeln und Servietten lagen daneben.
„Mit Sicherheit haben sie mit Interesse die Unterlagen über unsren Konkurrenten Intercredit gelesen. Sein Problem könnte unser Vorteil sein. Das sehen sie doch mit Sicherheit auch so. Wie meinen sie sollen wir vorgehen?“
Er wusste nicht was er hier sollte. Sam starrte fasziniert auf das auf dem Tisch stehende Gedeck. Feine Leute benutzten so was, er doch nicht. Doch ein Stück des Kuchens würde er schon gerne probieren.
„Hey Alter, wenn ich was will dann nehme ich es mir!“ Sam stand auf, packte mit der Hand eines der Kuchenstücke und stopfte es sich in den Mund.
Überrascht saßen die Anwesenden am Tisch und konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Einer von Ihnen machte eine Geste, als würde er gerade ein Glas Bier hinunterstürzen.
Der Mann an der Spitze der Tafel ließ sich nichts anmerken.
„Das haben sie ja recht anschaulich demonstriert!“, fuhr er fort.
„Aber wie wollen sie das machen. Irgendwo müssen wir das Kapital herbekommen. Unsere Auslandsgeschäfte flauen ab. Der Inlandsmarkt stockt. Wir können nicht immer von unseren Reserven leben.“
„Ach, das geht ganz gut! Wissen sie, bei uns gab´s auch immer wieder Flauten. Doch Gold hatten wir genug an Bord, teilweise auch versteckt an Land. Ich ging dann einfach an Land und hab eingekauft. Außerdem wissen wir ja beide, wie schnell das Geld wieder reinkommt. Ne Galeone findet man überall.“
In langsamen sachten Ton fragte der Mann: „Haben sie was getrunken?“
„Jeden Tag 2 Flaschen, und? Ich kenne einige die schaffen mehr.“
Eine Pulsader begann am Hals des Mannes zu klopfen.
„Kommen sie mit!“
„Warum?“, fragte Sam widerwillig.
„Warum... Da fragen sie noch. Wissen Sie eigentlich wer ich bin?“
„Mir egal...Aber ich weiß wer ich bin! Mein Name ist Kapitän Sam Hawkins vom Schiff Botany Bay, Schrecken der sieben Weltmeere, Unglücksbote der Reichen, Freund der Armen.“
Mit der Kuchengabel stach er in den Tisch.
„Und nun sag mir du Schwanzlurch, wer du bist!“
„Bryan Jenkins. Chef der Intercontinetal Bank.“
Das Bild verblasste, er kehrte in seinen alten Körper zurück.

Vor dem Spiegel blickte er wieder in sein Gesicht. Immer noch wirkte es etwas befremdlich. Oben an der am Rand legte er eine Platte frei: „Die Welt hinter den Spiegeln“
Er erkannte sich selbst. All seine Abenteuer hatten alle nur einen Zweck: Seinen Reichtum zu mehren. Dabei hatte er stets auch etwas für den Armen übrig. Doch dort von wo er herkam, zählte das nicht. Die Reichen teilten das Geld untereinander auf und traten noch zu wenn der Arme am Boden lag. Ahnungslose Milchbubis verwalteten das Geld und hatten von den elementarsten Dingen keine Ahnung. Konnte er das. Wollte er so leben? Als er zurückdachte fühlte er sich getrieben, getrieben von einem System, dass ihn nicht kannte und vermutlich auch nicht wollte. Unmögliche Manieren hatten sie auch. Sam rückte an seiner Mütze, stramm stand er das, das Holzbein klapperte. Sein Leben hatte doch einen Sinn. Sam fühlte sich voll Energie, aufgeladen, bereit den Reichen wieder ein Schnippchen zu schlagen
 
Hallo MisterX!

Eine schöne Geschichte über einen durch einen Spiegel in den Zeiten wandernden Piraten, ist mal was anderes :)

Der einzige Wehrmutstropfen hier ist die Grammatik, schade.

Herzliche Grüße
Drachenprinzessin
 



 
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