Stadt der Türme

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farbe

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STADT DER TÜRME

STADT DER TÜRME

Noch ist die Stadt
Fast still.
Ich steh‘ allein hier,
Dunkelheit im Raum,
Die Lichter der Nacht noch unter mir,
Gesehen durch übergroße Fenster.
Auf der Höhe meiner Augen
Der gelblich schimmernde Stein
Des erleuchteten Dachfirsts
Der Alten Oper.
Diese Schönheit
Werde ich am meisten vermissen.
„Das geflügelte Pferd“, hoch oben,
blickt in die Hochhausschluchten.
Die große Uhr am Kubus hinter der Oper,
Bereits einige erhellte Räume, arbeitende Menschen, dort,
Das blaue ZÜRICH unter der Uhr,
Die Symbolcharakter für diese Stadt hat,
Demnächst abgerissen,
Ein neues Monument wird entstehen.
Der Taunus, noch verborgen,
Hinter dem noch spärlich erleuchteten Hochhaus
Davor das Alte, das man nicht
Getraute wegzureißen -
Gutes überdauert längere Zeit.
Die ersten, noch kurzen Autoschlangen,
Rot und weiß-gelbliche Lichterketten,
Auf den Straßen,
Die in die Stadt
Zur Arbeit führen.
Und links die von innen her funkelnden
Hochhäuser,
Dicht hintereinander gezwängt,
Den Horizont verdrängend,
Dazwischen ein Loch zum Atmen,
Das Kraftwerk mit seinen zwei Türmen links und rechts,
Geziert von je zwei roten Lichtstreifen, oben.
Der große, runde Brunnen auf dem Platz,
Jetzt ohne Bewegung, leer.
Der U-Bahn-Schacht, aus dem ich oft entstieg,
Heute letztmals
Und langsam
Und sehr bewusst,
Um hier zu sein, zu wirken,
Zu machen, zu ordnen,
Zu zweifeln,
Bis es nicht mehr ging.
Der Bildschirm zieht den gläsernen Raum
In zaghaftes Blau,
Der Raum, der über Jahre
Mein war.
Ich will hier nicht mehr sein,
Und dennoch fällt’s mir schwer,
Zu gehen,
Alles zu lassen.
Es geht mich nichts mehr an.

(Mittwoch, 15.12.99,
vorletzter Arbeitstag im Büro M.)
 

otto otter

Mitglied
Da ist viel Melancholie drin, in deinem Gedicht, die sanft herüberkommt und mich hineinzieht.

"Bis es nicht mehr ging" tönt wie eine Verbeugung vor dem Unabwendbaren und lässt doch so vieles offen. Denn es folgt, aufbäumend, wie eine Selbstbeschwörung, das tapfere
"ich will hier nicht mehr sein"!

Liebe Grüsse

Otto
 
V

vexierbild

Gast
Liebe

Eine mal ganz andere Art von Liebe und Leiden, das an einer Stadt, die für manche menschliche Züge annimmt, weil sich in ihr alles Menschliche abspielt.

Schönes Gedicht, danke für's posten! Und weiter so, farbe, wir wollen die ganze Palette sehen!!

vexi
 

Renee Hawk

Mitglied
Liebe Farbe,

als ich im Jahre 2000 meinen letzten Blick zurück warf, auf diese mir so vertraute Stadt, stand ich auf dem HeLaBa-Turm. Es war das erste und letzte Mal, dass ich meine Heimatstadt in diesem Farbenspiel der Natur sah.
Meine Liebe zu dieser Stadt verstärkte sich und mit einer Träne im Knopfloch verlies ich Frankfurt und wurde mit offenen Armen in Berlin empfangen.
Durch dein Poem fühlte ich mich noch einmal "zuhause"; ich danke dir dafür.

liebe Grüße
Reneè
 

Niquita

Mitglied
Liebe Farbe,

danke für dieses Gedicht an eine Stadt, die für mich eine Art "zweite Heimat" geworden ist. Obwohl ich nicht in Frankfurt wohne, bin ich sehr oft da und jedes Mal, wenn ich wieder wegfahre, denke ich mir "warum eigentlich?"

Liebe Grüsse
Nicole
 

B.Wahr

Mitglied
Schööön gesagt

Hallo Farbe,
damit hast Du wirklich Farbe in das "Würstchenstadtbild" gebracht. Ich danke Dir. Hoffentlich kannst Du verzeihen!
Ganz lieben Gruß und alles Gute
B.Wahr
 



 
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