Staub und Schatten

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Staub und Schatten

Eines. Der Sturz. Sie erinnert sich an den Sturz. Den Fall. Absturz, Abfall. Zuerst fällt der Boden. Unter ihren Füßen, der Boden. Sie schwebt. Fällt, schwebt, fliegt, stürzt. Dann der Himmel. Er stürzt auf sie ein. Fällt herab. Wolkenverhangnes Himmelszelt. Band aus Azur. Weites blaues Firmament. Die stärksten Säulen brechen, fallen. Stürzen zusammen.
Grau stürzt in Grau. Nicht weit. Aber endlos. Sie schreit. Sie hört es nicht. Stattdessen Knarren, Knacken, Knirschen, Kreischen, Keifen, Kämpfen, Klagen - klanglos vor Brechen und Stürzen. Tosender Orkan starren Betons. Keifende Symphonie klaren Glases. Grausige Arie festen Stahls. Schmerzlicher Chor stabiler Wände. Geiferndes Hohelied heiliger Bestien.
Fallen, endloses Fallen. Scharen von Schatten. Schweigen vor Schmerz. Schall von Schuld. Schattenschmerzen. Schallscharen. Schuldschweigen. Schwärze. Warme, zärtliche Schwärze, gnädig umfasst ihr Bewusstsein.

Dunkel. Es ist dunkel. Und sie erwacht. Sie sieht nichts. Vielleicht ist sie blind. Sie lauscht. Dunkelheit kann man hören. Unwirklich, nah und fern, surreal, diffus. Aber zu hören. Sie weiß das. Schmerz. Salziger Geschmack auf der Zunge. Süßer, schwerer Duft. Ungesehenes rotes Rinnsal.
Tastende Finger auf ihrem Fuß. Erschrecken, Erschaudern. Leben Sie noch? fragt eine Stimme. Ja. Sie schluchzt vor Freude. Sie ist nicht allein. Jemand ist dort in der Dunkelheit, neben ihr. Angst, Schmerz, Verzweiflung, Furcht, Bitterkeit, Schicksal werden geteilt. In diesem Moment.
Die Stimme ist nahe Sie bluten. Es ist ein Mann. Sie können es sehen? Ja. Er hustet. Es ist zu dunkel. Sie kann nichts sehen. Feiner Staub kratzt in ihrer Kehle. Sie hustet. Ihre Augen. Ihr... Er schweigt abrupt. Sie gerät in Panik. Was ist mit meinen Augen? Sie keucht. Was ist mit meinem... meinem Gesicht? Er schweigt. Sie hebt ihre Finger. Nur klebriges, süßes, schwammiges Fleisch. Schmerz und Entsetzen. Schärfster Schmerz und tiefstes Entsetzen. Gnädige Schwärze, die sie umfängt.

Leben Sie noch? Seine Hand liegt auf ihrer. Ja. Sie ahnt seine Freude. Ihre Antwort macht Hoffnung. Sagen sie. Keuchend. Wie sieht es hier aus? Er dreht den Kopf. Sie kann sein Haar rascheln hören. Es ist alles voll Staub. Er hustet. Gibt es Licht? Er schweigt lange. Dann: Nein. Nur dieses winzige Flackern. Sie hustet. Etwas Weiches, Flüssiges landet in ihrem Mund. Sie spuckt aus. Ich kann nichts bewegen. Nur meine Hand. Ein merkwürdiges Geräusch. Es klingt, als lache er leise. Vielleicht kann ich ein Stückchen näher zu Ihnen kriechen. Sie spürt seine Hand. Dann seinen Arm. Etwas schweres fällt neben ihr nieder.

Leben Sie noch? Irgendwann. Später. Ihre Stimme zittert. Sie hört ihn husten. Ja. Sie tastet nach seiner Hand. Schmerzensglut durchzuckt ihren Körper. Was ist nur geschehen? Sie stöhnt leise. Ich habe es gesehen. Seine Antwort ist lautlos. Das Flugzeug. Sein Körper zuckt unter ihrer Hand. Also ein Unfall? Sie hustet. Der Schmerz wird schwerer, träger. Nein. Sie ahnt das Wort in seinem Atem. Heilige Bestie. Heilige Bestie? Er keucht. Sie tastet über sein Hemd. Da ist etwas feuchtes, warmes, pulsierendes. Gläubiges Scheusal. Stöhnt er. Gläubiges Scheusal. Heilige Bestie. Ihre Stimme wird kalt. Dieb der Ehre. Räuber der Würde. Totschläger der Hoffnung. Mörder der Menschlichkeit. Totengräber der Unendlichkeit. Sie hustet. Ja. Seine Stimme, ein Hauch. Verräter der Seele. Er windet sich. Zuckt, kämpft, unterliegt. Liegt still.

Leben Sie noch? Er antwortet nicht. Sie verzweifelt. Ihre Finger tasten nach ihm. An ihm vorbei. In den Raum. Sie stoßen gegen Hartes, Raues. Dann finden sie etwas. Eine Hand. Eine Hand ohne Arm. Sie legt ihre Finger zurück auf seine Hand. Sie ist kalt. Ich werde wahnsinnig, kreischt sie. Holt mich doch raus. Sie hustet. Feine Nägel zerkratzen ihre Kehle. Es ist so warm. Dabei zittert sie. Ich brauche Luft. Dunkelheit. Immer nur Dunkelheit. Sie stöhnt und schluchzt. Kämpf endlich. Sie schreit. Ihre Fingernägel durchgraben ihre Haut. Heilige Bestie, murmelt sie. Warum hasst du mich? Sie spuckt schleimigen Staub. Du bist nicht heilig. Sie keucht. Dein Schein trügt dich. Deine Worte belügen dich. Schmerzende Flammen der Pein. Ein kühler Luftzug. Sie atmet. Eiskalter Wind. Sie atmet. Sie sinkt zusammen. Es gibt keinen Gott, der Hass segnet. Sie keucht. Sie schluchzt. Ihre Finger umklammern fest seine Hand. Herr, segne uns! Die Bitte der Toten. Sie fällt sanft in die Schwärze. Staub und Schatten.


In memoriam aeternam
 
H

hoover

Gast
Hallo Ann-Kathrin,

ein sehr stockend zu lesender Text, was wahrscheinlich beabsichtigt war, aber mir war es zu stockend, wegen den abgehackten Sätzen. Lesespaß kommt da nicht auf, von Lesefluss gar nicht zu reden. Ich denke, die kurzen Sätze machen den Text zu unübersichlich, das Auge bleibt immer wieder hängen, auf jedem Punkt, den du schon nach zwei oder drei Wörtern setzt, manchmal sogar nach einem. Da kam ich mich vor, als würde ich auf einem Dreirad in ein Schlagloch nach dem anderen krachen. Gerade, wenn man eins hinter sich hat, kommt der nächte Graben und (Punkt) dann (Punkt), kommt schon wieder (Punkt) eins. ENDE ... na Gottseidank.

Liebe Grüße
Patrick
 

Clara

Mitglied
Hallo Ann-Kathrin
das ist inhaltlich ein Drama. Der erste Block, wirkt wie ein Traum, weniger traumatisch.
Wie Hoover auch sagt: zuwenig Verbindung in den Sätzen, wie Stammeln, wie gerade eben erlebt.

Und doch handelt es sich hier inhaltlich um Traumatisches, um etwas Grässliches. Verschüttete, die das Leben neben sich spüren.

Es ist , wie soll ich sagen, recht Wort-Gewalttätig.
Ich glaube, weniger ist mehr.
Ich bin mir noch nicht schlüssig, ob es mir gefällt.
Schaue die Tage mal wieder herein.
 

Zefira

Mitglied
Ich meine ungefähr zu ahnen, was dahinter steckt... ein Anschlag, der sterbende Täter liegt neben dem Opfer...? Mich stören die abgehackten Sätze nicht, im Gegenteil, sie transportieren bestens das Unzusammenhängende der Wahrnehmung. Was mir sauer aufgestößen ist, sind die Alliterationen
>Knarren, Knacken, Knirschen, Kreischen, Keifen, Kämpfen, Klagen <
... das wirkt auf mich erstens sehr "gewollt" und zweitens erzeugt es sogar eine Illusion von Harmonie, ähnlich wie ein Reim (es galt ja in früheren Dichtungszeiten auch einmal als Reim...)

Weniger störend empfinde ich
>Scharen von Schatten. Schweigen vor Schmerz. Schall von Schuld. Schattenschmerzen. Schallscharen. Schuldschweigen. Schwärze<
... zumindest "Schattenschmerzen, Schallscharen" kam bei mir lautmalerisch an, wie ein Dröhnen, aber das Wort "Schuld" würde ich in diesem Zusammenhang lieber (noch) nicht sehen. Es ist an dieser Stelle noch zu früh für die Schuldfrage.

Ein großer Wurf, finde ich, vielleicht noch nicht ganz geglückt, aber mir gefällt das Gewagte daran, der Versuch, für etwas eigentlich Un-Sagbares neue Worte zu finden.

Liebe Grüße,
Zefira
 



 
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