Ann-Kathrin Deininger
Mitglied
Staub und Schatten
Eines. Der Sturz. Sie erinnert sich an den Sturz. Den Fall. Absturz, Abfall. Zuerst fällt der Boden. Unter ihren Füßen, der Boden. Sie schwebt. Fällt, schwebt, fliegt, stürzt. Dann der Himmel. Er stürzt auf sie ein. Fällt herab. Wolkenverhangnes Himmelszelt. Band aus Azur. Weites blaues Firmament. Die stärksten Säulen brechen, fallen. Stürzen zusammen.
Grau stürzt in Grau. Nicht weit. Aber endlos. Sie schreit. Sie hört es nicht. Stattdessen Knarren, Knacken, Knirschen, Kreischen, Keifen, Kämpfen, Klagen - klanglos vor Brechen und Stürzen. Tosender Orkan starren Betons. Keifende Symphonie klaren Glases. Grausige Arie festen Stahls. Schmerzlicher Chor stabiler Wände. Geiferndes Hohelied heiliger Bestien.
Fallen, endloses Fallen. Scharen von Schatten. Schweigen vor Schmerz. Schall von Schuld. Schattenschmerzen. Schallscharen. Schuldschweigen. Schwärze. Warme, zärtliche Schwärze, gnädig umfasst ihr Bewusstsein.
Dunkel. Es ist dunkel. Und sie erwacht. Sie sieht nichts. Vielleicht ist sie blind. Sie lauscht. Dunkelheit kann man hören. Unwirklich, nah und fern, surreal, diffus. Aber zu hören. Sie weiß das. Schmerz. Salziger Geschmack auf der Zunge. Süßer, schwerer Duft. Ungesehenes rotes Rinnsal.
Tastende Finger auf ihrem Fuß. Erschrecken, Erschaudern. Leben Sie noch? fragt eine Stimme. Ja. Sie schluchzt vor Freude. Sie ist nicht allein. Jemand ist dort in der Dunkelheit, neben ihr. Angst, Schmerz, Verzweiflung, Furcht, Bitterkeit, Schicksal werden geteilt. In diesem Moment.
Die Stimme ist nahe Sie bluten. Es ist ein Mann. Sie können es sehen? Ja. Er hustet. Es ist zu dunkel. Sie kann nichts sehen. Feiner Staub kratzt in ihrer Kehle. Sie hustet. Ihre Augen. Ihr... Er schweigt abrupt. Sie gerät in Panik. Was ist mit meinen Augen? Sie keucht. Was ist mit meinem... meinem Gesicht? Er schweigt. Sie hebt ihre Finger. Nur klebriges, süßes, schwammiges Fleisch. Schmerz und Entsetzen. Schärfster Schmerz und tiefstes Entsetzen. Gnädige Schwärze, die sie umfängt.
Leben Sie noch? Seine Hand liegt auf ihrer. Ja. Sie ahnt seine Freude. Ihre Antwort macht Hoffnung. Sagen sie. Keuchend. Wie sieht es hier aus? Er dreht den Kopf. Sie kann sein Haar rascheln hören. Es ist alles voll Staub. Er hustet. Gibt es Licht? Er schweigt lange. Dann: Nein. Nur dieses winzige Flackern. Sie hustet. Etwas Weiches, Flüssiges landet in ihrem Mund. Sie spuckt aus. Ich kann nichts bewegen. Nur meine Hand. Ein merkwürdiges Geräusch. Es klingt, als lache er leise. Vielleicht kann ich ein Stückchen näher zu Ihnen kriechen. Sie spürt seine Hand. Dann seinen Arm. Etwas schweres fällt neben ihr nieder.
Leben Sie noch? Irgendwann. Später. Ihre Stimme zittert. Sie hört ihn husten. Ja. Sie tastet nach seiner Hand. Schmerzensglut durchzuckt ihren Körper. Was ist nur geschehen? Sie stöhnt leise. Ich habe es gesehen. Seine Antwort ist lautlos. Das Flugzeug. Sein Körper zuckt unter ihrer Hand. Also ein Unfall? Sie hustet. Der Schmerz wird schwerer, träger. Nein. Sie ahnt das Wort in seinem Atem. Heilige Bestie. Heilige Bestie? Er keucht. Sie tastet über sein Hemd. Da ist etwas feuchtes, warmes, pulsierendes. Gläubiges Scheusal. Stöhnt er. Gläubiges Scheusal. Heilige Bestie. Ihre Stimme wird kalt. Dieb der Ehre. Räuber der Würde. Totschläger der Hoffnung. Mörder der Menschlichkeit. Totengräber der Unendlichkeit. Sie hustet. Ja. Seine Stimme, ein Hauch. Verräter der Seele. Er windet sich. Zuckt, kämpft, unterliegt. Liegt still.
Leben Sie noch? Er antwortet nicht. Sie verzweifelt. Ihre Finger tasten nach ihm. An ihm vorbei. In den Raum. Sie stoßen gegen Hartes, Raues. Dann finden sie etwas. Eine Hand. Eine Hand ohne Arm. Sie legt ihre Finger zurück auf seine Hand. Sie ist kalt. Ich werde wahnsinnig, kreischt sie. Holt mich doch raus. Sie hustet. Feine Nägel zerkratzen ihre Kehle. Es ist so warm. Dabei zittert sie. Ich brauche Luft. Dunkelheit. Immer nur Dunkelheit. Sie stöhnt und schluchzt. Kämpf endlich. Sie schreit. Ihre Fingernägel durchgraben ihre Haut. Heilige Bestie, murmelt sie. Warum hasst du mich? Sie spuckt schleimigen Staub. Du bist nicht heilig. Sie keucht. Dein Schein trügt dich. Deine Worte belügen dich. Schmerzende Flammen der Pein. Ein kühler Luftzug. Sie atmet. Eiskalter Wind. Sie atmet. Sie sinkt zusammen. Es gibt keinen Gott, der Hass segnet. Sie keucht. Sie schluchzt. Ihre Finger umklammern fest seine Hand. Herr, segne uns! Die Bitte der Toten. Sie fällt sanft in die Schwärze. Staub und Schatten.
In memoriam aeternam
Eines. Der Sturz. Sie erinnert sich an den Sturz. Den Fall. Absturz, Abfall. Zuerst fällt der Boden. Unter ihren Füßen, der Boden. Sie schwebt. Fällt, schwebt, fliegt, stürzt. Dann der Himmel. Er stürzt auf sie ein. Fällt herab. Wolkenverhangnes Himmelszelt. Band aus Azur. Weites blaues Firmament. Die stärksten Säulen brechen, fallen. Stürzen zusammen.
Grau stürzt in Grau. Nicht weit. Aber endlos. Sie schreit. Sie hört es nicht. Stattdessen Knarren, Knacken, Knirschen, Kreischen, Keifen, Kämpfen, Klagen - klanglos vor Brechen und Stürzen. Tosender Orkan starren Betons. Keifende Symphonie klaren Glases. Grausige Arie festen Stahls. Schmerzlicher Chor stabiler Wände. Geiferndes Hohelied heiliger Bestien.
Fallen, endloses Fallen. Scharen von Schatten. Schweigen vor Schmerz. Schall von Schuld. Schattenschmerzen. Schallscharen. Schuldschweigen. Schwärze. Warme, zärtliche Schwärze, gnädig umfasst ihr Bewusstsein.
Dunkel. Es ist dunkel. Und sie erwacht. Sie sieht nichts. Vielleicht ist sie blind. Sie lauscht. Dunkelheit kann man hören. Unwirklich, nah und fern, surreal, diffus. Aber zu hören. Sie weiß das. Schmerz. Salziger Geschmack auf der Zunge. Süßer, schwerer Duft. Ungesehenes rotes Rinnsal.
Tastende Finger auf ihrem Fuß. Erschrecken, Erschaudern. Leben Sie noch? fragt eine Stimme. Ja. Sie schluchzt vor Freude. Sie ist nicht allein. Jemand ist dort in der Dunkelheit, neben ihr. Angst, Schmerz, Verzweiflung, Furcht, Bitterkeit, Schicksal werden geteilt. In diesem Moment.
Die Stimme ist nahe Sie bluten. Es ist ein Mann. Sie können es sehen? Ja. Er hustet. Es ist zu dunkel. Sie kann nichts sehen. Feiner Staub kratzt in ihrer Kehle. Sie hustet. Ihre Augen. Ihr... Er schweigt abrupt. Sie gerät in Panik. Was ist mit meinen Augen? Sie keucht. Was ist mit meinem... meinem Gesicht? Er schweigt. Sie hebt ihre Finger. Nur klebriges, süßes, schwammiges Fleisch. Schmerz und Entsetzen. Schärfster Schmerz und tiefstes Entsetzen. Gnädige Schwärze, die sie umfängt.
Leben Sie noch? Seine Hand liegt auf ihrer. Ja. Sie ahnt seine Freude. Ihre Antwort macht Hoffnung. Sagen sie. Keuchend. Wie sieht es hier aus? Er dreht den Kopf. Sie kann sein Haar rascheln hören. Es ist alles voll Staub. Er hustet. Gibt es Licht? Er schweigt lange. Dann: Nein. Nur dieses winzige Flackern. Sie hustet. Etwas Weiches, Flüssiges landet in ihrem Mund. Sie spuckt aus. Ich kann nichts bewegen. Nur meine Hand. Ein merkwürdiges Geräusch. Es klingt, als lache er leise. Vielleicht kann ich ein Stückchen näher zu Ihnen kriechen. Sie spürt seine Hand. Dann seinen Arm. Etwas schweres fällt neben ihr nieder.
Leben Sie noch? Irgendwann. Später. Ihre Stimme zittert. Sie hört ihn husten. Ja. Sie tastet nach seiner Hand. Schmerzensglut durchzuckt ihren Körper. Was ist nur geschehen? Sie stöhnt leise. Ich habe es gesehen. Seine Antwort ist lautlos. Das Flugzeug. Sein Körper zuckt unter ihrer Hand. Also ein Unfall? Sie hustet. Der Schmerz wird schwerer, träger. Nein. Sie ahnt das Wort in seinem Atem. Heilige Bestie. Heilige Bestie? Er keucht. Sie tastet über sein Hemd. Da ist etwas feuchtes, warmes, pulsierendes. Gläubiges Scheusal. Stöhnt er. Gläubiges Scheusal. Heilige Bestie. Ihre Stimme wird kalt. Dieb der Ehre. Räuber der Würde. Totschläger der Hoffnung. Mörder der Menschlichkeit. Totengräber der Unendlichkeit. Sie hustet. Ja. Seine Stimme, ein Hauch. Verräter der Seele. Er windet sich. Zuckt, kämpft, unterliegt. Liegt still.
Leben Sie noch? Er antwortet nicht. Sie verzweifelt. Ihre Finger tasten nach ihm. An ihm vorbei. In den Raum. Sie stoßen gegen Hartes, Raues. Dann finden sie etwas. Eine Hand. Eine Hand ohne Arm. Sie legt ihre Finger zurück auf seine Hand. Sie ist kalt. Ich werde wahnsinnig, kreischt sie. Holt mich doch raus. Sie hustet. Feine Nägel zerkratzen ihre Kehle. Es ist so warm. Dabei zittert sie. Ich brauche Luft. Dunkelheit. Immer nur Dunkelheit. Sie stöhnt und schluchzt. Kämpf endlich. Sie schreit. Ihre Fingernägel durchgraben ihre Haut. Heilige Bestie, murmelt sie. Warum hasst du mich? Sie spuckt schleimigen Staub. Du bist nicht heilig. Sie keucht. Dein Schein trügt dich. Deine Worte belügen dich. Schmerzende Flammen der Pein. Ein kühler Luftzug. Sie atmet. Eiskalter Wind. Sie atmet. Sie sinkt zusammen. Es gibt keinen Gott, der Hass segnet. Sie keucht. Sie schluchzt. Ihre Finger umklammern fest seine Hand. Herr, segne uns! Die Bitte der Toten. Sie fällt sanft in die Schwärze. Staub und Schatten.
In memoriam aeternam