Sternenhimmel

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DoroGabriele

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Sternenhimmel

Frei nach dem Märchen "Sterntaler" der Gebrüder Grimm

Die hellen blauen Augen schimmerten feucht, ihr Blick ging in die Ferne. "Es tut mir leid..." wisperte der alte Mann. "Ich wollte... " seine Stimme versagte, sein Kopf sank zur Seite. Die Tränen des jungen Mannes fielen heiß auf das runzlige Gesicht, zwischen seinen schlanken Händen hindurch.

Lange Zeit saß der junge Mann so da, zusammengekrümmt in der kleinen Hütte. Dann schleppte er sich müde nach draußen, seinem Großvater ein würdiges Begräbnis zu gewähren.
Er schuftete, bis der Wald um ihn herum stockdunkel war. Die Plackerei tat ihm gut. Als er den Alten sanft zur Ruhe gebettet hatte, fielen mit den letzten Erdklumpen weitere bittere Tränen auf sein Grab.
Er ging in die Hütte, rollte sich auf seinem Lager zusammen und schlief ein.
Am nächsten Morgen ergriff er seinen hölzernen Becher, den der Großvater ihm geschnitzt hatte und das letzte Stück Brot, was im Vorratsschrank lag. Ohne zurückzuschauen schritt er durch die Tür, schloß sie sorgfältig ab und ging.
Geraume Zeit ging er durch den Wald, ohne recht zu wissen wohin. Wie von einer unsichtbaren Macht angezogen lief er immer weiter, ohne einen Moment zu zögern. Er achtete kaum auf den frischen Duft der grünen Blätter, auf die wenigen Sonnenstrahlen, die ihren Weg durch das Kronengeflecht über ihm fanden und auf die leisen Geräusche der vielfältigen Waldbewohner. Er fühlte sich innerlich betäubt, sein Kopf ein wenig schwindelig. Weiter, immer weiter...

Ein rauhes Schluchzen riß ihn aus seiner Lethargie. Im Laub zwischen zwei alten vermoosten Bäumen saß eine zerlumpte alte Gestalt. Ihr Haar war blass und filzig, die Augen genauso grau und stumpf wie die ganze gekrümmte Person. Das Gesicht, knorrig wie alte Baumrinde, glänzte naß von Tränenströmen. Neben dem alten Mann auf dem Waldboden lag ein zerbrochenes hölzernes Gefäß, die krummen Finger fuhren immer wieder streichelnd über die Stücke. Ohne ein Wort zu sagen, legte der junge Mann ihm seinen Becher in den Schoß und ging weiter. Hinter ihm verebbten die rauhen Schluchzer allmählich.

Der Tag schritt voran, der Hunger kam. Im Gehen griff er nach seinem Stück Brot in seiner Tasche und biß ein paar Mal hinein. Es schmeckte gut, rauh und belebend. Sein Großvater hatte wunderbares Brot gebacken. Leider war ihnen der Käse ausgegangen, seit ein Wolf die Ziege gerissen hatte. Er konnte sich kaum noch an den Geschmack erinnern.

Es dämmerte bereits, als aus den schlanken Silhouetten kräftiger Buchen eine magere Gestalt auf ihn zutrat. Mit einem schwer zu deutenden Ausdruck in dem jungen Gesicht verstellte sie ihm den Weg.
"Athina", sagte der junge Mann. Die grünen Augen sahen ihn herausfordernd an. Schon immer hatte das Mädchen ihn mehr an eine Wildkatze oder einen Fuchs erinnert, als an einen Menschen. Immerhin war auch sie ein wildes Geschöpf des Waldes, tauchte überall und nirgends auf. Konnte sich geräuschlos bewegen. Die blitzenden Augen wanderten begehrlich zu seiner ausgebeulten Tasche. "Ich habe Hunger!" Sie zischte es mehr, als dass sie es sagte. Er griff in die Tasche, warf ihr das Stück Brot zu. Sie fing es gierig und verschwand blitzschnell. Einige Zeit später allerdings, dunkle Schatten bereits überall um ihn herum, spürte er ihre Gegenwart hinter sich. Er sah sich nicht um.

Nur wenig Licht drang noch durch das dichte Gewirr der Zweige und Äste. Es war Neumond, doch der Himmel über ihm musste sternenklar sein. Hin und wieder blitzte ihm etwas freundlich durch die urtümliche Dunkelheit des alten Waldes über seinem Kopf zu. Er hatte keine Furcht. Er kannte den großen Wald, hatte nie etwas anderes erlebt. Er kannte die Geräusche der Uhus, der scheuen Rehe und der Wildschweine.
Das wilde Rascheln vor ihm musste allerdings ein Mensch sein. Sein Herz tat einen erschreckten Satz, und er nahm automatisch Verteidigungsstellung ein. Ein Stück hinter ihm hörte er das Mädchen leise keuchen. Mit einem krächzenden Schrei sprang eine schwarze Gestalt auf ihn los, hieb mit einem Gegenstand, offenbar einem derben Stock, auf ihn ein. Er parierte den ersten Hieb, quittierte seinen schmerzenden Arm mit einem unterdrückten Schmerzensschrei und ergriff den Stock beim zweiten Hieb fest mit beiden Händen. Heftig stieß er ihn der attackierenden Gestalt gegen die Brust, die dumpf zu Boden ging. Er machte sich bereit, den Stock mit aller Gewalt gegen den Kopf der Person zu stoßen, hilt jedoch inne, als er die rauhen Schluchzer vernahm, die in den feuchten Laubboden drangen. Es musste eine alte Frau sein, die magere Gestalt mit einem dünnen Hemd und einem zerschlissenen Rock verhüllt. Die Schuhe waren kaputt. "Die alte Fermosa", wisperte Athina neben ihm. "Sie ist oft nicht ganz bei sich, seit ihr Sohn nicht mehr da ist."
Die heiseren Schluchzer auf dem Boden wollten nicht enden, die gekrümmte Gestalt bibberte heftig. Es war mittlerweile recht kalt geworden, und der Wind ging durch die alten Äste. Wortlos entledigte sich der junge Mann seiner Jacke, warf sie über die alte Frau. Zog die Stiefel von den Füßen, ließ sie ins Laub neben die Alte fallen. Ging weiter durch den düsteren alten Wald.

"Frierst du nicht?" brachte Athina eine ganze Weile später heraus. Sie ging fast neben ihm. "Nein", entgegnete er ohne seine Schritte zu verlangsamen.
Doch dann gelangten sie auf die Lichtung. Sie betraten einen verwunschenen Ort. Frisches weiches Gras glänzte im Sternenlicht, frische Düfte wehten ihnen um die Nase. Stand in der Ferne am Waldrand ein junges Reh? Schon war es verschwunden. Sanft und verheißungsvoll breitete sich über ihnen der Himmel aus, weit und wunderbar.
Der junge Mann reckte sein Gesicht nach oben, trank gierig das strahlende tausendfache Licht. Ein Kribbeln lief durch seinen ganzen Körper, und er breitete die Arme aus, um nicht schwindelig zu werden. Als er die Augen schloß, war das bezaubernde Funkeln der Sterne in ihm, durchdrang seinen ganzen Körper, erfüllte seine Seele mit hellem Licht. Er spürte kaum, wie Athina seine Hand ergriff, hielt sie aber fest. Glückseligkeit durchströmte ihn, die eisige Kälte wich von seinen Füßen, er fühlte sich umhüllt mit reiner Herrlichkeit.
Langsam taten sie einen Schritt vor den anderen, beschritten einen sternenglänzenden sanft geschwungenen Weg, wie eine zerbrechliche Brücke in den Himmel. Die sanfte Lichtung glänzte hinter ihnen, strahlende Verheißung vor ihnen.
 



 
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