Sternenträume

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Twinanni

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Einst, vor nicht allzu langer Zeit, gab es einen schimmernden, glitzernden kleinen Stern. Er saß in der allerobersten Spitze des Himmelszeltes und beobachtete all das, was unter ihm vor sich ging. Von allen Planeten, die um ihn herum gemächlich ihre Kreise zogen, war ihm die Erde der liebste und sie war es auch, die er sich fast Tag und Nacht ansah.
Er sah dort verschiedene Menschen, mit verschiedenfarbigen Augen, unterschiedlich Haut- und Haarfarben, bunten Anziehsachen und Schuhen. Sie alle sprachen die verrücktesten Sprachen, die wie eine Melodie in den Ohren des kleinen Sternes klangen, bewegten sich alle auf ihre eigene Art und hatten bestimmte Bräuche und Sitten.
Der kleine Stern hörte auf den Namen Franklin und Franklin liebte das wunderschöne und kunterbunte Bild, dass sich ihm bot, sobald er auf die Erde sah. Er liebte es so sehr, das ihm der Gedanke kam, sein eigenes Zuhause wäre furchtbar langweilig und blöd.
Franklin war es leid, dass die Sterne sich so langsam am Himmel entlang bewegten, denn auf der Erde war ein ständiges geschäftiges Treiben, dass niemals aufzuhören schien.
Besonders verärgerte ihn, dass er zu den Sternen gehörte, die sich gar nicht bewegten. Immer wieder sah er auf die Menschen hinab, wie sie hin und her flitzten und gar nicht zur Ruhe kamen und er ärgerte sich grün und blau vor Neid, es nicht auch tun zu können. Er zog und zerrte an sich selbst, doch nichts davon konnte ihm Bewegung einhauchen.
Immer mehr fand er, was bei ihm zu Hause viel schlechter war als auf der Erde: Zum Beispiel die Farben. „Blau, blau und nochmals blau... . Ich kann die Farbe einfach nicht mehr sehen!“, dachte er, „Warum ist denn nichts pink oder grün oder rot hier?“
In Gedanken ging Franklin mit seinen Forderungen sogar noch weiter: „Außerdem will ich nicht, dass mich die Menschen nur bei Nacht sehen als einer von Millionen und Millionen von Sternen. Ich will, dass die Nacht zum Tag wird und vor allem will ich etwas Besonderes sein, ja genau, etwas Besonderes!“ Der kleine Stern war sehr stolz über diese Idee und ließ seiner Fantasie freien Lauf: „Vielleicht sollte ich ja mal hinunter gehen, auf die Erde! Beobachten ist zwar interessant, aber es würde doch viel toller sein, diese ganzen lustigen Dinge, die die Menschen den ganzen Tag machen, einmal selbst zu tun!“
Franklin entschied, sich diesen Wunsch zu erfüllen, koste es, was es wolle.
Die anderen Sterne um ihn herum bemerkten natürlich die Veränderung in Franklins Verhalten und Aussehen. Er war so voller Sorge, dass sein Wunsch auch ja wahr werden musste, dass er darüber die ganze Zeit nachdachte.
Er konnte nicht schlafen, er aß nicht mehr und er redete auch nicht mehr mit einem der anderen Sterne, weil er dachte, sie würde ihn sowieso nicht verstehen.
Nach kurzer Zeit war Franklin nicht mehr der glitzernde Stern von früher. Sein Glanz war grau geworden, er sah müde aus und noch nicht einmal mehr seine Augen leuchteten. Er sendete keine Licht mehr aus und war am Himmel nur noch ein kaum wahrnehmbarer, kleiner Punkt.

Franklin selbst merkte nichts von der Veränderung, die anderen Sterne aber waren zutiefst besorgt und diskutierten, was wohl die Quelle von Franklins Krankheit war.
„Das kleine Sternchen macht sich einen Kopf über irgendetwas, das ist doch ganz offensichtlich!“, brummte ein älterer Stern, „Wir sollten ihn einfach fragen, warum er so traurig ist, oder nicht?!“ Alle stimmten ihm zu und als sich die nächste Möglichkeit ergab, gingen sie zu ihm.
„Hey Franklin! Du siehst so abwesend aus in letzter Zeit, gibt es da vielleicht irgendwas, das du uns erzählen möchtest?“
Der kleine Stern schaute zu dem großen Stern hoch und sah all die Gesichter um sich herum, alle waren sonnig und hell ... doch alle sahen auf eine gerade zu hypnotische Weise gleich aus.
Er drehte sich um die eigene Achse und sah immer wieder das gleiche Bild, wie in einem Alptraum, als wären seine Befürchtungen über die Eintönigkeit seiner Heimat mit einem Schlag wahr geworden.
Er fing an zu weinen und noch während die Tränen an seinen Wangen entlang liefen, wünschte er sich irgendwo anders zu sein, irgendwo auf der Erde.

Als Franklin seine Augen wenig später zögernd öffnete, leuchtete plötzlich alles um ihn herum in den buntesten Farben. Vor Glück fast überwältigt sprang er umher und rannte von einer Stelle zur nächsten.
Seine Augen quollen beinahe über, denn er wollte jedes auch noch so kleine Quäntchen an Farbe in sich aufnehmen. Er konnte nicht aufhören, sich immer wieder umzusehen und in jeder einzelnen Sekunde dankte er Gott oder den anderen Sternen oder egal wem, auf jeden Fall demjenigen, der ihn hierher gebracht hatte.

Nach einigen Stunden bekam der allmählich erschöpfte Franklin Magenknurren.
Jetzt, nachdem sich sein Herzenswunsch erfüllt hatte, bemerkte er erst, wie lange er gehungert hatte.
Er schaute sich nach etwas Essbarem um, doch er konnte nichts finden, denn er wusste ja nicht, was von den Dingen um ihn herum genießbar war und was nicht.
Hoffnungsvoll probierte er einen Stein, doch der schmeckte ihm nicht und war auch viel zu hart, für seine kleinen Sternenbeißerchen. Dann probierte er ein wenig von dem bunten Glas, dass direkt vor ihm auf dem Boden lag, doch als er versuchte, eine kleine Ecke herunterzuschlucken, schnitt er sich daran fast die Zunge ab.
Mit Tränen in den Augen dachte er darüber nach, wo er wohl etwas Leckeres herbekommen könnte. „Ja na klar!“, dachte der kleine Stern voller Hoffnung, „ Ich frage einfach Jemanden, ob er mir hilft!“
Das Problem war allerdings, dass er Niemanden sah... .
Franklin war ganz allein und zu seinem Schrecken wusste er noch nicht einmal wo! Entschlossen, wenn auch orientierungslos, rannte er nach kurzer Überlegung einfach los.
Von beinahe einer Minute zur Nächsten fand er sich auf einmal in einer Fußgängerzone wieder. Dort blieb er stehen und fing an zu rufen: „Hallo, ist hier irgendjemand, der vielleicht etwas zu essen für mich übrig hat? Ich hungere schon seit Tagen und es wäre wirklich nett, wenn -.“
In diesem Moment kickte ein Mann den kleinen Stern einfach mit dem Fuß zur Seite. Franklin verlor kurz sein Bewusstein und als er aufwachte fühlte er einen großen blauen Fleck, genau über seinem linken Auge. Verzweifelt schaute er sich um, ob ihm irgendwer zur Hilfe kam, aber er stellte fest, dass niemand auch nur die leistete Notiz von ihm nahm.
Der kleine Stern war einfach viel zu winzig. Er humpelte von der Straße, auf der er gesessen hatte und begann mit beiden Händen zu winken, um Aufmerksamkeit zu erregen, aber anstatt dessen bekam er nur noch mehr Tritte und Püffe ab. Niemand schaute nach unten, alle hetzten nur an ihm vorbei. Franklin sah sich um, ob sie vielleicht ein bestimmtes Ziel hatte, doch ein paar Menschen liefen in die eine Richtung, andere in die entgegengesetzte und es war kein System zu erkennen.
Verzweifelt rief Franklin noch einmal nach oben, doch die Gesichter der Menschen blieben von ihm abgewandt. Mutlos ließ er die erhobenen Arme sinken, als eine Frau auch noch auf ihm herum trampelte, ohne es zu bemerken.
Völlig erschöpft setzte sich Franklin auf die Bordsteinkante und ließ seine Beine baumeln. Da kam ein Auto um die Ecke gedüst und fuhr mit voller Geschwindigkeit in die Pfütze, neben der Franklin saß. In der nächsten Sekunde war er von oben bis unten durchnässt, ihm war kalt, er fühlte sich einsam und hungrig. Franklin wusste nicht, wohin er gehen sollte. Er schaute hinauf in den Himmel und sah all die Hochhäuser, die ihn um das hundertfache überragten, als es anfing zu regnen.
Plötzlich sah alles so grau und hoffnungslos aus, alle eilten die Straßen entlang und kurz darauf war um ihn herum gähnende Leere.
Schniefend sah sich der kleine Stern um und fragte sich selbst: „Was soll ich denn nur tun?“
Es war schrecklich, wie all die schönen Farben durch den Regen verschwanden.
Betrübt sah er auf seine Füße und schlief kurz darauf tief und fest ein.

Als er wieder aufwachte fühlte er warme kuschelige Decken um sich herum.
Es war wunderbar warm und er sah viele bunte Farben ihm entgegenleuchten. „Hallo!“, sagte eine kindliche Stimmen neben ihm. „Mein Name ist Leonie und wie heißt du?“ Franklin drehte seinen Kopf zu Seite und sah ein kleines Mädchen in einem gelben Nachthemd vor sich stehen. Auf ihrem Bauch war ein lustiges Schaf, das ihn genauso interessiert zu mustern schien wie Leonie selbst. „Hallo!“, flüsterte er etwas angeschlagen, „Ich bin Franklin!“ „Geht’s dir gut?“ Hakte das kleine Mädchen mit dem faszinierendem Nachthemd nach. „Ich glaub schon!“, antwortete der kleine Stern, „Ich hab nur ein bisschen Hunger!“
„Na das hab ich mir gedacht!“ Meinte Leonie und reichte ihm augenblicklich einen Teller, auf dem leckere Kekse und Süßigkeiten gestapelt waren.
Franklin probierte von allem etwas und saß schließlich auf dem weichen Kissen, sein Gesicht zugekrümelt mit Schokolade und Keks. „Das war aber lecker!“ Seufzte er und schaute sich zufrieden um. „Du musst aber wirklich hungrig gewesen sein!“ Leonie lachte und es sah so aus, als ob das Schaf auf ihrem kleinen Kullerbauch losgaloppieren würde.
Franklin war entzückt. Von Leonie, von ihrem Schaf-Bauch, von ihren Süßigkeiten, einfach von allem.
„Wo kommst du eigentlich her?“ Fragte das Mädchen neugierig. Franklin musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um ihre kleine Hand anfassen zu können, dann führte er sie an das Fenster. „Vom Himmel!“ Antwortete er und zeigte nach oben, zu seiner dunkelblauen Heimat. „Toll!“ Antwortete Leonie verträumt. “Da würde ich auch gern hin!”
 



 
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